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Datenschutz & Sicherheit

„Beim Datenschutz ist Deutschland inzwischen dem Silicon Valley näher als dem Rest der EU“


Max Schrems ist einer der bekanntesten Datenschützer Europas. Noch als Student hatte der junge Jurist den Milliardenkonzern Meta verklagt, später brachte er zwei transatlantische Datenschutzabkommen zu Fall. Inzwischen treibt er gemeinsam mit seiner Nichtregierungsorganisation noyb – kurz für „None of Your Business“ – Datenschutzsünder und Aufsichtsbehörden vor sich her.

Wir trafen den Österreicher zum Interview in einem Wiener Kaffeehaus, um über die Reform des europäischen Datenschutzes zu sprechen. Die bereits länger laufende Debatte hat kürzlich dramatisch an Fahrt aufgenommen, als die EU-Kommission überraschend weitgehende Änderungen an der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vorschlug. Der sogenannte digitale Omnibus bekommt von Datenschützer:innen viel Kritik.

Dabei bräuchte es tatsächlich eine Reform der Datenschutzgrundverordnung, sagt Max Schrems. Sie müsste nur ganz anders ausfallen als das, was die EU nun plant. Im Interview legt der Jurist uns seine Ideen für eine Reform dar, die kleinere und mittlere Unternehmen entlastet, während sie Datenkonzerne strenger reguliert. Eine breite Einigung sei bei dem Thema möglich, sie müsse nur gesucht werden.

„Die DSGVO liegt jetzt auf dem Tisch“

netzpolitik.org: In der Debatte um eine europäische Datenschutzreform gibt es drei Lager: Die einen sagen, die Datenschutzgrundverordnung an sich sei super und müsse nur besser durchgesetzt werden. Andere sagen, die DSGVO sei das Schlimmste, was der europäischen Wirtschaft je passiert ist, und müsse massiv zurückgebaut werden. Und dann gibt es da noch ein relativ kleines Lager irgendwo dazwischen, das sagt: Reform ja, aber bitte richtig gemacht.

Max Schrems: Zu diesem wirklich sehr kleinen Lager gehöre ich. Es gibt ja wenige, die sagen, die DSGVO soll nicht geändert werden, weil sie so perfekt ist. Das Argument basiert eher auf der Angst vor dem, was dann kommt. Denn dann hätten wir wieder den riesigen Lobby-Fight wie vor zehn Jahren bei der Einführung der DSGVO, aber unter ganz anderen Vorzeichen. Die Sorge ist auch völlig berechtigt, wenn wir schauen, was gerade mit dem digitalen Omnibus passiert. Der Damm ist aber leider bereits gebrochen. Nächstes Jahr soll es noch einen Digital-Fitness-Check geben. Das heißt, die DSGVO liegt jetzt auf jeden Fall auf dem Tisch. Und da müssen wir auf sinnvolle Verbesserungen statt auf einen Kahlschlag hinarbeiten.

Was plant die EU-Kommission bei KI und Datenschutz?

netzpolitik.org: Also, was tun?

Max Schrems: Zuerst müssen wir auf den begrenzten Spielraum hinweisen, den der Artikel 8 zum Schutz personenbezogener Daten in der Europäischen Grundrechtecharta lässt. Dinge wie Zweckbindung, Einwilligung, Auskunftsrecht und weiteres sind dort einzeln aufgelistet. Man kann sie also gar nicht ohne weiteres abschaffen. Der Gesetzgeber kann sie besser oder schlechter ausgestalten und vielleicht bekommen wir ein ausgehöhltes Grundrecht. Aber die DSGVO ist heute schon eine ziemliche Mindestumsetzung. Man kann überlegen, welche administrativen Auflagen wirklich notwendig sind, aber bei den Rechten der Leute gibt es nicht viel „Goldplating“ obendrauf.

Deutschland und der Datenschutz

netzpolitik.org: Wenn es so wenig „Edel-Regulierung“ über das benötigte Maß hinaus gibt, woher kommt dann das Image der DSGVO als dramatische Überregulierung?

Max Schrems: Das schlechte Image der DSGVO ist ganz stark ein deutsches Phänomen, im Blick auf den Datenschutz ist Deutschland dem Silicon Valley näher als dem Rest der EU. Ich reise für Vorträge durch ganz Europa und dass man fast mit Tomaten beworfen wird, wenn man „Datenschutz“ sagt, das gibts nur in Deutschland. Findet die französische Wirtschaft die DSGVO besonders toll? Natürlich nicht. Aber einen Weltuntergang sieht sie darin auch nicht. In Deutschland ist der Datenschutz der Blitzableiter dafür geworden, dass man das mit der Digitalisierung nicht schafft. Ein ganz banales Beispiel: In Deutschland hat fast keiner eine eID, in Österreich sind wir viel weiter. Auch in Skandinavien funktioniert Digitalisierung, alles mit DSGVO.

netzpolitik.org: Wie kommt es zu diesem Sonderweg? Datenschutz galt ja mal als deutsche Erfindung.

Max Schrems: Ich glaube, das sind mehrere Faktoren. In Deutschland gibt es eine riesige Compliance-Industrie, die immer neue „Probleme“ zum Überleben braucht. Mir hat mal einer der großen Compliance-Anbieter gesagt: „Herr Schrems, Sie müssen verstehen, Compliance-Bedarf gibt es nicht – Compliance-Bedarf wird kreiert.“ Also hält man hunderte Vorträge, wie schlimm das alles ist mit dem Datenschutz, und dann müssen alle armen Unternehmen schnell in die Compliance-Beratung kommen. Mit der DSGVO ist ein riesiger Kropf an sehr schlechter Beratung entstanden – aus dieser Beratung kommt dann auch oft irgendein angebliches „Verbot“, das gar nicht in der DSGVO steht.

Hinzu kommt, dass die DSGVO dank der Cookie-Banner das einzige Digitalgesetz ist, das alle kennen. Mir kommt es so vor, dass sich in Deutschland schlussendlich eine Kultur entwickelt hat, dass man mehr Freude am Problem als an der Lösung hat – dafür eignet sich Datenschutz super. Zusammengenommen hat man damit einen perfekten Sturm im Wasserglas.

netzpolitik.org: Von den Cookie-Bannern sind alle genervt, weil sie keine echte Selbstbestimmung ermöglichen und ständig weggeklickt werden müssen.

Max Schrems: Beim Datenschutz ist das Narrativ, mit dem Nutzerinnen jeden Tag zu tun haben, leider komplett den Unternehmen überlassen. Es ist deren Entscheidung, dass sie das Design so scheiße machen, dass man am Ende genervt möglichst auf „Alles akzeptieren“ klickt. Die Industrie nennt das euphemistisch „Consent Optimization“. Aber verantwortlich gemacht wird der europäische Gesetzgeber. Genau wie bei den E-Mails, die damals zum Start der DSGVO alle Unternehmen geschickt haben. Da hieß es immer: „Wegen der DSGVO brauchen wir jetzt ihre Einwilligung“. Ehrlich wäre gewesen: „Wir verarbeiten seit Jahren illegal Ihre Daten ohne Einwilligung, aber jetzt haben wir Panik, deshalb brauchen wir jetzt schnell noch Ihre Einwilligung.“

Mehr Regulierung für Datenkonzerne, weniger für kleine Unternehmen

netzpolitik.org: Wo müsste eine Reform ansetzen?

Max Schrems: Das Wichtigste ist, dass wir die mangelnde Differenzierung durch den One-Size-Fits-All-Ansatz wegkriegen. Dass die DSGVO allen Akteuren die gleichen Anforderungen vorschreibt, hatte die Industrie damals in den Verhandlungen zur DSGVO durchgesetzt. Das Lobbying in Brüssel wird von den ganz Großen dominiert und die haben sich gedacht: Mittelschwere Regeln für alle sind besser als einfachere Regeln für kleine Player, aber Hardcore-Regeln für uns. Und dann war natürlich immer das Argument, dass der Bäcker an der Ecke nicht zu sehr leiden darf, weshalb diese einheitlichen Regeln lieber ein niedriges Niveau haben sollten. Am Ende ist es nun so, als gäbe es nur einen Führerschein, und den braucht man als LKW-Fahrer sowie als Fünfjähriger, der gerade Fahrradfahren lernt.

netzpolitik.org: Wie sähe eine abgestufte Variante aus?

Max Schrems: Ich denke an ein Drei-Stufen-Modell. Da hätte man härtere Regeln für die paar Unternehmen, deren Geschäft im Kern auf Daten basiert, von den großen Plattformen über Datenhändler bis zur Schufa. Für ein paar Prozent anderer großer Unternehmen, die einfach viele Daten oder sensible Daten haben, würde eine mittlere Variante gelten – so etwa die jetzige DSGVO. Und für 90 Prozent der Wirtschaft, die fast nichts mit Daten machen, außer ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, könnte man den Verwaltungsaufwand im Großen und Ganzen abdrehen. Natürlich müssen die Kernregeln beibehalten werden, aber zum Beispiel bei Dokumentationspflicht ginge viel – da steckt auch die meiste sinnlose Arbeit für Unternehmen drin.

netzpolitik.org: Wie würde die Entlastung konkret aussehen?

Max Schrems: Wir haben eine Umfrage mit 500 betrieblichen Datenschutzbeauftragten gemacht und sie gefragt, welche Bereiche ihren Unternehmen viel Arbeit machen und welche viel Schutz bringen. Und da hat sich gezeigt, dass man unter anderem auf viele Dokumentationspflichten verzichten könnte. Die sind ohnehin eher als typischer Brüsseler Kompromiss entstanden: Wenn man schon keine strengen Regeln einführt, dann muss man wenigstens viel dokumentieren. Nur bringt das für Unternehmen viel Arbeit und für die Betroffenen keinen einklagbaren Schutz – beide verlieren.

Besser wäre die Einführung einer Beweispflichtumkehr, die gibt es in der DSGVO sogar schon so halb. Unternehmen müssten dann im Streitfall beweisen, dass sie sich an die Vorgaben gehalten haben. Aber wie sie das machen, ist egal. Da bin ich eher libertär: Wie die Unternehmen ihre Compliance intern gestalten, muss der Gesetzgeber nicht regulieren. Wir haben ja auch keine Dokumentationspflicht dafür, dass ich niemanden umbringe.

„Wer die Macht hat, muss die Verantwortung tragen“

netzpolitik.org: Wie könnte man kleinere Unternehmen noch entlasten?

Max Schrems: Die DSGVO ist oft sehr abstrakt, was alle ohne Rechtsabteilung überfordert. Da könnten Formblätter und standardisierte Prozesse helfen, um die Komplexität runterzubrechen. Also zum Beispiel ein Standardformular mit den Anforderungen, die man beim Betrieb einer Website erfüllen muss. In Österreich hat es früher Muster- und Standardverordnungen für Dinge gegeben, die jedes KMU macht. Da hat man gesagt: Wenn ihr euch ans Schema F haltet, dann seid ihr auf jeden Fall gesetzeskonform. Das hat kleinen Unternehmen extrem viel Rechtssicherheit gebracht und senkt den Verwaltungsaufwand massiv.

Wenn ich solche Reformideen vorschlage, gibt es übrigens immer eine Gruppe, die gar nichts davon hält: Anwälte und Compliance-Leute, denn die machen mit genau dieser Unsicherheit für Unternehmen sehr viel Geld. Diese Bürokratie wird oft viel mehr zwischen Unternehmen und ihren Beratern produziert als zwischen Betroffenen und Unternehmen.

netzpolitik.org: Auch bei der Compliance zwischen Unternehmen siehst du Vereinfachungspotenzial, wenn zum Beispiel eine Firma Office-Produkte von Microsoft oder Cloud-Dienste von Amazon oder Google nutzt.

Max Schrems: Genau, da hat die DSGVO nämlich ein ganz absurdes System, dass nicht Microsoft oder Google oder irgendwelche Cloud-Anbieter direkt unter das Gesetz fallen, sondern du als einzelner Unternehmer einen Vertrag mit ihnen schließt, dass sie sich an das Gesetz halten würden.

netzpolitik.org: Die sogenannten Auftragsdatenverarbeitungsverträge.

Max Schrems: In Europa gibt es Millionen dieser Verträge, die alle abgeschlossen, gemanagt und überprüft werden müssen. Der Effekt ist, dass wir zwar eine lokale Schule verklagen können, die illegale Office-Produkte von Microsoft einsetzt, aber Microsoft direkt angreifen können wir nicht. Die Schule hat aber natürlich null Kompetenz, de facto verantwortlich ist eigentlich Microsoft. Selbst Staaten haben aktuell keine Chance, die Verträge zu ändern – sollen aber dafür haften.

Und das ist ein Grundproblem der DSGVO: Schon im römischen Recht sagte man, dass derjenige die Verantwortung tragen soll, der die Macht darüber hat. Bei der DSGVO aber klaffen Macht und Verantwortung auseinander. Was wir bräuchten, wäre eine Datenschutzhaftung der großen Plattformunternehmen, dass sie gesetzeskonforme Produkte anbieten. Das würde extrem viel Druck von den normalen Unternehmen nehmen. Das sind genau die Dinge, wo alle in Europa von ganz konservativer Seite bis zu ganz linker Seite sagen können: Ja, das ergibt Sinn, dass Microsoft und nicht ein KMU dafür haftet. Eine solche Reform könnten wir mit wenig Aufwand umsetzen.

„Eine breite Einigung bei der Reform wäre möglich“

netzpolitik.org: Auf der anderen Seite schlägst du Verschärfungen für Datenkonzerne vor. Wie sähen die aus?

Max Schrems: Bei den ganz Großen funktioniert die DSGVO nicht. Da bräuchten wir zusätzliche Instrumente wie eine Gewinnabschöpfung. Die aktuelle Höchststrafe von vier Prozent für Datenschutzverstöße ist weit weniger als das, was Meta & Co. mit der illegalen Datenverarbeitung verdienen. Die sehen das einfach als 4-prozentige Steuer, nicht als Strafe. Die Gewinnabschöpfung bräuchte es schon allein aus Wettbewerbsgründen, damit man nicht mit illegal erwirtschafteten Gewinnen den anderen Wettbewerbern davonläuft.

netzpolitik.org: Was bräuchte es noch?

Max Schrems: Extrem wichtig wäre eine Art externe TÜV-Kontrolle. In anderen technisch hochkomplexen Bereichen haben wir Prüfungen an unabhängige Stellen ausgelagert. Wenn zum Beispiel eine Lift-Anlage oder auch nur ein Auto betrieben wird. Im Datenschutz gibt es aktuell praktisch nur interne Prüfungen, wo alles durchgewunken wird, was der Chef will. Theoretisch gibt es die Aufsichtsbehörden, die aber weder die nötige technische Fachkompetenz noch die Kapazitäten für umfangreiche Prüfungen haben. Zunehmend merkt man auch, dass einige Behörden politisch nicht prüfen wollen.

Eigentlich müsste das so laufen wie bei der jährlichen Prüfung von Unternehmensfinanzen, selbst wenn das natürlich auch nicht immer perfekt funktioniert, siehe Wirecard. Aber dann gäbe es immerhin deutlich mehr Druck, etwa wenn man sicherstellt, dass die Zertifizierungsbude ihre Lizenz verliert, wenn sich später rausstellt, dass es bei einem geprüften Unternehmen doch massenhafte Rechtsverletzungen gab. So hätte man genug Druck auf allen Playern, dass sie ihre Arbeit vernünftig machen. Den meisten Menschen in Deutschland dürfte doch wichtiger sein, dass das Scoring-Modell der Schufa regelmäßig vernünftig geprüft wird, als dass deren interne Bilanzen geprüft werden.

Für die Großen müssten auch andere Transparenzpflichten gelten, die müssten viel detaillierter offenlegen, was sie mit unseren Daten machen.

netzpolitik.org: Was du hier gerade skizziert hast, kursiert in der Datenschutzszene seit einiger Zeit manchmal als „Schrems-Voss-Vorschlag“. Der CDU-Digitalpolitiker Axel Voss hatte nämlich etwas in dieser Richtung auf LinkedIn gepostet. Habt ihr das zusammen ausgearbeitet?

Max Schrems: Das sind alles Dinge, die ich schon seit zehn Jahren vorschlage, da ist eigentlich nichts Neues dran. Es gab neulich eine Diskussionsveranstaltung mit Axel Voss. Eigentlich stehen wir uns politisch eher nicht nahe, aber er hat bei diesen Punkten vieles ähnlich gesehen. Das freut mich natürlich, weil ich finde, dass das die Eleganz dieser Vorschläge gerade in Zeiten polarisierter Politik ist, dass sie eben soweit logisch und sinnvoll sind, dass sie auch von Konservativen geteilt werden. Es gibt sicher zehn oder zwanzig Prozent im Datenschutz, da kommen wir nicht zusammen. Aber konzentrieren wir uns doch erst mal auf die achtzig Prozent, bei denen eine schnelle und breite Einigung möglich ist. Über den Rest können für uns dann noch immer streiten.

„Mit KI wird zum ersten Mal Realität, wovor der Datenschutz uns schützen sollte“

netzpolitik.org: Jetzt sieht die Realität ganz anders aus: Mit dem sogenannten „digitalen Omnibus“ will die EU-Kommission Teile der DSGVO in großer Eile und ohne Konsens-Suche ändern. Ihr bei noyb kritisiert die Pläne hart.



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Max Schrems: Viele Teile des digitalen Omnibusses wurde offenbar von Leuten geschrieben, die keine Ahnung von der DSGVO oder Praxis haben. Wir sehen hier wirklich einen teilweisen Zusammenbruch der Fachbeamtenschaft in Brüssel. Der Vorschlag erfüllt nicht mal den Zweck, für den er gemacht wurde, nämlich die Wirtschaft zu fördern. Die Logik der meisten Lobbyisten in Brüssel ist: Je schwammiger das Gesetz, desto besser für die Unternehmen. Für den Großteil der Wirtschaft wird das aber nichts bringen.

Unsere Umfragen unter betrieblichen Datenschutzbeauftragten zeigen, dass Unsicherheit genau das ist, was sie nicht brauchen. Sie brauchen klare Regeln. Von Schwammigkeit profitieren nur große Konzerne mit starken Rechtsabteilungen. Aber für die europäische Wirtschaft, die hauptsächlich aus Mittelständlern und kleinen Unternehmen besteht, ist das Gift. Das gilt auch für die vorgeschlagenen Regelungen zu KI und Datenschutz.

netzpolitik.org: Die EU-Kommission will klarstellen, dass KI-Systeme mit personenbezogenen Daten trainiert und betrieben werden dürfen, ohne dass die Betroffenen eingewilligt haben. Rechtsgrundlage wäre dann das „berechtigte Interesse“, Nutzer:innen hätten die Möglichkeit zum Opt-Out.

Max Schrems: Dabei bleiben aber die Anforderungen der DSGVO an die Interessenabwägung im Einzelfall bestehen – man weiß also weiterhin nicht, was jetzt legal ist und was nicht. Wenn man den kleinen und europäischen Unternehmen wirklich helfen will, dann würde man eine klare, neue Regelung einführen: Diese zehn Punkte müssen erfüllt werden, wenn man mit Kundendaten KI trainieren will. Wenn man die Anforderungen erfüllt, ist es legal – und wenn nicht, dann nicht.

netzpolitik.org: Wie sähe das konkret aus?

Max Schrems: Es bräuchte zum Beispiel Datenreinigung nach dem Stand der Technik. Es bräuchte Löschkonzepte. Es bräuchte eine Verpflichtung, das System zu re-trainieren, wenn es trotz Datenreinigung im Ausnahmefall problematische Daten ausspuckt, so wie neulich, als ein Chatbot eine Person als Mörder diffamiert hat. Das wäre wahrscheinlich machbar, wenn auch mit hohen Hürden. Aber wir haben mit KI zum ersten Mal eine Situation, in der Realität wird, wovor uns der Datenschutz ursprünglich schützen sollte.

netzpolitik.org: Das musst du erklären. Inwiefern?

Max Schrems: Die Grundprinzipien der DSGVO stammen aus den 70er- und 80er-Jahren. Damals gab es die Sorge, dass es irgendwann ein technisches System geben könnte, das viele Daten aufsaugt, darauf basierend Entscheidungen über uns trifft und niemand kann nachvollziehen, warum. Genau das macht KI. Um uns vor so etwas zu schützen, wurden damals Datenschutzrechte wie die Zweckbindung, Transparenz, Datenrichtigkeit oder Datenminimierung etabliert.

Daten, die man zu einem Zweck hergegeben hat, sollen nicht einfach für etwas anderes verwendet werden. Wenn am Ende etwas Falsches rauskommt, hat man ein Recht auf Berichtigung. Und man hat ein Auskunftsrecht, um herauszufinden, welche Daten eingeflossen sind. All diese Rechte ergeben bei KI-Systemen jetzt das erste Mal so richtig Sinn. Und genau jetzt sollen sie abgeräumt werden, weil sie KI im Weg stehen?! Das ist so, als hätten wir Geschwindigkeitsbegrenzungen festgelegt, als wir noch Pferdekutschen hatten, und jetzt, wo der Porsche da ist, schaffen wir sie einfach ab – weil sie der „Innovation“ im Weg stehen.

„Wir haben nahezu einen Totalausfall der Datenschutzbehörden“

netzpolitik.org: Du sieht auch bei Rechtsdurchsetzung des Datenschutzes Reformbedarf. Wo liegt hier das Problem?

Max Schrems: Eines der Probleme ist der nahezu Totalausfall der Datenschutzbehörden. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber den meisten fehlt der politische Wille, es fehlen die budgetären Mittel oder das kompetente Personal. Die Leitungsposten der Behörden werden immer öfter nicht unabhängig, sondern politisch besetzt. Eine zweite Amtszeit gibt es nur bei einem wirtschaftsfreundlichen Kurs. Das führt dazu, dass es in Europa nicht mal bei 1,3 Prozent der DSGVO-Beschwerden überhaupt zu einem Bußgeld kommt. Inzwischen herrscht eine Logik des Rechtsbruches vor. In der juristischen Bubble interessiert die DSGVO keine Sau mehr, weil der Anwalt, der dich berät, mehr kostet als die potenzielle Strafe.

Die Gerichte sind auch ein Problem. Viele Richter bekommen erst mal Panik, wenn sie von Computern und DSGVO hören, denn das hatten sie nie an der Uni. Dann lesen sie die Zeitung und haben alle das Gefühl, dass die böse DSGVO viel zu hart für Unternehmen ist. Das führt dazu, dass man viele DSGVO-Verfahren verliert, nicht aus rechtlichen, sondern aus emotionalen Gründen. Immer wieder streichen Gerichte auch die Entscheidungen der Behörden und deren Bußgelder zusammen.

Den Unternehmen kommt zugute, dass Gerichtsverfahren in den meisten EU-Ländern teuer sind. Wenn die Aufsicht wegen einer Entscheidung vor Gericht gezerrt wird, dann fast ausschließlich von Unternehmen und fast nie von Betroffenen. Das hat einen Chilling-Effekt auf die Aufsichtsbehörden: Vor Bürgern brauchen sie sich nicht fürchten, vor Unternehmen schon. Ergo: Lieber mal nichts tun.

netzpolitik.org: Hast du zum Schluss noch einen Lichtblick, was dir im Datenschutz gerade Hoffnung macht?

Max Schrems: Erstens die Grundrechtecharta. Datenschutz ist in der EU ein Grundrecht und der Kernbereich kann nicht abgeschafft werden, sofern nicht plötzlich alle EU-Mitgliedstaaten einstimmig die Charta ändern.

Zweitens die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vorgehens bei Datenschutzverstößen und die neuen EU-Sammelklagen. Wir sind damit irgendwann nicht mehr auf die Datenschutzbehörden angewiesen. Ich finde das politisch nicht schön, hier auch mit Sammelklagen anzufangen. Lieber wäre mir, wenn alles von vorneherein rechtskonform ist und die Aufsichtsbehörden das auch sicherstellen, statt dass man im Nachhinein bei Problemen auf Schadenersatz klagt. Aber das ist leider eine Sprache, die auch die großen US-Konzerne verstehen. Selbst bei kleinen Schadensersatzsummen von wenigen hundert Euro kommt man bei Millionen Betroffenen schnell auf interessante Summen.

Wir haben das mit noyb in Österreich auch schon mal getestet, da haben uns viele gesagt: Ich will das Geld gar nicht, ich will nur, dass man mal was gegen die Konzerne macht. Das war also ein sehr anderes Bild als das der geldgierigen Kläger, das manche zeichnen. Das hat mich sehr ermutigt.

netzpolitik.org: Vielen Dank für deine Arbeit und das Gespräch.

„Die aktuelle Debatte geht in die falsche Richtung“



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Datenschutz & Sicherheit

Polizeigesetz-Entwurf: Auch Schleswig-Holstein will Verhaltensscanner


Magdalena Finke will verhindern, dass Menschen andere Menschen mit Messern angreifen. Aus dieser Motivation heraus hat die christdemokratische Innenministerin von Schleswig-Holstein ein Gesetz vorgelegt, dass es in sich hat. „Gesetz zur Fortentwicklung polizeirechtlicher Maßnahmen für einen wirksamen Schutz der öffentlichen Sicherheit“ heißt es. Es erlaubt der Polizei des Bundeslandes den Einsatz einer breiten Palette von Überwachungstechnologie.

Ein Fokus liegt dabei auf Videoüberwachung, die mit sogenannter Künstlicher Intelligenz kombiniert wird. Die soll künftig nicht nur automatisch Menschen identifizieren, sondern auch erkennen, was diese tun und sie über mehrere Kameras hinweg verfolgen.

KI-gestützte Videoüberwachung ist in deutschen Sicherheitsbehörden gerade superhip. Hessen betreibt im Frankfurter Bahnhofsviertel bereits automatisierte Gesichtserkennung. In Hamburg und dem baden-württembergischen Mannheim werden derweil Verhaltensscanner getestet, Berlin hat sie gerade erlaubt, zahlreiche Bundesländer planen ihren Einsatz – noch gibt es aber keinen einzigen Fall, in dem diese eine Straftat verhinderten oder auch nur bei deren Aufklärung nützlich waren.

Schleswig-Holstein will sich nun gleich beide Technologien – Live-Gesichtserkennung und Verhaltensscanner – auf einmal gönnen und noch die automatische Nachverfolgung obendraufsetzen. Mit der KI-Videoüberwachung sollen dann nicht nur Straftäter*innen gejagt werden, sondern auch Menschen, die Ordnungswidrigkeiten begehen. Die geplante Speicherfrist für die erstellten Videos ist zudem mit einem Monat außergewöhnlich lang.



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Finke will auch palantirartige Big-Data-Analysen erlauben

Gerade befasst sich die schwarz-grüne Landesregierung mit Finkes Entwurf. Er beinhaltet neben der Video-KI weitere technologiebasierte Überwachungsmaßnahmen, die der Landespolizei künftig erlaubt werden sollen. Darunter ist beispielsweise die Erlaubnis zu Big-Data-Analysen, wie sie mit Software von Palantir möglich sind. In diese Analysen dürfen auch Funkzellendaten und nicht näher spezifizierte Informationen aus dem Internet einbezogen werden.

Außerdem will die Innenministerin es der Polizei erlauben, Fotos von Menschen mit im Internet verfügbaren Bildern abzugleichen, um mehr über die Personen zu erfahren. Dabei ist der Aufbau der dazu nötigen Datenbanken illegal. Und elektronische Fußfesseln sollen künftig nicht nur Sexualstraftätern angelegt werden dürfen, sondern auch Menschen, die in Zukunft womöglich „terroristische Straftaten“ begehen könnten. Wenn ein Mensch Gegenstände mit sich führt, die darauf hindeuten, dass er eine Ordnungswidrigkeit plant, darf die Polizei die Person nach dem Gesetzentwurf unter Umständen auch vorbeugend in Gewahrsam nehmen.

All die Maßnahmen aus dem Entwurf sind explizit dazu gedacht, Angriffe mit Messern zu verhindern. Doch das Video-KI-Tool, mit dem sich solche Taten womöglich tatsächlich unterbinden ließen – die automatisierte Erkennung von bestimmten Objekten wie beispielsweise Messern – nennt der Gesetzentwurf nicht.



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Datenschutz & Sicherheit

Updaten: Warnung vor Angriffen auf Apple-Lücken und Gladinet


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It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Schwachstellen in Apples Webkit sowie Gladinet CentreStack und Triofox werden derzeit aktiv im Internet angegriffen. Aktualisierungen zum Schließen der Sicherheitslecks stehen bereit. Admins sollten sie zügig anwenden.

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Davor warnt die US-amerikanische IT-Sicherheitsbehörde CISA aktuell. Zum Wochenende hatte Apple Updates auf die Betriebssystemversion 26.2 von iOS, iPadOS, macOS, watchOS, tvOS, visionOS und HomePods freigegeben, ein sehr ungewöhnlicher Wochentag dafür. Später stellte sich heraus, dass die Aktualisierungen Sicherheitslücken schließen – die bereits im Internet attackiert wurden. Jetzt warnt auch die oberste IT-Sicherheitsbehörde der USA vor diesen beobachteten Angriffen und empfiehlt, die bereitstehenden Aktualisierungen umgehend zu installieren. Der Schwachstelleneintrag mit der Nummer CVE-2025-43529 ist vorbereitet, jedoch bislang nicht öffentlich; der konkrete Schweregrad lässt sich dadurch nicht einschätzen. Apple nennt zudem den Missbrauch der Schwachstelle CVE-2025-14174 in Webkit – dabei handelt es sich um die Schwachstelle, die Google in Chrome mit einem Notfallupdate in der Nacht zum vergangenen Donnerstag bedacht hat, da sie bereits angegriffen wurde.

Auch für den Webbrowser Safari gibt es entsprechende Aktualisierungen, die Nutzerinnen und Nutzer installieren sollten. Die CISA führt wie üblich nicht aus, wie die Angriffe aussehen und in welchem Umfang sie stattfinden. Da auch Apple sich dazu bedeckt hält, gibt es keine Hinweise, wie Interessierte prüfen können, ob sie Opfer solcher Angriffe geworden sind. Es fehlen dazu die Hinweise auf Kompromittierung (Indicators of Compromise, IOCs).

In Gladinet CentreStack und Triofox, die Fernzugriff auf lokale Dateien in Unternehmen ohne VPN oder Cloud-Synchronisationen ermöglichen sollen, haben IT-Sicherheitsforscher fest einprogrammierte Werte für die genutzte AES-Verschlüsselung entdeckt (CVE-2025-14611, CVSS4 7.1, Risiko „hoch“). Das können Angreifer ohne vorherige Authentifizierung an öffentlich zugreifbaren Endpunkten zum Einbinden beliebiger lokaler Dateien missbrauchen, was in Verkettung mit weiteren Schwachstellen schließlich zur vollständigen Kompromittierung führen kann. Die Version 16.12.10420.56791 oder neuer schließt die Sicherheitslücke.

Auch hier fehlen weitergehende Details, wie die Angriffe auf die Schwachstelle konkret aussehen und wie IT-Verantwortliche (erfolgreiche) Attacken erkennen können. Bereits Mitte November hatte die CISA vor Cyberattacken auf eine Gladinet-Schwachstelle gewarnt.


(dmk)



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Datenschutz & Sicherheit

Google stellt Dark Web Report ein


Google beendet seinen Dark Web Report: Die Suche nach neuen Datenpannen im Dark Web endet am 15. Januar 2026. Einen Monat später, am 16. Februar, wird das Tool vollständig abgeschaltet und alle im Monitoring-Profil gespeicherten Daten werden gelöscht.

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Als Grund für die Einstellung nennt Google fehlendes positives Nutzerfeedback. Der Dark Web Report habe zwar allgemeine Informationen geliefert, aber keine hilfreichen nächsten Schritte enthalten. Der Konzern wolle sich stattdessen auf Werkzeuge konzentrieren, „die Ihnen konkrete Maßnahmen zum Schutz Ihrer Daten im Internet bieten“, heißt es in der offiziellen Mitteilung.

Statt des Dark Web Reports empfiehlt Google seinen Nutzern eine Reihe alternativer Sicherheitsfunktionen. Dazu gehören der Sicherheitscheck, die Passkey-Anmeldung für das Google-Konto sowie verschiedene Authentifizierungstools aus dem Google Sicherheitscenter. Auch der Google Passwortmanager mit integriertem Passwortcheck soll künftig eine zentrale Rolle spielen.

Eine weitere Alternative ist das Tool „Results about you“. Damit können Nutzer prüfen, ob personenbezogene Daten wie Telefonnummern oder Adressen in den Google-Suchergebnissen auftauchen und deren Entfernung beantragen. Anders als der Dark Web Report, der versteckte Tor-Netzwerk-Services nach geleakten Daten durchsuchte, konzentriert sich dieses Werkzeug auf öffentlich indexierte Inhalte.

Nutzer, die den Dark Web Report bisher verwendet haben, müssen nichts unternehmen. Google löscht alle Daten im Monitoring-Profil automatisch am 16. Februar 2026. Wer seine Daten vorzeitig entfernen möchte, kann das über den Menüpunkt „Dark Web Report“ tun. Über „Ergebnisse, die deine Daten enthalten“ und „Monitoring-Profil bearbeiten“ lässt sich mit einem Klick das „Monitoring-Profil löschen“.

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Die Entscheidung passt in Googles aktuelle Sicherheitsstrategie, die verstärkt auf präventive Maßnahmen setzt. Passkeys nutzen kryptografische Public-Key-Authentifizierung nach FIDO2-Standard und sind resistent gegen Phishing-Angriffe. Der Google Passwortmanager gleicht gespeicherte Passwörter mit Datenbanken bekannter Leaks ab und warnt bei kompromittierten Zugangsdaten.

Wer auch künftig auf Dark-Web-Monitoring nicht verzichten möchte, findet bei anderen Anbietern entsprechende Dienste. Have I Been Pwned bietet kostenlose Leak-Abfragen an, während kommerzielle Anbieter wie Experian, Mozilla Monitor Plus, NordPass oder Bitwarden umfassendere Scans mit automatisierten Warnmeldungen anbieten. Für Unternehmenskunden integriert Microsoft entsprechende Funktionen in seinen Defender.

Google verspricht in der Ankündigung, Nutzer weiterhin vor Onlinebedrohungen inklusive solcher aus dem Dark Web zu schützen. Etwaige Pläne für ein Nachfolgetool wurden bisher jedoch nicht bekanntgegeben.


(fo)



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