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Breakpoint: Keine Rosen für Faschisten
Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
„Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, sagte meine alte Mathelehrerin immer. Nicht nur sie. Dieser Weisheit aus der achten Klasse scheint auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt gern zu folgen. Als er vor zwei Wochen den Verfassungsschutzbericht des Jahres 2024 vorstellte, muss er zunächst in recht verwunderte Gesichter geblickt haben. Denn das traditionelle Verhältnis von mehr Rechtsextremisten zu deutlich weniger Linksextremisten schien sich im vergangenen Jahr ruckartig umgekehrt zu haben.
Der Balken des linksextremen Gefährdungspotenzials war eindeutig höher, doch beim zweiten Hinsehen fiel auf: Das Bundesinnenministerium hat es mit der skalaren Vergleichbarkeit wohl nicht so genau genommen. Die Achsen der Grafik waren in einer Weise beschriftet, die die Zahl der Linksextremisten als höher erscheinen ließ als die der Rechtsextremisten – bei einer tatsächlich deutlich geringeren Anzahl.
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Diese Art der Präsentation reiht sich ein in eine Historie der Union und der selbst ernannten „bürgerlichen Mitte“, den mordenden, menschenverachtenden und deutlich gewalttätigeren Rechtsextremismus dem Linksextremismus gleichzustellen. Besonders beliebt dabei die Worthülse: Man lehne doch jeden Extremismus ab.
Denn wenn nicht beide Enden des vermeintlichen Hufeisens gleich schlimm sind, dann verliert auch die selbst ernannte Mitte ihre Legitimität.
Zunehmend könnte man jedoch den Eindruck gewinnen, dass Konservative doch dazu neigen, den einen Extremismus stärker abzulehnen als den anderen.
Laut einem mittlerweile gelöschten Instagram-Post der aktuellen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner im Wahlkampf ist die CDU bereits nichts anderes als eine „demokratische Alternative“ zur rechtsextremen AfD. Bei Abstimmungen im Bundestag nahm die Union eine Mehrheit durch die Zustimmung der AfD-Fraktion zumindest hin. Die Berührungsangst zum extremen Rechten scheinen Teile der Union verloren zu haben.
Wer die AfD normalisiert, macht sie wählbar. Das scheinen weite Teile der Union bislang nicht zu verstehen. Denn die Union hat faktisch kein Interesse daran, dass mehr Menschen die AfD wählen – sie will ja selbst gewählt werden.
Doch in genau diese Kerbe der Normalisierung der AfD als möglichen Partner im politischen Geschäft schlägt auch Jens Spahn, wenn er sagt, man müsse die Rechtsradikalen behandeln wie jede andere Oppositionspartei.
Wer systematisch versucht, Rechtsextremismus herunterzuspielen, indem man ihn mit Linksextremismus gleichsetzt, schafft eine Pseudobalance, die die erdrückende Gefahr vernebelt, die vom Rechtsextremismus ausgeht.
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Das Gedicht „Rosen auf den Weg gestreut“ von Kurt Tucholsky stammt aus dem Jahre 1931. In den Versen verhandelt der Autor die Frage, wie die nationalsozialistische Bewegung so rasch an Stärke gewinnen konnte. Er kritisiert dabei die Anbiederung an die Nazis im In- und Ausland sowie den Versuch, politisch mit den Faschisten zusammenzuarbeiten.
Ob radikalisierte Rhetorik selbst ernannter Mitte-Rechter, mutmaßlich illegale – in jedem Fall aber menschenfeindliche – Zurückweisungen an der Grenze, das Inkaufnehmen von Polizeigewalt gegen migrantisierte Menschen oder der ständige Drang, Rechts- und Linksextremismus gleichzusetzen: Die Union bereitet eine politische Kultur, in der Nazis leichter Gehör finden. In dieser Kultur setzt die bürgerliche Mitte radikal rechte Forderungen kurzerhand selbst um, im verzweifelten Versuch, die eigenen Stammwähler:innen zurückzugewinnen.
Die verzerrte Vorstellung des Verfassungsschutzberichts durch Dobrindt ist nur ein Glied in einer langen Kette von rhetorischen wie tatsächlichen „Ausrutschern“, zu denen sich die Union später entweder gedrängt gesehen haben oder für zu unbedarft bekennen wird. Das ist leichtsinnig, gefährlich und letztlich selbstzerstörerisch. Denn Nazis haben immer schon nur bis zu einem gewissen Punkt mit Konservativen kollaboriert.
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Unabhängig von der Präsentation scheint der neue Verfassungsschutzbericht inhaltlich in Teilen eher nachlässig. Die Einschätzung, wie Rechtsextreme Medien nutzen, um sich zu vernetzen und ihr Gedankengut zu verbreiten, fällt spärlich aus. Während der Internetnutzung durch Linksextremisten ein eigenes Kapital gewidmet ist, behandeln die Verfassungsschützer den Punkt „Radikalisierung und Vernetzung [von Rechtsextremisten] im Internet“ auf einer halben Seite. Anderthalb, wenn man die Ausführungen zur „Attentäter-Fanszene“ dazurechnet.
Der Verfassungsschutzbericht belässt es bei den Feststellungen, Rechtsextremisten nutzten Chatgruppen als Katalysatoren, digitale Räume würden als Echokammern fungieren und Onlinesubkulturen mit einer ganz eigenen Ästhetik würden genutzt. Aha.
Dabei sollte der Verfassungsschutz eigentlich genügend Material zum Beobachten gehabt haben: Nie zuvor war Berichterstattung über sich online radikalisierende Rechte so ausführlich wie im vergangenen Jahr. Radikal rechte Accounts sind selbst in den zentralistischen sozialen Medien mittlerweile omnipräsent. Sie singen alte Wehrmachtslieder in die Kamera, zeigen sich beim Marschieren, bei Treffen oder erzählen ganz unverblümt von ihrem nationalistischen Gedankengut. Die Videos haben oft Tausende Likes, die Kommentare sind voll mit bestätigendem Zuspruch.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.
In den vergangenen Monaten gab es dazu immer wieder Berichte. So fand etwa im Oktober eine Razzia gegen die rechtsextreme Jugendgruppe „Asgard Warriors“ in NRW statt, die sich auf Snapchat vernetzt hatte. Im September berichtete der WDR über ein Netzwerk rechtsradikaler Influencer, die völlig öffentlich völkisches Gedankengut verbreiten. Im Februar letzten Jahres berichtete der Deutschlandfunk über den rechten Podcast „Hoss&Hopf“, dessen Hosts betont lässig Verschwörungsmythen teilen. Erst im Mai dieses Jahres wurden jugendliche Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ festgenommen. Und laut ARD-Recherchen beobachtet das Bundeskriminalamt bis zu dreißig Minderjährige, denen es zutraut, Terroranschläge zu verüben. Ein ausgestiegener Rechtsterrorist berichtet, er habe im Internet den ersten Kontakt zu rechtsextremer Ideologie gehabt.

Von alledem kaum ein Wort im Bericht des Verfassungsschutzes. Es fällt schwer zu glauben, dass Presse so viel mehr über rechte Radikalisierungsprozesse im Internet weiß als ein Inlandsgeheimdienst.
Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Wer rechte Radikalisierung im Netz ignoriert, gibt ihr Raum. Denn anders als der Verfassungsschutzbericht suggeriert, findet Rechtsextremismus heute nicht mehr primär auf der Straße oder in Parteibüros statt, sondern auf YouTube, Telegram, Discord, TikTok und in Podcasts. Die Szene ist jung, professionell und medienerfahren. Sie verpackt Hass in ästhetische Clips, inszeniert „Männlichkeit“ als Kampfbegriff und tarnt Ideologie als Lifestyle. Wer einmal in diese Echokammern gerät, findet schnell Anschluss an eine Welt aus Verschwörungen, Gewaltfantasien und digitaler Kamaraderie.
Wohin das führen kann, haben unter anderem die Anschläge in Christchurch und auf Utoya gezeigt. Besonders der Attentäter aus dem neuseeländischen Christchurch radikalisierte sich online. Beide Täter sind heute Ikonen des rechtsextremen Attentäter-Fandoms, das weiß selbst der Verfassungsschutz. Und das ist nur folgerichtig: Denn Rechtsextremismus ist immer menschenfeindlich, in seiner Grundausrichtung wie in seiner Umsetzung gewaltvoll und tödlich.
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen …
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
Das Gefährliche an dieser Strategie der Normalisierung und Aneignung radikal rechter Positionen ist nicht nur, dass sie rechtsextreme Akteure stärkt. Es ist der langsame, aber stetige Wandel der politischen Kultur. Erst das macht sie mehrheitsfähig. Wenn der demokratische Diskurs sich immer stärker an den Positionen der extremen Rechten orientiert, wird das Sag- und Machbare verschoben. Was früher unvorstellbar war, wird heute diskutiert, morgen salonfähig und übermorgen umgesetzt.
Dieser Verlauf ließ sich zuletzt allzu eindeutig bei der Durchsetzung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum beobachten. Gefahr geht also nicht nur von den radikalen Rechten selbst aus, sondern auch von einer „bürgerlichen Mitte“, die ihren moralischen Kompass über Bord wirft, um mit den Wölfen zu heulen – in der Hoffnung, nicht gefressen zu werden.
Doch das funktioniert historisch gesehen nicht. Denn nachdem sie ihnen ihren treuen Dienst geleistet und zur Macht verholfen haben, haben Faschisten nicht mit Konservativen koaliert. Sie haben sie ersetzt, verboten, verfolgt, ermordet. Wer das nicht erkennt, spielt mit der Demokratie – und verliert.
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!
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„Es geht um die Freiheit“
Péter und Kata schieben sich durch die Menge vor dem Rathaus. Schon jetzt um 14 Uhr ist fast kein Durchkommen mehr am Ausgangspunkt der Budapest Pride, die von der Polizei verboten wurde. Auf Péters Schultern sitzt seine Tochter, sie hat kleine Regenbogen auf die Wangen gemalt. „Wir sind hier, um zu protestieren; wir sind hier, weil wir uns schämen. Für meine Tochter ist das einfach eine Party“, sagt er. Anderthalb Stunden sind sie angereist, um heute hier zu sein.
Ein Schild hält Péter nicht. Ein Kind mitbringen auf eine Veranstaltung, die verboten wurde, weil sie vermeintlich Kinder gefährde: Das ist für ihn politisches Statement genug. Über die Begründung, mit der die ungarische Regierung die Pride verboten hat, sagt Péter: „Das ist Quark. Heute geht es um etwas anderes. Es geht um die Freiheit.“
„Freiheit und Liebe können nicht verboten werden!“ So steht es auf Ungarisch und Englisch auf den Bannern und Plakaten, die rund um das Rathaus hängen. Von den Störaktionen, die Neonazis hier angekündigt hatten, ist nichts zu sehen. Stattdessen schwenken Menschen Regenbogenflaggen, auch die Transflagge in türkis-weiß-rosa, manchmal zusammen mit der ungarischen Flagge. Die Stimmung ist ausgelassen, aus den Lautsprechern eines Lastwagens schallt Techno.
Es geht um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

Seit 30 Jahren findet die Pride in Budapest statt, aber dieses Jahr ist alles anders. Die Pride ist zu einem Showdown geworden. Es geht hier nicht mehr nur um die Rechte queerer Menschen, sondern um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Und um die Frage, wer sich durchsetzen wird.
Auf der einen Seite steht die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán, die zunehmend autoritär regiert. Sie hat die Pride mit einem neuem Gesetz Mitte März faktisch verboten. Auf die Teilnahme steht ein Ordnungsgeld von bis zu 500 Euro. Teilnehmer*innen können von der Polizei auch per Gesichtserkennung identifiziert werden.
Auf der anderen Seite steht der grüne, oppositionelle Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony. Er hatte sich dem Verbot widersetzt und die Pride, nachdem die Polizei die Demonstration verboten hatte, als eigene Veranstaltung der Stadt ausgerichtet, gemeinsam mit den Veranstaltern Szivárvány Alapitvány (Regenbogen-Stiftung). Heute läuft er in der ersten Reihe mit, flankiert von EU-Abgeordneten und Vertreter*innen von Menschenrechtsorganisationen, die ebenfalls angereist sind.
„Auf welcher Grundlage glaubt irgendjemand in einer Demokratie, er dürfe Versammlungen von Bürgern, die ihm nicht gefallen, einschränken?“, hatte Karácsony gesagt. Ein „Freiheitsfest“ sei die Parade am Samstag.
Am Ende werden nach Schätzungen fast 200.000 Menschen seiner Einladung folgen. Eine Watsche für Viktor Orbán und seine Politik der Ausgrenzung. Neben Menschen in regenbogenfarbenen Kleidern und Shirts laufen deswegen viele, die man sonst nicht auf einer Pride vermutet hätte: Ältere mit Fischerhut und Poloshirt, Renter*innen in beiger Funktionskleidung.
„Dieses Jahr musste es sein“
Max hat sich neben einem Lastwagen in den Schatten gestellt. Mehr als eine Stunde schon steht die Menge in der prallen Nachmittagssonne. Von dem mit Ballons geschmückten Lastwagen dröhnt Techno, dahinter tanzen die Menschen, schwenken ausgelassen ihre Fahnen.
Max ist nicht das erste Mal auf der Pride, er hat schon mal als Freiwilliger das Absperrband für den Laster seiner Freunde getragen, die oben auf der Ladefläche Techno für die Menschen spielen. Seine Freunde vom Techno-Label Mühely kommen schon seit Jahren mit ihrem Laster auf die Pride, sagt Max. Auch Max hat ein Label für elektronische Musik. Gemeinsam haben sie eine Compilation gemacht, erzählt er: „Pride or Die“. Die Erlöse gehen an die Regenbogen-Stiftung, die die Pride ausrichtet.
Die letzten Jahre war er nicht dabei. „Aber dieses Jahr musste das sein“, sagt er. Die Regierung habe mit ihrem Gesetz für eine neue Eskalation gesorgt.
Der Zug läuft los, die Menschen johlen. Ein Mann mit dunkelblauer Schirmmütze stützt sich beim Laufen auf Wanderstöcken ab. Er kommt nur mühsam vorwärts im dichten Zug von Menschen, der sich vom Rathaus zwischen den Budapester Prachtbauten hindurchschiebt. Über die vierspurige Straße, auf der sonst Doppeldeckerbusse und Autos fahren strömen Teilnehmer*innen dicht an dicht.
Seit 15 Jahren hat er nicht mehr demonstriert, sagt ein anderer Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Jetzt aber ist er hier, 150 Kilometer sei er heute gefahren, denn es geht um die Versammlungsfreiheit. „Ich kann es nicht ausstehen, wenn eine Gruppe von Menschen zum Sündenbock gemacht wird“, sagt er. Und: „Ich freue mich, dass hier so viele normale junge Menschen sind“.

Polizei darf filmen und Menschen mit Gesichtserkennung identifizieren
Auf dem mit dürrem Gras bewachsenen Mittelstreifen steht ein halbes Dutzend Polizisten in dunkelblauer Uniform. Einer hält eine Kamera an einem Stab und filmt die vorbeilaufende Menge aus unmittelbarer Nähe. Ein Demonstrant mit Bart und Käppi stellt sich direkt vor sie, seine Begleiterin macht ein Foto.
Haru läuft an den Polizisten vorbei, die Augen und Stirn sind mit einer Art lila Supernova geschminkt. „Ich bin hier um mich wohlzufühlen und zu feiern“, sagt Haru. Dass die Polizei filmt, sei ganz normal, das sei bei allen Demonstrationen so. Das Make-up trägt Haru nicht, um sich zu tarnen. „So sehe ich eigentlich jeden Tag aus.“
Andere in der Menge tragen weiße und dunkle Kreise, Dreiecke und Balken über Augen, Nase und Stirn. Eine Gesichtsbemalung, die verhindern sollen, dass ihre Gesichter von den Systemen der Polizei erkannt werden. Vermummung auf einer Demonstration ist in Ungarn verboten, Schminke ist erlaubt.

Die Polizei bleibt den Nachmittag über sehr zurückhaltend. Die internationale Aufmerksamkeit ist groß, aus ganz Europa sind Kamerateams angereist. Viktor Orbán will wohl um jeden Preis vermeiden, dass Bilder von Polizist*innen um die Welt gehen, die auf die Pride einprügeln. „Ungarn ist ein zivilisiertes Land“, hatte er am Tag davor verkündet. „Wir verletzen uns nicht gegenseitig.“

Auch die angekündigten Gegendemonstrationen der Rechtsextremen sind an diesem Tag aus der Menge heraus kaum wahrzunehmen. Ein paar Menschen mit weißen Holzkreuzen und Bibeln stehen am Straßenrand. Begleitet werden sie von Polizisten oder den freiwilligen Ordner*innen der Pride. Es bleibt friedlich.
Rechtsextreme blockieren Route mit Genehmigung der Polizei
„Ausgrenzung ist kein Kinderschutz“, steht auf dem Schild, das Miklos trägt, darunter ein Regenbogen. Miklos ist hier als Vertreter der Organisation Szülöi hang (elterliche Stimme), die sich für bessere Bildung in Ungarns Schulen einsetzt. Dieses Verbot, um Kinder zu schützen? „Das ist Unsinn, eine Lüge“, sagt er.

Die Pride schade Kindern nicht. Was sehr wohl schade, seien all die Probleme, mit denen sich die Regierung nicht beschäftigt: fehlende Aufklärung in der Schule, die schlechte Finanzierung des Bildungssystems, der Mangel an Kinderärzt*innen. Statt diese Probleme zu lösen, verbreite die Regierung Lügen.
Die Menge läuft jetzt auf die Elisabeth-Brücke zu, die weißen Drahtseile der Brücke heben sich gegen den tiefblauen Himmel ab. Die Menschen stehen nach vorne und hinten soweit der Blick reicht. Auf der anderen Seite in Buda hat jemand ein pinkes Dreieck von einer Terrasse des Gellért-Bergs entrollt, ehemals Kennzeichnung der Nazis für Homosexuelle, jetzt Zeichen des queeren Stolzes. Das Dreieck flattert im Wind, der am Donauufer für Abkühlung sorgt.
Die rechtsextreme Partei Mi Hazánk hat die Freiheitsbrücke blockiert, die ursprünglich auf der Route der Pride lag – mit Genehmigung der Polizei. Diese hat eine angemeldete Demonstration der Rechtsextremen auf der Brücke erlaubt, die Pride hingegen als illegale Veranstaltung verboten.
Wo die Pride auf das Donauufer abbiegt und an der Freiheitsbrücke vorbei kommt, stehen besonders viele Polizist*innen. Es ist fast sieben Uhr abends, aber noch immer strömen die Menschen einfach weiter. Auf der anderen Straßenseite im Schatten des Berges steht ein Dutzend Rechtsextremer in schwarzer Kleidung, umstellt von der Polizei.
„Warum probiert ihr es nicht einfach mal aus?“ ruft einer ausgelassen zu ihnen rüber.
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IGF25: Diktatoren und Demokraten im globalen Süden als Kunden von Spyware
Als Wake-up-Call für die Techbranche, Regierungen und User hatte WhatsApp Chef Will Cathcart die NSO-Attacken vor Jahren bezeichnet. Es folgte ein Rechtverfahren, im Mai 2025 sprach die erste Instanz Meta 168 Millionen US Dollar Schadenersatz zu. Trotzdem wächst die Spyware-Branche munter weiter, warnten Nichtregierungsorganisation aus Lateinamerika und Afrika bei der 20. Ausgabe des Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen. Die Veranstaltung fand in dieser Woche im norwegischen Lillestrøm nahe Oslo statt.
Über 500 Firmen vertreiben Spyware an mindestens 65 Regierungen weltweit – die Geschäfte laufen prächtig, sagte Nighat Dad, Organisatorin eines IGF-Panels zum Thema. In den Industrieländern werde seit dem Pegasus-Schock zwar über Ethik, bessere Aufsicht und gesetzgeberische Schritte diskutiert, so die Gründerin der pakistanischen Digital Rights Foundation.
„Im globalen Süden blüht die Spyware-Branche auf und trifft hier auf unzureichenden rechtlichen Schutz, auf einen autoritären Impetus und auf die gezielte Einschränkung öffentlicher Räume,“ warnt die Juristin.
Spyware gegen Opposition, Staatsanwälte, Journalisten
Mit der Aufarbeitung der NSO-Umtriebe ist es nicht getan, unterstrichen Apar Gupta, Gründer der indischen Internet Freedom Foundation (IFF), Ana Gaita von der mexikanischen Bürgerrechtsorganisation Red en Defensa de los Derechos Digitales (R3D) und Mohamed Najem von der vom Libanon für den arabischen Raum arbeitenden SMEX.
Bei SMEX beobachtet man nach großen Investitionen der Golfstaaten in die NSO inzwischen einen regelrechten Boom von Spyware-Start-ups. Aus den Vereinigten Arabischen Emiraten werde Spyware etwa an die Krieg führenden Rapid Support Forces im Sudan geliefert, so Najem.
Gegenwehr nach staatlicher Vorstellung: Softlaw
Die breite Proliferation von Hacking Tools macht durchaus auch Regierungen im globalen Norden Sorgen. Die Bedrohungen „für unsere Beamten, unsere Infrastruktur, Unternehmen und Bürger wachsen“, sagte Elizabeth Davies vom britischen Foreign Commenwealth and Development Office. Zusammen mit Frankreich haben die Briten im so genannten Pall-Mall-Prozess daher Leitlinien für die Nutzung kommerzieller Spyware vorgelegt.
Sowohl der Fokus auf kommerzielle Spyware – bei Ausschluss staatlicher Hacks – als auch die Freiwilligkeit der Pall-Mall-Leitlinien werden von Experten kritisiert. Zentrale Versprechen des Codes, den sich die 24 Pall-Mall-Unterzeichner gegeben haben, sind ein regelbasierter, verantwortungsvoller und lediglich auf klar eingegrenzte Ziele ausgerichteter Einsatz von Spionagetools. Außerdem befürworten die Unterzeichner, darunter auch Deutschland, eine bessere Kontrolle der Nutzung durch ihre Behörden und mehr Transparenz bei Beschaffungs- und Exportgenehmigungen.
Im Pall-Mall-Prozess wolle man sich als nächstes in Arbeitsgruppen um Einzelthemen kümmern, gerade die Exportkontrollregime, versicherte Davis. Auch sagte sie mehr Beteiligung der anderen Stakeholder zu.
Aktivisten und Juristen: Babysteps only
Allenfalls als ersten Schritt sehen Bürgerrechtler den Pall-Mall-Prozess der Regierungen. Angesichts der sprunghaften Entwicklung von Angebot und Nachfrage rät IFF-Gründer Gupta zu einem Moratorium für kommerzielle Spyware, „bis man sich zwischenstaatlich auf rechtliche Grundlagen, Notwendigkeit, Angemessenheit und Exportkontroll-Regeln verständigt hat“. Ein komplettes Verbreitungsverbot für Spyware in der EU statt der weiteren Förderung staatlichen Hackings im Rahmen der Going Dark-Überlegungen fordert auch der Dachverband von Europas Bürgerrechtsorganisationen EDRi.
Freiwillige Vereinbarungen wie die Pall-Mall-Erklärung seien gut, sagt auch der US Rechtswissenschaftler David Kaye, meint aber: „wir sollten aber von Softlaw sehr schnell zu verbindlichen Normen kommen.“ Er verwies auf Schranken, die kürzlich die Venedig-Kommission des Europarates für den Einsatz von Sypware durch Strafverfolger vorgeschlagen hat.
Kaye, ehemaliger UN-Sonderbauftragter für Meinungsfreiheit, gehört der für 62 Teilnehmerstaaten arbeitenden Venedig-Kommission an. Kurzfristig am meisten verspricht er sich von Klagen, insbesondere Schadenersatzklagen gegen schwarze Schafe, sagt er. Ob die Millionen-Schadenersatzsumme gegen die NSO im Verfahren von Meta aufrechterhalten bleibe, sei zwar noch nicht klar. „Aber solche Verfahren erhöhen den Druck“, sagte er in Oslo.
Bedauerlich sei zugleich dagegen, wenn die Europäische Union im Medienfreiheitsgesetz Ausnahmen beim Einsatz von Spähsoftware gegen Journalisten vorsieht. „Wir leben in einer Ära, in der Staaten mit Lastwagen durch die kleinsten Lücken fahren, die sie sich dafür geschaffen haben, das zu tun, was sie tun wollen“, mahnte Kaye. Gupta und Kaye unterstrichen, Klagen, sei es vor dem Verfassungsgerichten oder Schadenersatzklagen wie die von Meta, seien eine der aktuell erfolgversprechendsten Maßnahmen.
Rima Amin, zuständig für Community Defense bei Meta, stellte in Aussicht, das Geld, welches das Gericht Meta als Schadenersatz zuspreche, an Organisationen weiterzureichen, die den Opfern helfen. Geld für Bürgerrechtler gibt es aktuell bereits von der Spyware Accountability Initiative.
Bekannte Argumente
Denn längst werden nicht mehr nur politische Gegner ausgespäht. „Viele Regierungen in Lateinamerika haben die instabile Sicherheitslage dazu genutzt, um mehr Überwachung als alternativlos darzustellen.“ Ohne Einschränkung von Vertraulichkeit gebe es nicht mehr Sicherheit, so das Argument.
Auch in afrikanischen Ländern wird so argumentiert, beschreibt im Gespräch mit heise online Wairagala Wakabi, Geschäftsführender Direktor der Organisation Collaboration on International ICT Policy for East and Southern Africa (CIPESA). Ungerührt von in vielen afrikanischen Ländern von den Pegasus-Spähaktionen betroffenen Aktivisten und Politikern arbeite man dort an „mehr Sicherheit“ für die Bürger. Seit Anfang des Jahres sind etwa Chips, die Standortdaten und Routen von Autos überwachen, in der ugandischen Hauptstadt Kampala zwingender Bestandteil der Autokennzeichen.
Geliefert werden die Geräte, so Wakabi, von der russischen Firma Joint Stock Global Security Company. Zusammen mit der in Kampala von Huawei ausgebauten Smart City, „nach chinesischem Modell mit Videokameras und Gesichtserkennung überall“ entstehe ein vollständig überwachter öffentlicher Raum. Für Dissidenten und Aktivisten werde die Totalüberwachung immer mehr zum Problem.
Auch Wakabi blickt für Hilfe nach Europa. Die USA sei, was Spywarefirmen anbelange, überraschend aktiv gewesen. „Europa als die andere Region, die einen großen Knüppel hat, müsste den auch einsetzen.“
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(nie)
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Die Woche, in der wir uns wegen Stigmatisierung gesorgt haben
Liebe Leser:innen,
Seit Wochen begleitet mich die Sorge, wie Menschen mit psychischen Erkrankungen stigmatisiert werden. Messerangriffe und Amoktaten, die mutmaßlich von Personen mit einer psychiatrischen Vorgeschichte begangen wurden, haben viele schockiert. Dass sich Politiker:innen fragen, wie sie so etwas künftig verhindern können, ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar sind aber einige Forderungen, die derzeit im Raum stehen.
Nach Ideen für Register mit psychisch erkrankten Straftäter:innen soll es nach dem Willen der Innenministerien nun mehr Datenaustausch etwa zwischen Polizei und Gesundheitsbehörden geben. Und es soll ein „Risikomanagement“ eingeführt werden. Das sind die falschen Antworten. Es waren schon die falschen Fragen.
Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen können. Wie können wir die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung verbessern? Wie können wir Hürden abbauen – damit Menschen, die Unterstützung benötigen, sie auch aufsuchen können? Wie können wir Personen in Krisensituationen begleiten, bis es ihnen besser geht und sie wieder Stabilität finden?
Eine Psychotherapeutin, die ich in meinem Text zitiere, schreibt das so: „Prävention gelingt durch Hilfe, nicht durch Verdacht.“
Wer Menschen aber zum Risiko erklärt, befeuert die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen. Und macht all jenen Angst, die gerade Hilfe brauchen. Ich habe nach meinem Text einige Zuschriften bekommen. Betroffene sorgen sich, ob es Nachteile haben könnte, wenn sie sich in Behandlung begeben oder es bereits sind. Das schmerzt mich. Denn es zeigt, dass Vertrauen zerstört wurde. Lange bevor sich überhaupt ein Gesetz geändert hat.
Wir bleiben dran.
Habt trotz alledem ein gutes Wochenende!
anna

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