Datenschutz & Sicherheit
Operation „Eastwood“: BKA geht gegen Hacker-Gruppe „NoName057(16)“ vor
Deutsche und internationale Strafverfolgungsbehörden sind bei einer gemeinsamen Aktion gegen die Hacker-Gruppe „NoName057(16)“ vorgegangen. Nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) wurde dabei ein aus weltweit verteilten Servern bestehendes Botnetz abgeschaltet, das für gezielte digitale Überlastungsangriffe auf Internetseiten (dDoS) eingesetzt wurde.
Das BKA nennt NoName057(16) ein „ideologisch geprägtes Hacktivisten-Kollektiv“, das als Unterstützer Russlands Cyberangriffe durchführt. Mit seinen Aktionen reagiere die Gruppe auf politische Ereignisse.
14 Angriffswellen
Seit Beginn der Ermittlungen im November 2023 sei Deutschland das Ziel von insgesamt 14 Angriffswellen der Gruppe gewesen, so das BKA weiter. Die Aktionen zielten darauf ab, das gesamtgesellschaftliche und politische Gefüge der Bundesrepublik nachhaltig zu stören. Auch Ziele in anderen Ländern hatte die Gruppe im Visier.
Die Attacken hätten teilweise mehrere Tage gedauert und insgesamt rund 250 Unternehmen und Einrichtungen betroffen. Zu den Zielen in Deutschland gehörten demnach Unternehmen der kritischen Infrastruktur (u. a. Rüstungsbetriebe, Stromversorger, Verkehrsbetriebe), öffentliche Einrichtungen und Behörden. Die Angriffe auf Websites verschiedener Bundesländer im Frühjahr 2023 werden ebenfalls der Gruppe zugerechnet.
Die Gruppe habe seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine öffentliche Aufmerksamkeit über Messenger erregt und Unterstützer rekrutiert. Nach Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden umfasst das Unterstützernetzwerk mehr als 4000 Nutzer.
Grüße an die Unterstützer im Telegram-Kanal.
(Bild: Screenshot/heise online)
„Nehmt sie nicht ernst“
Über einen Kanal auf Telegram verteilte die Gruppe Aufgaben an ihre Unterstützer. Den dafür genutzten Bot haben die Ermittler ebenfalls übernommen. Mit ihm wiesen die Behörden die Unterstützer der Gruppe auf die Strafbarkeit der Handlungen nach deutschem Recht hin. Die Gruppe rief dazu auf, das nicht ernstzunehmen.
An der internationalen Operation mit dem Codenamen „Eastwood“ waren laut BKA und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt auch Behörden aus den USA, den Niederlanden, der Schweiz, Schweden, Frankreich, Spanien und Italien beteiligt.
In Deutschland wurden den Angaben zufolge insgesamt drei Objekte durchsucht, die mutmaßlichen Unterstützern der Gruppierung zugerechnet werden. Zwei davon in Bayern und eines in Berlin. International fanden laut BKA 24 Durchsuchungen statt. Die sichergestellten Beweismittel würden derzeit ausgewertet.
In Deutschland wurden sechs Haftbefehle gegen russische Staatsangehörige beziehungsweise in Russland wohnhafte Beschuldigte erlassen. Zwei von ihnen sollen die Hauptverantwortlichen der Gruppe NoName057(16) sein. Auch die spanischen Behörden haben laut BKA einen Haftbefehl erwirkt. Nach allen Beschuldigten werde international gefahndet.
Die Polizeiaktion dürfte die Aktivitäten der Gruppe nicht nachhaltig behindern. Die Verdächtigen leben vermutlich alle in Russland. Neue Server sind leicht anzumieten, und die Infrastruktur lässt sich so schnell wieder ersetzen.
(vbr)
Datenschutz & Sicherheit
Digitalsteuer: EU im Zugzwang
Bevor Ursula von der Leyen heute ihren EU-Budgetvorschlag präsentiert, war die erste Hälfte der Arbeit schon getan. Einstimmig müssen die EU-Länder dem mehrjährigen Finanzrahmen zustimmen, der von 2028 bis 2034 gelten soll. Da ist bereits im Vorfeld politisches Fingerspitzengefühl gefragt, trotz der eingeplanten zweijährigen Verhandlungszeit: Welche Vorschläge haben überhaupt eine Chance im EU-Rat, und welchem erscheinen politisch so hoffnungslos, dass sie gar nicht erst auf den Tisch kommen?
In letztere Kategorie scheint die Digitalsteuer zu fallen. Sie soll als ernstzunehmende Option in einem frühen Budgetentwurf gestanden haben, hatte Politico unter Berufung auf interne Dokumente berichtet. In der finalen Fassung soll eine Digitalsteuer inzwischen nicht mehr enthalten sein. Stattdessen soll es neue Abgaben auf Elektroschrott und Tabakprodukte geben – sowie eine Steuer für Unternehmen ab einem Umsatz von 50 Millionen Euro, unabhängig von ihrem Geschäftsmodell.
„Erfahrungsgemäß haben Vorschläge zu neuen Eigenmitteln für die Kommission große Probleme, im Rat bei den Mitgliedstaaten eine Mehrheit zu finden“, sagt der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken zu netzpolitik.org. Schon jetzt würden zwei bestehende Pakete zu Eigenmitteln im Rat blockiert, so der sozialdemokratische Politiker. Es habe die Gefahr bestanden, dass „die neuen Vorschläge sich einfach zu den bestehenden, blockierten Vorschlägen dazugesellen“, vermutet Wölken.
Dauerstreitthema Digitalsteuer
Die Debatte über eine Digitalsteuer flammt alle paar Jahre auf, das Problem ist allgemein bekannt und gut dokumentiert. Vor allem multinationale, meist aus den USA stammende Techkonzerne wie Alphabet, Meta oder Apple erzielen Milliardengewinne innerhalb der EU, zahlen aber kaum Steuern. Trotzdem fällt es offenkundig schwer, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen: Der letzte Anlauf der Kommission für eine EU-weite Digitalsteuer scheiterte an Ländern wie Irland oder Schweden, während die USA unter Donald Trump jüngst aus der Ersatzlösung auf OECD-Basis ausgestiegen sind.
Ohnehin schwebt der US-Präsident über der Debatte, seit er praktisch der ganzen Welt den Handelskrieg erklärt hat. Einfuhren aus der EU sollen dem letzten Stand nach ab August mit mindestens 30 Prozent besteuert werden. Über potenzielle Retourkutschen verhandelt die EU intern noch, sie könnte etwa Flugzeuge von Boeing oder Whiskey aus Kentucky mit Strafzöllen belegen. Derweil eilte der EU-Chefverhandler, Handelskommissar Maroš Šefčovič, zu Gesprächen nach Washington, um in letzter Sekunde vielleicht doch noch etwas zu bewegen.
Ob dabei die Digitalsteuer vollends aus dem Rennen ist, lasse sich angesichts der Geheimhaltung, mit der die Zollverhandlungen mit den USA geführt werden, schwer beantworten, sagt die grüne EU-Abgeordnete Alexandra Geese. Allerdings sei es „ein schlechtes Zeichen, dass die EU-Kommission die Digitalsteuer offenbar nur als Verhandlungsmasse genutzt hat, aber bereits vor einer Einigung im Zollstreit darauf verzichtet“, sagt die Abgeordnete gegenüber netzpolitik.org.
Tech-Konzerne sollen blechen
Gefruchtet hat die abwiegelnde Haltung der EU-Kommission, die weiterhin eine Verhandlungslösung bevorzugt, bislang kaum – so die US-Zölle tatsächlich in zwei Wochen zu greifen beginnen. Trump wiederum dürfte sich in seinem Vorgehen bestätigt fühlen. Zuletzt hatte das US-Finanzministerium Rekordeinnahmen aus Zollgebühren verkündet, allein im Juni sollen deshalb fast 30 Milliarden US-Dollar in die Staatskasse geflossen sein.
„Unterwürfige Verhandlungsstrategie“
„Es erscheint gerade sehr unwahrscheinlich, dass die EU einen Vorschlag für eine Digitalsteuer macht“, sagt die Ökonomin Aline Blankertz von der Nichtregierungsorganisation Rebalance Now. Das liege an zwei Punkten: Erstens sei die deutsche Bundesregierung nach dem Vorstoß von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer schon zurückgerudert, und ohne deutsche Unterstützung sei so ein Vorhaben viel schwerer denkbar. Zweitens fahre die EU gegenüber der US-Regierung eine „unterwürfige Verhandlungsstrategie“, um zu einem vorteilhafteren Handelsabkommen zu kommen, und stelle „selbst die Durchsetzung bestehender Gesetze wie der Digital Markets Act zur Disposition“, sagt Blankertz.
Weimer war Ende Mai mit einem eigenen Vorschlag vorgeprescht und hatte eine Digitalabgabe für große Tech-Unternehmen ins Spiel gebracht. Obwohl im Koalitionsvertrag ausdrücklich vermerkt, hatte er die Koalitionspartner damit sichtlich überrascht. Vor allem aus der Union, die den parteilosen Konservativen nominiert hatte, kommt viel Unmut über den unabgestimmten Vorstoß. „Wir sollten nicht über mehr, sondern über weniger Handelshemmnisse sprechen“, sagte etwa CDU-Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Ob und wann Weimar tatsächlich einen Entwurf für eine deutsche Digitalsteuer vorlegen wird, bleibt vorerst offen. Einen Rückzieher hat er zumindest bislang nicht gemacht. Vergangene Woche bekräftige er gegenüber den Sendern RTL/ntv, weiterhin die „Macht der Tech-Giganten adressieren“ zu wollen. Ihre faire Besteuerung habe „die EU schon seit Jahren nicht wirklich hinbekommen, sodass wir auf nationaler Ebene vorangehen und das dann integrieren in eine europäische Lösung“, sagte Weimer.
Andere EU-Staaten machen es vor
Deutschland wäre damit nicht das einzige Land mit einer Digitalsteuer, als Vorbild soll ohnehin das österreichische Modell mit seiner Steuer auf Online-Werbung dienen. „Prinzipiell können Digitalsteuern national gut funktionieren, das zeigen ja schon Frankreich, Österreich, Spanien und Italien“, sagt die Ökonomin Blankertz. Wenn die EU aktuell keine Digitalsteuer angehen möchte, spreche das erst recht dafür, eine Umsetzung in den Mitgliedsstaaten anzustreben. Gleichzeitig sei allerdings auch die deutsche Bundesregierung darauf bedacht, sich mit Trump bloß gut zu stellen, sagt Blankertz.“ Im besten Fall werde das Thema also verschoben, bis sich die Wogen im Handelsstreit geglättet haben.
Was die EU gegen Donald Trump in der Hand hat
Ein nationaler Vorstoß würde den gleichen Gegenwind aus den USA zu spüren bekommen wie ein europäischer Ansatz, vermutet der Abgeordnete Wölken, der eine EU-Lösung bevorzugt. „Die Bundesregierung wäre deshalb gut beraten, Mehrheiten im Rat zu bauen“. Nationale Alleingänge sollten erst an allerletzter Stelle stehen, wenn kein gemeinsamer Weg mehr denkbar ist. Indes lebt die EU von ihren Mitgliedstaaten: „Die Drohung eines Alleingangs kann natürlich auch ab und zu hilfreich sein, um Mehrheiten im Rat herbeizuführen oder die Kommission zum Handeln zu animieren“, sagt Wölken.
Das Drohszenario eines zersplitterten Marktes
Im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit brauche es Vorreiter, sagt der EU-Linkenabgeordnete Martin Schirdewan – insbesondere, wenn internationale Abkommen scheitern. Länder wie Frankreich und Italien hätten es bereits vorgemacht, jetzt müsse Deutschland nachziehen. „So können wir Druck auf die US-Regierung aufbauen, um sie dazu zu bewegen, entweder wieder beim OECD-Abkommen einzusteigen oder eine EU-weite Digitalsteuer zu akzeptieren“, sagt Schirdewan.
Dabei könnte das Damoklesschwert eines fragmentierten Marktes sogar zum Vorteil für die EU werden, sagt der Linken-Abgeordnete. „Die US-Digitalkonzerne haben in der Vergangenheit das OECD-Abkommen über einen Flickenteppich von vielen unterschiedlichen nationalen Digitalsteuern bevorzugt. So ein Flickenteppich mit vielen unterschiedlichen Regeln und Steuerraten ist ihr Horrorszenario. Das können wir uns zunutze machen“, so Schirdewan.
Diesem Ansatz steht der EU-Abgeordnete Andreas Schwab von der CDU eher skeptisch gegenüber. „Ein Flickenteppich nationaler Digitalsteuern in den Mitgliedstaaten könnte den Binnenmarkt zersplittern und Vergeltungsmaßnahmen im Handel provozieren“, warnt Schwab. Stattdessen bevorzugt er die neu auf dem Tisch liegende Abgabe für größere Unternehmen – eine „politisch tragfähigere und wirtschaftlich effektivere Alternative“, sagt Schwab. Damit ließen sich geopolitische Spannungen vermeiden, die durch eine gezielte Besteuerung US-amerikanischer Technologiekonzerne entstehen könnten, so der EVP-Abgeordnete.
EU eingekeilt zwischen Problemen
Freilich hängt dies entscheidend davon ab, wie so eine Abgabe konkret ausgestaltet wäre und wie sich die Parteien in der weiteren Debatte aufstellen würden. „Der Vorschlag über eine neue Unternehmensabgabe wird von der hiesigen Unternehmenslobby und auch der EVP im Parlament jetzt schon stark kritisiert“, sagt der SPD-Abgeordnete Wölken. Angesichts der politischen Mehrheiten glaube er derzeit nicht daran, dass dies so kommen werde.
Zugleich ist die EU im Zugzwang: Denn die Lücke, die durch die Tilgung des Wiederaufbaufonds gerissen wurde, muss irgendwie geschlossen werden. Wölken hätte eine Digitalsteuer oder auch eine Sonderabgabe für Kleinstpakete von Alibaba und Temu aus China für die bessere Alternative gehalten. „Denn so wären wir gezielt auf bestehende Probleme eingegangen, nämlich die Steuervermeidung von Big Tech-Unternehmen auf der einen Seite und den unfairen Wettbewerb durch chinesische Billig-Marktplätze auf der anderen Seite“, sagt Wölken.
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EU-Kommission gibt klares Jein zu Alterskontrollen
Die EU-Kommission hat die finale Version ihrer Leitlinien zum Jugendschutz im Netz veröffentlicht. Sie sollen für die meisten Online-Dienste gelten, die unter das Gesetz für digitale Dienste (DSA) fallen, zum Beispiel Online-Marktplätze, soziale Netzwerke oder Pornoseiten.
Den ersten öffentlichen Entwurf der Leitlinien haben wir bereits im Mai analysiert. Dieser Artikel ist weiterhin aktuell; in ihren Grundzügen haben sich die Leitlinien nämlich nicht verändert. Nach wie vor sollen Nutzer*innen häufiger ihren Ausweis vorzeigen, wenn sie im Netz Inhalte für Erwachsene sehen wollen. Ein weiteres Bündel an Maßnahmen handelt davon, die verführerische Sogwirkung einzudämmen, die etwa Social-Media-Apps erzeugen können.
Dennoch lohnt sich der Vergleich zwischen Entwurf und finaler Version. Er zeigt, dass die EU-Kommission gerade an den Regeln für Alterskontrollen bis zuletzt gearbeitet hat. Während Länder wie die USA, Großbritannien und Australien vermehrt solche Kontrollen im Netz hochziehen, häufen sich die Forderungen danach auch in der EU und in Deutschland. Zugleich warnen Fachleute davor, dass Alterskontrollen eine Scheinlösung sind – mit großen Gefahren für digitale Teilhabe und Datenschutz.
Die Leitlinien spiegeln diesen Streit wider, ohne ihn zu lösen. Einerseits empfehlen sie strenge Alterskontrollen als möglicherweise notwendige Maßnahme, um Minderjährige vor potenziell schädlichen Inhalten zu schützen. Andererseits schränken die Leitlinien diese Empfehlung durch zahlreiche Bedingungen ein. Je nach Auslegung bleibt wenig Spielraum für regelkonforme Alterskontrollen.
Alterskontrollen sollen nicht einfach umgehbar sein
Schon der Entwurf der Leitlinien verlangte von Alterskontrollen, dass sie verhältnismäßig sein sollten; zudem sollten sie Kinderrechte, Privatsphäre und Datenschutz respektieren. In der finalen Version der Leitlinien hat die Kommission an folgenden Stellen nachgeschärft:
- Anbieter sollen demnach nicht nur einschätzen, ob Altersbeschränkungen bei ihren Diensten angemessen und verhältnismäßig sind, sondern diese Einschätzung auch veröffentlichen. Das erhöht den Druck, dass eine solche Einschätzung auch stichfest ist.
- Anbieter sollen sich bei Alterskontrollen ausdrücklich am Prinzip der Datenminimierung orientieren, das heißt: möglichst wenig Daten erfassen.
- Auf Ausweisen basierende Kontrollen sollten anonym sein; Anbieter sollen dafür einen unabhängigen dritten Dienstleister einsetzen.
- Auch Alterseinschätzung – etwa per sogenannter KI – soll über unabhängige Dritte laufen. Diese unabhängigen Altersprüfer wiederum sollen ihrerseits unabhängig geprüft werden, um Datenschutz zu sichern.
- Alterskontrollen sollen eine Reihe von Kriterien erfüllen: Sie sollen etwa korrekt, verlässlich und nicht umgehbar sein. Außerdem sollen sie keine Minderjährigen ausschließen, die einer Minderheit angehören. Andernfalls – und dieser Satz ist neu – sollen sie „nicht als angemessen und verhältnismäßig“ gelten.
Diese Ergänzungen der Leitlinien spiegeln die technologischen und grundrechtlichen Bedenken von Fachleuten wider. Ohne anonyme Altersnachweise könnten Alterskontrollen zum Beispiel Datenspuren erzeugen, mit denen sich Seitenbesuche und Interessen von Menschen umfassend überwachen lassen.
Auf Ausweisen basierende Kontrollsysteme schließen systematisch Menschen ohne Papiere aus; das sind allein in Deutschland Hundertausende. KI-basierte Systeme, die etwa das Alter anhand des Gesichts abschätzen, haben gruppenspezifische Fehlerraten; insbesondere bei Menschen, die in den Trainingsdaten unterrepräsentiert sind. Hinzu kommt, dass Nutzer*innen jegliche Alterskontrollen oftmals mit einfachen Mitteln wie VPN-Software umgehen können.
Existieren überhaupt Methoden der Alterskontrolle, die den Leitlinien gerecht werden können?
Der Dachverband europäischer Organisationen für digitale Freiheitsrechte, EDRi (European Digital Rights) kam bereits 2023 zu dem Schluss, dass Alterskontrollen mit Dokumenten und mit KI-basierter Einschätzung besser nicht zum Einsatz kommen sollten. Das dazu gehörige Papier gibt die Position von 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen wieder.
Wer Pornos guckt, soll ständig kontrolliert werden
Die EU-Leitlinien benennen zwar die zentralen Bedenken, ziehen daraus aber keine schlüssige Konsequenz. An anderer Stelle wiederum empfehlen die Leitlinien sogar einen besonders intensiven Einsatz von Alterskontrollen. In einem neu hinzugefügten Absatz heißt es, aus dem Englischen übersetzt:
Online-Plattformen für Erwachsene sollten die gemeinsame Nutzung von Accounts nicht erlauben und daher bei jedem Zugriff eine Alterskontrolle durchführen.
Gerade Betreiber von Pornoseiten dürften das mit Schrecken lesen. Seit Jahren wehren sich die weltgrößten Pornoseiten gegen strengere Alterskontrollen, auch vor Gericht. Nichts dürften sie sich weniger wünschen als eine Pflicht, das Alter ihrer Besucher*innen immer und immer wieder zu kontrollieren. Bei jedem Besuch.
Zugleich dürften bei kommerziellen Anbietern von Alterskontrollen die Sektkorken knallen. Sie streichen in der Regel pro durchgeführter Kontrolle Centbeträge ein. Und Pornoseiten gehören zu den meistbesuchten Websites der Welt. Es winken also Umsätze in Milliardenhöhe.
Prüfung spätestens in 12 Monaten
Abschließend geklärt ist allerdings nichts, denn die Leitlinien liefern Pornoplattformen eben auch Argumente gegen Alterskontrollen. Etwa, weil bestehende Methoden der Alterskontrolle kinderleicht umgehbar sind – und damit nicht mehr als „angemessen und verhältnismäßig“ durchgehen würden. Anbieter könnten sich auf diesen Passus berufen, wenn sie begründen wollen, warum sie keine strengeren Methoden einführen.
Die trügerische Sicherheit von Alterskontrollen im Netz
Die EU-Kommission ist sich offenbar bewusst, dass die nun vorgelegten, finalen Leitlinien nicht das letzte Wort sein können. Eine Überprüfung ist bereits geplant. Im Entwurf hieß es noch, diese Prüfung passiere, sobald es notwendig sei. Inzwischen liest sich das weniger vage: Spätestens in 12 Monaten wolle sich die Kommission die Leitlinien nochmal vorknöpfen.
Bis dahin dürfte es zumindest einige Erfahrungen mit der von der EU geplanten Alterskontroll-App geben. Volljährige EU-Nutzer*innen sollen mit dieser App einen Nachweis generieren, um Altersschranken zu überwinden. Nachdem die Kommission zunächst die Spezifikationen der App vorgelegt hat, ist nun auch der Code für den Prototyp online. Wie die EU-Kommission mitteilt, sollen fünf EU-Staaten die App jetzt schon testen: Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Dänemark.
Die Leitlinien beziehen sich nicht direkt auf Dienste mit mehr als 45 Millionen monatlichen EU-Nutzer*innen, denn für diese sogenannten „sehr großen Plattformen“ (VLOPs) sieht der DSA noch mehr Verpflichtungen vor. Demnach müssen sie etwa systemische Risiken – nicht nur für Minderjährige – bewerten und mindern sowie Aufsichtsbehörden Zugang zu internen Daten gewähren.
Datenschutz & Sicherheit
Stadt Kenzingen will Geld für Demonstration
Am 5. Juni gibt es Proteste in der südbadischen Kleinstadt Kenzingen. Die Demo vor dem Rathaus richtet sich gegen eine Erhöhung der Kindergartengebühren, welche am selben Tag im Gemeinderat behandelt wird. Auf der Demo protestieren nach Angaben des Veranstalters 150 Menschen. Bilder zeigen Familien, große und kleine Menschen, jung und alt, ein Querschnitt der Bevölkerung. Sie tragen bunte Schilder, auf denen eine bezahlbare Kinderbetreuung gefordert wird: „Kinder dürfen kein Luxus sein!“ steht da auf einem selbstgemalten Plakat, ein anderes fordert ein „Herz für Familien“. Ein Zeichen lebendiger Demokratie, auch wenn die Proteste am Ende die Erhöhung nicht verhindern konnten.
Die Demonstration hat der Familienvater und Unternehmer Alexander Feldberger ordnungsgemäß, wenn auch kurzfristig beim zuständigen Landratsamt Emmendingen angemeldet. Das Landratsamt, das hier als Versammlungsbehörde agiert, forderte in den Auflagen für die Versammlung eine Vollsperrung der Kundgebungsfläche – und liefert einen so genannten „Verkehrszeichenplan“ mit, auf dem die Sperrung samt Verkehrszeichen kartiert ist. Diese angeordnete Sperrung setzt die Stadt Kenzingen am 5. Juni kurzfristig um. Sie schickt den örtlichen Bauhof los, um die Schilder und Absperrungen aufzustellen.
Plötzlich kostet die Demo 374 Euro
Knapp drei Wochen später flattert bei Organisator Feldberger eine Rechnung ins Haus: 374 Euro soll er dem Betriebshof für die Absperrung zahlen, aufgeteilt in sieben Arbeitsstunden à 50 Euro und zwei Stunden Nutzung eines Mercedes Sprinters à 12 Euro. Plötzlich soll das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Geld kosten.
Feldberger wundert sich. Er weiß, dass bei einer Demo im Februar dieses Jahres gegen das Einreißen der Brandmauer zur rechtsextremen AfD durch Friedrich Merz keine Kosten auf die Veranstalter zukamen. Die überraschenden Gebühren begründet die Stadt Kenzingen mit der kurzfristigen Anmeldung der Demo: „Die Gebührenerhebung stützt sich maßgeblich darauf, dass die Versammlung entgegen der in § 14 VersammlG vorgesehenen Frist nicht mindestens 48 Stunden vorher angemeldet wurde, sondern erst am selben Tag“, heißt es in einem Schreiben an den Anmelder, das netzpolitik.org einsehen konnte. Die Stadt besteht darin auch darauf, dass eine „frühere Anmeldung ohne Weiteres“ möglich gewesen sei.
Dem widerspricht Feldberger entschieden. Die konkreten Zahlen der Gebührenerhöhung seien erst am 2. Juni im Ratsinformationssystem veröffentlicht worden, am 3. Juni hätten die Elternbeiräte gemeinsam einen Brief an den Bürgermeister geschrieben, dieser habe am 4. Juni einen Dialog per Mail abgelehnt. Daraufhin kündigte Feldberger telefonisch der Stadt Kenzingen die Demo an und meldete diese beim Landratsamt an. Am 5. Juni, dem Tag der Gemeinderatssitzung und des Protestes, kam dann der Bescheid mit der Absperr-Auflage aus Emmendingen.
„Gefährlicher Präzedenzfall“
„Was hier passiert, ist ein gefährlicher Präzedenzfall: Wenn Kommunen anfangen, Proteste finanziell zu sanktionieren, wird aus Meinungsfreiheit ein Kostenrisiko. Das kann und darf doch in einem demokratischen Rechtsstaat nicht Schule machen“, sagt Feldberger gegenüber netzpolitik.org.
Feldberger steht mit dieser Meinung nicht alleine. Der Rechtsanwalt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hält es bereits für zweifelhaft, ob das baden-württembergische Gebührenrecht eine Grundlage für Kostenbescheide an Versammlungsleiter:innen enthält. Aus seiner Sicht könnten Versammlungsleiter:innen nur in Anspruch genommen werden, wenn sie selbst für eine Gefahr verantwortlich sind, die durch eine polizeiliche Maßnahme abgewehrt wird.
„Das ist hier erkennbar nicht der Fall“, sagt Werdermann gegenüber netzpolitik.org. „Der Aufbau der Absperrungen sollte offenbar den reibungslosen Ablauf der Versammlung gewährleisten. Das ist eine originäre Polizeiaufgabe, die wahrscheinlich auch angefallen wäre, wenn der Leiter die Versammlung 48 Stunden vor ihrem Beginn angemeldet hätte“, so der Jurist weiter.
„Einschränkende und einschüchternde Wirkung“
Bisher sei die Pflicht für Nichtverantwortliche, entstehende Kosten zu tragen, nur ausnahmsweise bei kommerziellen Großveranstaltungen anerkannt, insbesondere bei Fußballspielen. Hier dürfen die Veranstalter auf Grundlage einer speziellen gesetzlichen Grundlage auch für Polizeikosten herangezogen werden, wenn sie selbst nicht für die Gefahren verantwortlich sind, erklärt Werdermann. Das habe das Bundesverfassungsgericht Anfang des Jahres entschieden – das sei aber nach wie vor sehr umstritten.
„Auf Versammlungen ist das nicht übertragbar. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht betont an mehreren Stellen, dass sich aus speziellen Freiheitsrechten strengere Anforderungen ergeben“, so Werdermann weiter. Das Bundesverfassungsgericht verweist zudem auf eine Entscheidung von 2007. Darin heißt es: „Eine grundsätzliche Gebührenpflicht für Amtshandlungen aus Anlass von Versammlungen würde dem Charakter des Art. 8 Abs. 1 GG als Freiheitsrecht widersprechen“.
Auch der Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor Clemens Arzt hält die Gebührenerhebung mindestens für umstritten. Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof Mannheim 2009 eine Gebührenerhebung für zulässig erklärt, dem stünden jedoch andere Urteile entgegen, so Arzt gegenüber netzpolitik.org. „Ein Rückgriff auf das Landesgebührenrecht, in dem Artikel 8 des Grundgesetzes nicht zitiert wird, ist mit Blick auf die faktischen Auswirkungen einer Gebühr und deren einschränkender und einschüchternder Wirkung mit Blick auf die Versammlungsfreiheit aus Sicht des Verwaltungsgericht Karlsruhe nicht zulässig.“
„Alles getan, um Demo stattfinden zu lassen“
Wir haben beim Landratsamt Emmendingen und der Stadt Kenzingen nachgefragt. Wir wollten wissen, warum nicht einfach die Polizei den Verkehr rund um die Demonstration geregelt habe, so wie das normalerweise bei Demonstrationen üblich ist, und ob der Anmelder im Vorfeld informiert wurde, dass und welche Kosten ihm entstehen würden. Wir wollten wissen, warum Gebühren trotz einschlägiger Urteile und der bekanntermaßen einschränkenden Wirkung auf die Versammlungsfreiheit erhoben wurden. Das Landratsamt hat innerhalb der Frist nicht geantwortet.
Geantwortet hat der Kenzinger Bürgermeister Dirk Schwier (parteilos). Er verweist auf die Auflagen des Landratsamtes, an die sich die Stadt halten musste, damit die Demo ordnungsgemäß stattfinden konnte. „Durch die Kurzfristigkeit der Anmeldung und Eingang des Bescheides (wenige Stunden vor der Demonstration) haben wir alles getan, um diese Auflagen zu erfüllen und die Demo stattfinden zu lassen“, so Schwier gegenüber netzpolitik.org. Die Stadt habe wie auferlegt gehandelt, man habe auch keine eigenen Polizisten.
„Ich verwehre mich strikt gegen die Aussage, wir wollen durch Gebühren die Versammlungsfreiheit einschränken – im Gegenteil: wir haben sie durch unser schnelles Handeln ermöglicht“, sagt Schwier. Dass die Stadt Gebühren verlangt habe, begründet der Bürgermeister mit Gleichbehandlung. Auch gegenüber Vereinen würden bei Absperrungen Gebühren erhoben. Zudem seien nicht alle Kosten auferlegt worden.
Klärung „notfalls vor Gericht“
Die Stadt habe dem Anmelder ein Kulanzangebot vorgelegt, das dieser jedoch ausgeschlagen habe. Derzeit bewerte die Stadt die rechtliche Situation und prüfe die nächsten Schritte. Auch einen eingegangenen Antrag auf vollständigen Erlass der Rechnung prüfe man wohlwollend.
Alexander Feldberger hat mittlerweile Einspruch gegen den Gebührenentscheid erhoben. Doch es geht in dem Fall auch um Grundsätzliches. Das Land Baden-Württemberg bewege sich mit seiner Gebührenpraxis bei Versammlungen in einer juristischen Grauzone, sagt Feldberger. „Ich finde, dass eine abschließende Klärung überfällig ist, notfalls vor Gericht!“
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