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Grabenkampf um Kupfer-Aus: Telekom verteidigt DSL, Konkurrenz will Abschaltrecht
Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte der kommenden Jahrzehnte: Die Migration vom alten Kupfernetz auf reine Glasfaser (FTTH). Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) legte im Oktober Eckpunkte für ein Gesamtkonzept vor, um diesen Übergang zu beschleunigen. Die nun eingegangenen Stellungnahmen der Branche zeigen jedoch, dass zwischen der Deutschen Telekom und ihren Wettbewerbern – organisiert in Verbänden wie VATM, Breko und VKU – Welten liegen. Der Ton ist rau, die Interessenlage völlig entgegengesetzt.
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Die Deutsche Telekom nutzt ihre Stellungnahme für die Verteidigung ihrer bestehenden Infrastruktur und übt scharfe Kritik an jeglichen staatlichen Eingriffen. Das Unternehmen lehnt politisch oder regulatorisch festgelegte Abschalttermine entschieden ab und hält diese für verfassungs- und europarechtswidrig.
Bemerkenswert sind die rhetorischen Feinheiten des Bonner Konzerns. Er schreibt: „Das sogenannte ‚Kupfernetz‘ der Deutschen Telekom, von dem im Zusammenhang mit einer Abschaltung die Rede ist, ist ein Glasfasernetz“. Da die Glasfaser bis zu den grauen Verteilerkästen liege (FTTC), sei das Netz leistungsfähig genug für bis zu 250 MBit/s. Ein vorzeitiges Ausknipsen dieser Infrastruktur sei volkswirtschaftlich unsinnig und vernichte Kapital.
Scharfe Kante gegen Kabelnetzbetreiber
Die Telekom eröffnet zugleich einen Nebenkriegsschauplatz gegen die TV-Kabelnetzbetreiber und schießt sich vor allem auf Vodafone ein. Die Vorlage des Ministeriums blende die „technisch überholten, kupferbasierten Kabelfernsehnetze“ aus. Die Telekom argumentiert, dass eine Abschaltung von VDSL die Kunden nicht zwingend zur Glasfaser, sondern ins „veraltete“ Koax-Netz treiben würde, das zudem fünfmal so viel Strom verbrauche wie FTTH. Die Forderung aus Bonn: Wenn über ein Aus bestehender Infrastrukturen geredet wird, müssen auch die Kabelnetze auf den Prüfstand.
Zudem wehrt sich die Telekom gegen Vorwürfe, sie habe kein Interesse am Glasfaserausbau. Sie verweist auf ihre Investitionen und bezeichnet sich als größten Investor Deutschlands auf diesem Gebiet. Zusätzliche Transparenzpflichten oder Migrationspläne lehnt sie als bürokratisches Hemmnis ab. Nötig sei auch ein Vollausbaurecht im Gebäude und ein verpflichtender offenen Zugang zu dortigen Netzen, um Wettbewerb und Wahlfreiheit für Mieter zu gewährleisten.
Wettbewerber: Angst vor Blockadehaltung
Ganz anders klingt es beim Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko), der alternative Glasfaser-Ausbauer und Stadtwerke vertritt. Er begrüßt die Initiative des BMDS in seiner heise online vorliegenden Eingabe ausdrücklich, da das bisherige Vorgehen der Bundesnetzagentur „weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben“ sei.
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Kernkonflikt aus Sicht der Wettbewerber: Die Telekom hat derzeit allein das Recht, die Abschaltung ihrer Kupfernetze bei der Bundesnetzagentur zu beantragen nach Paragraf 34 Telekommunikationsgesetz (TKG). Der Breko warnt vor einem „erheblichen Missbrauchspotenzial“. Die Befürchtung ist, dass die Telekom in Gebieten, in denen Wettbewerber Glasfaser ausgebaut haben, das parallele VDSL-Netz strategisch weiterbetreibt, um der Konkurrenz die Kunden zu entziehen und deren Geschäftsmodelle zu zerstören.
Der Breko fordert daher vehement ein „allgemeines Initiativrecht“. Sobald in einem Gebiet eine Glasfaser-Abdeckung von beispielsweise 85 Prozent erreicht ist (Homes Passed), müssten auch Wettbewerber oder die Bundesnetzagentur die Abschaltung des alten Kupfernetzes einleiten können – gegen den Willen der Telekom.
Zusätzlich sind etwa der Breko und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gegen das „Commitment-Modell“ der Telekom. Dabei handelt es sich um Mengenrabattverträge mit großen Resellern wie 1&1 oder o2, die diese langfristig an das VDSL-Netz der Telekom binden. Der Verband sieht darin ein massives Hindernis für die Migration und fordert ein Sonderkündigungsrecht, damit diese Reseller ihre Kunden schneller auf die Glasfasernetze alternativer Anbieter umziehen können.
Wohnungswirtschaft und Verbraucher: Preisbremse und Fristen
Die Wohnungswirtschaft (GdW) mahnt derweil zur Vorsicht. Zwar unterstützen die Wohnungsunternehmen die Glasfaser-Migration grundsätzlich. Sie haben aber Bedenken rund um „staatliche Drohkulissen“ und Haustürgeschäfte, die Mieter verunsicherten. Der Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen drängt vor allem auf die Preiskontrolle: Glasfaserprodukte müssten bei vergleichbarer Qualität auch zu einem vergleichbaren Preis wie bisherige DSL-Tarife angeboten werden. Ein Zwangswechsel zu höheren Kosten sei den Mietern nicht vermittelbar. Zudem verlangt der GdW eine Vorlauffrist von mindestens 24 Monaten nach Fertigstellung des Glasfasernetzes, bevor das Kupfernetz abgeschaltet wird.
Auch die Industrie- und Handelskammer (DIHK) ist gegen Schnellschüsse. Für Firmen sei eine stabile Leitung existenzsichernd. In vielen Gewerbegebieten gebe es noch keine Glasfaser, und Sonderanwendungen wie Aufzugnotrufe oder Alarmanlagen liefen oft noch über alte Technik. Eine Abschaltung ohne funktionierende Alternative sei ein Risiko für den Wirtschaftsstandort. Der Bitkom hält die Festlegung eines bindenden bundesweiten Abschaltdatums zum aktuellen Zeitpunkt ebenfalls nicht für zielführend.
Zeitplan wackelt
Das BMDS orientiert sich an den Zielen der EU-Kommission, die ein Ende des Kupfers bis 2030 anstrebt. Sowohl die Telekom als auch viele Wettbewerber halten dieses Datum für Deutschland jedoch für unrealistisch. Der Breko schlägt stattdessen vor, bis Sommer 2028 zumindest für fünf Prozent der Haushalte den Abschaltprozess eingeleitet zu haben, um überhaupt in die Gänge zu kommen.
Nun liegt der Ball inmitten der verhärteten Fronten beim BMDS, bei der Bundesnetzagentur und beim Gesetzgeber. Sie müssen aus den widerstreitenden Interessen ein Regulierungskonzept formen, das den Ausbau fördert, ohne die Verbraucher im digitalen Niemandsland stranden zu lassen.
(vbr)