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Digitalsteuer: EU im Zugzwang


Bevor Ursula von der Leyen heute ihren EU-Budgetvorschlag präsentiert, war die erste Hälfte der Arbeit schon getan. Einstimmig müssen die EU-Länder dem mehrjährigen Finanzrahmen zustimmen, der von 2028 bis 2034 gelten soll. Da ist bereits im Vorfeld politisches Fingerspitzengefühl gefragt, trotz der eingeplanten zweijährigen Verhandlungszeit: Welche Vorschläge haben überhaupt eine Chance im EU-Rat, und welchem erscheinen politisch so hoffnungslos, dass sie gar nicht erst auf den Tisch kommen?

In letztere Kategorie scheint die Digitalsteuer zu fallen. Sie soll als ernstzunehmende Option in einem frühen Budgetentwurf gestanden haben, hatte Politico unter Berufung auf interne Dokumente berichtet. In der finalen Fassung soll eine Digitalsteuer inzwischen nicht mehr enthalten sein. Stattdessen soll es neue Abgaben auf Elektroschrott und Tabakprodukte geben – sowie eine Steuer für Unternehmen ab einem Umsatz von 50 Millionen Euro, unabhängig von ihrem Geschäftsmodell.

„Erfahrungsgemäß haben Vorschläge zu neuen Eigenmitteln für die Kommission große Probleme, im Rat bei den Mitgliedstaaten eine Mehrheit zu finden“, sagt der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken zu netzpolitik.org. Schon jetzt würden zwei bestehende Pakete zu Eigenmitteln im Rat blockiert, so der sozialdemokratische Politiker. Es habe die Gefahr bestanden, dass „die neuen Vorschläge sich einfach zu den bestehenden, blockierten Vorschlägen dazugesellen“, vermutet Wölken.

Dauerstreitthema Digitalsteuer

Die Debatte über eine Digitalsteuer flammt alle paar Jahre auf, das Problem ist allgemein bekannt und gut dokumentiert. Vor allem multinationale, meist aus den USA stammende Techkonzerne wie Alphabet, Meta oder Apple erzielen Milliardengewinne innerhalb der EU, zahlen aber kaum Steuern. Trotzdem fällt es offenkundig schwer, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen: Der letzte Anlauf der Kommission für eine EU-weite Digitalsteuer scheiterte an Ländern wie Irland oder Schweden, während die USA unter Donald Trump jüngst aus der Ersatzlösung auf OECD-Basis ausgestiegen sind.

Ohnehin schwebt der US-Präsident über der Debatte, seit er praktisch der ganzen Welt den Handelskrieg erklärt hat. Einfuhren aus der EU sollen dem letzten Stand nach ab August mit mindestens 30 Prozent besteuert werden. Über potenzielle Retourkutschen verhandelt die EU intern noch, sie könnte etwa Flugzeuge von Boeing oder Whiskey aus Kentucky mit Strafzöllen belegen. Derweil eilte der EU-Chefverhandler, Handelskommissar Maroš Šefčovič, zu Gesprächen nach Washington, um in letzter Sekunde vielleicht doch noch etwas zu bewegen.

Ob dabei die Digitalsteuer vollends aus dem Rennen ist, lasse sich angesichts der Geheimhaltung, mit der die Zollverhandlungen mit den USA geführt werden, schwer beantworten, sagt die grüne EU-Abgeordnete Alexandra Geese. Allerdings sei es „ein schlechtes Zeichen, dass die EU-Kommission die Digitalsteuer offenbar nur als Verhandlungsmasse genutzt hat, aber bereits vor einer Einigung im Zollstreit darauf verzichtet“, sagt die Abgeordnete gegenüber netzpolitik.org.

Tech-Konzerne sollen blechen

Gefruchtet hat die abwiegelnde Haltung der EU-Kommission, die weiterhin eine Verhandlungslösung bevorzugt, bislang kaum – so die US-Zölle tatsächlich in zwei Wochen zu greifen beginnen. Trump wiederum dürfte sich in seinem Vorgehen bestätigt fühlen. Zuletzt hatte das US-Finanzministerium Rekordeinnahmen aus Zollgebühren verkündet, allein im Juni sollen deshalb fast 30 Milliarden US-Dollar in die Staatskasse geflossen sein.

„Unterwürfige Verhandlungsstrategie“

„Es erscheint gerade sehr unwahrscheinlich, dass die EU einen Vorschlag für eine Digitalsteuer macht“, sagt die Ökonomin Aline Blankertz von der Nichtregierungsorganisation Rebalance Now. Das liege an zwei Punkten: Erstens sei die deutsche Bundesregierung nach dem Vorstoß von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer schon zurückgerudert, und ohne deutsche Unterstützung sei so ein Vorhaben viel schwerer denkbar. Zweitens fahre die EU gegenüber der US-Regierung eine „unterwürfige Verhandlungsstrategie“, um zu einem vorteilhafteren Handelsabkommen zu kommen, und stelle „selbst die Durchsetzung bestehender Gesetze wie der Digital Markets Act zur Disposition“, sagt Blankertz.

Weimer war Ende Mai mit einem eigenen Vorschlag vorgeprescht und hatte eine Digitalabgabe für große Tech-Unternehmen ins Spiel gebracht. Obwohl im Koalitionsvertrag ausdrücklich vermerkt, hatte er die Koalitionspartner damit sichtlich überrascht. Vor allem aus der Union, die den parteilosen Konservativen nominiert hatte, kommt viel Unmut über den unabgestimmten Vorstoß. „Wir sollten nicht über mehr, sondern über weniger Handelshemmnisse sprechen“, sagte etwa CDU-Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ob und wann Weimar tatsächlich einen Entwurf für eine deutsche Digitalsteuer vorlegen wird, bleibt vorerst offen. Einen Rückzieher hat er zumindest bislang nicht gemacht. Vergangene Woche bekräftige er gegenüber den Sendern RTL/ntv, weiterhin die „Macht der Tech-Giganten adressieren“ zu wollen. Ihre faire Besteuerung habe „die EU schon seit Jahren nicht wirklich hinbekommen, sodass wir auf nationaler Ebene vorangehen und das dann integrieren in eine europäische Lösung“, sagte Weimer.

Andere EU-Staaten machen es vor

Deutschland wäre damit nicht das einzige Land mit einer Digitalsteuer, als Vorbild soll ohnehin das österreichische Modell mit seiner Steuer auf Online-Werbung dienen. „Prinzipiell können Digitalsteuern national gut funktionieren, das zeigen ja schon Frankreich, Österreich, Spanien und Italien“, sagt die Ökonomin Blankertz. Wenn die EU aktuell keine Digitalsteuer angehen möchte, spreche das erst recht dafür, eine Umsetzung in den Mitgliedsstaaten anzustreben. Gleichzeitig sei allerdings auch die deutsche Bundesregierung darauf bedacht, sich mit Trump bloß gut zu stellen, sagt Blankertz.“ Im besten Fall werde das Thema also verschoben, bis sich die Wogen im Handelsstreit geglättet haben.

Was die EU gegen Donald Trump in der Hand hat


2025-07-14
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– für digitale Freiheitsrechte!



Euro für digitale Freiheitsrechte!

 

Ein nationaler Vorstoß würde den gleichen Gegenwind aus den USA zu spüren bekommen wie ein europäischer Ansatz, vermutet der Abgeordnete Wölken, der eine EU-Lösung bevorzugt. „Die Bundesregierung wäre deshalb gut beraten, Mehrheiten im Rat zu bauen“. Nationale Alleingänge sollten erst an allerletzter Stelle stehen, wenn kein gemeinsamer Weg mehr denkbar ist. Indes lebt die EU von ihren Mitgliedstaaten: „Die Drohung eines Alleingangs kann natürlich auch ab und zu hilfreich sein, um Mehrheiten im Rat herbeizuführen oder die Kommission zum Handeln zu animieren“, sagt Wölken.

Das Drohszenario eines zersplitterten Marktes

Im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit brauche es Vorreiter, sagt der EU-Linkenabgeordnete Martin Schirdewan – insbesondere, wenn internationale Abkommen scheitern. Länder wie Frankreich und Italien hätten es bereits vorgemacht, jetzt müsse Deutschland nachziehen. „So können wir Druck auf die US-Regierung aufbauen, um sie dazu zu bewegen, entweder wieder beim OECD-Abkommen einzusteigen oder eine EU-weite Digitalsteuer zu akzeptieren“, sagt Schirdewan.

Dabei könnte das Damoklesschwert eines fragmentierten Marktes sogar zum Vorteil für die EU werden, sagt der Linken-Abgeordnete. „Die US-Digitalkonzerne haben in der Vergangenheit das OECD-Abkommen über einen Flickenteppich von vielen unterschiedlichen nationalen Digitalsteuern bevorzugt. So ein Flickenteppich mit vielen unterschiedlichen Regeln und Steuerraten ist ihr Horrorszenario. Das können wir uns zunutze machen“, so Schirdewan.

Diesem Ansatz steht der EU-Abgeordnete Andreas Schwab von der CDU eher skeptisch gegenüber. „Ein Flickenteppich nationaler Digitalsteuern in den Mitgliedstaaten könnte den Binnenmarkt zersplittern und Vergeltungsmaßnahmen im Handel provozieren“, warnt Schwab. Stattdessen bevorzugt er die neu auf dem Tisch liegende Abgabe für größere Unternehmen – eine „politisch tragfähigere und wirtschaftlich effektivere Alternative“, sagt Schwab. Damit ließen sich geopolitische Spannungen vermeiden, die durch eine gezielte Besteuerung US-amerikanischer Technologiekonzerne entstehen könnten, so der EVP-Abgeordnete.

EU eingekeilt zwischen Problemen

Freilich hängt dies entscheidend davon ab, wie so eine Abgabe konkret ausgestaltet wäre und wie sich die Parteien in der weiteren Debatte aufstellen würden. „Der Vorschlag über eine neue Unternehmensabgabe wird von der hiesigen Unternehmenslobby und auch der EVP im Parlament jetzt schon stark kritisiert“, sagt der SPD-Abgeordnete Wölken. Angesichts der politischen Mehrheiten glaube er derzeit nicht daran, dass dies so kommen werde.

Zugleich ist die EU im Zugzwang: Denn die Lücke, die durch die Tilgung des Wiederaufbaufonds gerissen wurde, muss irgendwie geschlossen werden. Wölken hätte eine Digitalsteuer oder auch eine Sonderabgabe für Kleinstpakete von Alibaba und Temu aus China für die bessere Alternative gehalten. „Denn so wären wir gezielt auf bestehende Probleme eingegangen, nämlich die Steuervermeidung von Big Tech-Unternehmen auf der einen Seite und den unfairen Wettbewerb durch chinesische Billig-Marktplätze auf der anderen Seite“, sagt Wölken.



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Die Woche, in der wir ordentlich gewachsen sind


Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

zu Beginn dieser Woche hab ich zufällig ein kurzes Video über Bambus angeschaut. Wusstet ihr, dass einige Arten pro Tag fast einen Meter in die Höhe schießen? Man kann ihnen buchstäblich beim Wachsen zusehen.

Ich bin dann in ein Wurmloch gefallen und hab erfahren, dass Bambus es bei der Zugkraft mit Stahl aufnehmen kann. Dass er weit mehr Sauerstoff freisetzt als Bäume. Und natürlich essen ihn süße Pandabären.

Ein weit weniger erbauliches Bild zeigt die zurückliegende (netz-)politische Woche. Vorratsdatenspeicherung, Daten-Rasterfahndung, biometrische Live-Videoüberwachung – die ungeheuerlichsten Überwachungspläne sprießen gerade so aus dem Boden. Gleichzeitig will die Bundesregierung die Zivilgesellschaft unter Extremismus-Generalverdacht stellen, um ihr die Mittel und Rechte zu beschneiden. Und daneben fällt ihr nichts Besseres ein, als den Druck auf marginalisierte Menschen einmal mehr zu erhöhen – mit weiteren Streichungen und noch härteren Sanktionen.

Mir war klar, dass die Bäume mit Schwarz-Rot nicht in den Himmel wachsen werden. Dass die Regierung aber so rasch und beherzt Richtung Autoritarismus und Überwachungsstaat marschiert – wie auch Lena Rohrbach und Philipp Krüger von Amnesty International mit Blick aufs geplante Bundespolizeigesetz konstatieren –, habe ich dann doch nicht erwartet.

Zurück zum Bambus. Auch wir sind diese Woche ordentlich gewachsen. Drei neue Menschen gehören seit dem 1. September unserem Team an. Timur ist unser erster Volontär und macht nebenher noch Beiträge für KiKA. Bahn-Nerd Ben ist für die nächsten 12 Monate unser Bundesfreiwilliger. Und Fio unterstützt uns ab sofort bei der Social-Media-Arbeit. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Verabschieden mussten wir uns von Lilly, die uns ein Jahr lang tatkräftig als Bundesfreiwillige unterstützt hat. Wie sie auf ihre Zeit bei uns zurückblickt, erzählt sie in der aktuellen Folge unseres Podcasts Off/On. Hört gerne rein. Und vielen Dank für alles, Lilly!

Habt ein schönes Wochenende

Daniel

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Seit Monaten protestieren Microsoft-Mitarbeitende in den USA dagegen, dass ihr Unternehmen Geschäftsbeziehungen zum israelischen Militär und der israelischen Regierung unterhält. Microsoft hat einige demonstrierende Angestellte entlassen. Zugleich will das Unternehmen prüfen, ob israelische Streitkräfte die Azure-Plattform zur Überwachung von Palästinenser:innen nutzen.

Lesen Sie diesen Artikel: Microsoft entlässt Mitarbeitende nach Protesten



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Wie unsere jüngsten Team-Mitglieder auf unsere Arbeit und Soziale Medien blicken


Drei Menschen mit großen Kopfhörern lächeln in die Kamera
Ingo, Karoline und Lilly bei der Arbeit


Karoline ist seit zwei Monaten Praktikantin bei uns. Lilly war seit September 2024 unsere Bundesfreiwillige im Rahmen eines „Freiwilligenjahres Beteiligung“. In der neuen Ausgabe Off The Record erzählen die beiden, was sie bei uns erlebt haben. Welche Tätigkeiten haben sie übernommen? Was haben sie gelernt? Und wie ist das so als junger Mensch in einem älteren Team?

Außerdem gibt’s eine kleine Meme-Nachhilfestunde. Wir sprechen nämlich auch über ihre Erfahrungen mit unserer Community und über die Rolle Sozialer Medien. Lilly hat im letzten Jahr unseren Instagram-Account betreut, Karoline hat sich im Studium intensiv mit Social Media beschäftigt. Was denken die beiden: Sollten wir den Insta-Account unserer Redaktion dichtmachen?


In dieser Folge: Ingo Dachwitz, Karoline Tanck und Lilly Pursch.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.


Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format. Ein maschinell erstelltes Transkript gibt es im txt-Format.


Unseren Podcast könnt ihr auf vielen Wegen hören. Der einfachste: in dem Player hier auf der Seite auf Play drücken. Ihr findet uns aber ebenso bei Apple Podcasts, Spotify und Deezer oder mit dem Podcatcher eures Vertrauens, die URL lautet dann netzpolitik.org/podcast.


Wir freuen uns über Kritik, Lob, Ideen und Fragen entweder hier in den Kommentaren oder per E-Mail an podcast@netzpolitik.org.


Links und Infos

    Blattkritik

    • Karolines Text über verschwundene Porno-Games
    • Ingos Text über den Wasserverbrauch von Rechenzentren: Immer noch nicht erschienen…

    Hausmitteilungen

    Aus dem Maschinenraum

    Postfach



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Familienministerin will Demokratieprojekte mit Verfassungsschutz durchleuchten


Während die AfD in aktuellen Umfragen neue Höchstwerte verzeichnet, schießt sich die Bundesregierung ausgerechnet auf jenen Teil der Zivilgesellschaft ein, der für demokratische Werte und gegen den Rechtsruck kämpft. In einem Brief an die „Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag“ versichert Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU), dass sich im Programm „Demokratie leben“ nun „Grundlegendes ändern“ werde. Unter anderem sollen NGOs einer „breit angelegten Verfassungsschutzprüfung“ unterzogen werden. Den Brief veröffentlichen wir als PDF-Dokument.

Die Familienministerin stellt sich damit in ein unselige Tradition. Nicht nur die rechtsextreme AfD versucht seit Jahren, die demokratische Zivilgesellschaft unter Generalverdacht zu stellen. Auch Hetzportale wie Nius und rechte Medien wie Cicero, NZZ, Welt oder Focus kolportieren seit Langem, dass Deutschland von linken Nichtregierungsorganisationen quasi unterwandert sei und der Staat diese auch noch alimentiere.

Mit Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat diese Erzählung inzwischen einen Vertreter in der Regierung gefunden. Weimer treibt die Debatte kulturkämpferisch voran und hat bereits erste Maßnahmen gegen vermeintlich linke Medienprojekte ergriffen.

Attacken auf demokratische Zivilgesellschaft

Die Debatte um die Zivilgesellschaft geht inzwischen so weit, dass sich jüngst auch die als liberal geltende Wochenzeitung „Die Zeit“ zu der reißerischen Überschrift „Der Staat päppelt die Linken“ hinreißen ließ – nur um im Artikel Rechtsaußen-Rechtsanwalt Joachim „Natürlich bin ich ein Arschloch“ Steinhöfel zu Wort kommen zu lassen und im Verlauf des Textes die These der Überschrift halbwegs zu revidieren.

Auch die Union selbst hatte bereits zu Jahresbeginn ins gleiche Horn gestoßen. Ende Januar hatten CDU und CSU einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag eingebracht und dabei mindestens billigend eine Mehrheit durch Stimmen der AfD in Kauf genommen. Daraufhin riefen zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu Protesten auf.

Offenbar als Reaktion darauf reichte die Union nur wenige Wochen später eine Kleine Anfrage im Bundestag ein. In einem umfangreichen Fragenkatalog erkundigte sie sich nach unter anderem nach der staatlicher Förderung für gemeinnützige NGOs. Die Anfrage wurde innerhalb der Zivilgesellschaft als Einschüchterungsversuch verstanden. Wissenschaftler:innen und Organisationen zeigten sich zutiefst beunruhigt durch das Vorgehen der Unionsfraktion, mehr als 500.000 Menschen unterzeichneten einen Appell an die Bundesregierung.

Grundlegende Änderungen angekündigt

Die Debatte ist nun wieder erstarkt. Und nachdem das Kabinett Ende August die Gelder für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ bewilligt hatte, sah sich Familienministerin Karin Prien offenbar genötigt, sich für diese Entscheidung zu rechtfertigen und gleichzeitig anzukündigen, dass sich nun „Grundlegendes ändern“ werde.

In dem Brief von Prien an die CDU/CSU-Fraktion heißt es:

Wir stärken die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden und der wissenschaftlichen Extremismusforschung und berücksichtigen deren Erkenntnisse in der Programmsteuerung besser. Wer Zuwendungen des Bundes zum Schutz unserer Demokratie erhält, muss selbst Vorbild sein! Es gibt mehr als 400 direkte Partner und mehr als 3000 Projekte als Letztempfänger der Bundesmittel. Wir werden durch klare Strukturen und Verfahren sicherstellen, dass das Ziel, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen, von allen angestrebt und auch erreicht wird. In einem ersten Schritt – nach wochenlanger Arbeit und mit dem Bundesministerium des Innern abgesprochen – wurde bereits eine breit angelegte Verfassungsschutzprüfung im sogenannten „Haber-Verfahren“ eingeleitet.

„Breit angelegte Verfassungsschutzprüfung“

Das Haber-Verfahren sieht vor, dass die jeweiligen Ressorts zunächst aus ihnen zugänglichen Quellen, wie etwa die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, jene Organisationen prüfen, die sie mit dem Programm fördern. „Soweit hiernach eine Klärung nicht möglich sein sollte, können die Ressorts ihre Anfragen zu möglichen verfassungsschutzrelevanten Erkenntnissen über Organisationen, Personen und Veranstaltungen, über deren materielle bzw. immaterielle Förderung das Ressort zu entscheiden hat, unmittelbar an das BfV und nachrichtlich an das BMI richten“, heißt es in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

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Der Wunsch aus der Union, Initiativen der demokratischen Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus unter Generalverdacht zu stellen, ist keineswegs neu. Im Jahr 2011 führte die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder die sogenannte „Extremismusklausel“ bei Demokratieförderungsprogrammen ein. Diese Klausel sah vor, dass sich Initiativen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichten mussten. Diese Verpflichtung erschwerte unter anderem eine zivilgesellschaftliche Bündnisarbeit etwa bei Protesten gegen Rechtsextremismus, weil geförderte Organisationen für ihre Bündnispartner in Mithaftung genommen wurden. Anfang 2014 wurde die Klausel wieder abgeschafft.

In Vergangenheit hunderte NGOs vom Verfassungsschutz überprüft

Die Durchleuchtung aber ging weiter. Zwischen den Jahren 2015 und 2018 wurden zahlreiche zivilgesellschaftliche Projekte vom Verfassungsschutz geprüft. Bei insgesamt 51 Projekten leitete das Familienministerium damals Daten an den Inlandsgeheimdienst weiter, dem damals noch Hans-Georg Maaßen als Präsident vorstand. Maaßen wird heute selbst vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremer geführt und beobachtet.

In den Jahren 2018 und 2019 soll der Verfassungsschutz dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zufolge im Rahmen des Haber-Verfahrens ebenfalls „hunderte Nichtregierungsorganisationen“ durchleuchtet haben.

Familienministerium mauert

Wir haben beim Bundesfamilienministerium nachgefragt, was hinter der Ankündigung der Ministerin steckt – und ob dies „eine Änderung der bisherigen Überprüfungspraxis“ darstellt. Außerdem wollten wir wissen, wie viele Überprüfungen durch den Verfassungsschutz im laufenden Jahr sowie in den vergangenen fünf Jahren erfolgt seien.

Nach drei Tagen und mit wiederholter Fristverlängerung schickte uns eine Sprecherin des Ministeriums folgende Antwort, die keine unserer Fragen beantwortet:

Über das allgemein Zugängliche hinaus können keine näheren Informationen zum Prüfverfahren mitgeteilt werden. Die Wirkung des Verfahrens könnte ansonsten beeinträchtigt werden. Im Übrigen wurde und wird keine statistische Erhebung im BMBFSFJ zu Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden geführt.



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