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Lieferdienste: Bas prüft Verbot von Subunternehmern nach kriminellen Vorwürfen


Die Debatte um kriminelle Machenschaften, Ausbeutung, erzwungene Schwarzarbeit und Gewalt bei Lieferdiensten hat eine neue politische Dimension erreicht. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) zieht angesichts schwerwiegender Verstöße gegen das Arbeitsrecht bei Subunternehmen etwa von Uber Eats, Wolt und Lieferando ein direktes Verbot dieser Praxis in Betracht. Die SPD-Politikerin hält ein Direktanstellungsgebot für die „einzige Chance, mehr Transparenz reinzubringen und für die Beschäftigten selbst eine Sicherheit zu bieten“. Damit würden die Arbeitgeberpflichten zur Einhaltung nationalen Rechts unmittelbar greifen.

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Allerdings räumt das Arbeitsministerium gegenüber dem rbb auch ein, dass die verfassungs- und europarechtlichen Hürden dafür hoch sind. Prinzipiell sei der Einsatz von Subunternehmen legitim. Eine gesetzliche Norm, die eine Direktanstellung vorschreibe, dürfe daher nur das letzte Mittel sein. Ziel müsse es sein, branchenweite Missstände zu bekämpfen. Dafür müssten zunächst umfassende und belastbare Erkenntnisse über die Probleme gewonnen werden.

Einblicke in die komplexen und oft undurchsichtigen Strukturen der Lieferdienstbranche gibt eine rbb-Recherche, die Hinweise auf kriminelle Netzwerke aufgedeckt hat. Der Bericht führt als Beispiel eine Kurierfahrerin an, die Bestellungen über die Wolt-App ausgeliefert und dann monatelang vergeblich auf ihren Lohn gewartet hat. Ihre Klage vor dem Berliner Arbeitsgericht gegen Wolt scheiterte: Sie konnte nicht nachweisen, direkt bei dem Plattformbetreiber angestellt gewesen zu sein. Wolt verwies im Prozess auf ein Subunternehmen namens IMOQX als Arbeitgeber.

Dieses Unternehmen ist jedoch an der im Handelsregister hinterlegten Adresse in Luckau nicht auffindbar. Den Reportern gelang es, den dort als Geschäftsführer eingetragenen Jarosław T. in prekären Verhältnissen in einer polnischen Kleingartensiedlung aufzuspüren. Er gab an, nichts von den ihm zugeschriebenen Firmenleitungen oder der Verantwortung für hundert Wolt-Kuriere zu wissen. Das schürt den Verdacht, dass er als Strohmann missbraucht wurde, um die tatsächlichen Verantwortlichen zu verschleiern.

Wolt hatte laut vorliegenden Vertragsdokumenten wesentliche Verantwortung für die Anstellung und Bezahlung der Kuriere auf IMOQX übertragen. In einem Schriftsatz erklärte der Dienstleister vor Gericht, er habe mit der Firma einen Gemeinschaftsbetrieb inklusive Leitungsapparat mit Jarosław T. und eigenen Führungsmitgliedern gebildet.

Für den Arbeitsrechtler Martin Bechert, der die Kurierin vertritt, stellt diese Firmenkonstruktion nur eine Hülle dar, um deutsches Arbeitsrecht auszuhebeln. Wolt selbst widerspricht und beteuert, die Verträge dienten der klaren Regelung von Verantwortlichkeiten. Die Zusammenarbeit mit IMOQX sei aber Anfang 2023 beendet worden. Zum Sachverhalt des Strohmann-Geschäftsführers und den eigenen Gerichtsaussagen hält sich Wolt bedeckt und beruft sich auf Geschäftsgeheimnisse und laufende Verfahren.

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Auch bei Uber Eats zeigt sich das Problem mit Subunternehmen: Der rbb verweist hier auf ein ausgeklügeltes System, bei dem Fahrer offiziell einen Minijob-Vertrag mit Lohnüberweisung erhalten, um Kontrollen zu bestehen. Tatsächlich erfolge die Bezahlung jedoch pro Auftrag, wobei die Fahrer bei Mehrverdienst den Rest ihres Lohnes in bar ohne Abführung von Steuern und Sozialabgaben erhielten. Provisionen und die notwendige Übernahme der Kosten für das Lieferfahrzeug führten dazu, dass der Stundenlohn unter dem Mindestlohn von 7 Euro landen könne.

Die kriminellen Strukturen offenbaren sich laut dem Bericht auch in der Reaktion auf organisierten Protest: Als im Januar in Berlin über 700 hauptsächlich indische Fahrer von Uber Eats in einer WhatsApp-Gruppe einen Streik für höhere Löhne organisierten, sollen Subunternehmer mit Drohungen bis hin zu Gewalt reagiert haben. Einer der Streikanführer sei von einem Schlägertrupp krankenhausreif geprügelt worden, woraufhin die Polizei Ermittlungen aufnahm. Uber Eats bezeichnete die Vorgänge auf Nachfrage als „inakzeptabel“ und stoppte daraufhin die Zusammenarbeit mit dem involvierten Dienstleister.

Die Plattformen Wolt und das bislang auf Direktanstellung setzende Lieferando lagern zunehmend ihre Fahrer aus. Uber Eats setzt in Deutschland ausschließlich auf Subunternehmer. Ein Direktanstellungsgebot könnte diesen Trend umkehren und die prekären Strukturen verändern, ähnlich wie es in der Fleischindustrie während der Corona-Pandemie erfolgte. Rückhalt für die Initiative kommt von der Arbeitsministerkonferenz der Länder, die einem entsprechenden Antrag für die Essenslieferdienste zugestimmt hat.

Die Arbeitsbedingungen bei klassischen Fahrdiensten wie Uber Black oder Bolt sind aufgrund ähnlicher Geschäftsmodelle ebenfalls seit Langem Gegenstand juristischer und politischer Auseinandersetzungen. Hier steht die Frage der Scheinselbstständigkeit im Vordergrund. Uber stuft seine Fahrer oft als unabhängige Vertragspartner ein, wodurch der Konzern die Pflichten eines Arbeitgebers umgeht.

Kritiker und Gerichte sehen die Chauffeure aber aufgrund der Weisungsbefugnis und strikten Vorgaben durch die App in einem De-facto-Beschäftigungsverhältnis. Über die EU-Plattformrichtlinie soll eine rechtliche Vermutung eines Angestelltenverhältnisses eingeführt werden. Hierzulande arbeitet Uber aufgrund der Vorgaben im Personenbeförderungsgesetz vor allem mit lizenzierten Mietwagenunternehmen und klassischen Taxifahrern zusammen.


(vbr)



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