Neue Untersuchung geht von Schall-Angriff auf Demonstration aus
Die Audioforensiker von Earshot haben neue Erkenntnisse zum mutmaßlichen Einsatz einer Schallkanone gegen Demonstrierende in Belgrad veröffentlicht. In der serbischen Hauptstadt hatte am 15. März dieses Jahres bei einer Großdemonstration ein bislang ungeklärter Effekt dazu geführt, dass Menschen auf einer Länge von mehreren hundert Metern und entlang einer geraden Linie panisch auseinanderliefen. Die Demonstration wurde daraufhin von den Veranstaltern abgebrochen, um weiteres Chaos zu vermeiden.
Die serbische Regierung dementiert den Einsatz von Schall- oder Vortexkanonen vehement, Präsident Aleksandar Vučić hat sogar – zumindest verbal – sein politisches Schicksal an diese Frage geknüpft. Die serbische Regierung hat allerdings den Besitz von Schallwaffen des Typs LRAD 100X und LRAD 450XL zugegeben.
Die NGO Earshot hat nach eigener Aussage für den Bericht (PDF) eine umfassende Analyse der Audioinhalte von 19 Videos durchgeführt, 15 ausführliche „Ohrenzeugen“-Interviews mit Demonstrierenden geführt und in Kooperation mit CRTA mehr als 3.000 schriftliche Aussagen von Teilnehmern ausgewertet. Im Bericht heißt es:
Die Ergebnisse dieser Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die Demonstrierenden einem gezielten Angriff mit einer gerichteten Schallwaffe ausgesetzt waren, und widersprechen den Behauptungen in einem Bericht des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) der Russischen Föderation und der serbischen Behörden, wonach die „Unruhen” von Dingen wie Feuerwerkskörpern ausgelöst worden seien und die Reaktionen der Demonstranten lediglich eine Reaktion auf einen von der Menge erzeugten Lärm gewesen seien.
Earshot untermauert diese Annahme mit verschiedene Argumenten. So hätten die Ohrenzeugen während des Vorfalls einige analytischen Fähigkeiten behalten. So konnten sie weiterhin verschiedene Geräusche unterscheiden und ihre Umgebung einschätzen. Das widerspricht laut den Audioexperten Behauptungen, wonach die Panik durch Geräusche, die von der Menge erzeugt wurde, oder durch anderweitig erklärbare akustische Auslöser wie Feuerwerkskörper ausgelöst worden sei.
Bericht hält LRAD-Schallwaffe für möglich
Earshot wendet sich auch gegen einen Untersuchungsbericht des russischen Geheimdienstes FSB, den die pro-russische serbische Regierung beauftragt hatte. Dieser Bericht wirft den Demonstrierenden vor, den Effekt selbst koordiniert zu haben.
Stattdessen verweist der Earshot-Bericht darauf, dass die serbische Regierung gerichtete Schallwaffen vom Typ LRAD 450 XL besitze und diese weite Entfernungen eingesetzt werden könnten. Dass in den unterschiedlichen Videos kein spezielles Geräusch des Effekts zu hören ist, begründet Earshot mit „spezifischen und patentierten Mechanismen, mit denen es den Schall aus seinem Lautsprecher-Array verbreitet“. Dies deute eher auf den Einsatz eines LRAD-ähnlichen Geräts hin, als dass es diesen ausschließe.
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Parallel dazu untersucht auch die „International Research Group“ den Vorfall. In der spontan entstandenen Recherchegruppe aus Hackern, Journalist:innen und Audio-Ingenieur:innen aus verschiedenen europäischen Ländern arbeitet auch netzpolitik.org mit. Sie ist der Theorie der Vortex-Kanone nachgegangen und hat eigene Experimente mit einer Vortex-Kanone durchgeführt, deren abschließende Präsentation und Bewertung noch aussteht. In einem Zwischenbericht (PDF) hatte die Recherchegruppe eine Theorie ins Spiel gebracht, die sowohl Infraschall wie Vortex erklären könnte. Die Theorie der LRAD-Schallkanonen hatte der Bericht der International Research Group wegen deren Ausrichtung auf höhere Audio-Frequenzen nicht weiter verfolgt.
Auf einer eigens eingerichteten Webseite stellt zudem ein Bündnis serbischer Organisationen eine vorläufige Auswertung von mehr als 3.000 Zeug:innenaussagen vor. Das Bündnis hatte direkt nach dem Vorfall angefangen, die Zeug:innenstimmen zu sammeln, und eine große Resonanz aus der Bevölkerung erhalten.
Die serbische Zivilgesellschaft hatte auch eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht, damit das Gericht eine vorläufige Maßnahme erlässt. Der Gerichtshof hat dieser Beschwerde teilweise stattgegeben und weist mit seiner Entscheidung die serbische Regierung darauf hin, jeglichen Einsatz von Schallgeräten zur Kontrolle von Menschenmengen sowohl von staatlichen als auch von nicht-staatlichen Akteuren künftig zu verhindern. Das Gericht unterstrich zudem, dass der Einsatz von solchen Waffen zur Kontrolle von Menschenmengen nach serbischem Recht illegal ist.
Interaktive Karte
Im Nachgang der Ereignisse hat die International Research Group eine interaktive Karte erstellt. Die Karte trägt verfügbares Material zusammen und soll dazu beitragen, die Vorgänge am 15. März in Belgrad zu rekonstruieren. Die Karte wird fortlaufend von mehreren Akteuren aktualisiert und enthält auch nicht-verifiziertes Material. Sie lässt deshalb nur mit Einschränkungen zuverlässige Rückschlüsse zu.
Rot = Ereignisse. Blau = Kameraaufnahmen des Vorfalls. Gelb = Verdächtiges / Auffälliges / Hinweise. Grün = Zusätzliches Material
Wer oft in der Kneipe sitzt, hört auch mal ein Stammtischgespräch mit. Die lautesten Stimmen prahlen da etwa mit ihrem „Fachwissen“ über das andere Geschlecht. Den Zuhörenden wird schnell klar, dass es bei den Schreihälsen privat eher einsam zugeht. Wer sich und anderen dauerhaft erzählt, wie gut er doch eine Sache beherrscht, der weist oft genau auf ebenjene Lücke hin, die es zu füllen gilt.
Dabei leben wir in einer Art Zwischenwelt, die (Ab-)Bilder von Erfahrungen, von Menschen und von Dingen prägen. Anders als an den Tresen dreschen hier Promis, Agenturen und Content Creator vor einem Millionenpublikum ihre Phrasen über „Community“ und „Authentizität“, über „Kreativität“, „Impact“ und „Awareness“.
Entfremdung und Opportunismus
„In einer Welt voller Brüche bauen wir echte Verbindungen“, lautet das Credo einer großen deutschen Marketingagentur. Wer das gleiche Produkt konsumiert, bildet keine „starke Gemeinschaft“. Im Gegenteil befördert die Beschwörung einer oberflächlichen „Community“ die Entfremdung des Einzelnen.
Mit „revealing my art“ betiteln „Künstler“ ihre Videos auf TikTok und Instagram und präsentieren den Zuschauern dann eine pechschwarze Leinwand. In Berlin kleiden sich Touristen betont abgerissen als Fashion- oder Fetisch-Punk („Recession Core“). In München, wo Secco und Sakko besser ankommen, inszeniert man sich dann lieber mit einem sauberen Look („Old Money Aesthetic“). Wie es eben passt.
Sie alle möchten sein, was sie in ihrem Opportunismus unmöglich sein können: authentisch. Nur leider reichen oft schon einige eilig hochgeladene Bilder, teuer zusammengekaufte Outfits oder schlagkräftige Slogans aus, um von anderen ernst genommen zu werden.
Bedeutungsvakuum im Blitzlicht
Doch Werbung, im kommerziellen wie im persönlichen Kontext, steht sich selbst im Weg. Die Werbenden entlarven vielmehr ihre eigene Unfähigkeit, das Gepriesene auch umzusetzen. Wer die eigene Kreativität in jedem zweiten Satz benennen muss, ist nicht kreativ. Und auch wenn wir weit davon entfernt sind: Unternehmen und Bessergestellte sollten sich den Zugang zu Subkulturen nicht einfach erkaufen können.
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– für digitale Freiheitsrechte!
Euro für digitale Freiheitsrechte!
Nun spielt sich unser Leben zunehmend in einem digitalen Las Vegas der grellen Blitzlichter und falschen Versprechungen ab. Ewige Jugend, ewige Schönheit, ewige Selbstoptimierung – durch Produkte, Work-outs und Business-Pläne.
Jeder Einzelne hat angeblich die gleichen Chancen, jeder kann der große Gewinner sein. Er muss es nur riskieren. Und hart genug arbeiten. Die schiere Endlosigkeit des Feeds spiegelt diese falsche Ideologie wider: ungezügelter Konsum, stetes Wachstum.
Hoher Tribut
Dass all das nicht stimmen kann, ist eigentlich klar. Wer dennoch gut leben will, muss aber lernen, diese Verdrehung der Wahrheit anzuerkennen und anzunehmen. Nur so lässt sich die Ambivalenz aushalten und bestenfalls meistern. Am Ende bringt der Sichtbarkeitsdrang auch die ehrlich Schaffenden dazu, ihr Werk und sich selbst durch das Nadelöhr der sozialen Medien zu verbildern und zu erzählen.
Doch die bedeutungslose Dauerberieselung mit schnelllebigen Botschaften fordert einen hohen Tribut. Die Menschen in diesem nihilistischen Show-Casino sehnen sich tatsächlich nach echter Gemeinschaft und starken Verbindungen. Das Bedeutungsvakuum verschafft regressiven Bewegungen und ihren Ideologien neuen Zulauf. Gegenüber der großen Leere und allgemeinen Ideenlosigkeit beschwören die alten Demagogen ihre totgeglaubten Werte mit neuem Erfolg: Nationalismus, Religion, Faschismus.
Der oberflächliche Erfolg der Bildermacher legt damit vor allem eines offen: Wie fragil das kulturelle und politische Fundament unserer Gegenwart ist.
Die Woche, in der sich die Überwachungspläne bei uns stapelten
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski
Liebe Leser*innen,
in Berlin ist zwar die Ferienzeit angebrochen. Sommerliche Ruhe will aber nicht so recht einkehren. Denn auf unseren Schreibtischen stapeln sich die neuen Gesetzesentwürfe der Bundesregierung. Und die haben’s in sich.
Beispiele gefällig?
Staatstrojaner: Künftig soll die Bundespolizei zur „Gefahrenabwehr“ Personen präventiv hacken und überwachen dürfen, auch wenn „noch kein Tatverdacht begründet ist“.
Biometrische Überwachung: Bundeskriminalamt, Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollen Personen anhand biometrischer Daten im Internet suchen dürfen. Auch Gesichter-Suchmaschinen wie Clearview AI oder PimEyes können sie dann nutzen.
Palantir: Bundeskriminalamt und Bundespolizei sollen Datenbestände zusammenführen und automatisiert analysieren dürfen. Das riecht gewaltig nach Palantir – was das Innenministerium in dieser Woche bestätigt hat.
Auch in vielen Bundesländern wird über Palantir diskutiert. In Baden-Württemberg sind die Grünen soeben umgekippt. Keine gewagte Prognose: Andere werden ihre Vorsätze auch noch über Bord werfen.
Die gute Nachricht: In allen drei Bundesländern, die Palantir einsetzen – Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen -, sind jeweils Verfassungsbeschwerden gegen die Polizeigesetze anhängig. Und auch die Überwachungspläne der Bundesregierung verstoßen ziemlich sicher gegen Grundgesetz und EU-Recht. Wir bleiben dran.
Martin, Sebastian und Chris im Studio. – CC-BY-NC-SA 4.0 netzpolitik.org
Diese Recherche hat für enorm viel Aufsehen gesorgt: Über Monate hinweg hat sich Martin damit beschäftigt, wie Polizeibehörden, Banken und Unternehmen unser Bargeld verfolgen und was sie über die Geldströme wissen. Die Ergebnisse überraschten auch uns, denn sie räumen mit gängigen Vorstellungen über das vermeintlich anonyme Zahlungsmittel auf. Die Aufregung um diese Recherche rührt vielleicht auch daher, dass Behörden nicht gerne darüber sprechen, wie sie Bargeld tracken. Martin selbst spricht von einer der zähsten Recherchen seines Arbeitslebens.
Außerdem erfahrt ihr, wie wir solche Beiträge auf Sendung-mit-der-Maus-Niveau bringen und warum man aus technischen Gründen besser Münzen als Scheine rauben sollte. Wir sprechen darüber, wie wir trotz schlechter Nachrichten zuversichtlich bleiben und warum wir weitere Wände im Büro einziehen. Viel Spaß beim Zuhören!
Und falls wir es in dieser Podcast-Folge noch nicht oft genug erwähnt haben sollten: Wir freuen uns über Feedback, zum Beispiel per Mail an podcast@netzpolitik.org oder in den Ergänzungen auf unserer Website.
In dieser Folge: Martin Schwarzbeck, Sebastian Meineck und Chris Köver. Produktion: Serafin Dinges. Titelmusik: Trummerschlunk.
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