Die EU-Kommission arbeitet an einem Gesetz, das Internet-Unternehmen und Diensteanbietern vorschreiben soll, Metadaten aller Kunden ohne Anlass zu speichern. Es geht darum, Verkehrsdaten für einen noch nicht näher bestimmten Zeitraum zu speichern und an staatliche Behörden herauszugeben. Man mag das Wort fast nicht mehr hören: Es geht wieder um die Vorratsdatenspeicherung.
Die Diskussionen um die Idee begannen in Europa schon kurz nach dem 11. September 2001. In Deutschland war das Thema erstmal abgeräumt, als das Bundesverfassungsgericht die damalige deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Mehr als zwanzig Jahre später steht der Zombie wieder auf, in Europa und auch in Deutschland.
Vorratsdatenspeicherung
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Der Europäische Gerichtshof hatte immer wieder darüber geurteilt und noch letztes Jahr im Grundsatz seine Position beibehalten: Eine allgemeine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist europarechtswidrig.
Doch die Kommission probiert es erneut. Im Juni kündigte sie an, eine Folgenabschätzung für eine neue Vorratsdatenspeicherung durchzuführen. Denn weil die verdachtsunabhängige Massenüberwachung ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre aller Menschen in Europa wäre, müssen die Folgen erwogen werden.
Öffentliche Konsultation
Daher läuft nun eine Befragung zur „Öffentlichen Konsultation zu einer EU-Initiative zur Vorratsdatenspeicherung durch Diensteanbieter für Strafverfahren“. Die Kommission will in dem Fragebogen wissen, was die Bevölkerung von dem Neuanlauf hält. Sie fragt darin auch nach alternativen Maßnahmen und warum sie vorzuziehen wären.
Man kann entweder die dortigen Empfehlungen in der Befragung schnell durchklicken oder aber in Ruhe die Argumente wägen und die Begründungen für die Empfehlungen lesen und sich selbst eine Meinung bilden. Einzige Voraussetzung zur Teilnahme ist eine funktionierende E-Mailadresse.
Die EU-Kommission begründet ihren Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung mit der Behauptung, dass schwere Straftaten wie Mord oder Terror mit der anlasslosen Speicherpflicht besser aufgeklärt werden könnten. Unterschiede in den gesetzlichen Regelungen der Mitgliedstaaten erschwerten eine Aufklärung von Straftaten. Generell sollen Strafverfolgungsbehörden in Europa im Rahmen der Strategie für die innere Sicherheit („ProtectEU“) mehr Zugang zu Daten erhalten.
Bisher haben die Deutschen im Vergleich mit den anderen Europäern den Spitzenplatz bei den bisher über 2.300 Konsultationsteilnehmern. Die Befragung läuft noch bis 12. September. Die Rückmeldungen sollen in den Gesetzgebungsprozess und konkret in ein Arbeitspapier einfließen, welches für das erste Quartal 2026 vorgesehen ist.
In der Antike deuteten Wahrsager aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft. Von großer Bedeutung war die Leberschau – die Leber galt als Organ, das den Zustand der Welt widerspiegelt. Für seherische Weissagungen brauchen wir heute glücklicherweise keine Tierkadaver mehr. Die dauerausgestellten Idealkörper unserer Stars sind für alle sichtbar und ihre prophetischen Deutungen erreichen täglich Tausende Menschen.
So auch der alarmierende Orakelspruch von Heidi Klum: „Wir haben anscheinend alle Parasiten und Würmer“, sagte die Model-Mama jüngst in einem Interview mit dem Wall Street Journal. Sie unterziehe sich daher mit Ehemann Tom Kaulitz einer langwierigen „Parasiten-Reinigung“.
Doch nicht nur bei Heidi ist der Wurm drin. Als „der Mann, der unsterblich sein will“ geistert Bryan Johnson schon seit einigen Jahren durch die Medien. Der US-amerikanische Geschäftsmann und „Langlebigkeits-Influencer“ stellte in seinem Podcast fest: „Unsere Eltern sind voll mit Asbest, wir sind voller Mikroplastik“. Johnson zählt sich selbst zu den „Top 1 %“, gemessen an seiner „Entzündungsrate“ und der Anzahl seiner „nächtlichen Erektionen“.
Die Katastrophe scheint also unausweichlich. Gift und Gewürm geben sich im sonst über alle Maßen gepflegten Promi-Body die Klinke in die Hand. Können uns da Mikroplastik-Tests und Wurmkuren noch retten?
Der Feind in uns
Wenn Klum und Johnson die allumfassende Verseuchung verkünden, sprechen sie gern im Plural. Wir alle sind schwer belastet durch Luftverschmutzung, Mikroplastik und UV-Strahlen, sind gezeichnet von Süchten und Faulheit. Oben drauf kommen Hass und Hetze, schlechte Kunst und mieser Content. Der Gesellschaft bleibt also gar nichts anderes übrig, als den eigenen Körper und die Umwelt als feindlich wahrzunehmen.
Dagegen „helfen“ sollen die verschiedensten Produkte: Atemschutzmasken mit eingebauten Noise-Cancelling-Kopfhörern, „Serum“ mit Lichtschutzfaktor 50 aus Südkorea, Stanley Cups für ausreichend Hydration und einen strahlenden Teint. Für die Feinde im eigenen Kopf und Körper – alternde Zellen, ansetzendes Fett, Einsamkeit oder ein undisziplinierter Geist – gibt es proteinreiche Ernährung, Pillen, Hormontherapien, Dating– und Fitness-Apps.
Die Aussicht auf die nahende Katastrophe oder gar die Todesangst der eigenen Kunden sind immer gut für das Geschäft. Das wissen die Wurm-Gurus auf TikTok, die teure Anti-Parasiten-Tinkturen vertreiben, ebenso wie die Beauty-Industrie und am besten wohl Bryan Johnson, der am regressiven Wunsch nach Unsterblichkeit kräftig mitverdient.
Sauber bleiben in einer schmutzigen Welt
Johnson und Klum verkaufen die Idee eines ewigen Lebens an verzweifelnde Kunden – und das in einer zunehmend schmutzigen Welt, die langsam aber sicher an ihrem eigenen Müll erstickt. Zwar lässt sich Mikroplastik im Gegensatz zu Heidis Parasiten nachweisen, fürs menschliche Auge aber ist es unsichtbar.
Von der eisigen Antarktis bis in die Tiefen des Marianengrabens, ob in Sperma, Uterus oder Gehirn, ob Biomarkt oder Discounter – die winzig kleinen Plastikteilchen sind bereits überall. Und wenn gesundheitsbewusste und zahlungskräftige Kunden auf das Problem aufmerksam gemacht werden, boomt das Geschäft für Johnson und Konsorten.
Johnson selbst hat bereits mit der Entplastifizierung des Körpers begonnen und seine Plastikwerte angeblich um ein Vielfaches gesenkt. Für Normalsterbliche ist das noch nicht möglich. Aber wer jetzt schon wissen mag, wie viel Mikroplastik im eigenen Blut herumschwimmt, dem verkauft Johnson Mikroplastik-Tests für 135 Dollar das Stück. Der Zweck des Produktes richtet sich dabei – wie gewohnt – auf die Bekämpfung der Symptome, nicht ihrer Ursachen.
Wiederkehr verdrängter Schuld
Gleichzeitig arbeiten diejenigen, die vor den Konsequenzen ihres eigenen Treibens am besten geschützt sind, fleißig an der kulturellen und physischen Zersetzung der Welt mit. Parasiten-Prophetin Heidi Klum, die im People Magazine verkündete, dass „Älterwerden okay ist“ und sich „total für Botox“ ausspricht, hat immerhin fünf Jahre lang für die Fast-Food-Kette McDonalds geworben.
Wen wundert es angesichts dieser Ambivalenz, dass Heidi bei ihrer berühmt-berüchtigten Halloween-Party als Riesenwurm auftrat. War das grandiose Kostüm unbewusster Ausdruck der eigenen Todesangst und des verdrängten schlechten Gewissens?
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Die Würmer folgen der armen Heidi nun selbst in die virtuelle Heimat. Im persönlichen Social-Media-Feed setzt sich die grausige Thematik fort, wie sie im Wall-Street-Journal-Interview verrät: „Gerade ist mein kompletter Instagram-Feed voll mit Würmern und Parasiten“.
Ähnliche Widersprüche tun sich bei Johnson auf. Der Influencer sagt zwar, dass „wir die Welt in Plastik gebadet haben“. Seine Olivenöl-Hausmarke „Snake Oil“ verkauft er aber dennoch in reisetauglichen Plastiksäckchen zu je 15 Milliliter.
Die Langlebigkeits-Jünger loben das Schlangen-Öl in zahlreichen Kommentaren auf der Verkaufs-Website: „Kein Problem mit dem Geschmack, ich nehme jeden Morgen problemlos einen Esslöffel ein. Das Flaschendesign gefällt mir sehr.“ Und ein anderer schreibt: „Ich trinke gerade meine fünfte Flasche Olivenöl.“ Amerikaner eben.
Madige Aussichten
Wer den Menschen Parasiten andichtet und sie glauben machen will, dass die Mikromenge an „Polyphenolen“ in Olivenöl ewiges Leben verheißt, der ist kein Seher, sondern ein Scharlatan.
Und während die tatsächliche Plastikwerdung von Umwelt und Körper voranschreitet, sind Klum und Johnson vermutlich die Ersten, die sich von Verkaufsschalter und Behandlungstisch auf ihre vom Plebs abgeschirmten Yachten oder in sterile Bunker flüchten.
Grund zur Hoffnung gibt es trotzdem. Für die Verwurmten unter uns hat die Model-Mama immerhin noch einen Hausmittel-Tipp parat: „Der Parasit hasst Nelken. Er hasst auch die Samen einer Papaya.“
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski
Liebe Leser:innen,
zu Beginn dieser Woche hab ich zufällig ein kurzes Video über Bambus angeschaut. Wusstet ihr, dass einige Arten pro Tag fast einen Meter in die Höhe schießen? Man kann ihnen buchstäblich beim Wachsen zusehen.
Ich bin dann in ein Wurmloch gefallen und hab erfahren, dass Bambus es bei der Zugkraft mit Stahl aufnehmen kann. Dass er weit mehr Sauerstoff freisetzt als Bäume. Und natürlich essen ihn süße Pandabären.
Ein weit weniger erbauliches Bild zeigt die zurückliegende (netz-)politische Woche. Vorratsdatenspeicherung, Daten-Rasterfahndung, biometrische Live-Videoüberwachung – die ungeheuerlichsten Überwachungspläne sprießen gerade so aus dem Boden. Gleichzeitig will die Bundesregierung die Zivilgesellschaft unter Extremismus-Generalverdacht stellen, um ihr die Mittel und Rechte zu beschneiden. Und daneben fällt ihr nichts Besseres ein, als den Druck auf marginalisierte Menschen einmal mehr zu erhöhen – mit weiteren Streichungen und noch härteren Sanktionen.
Mir war klar, dass die Bäume mit Schwarz-Rot nicht in den Himmel wachsen werden. Dass die Regierung aber so rasch und beherzt Richtung Autoritarismus und Überwachungsstaat marschiert – wie auch Lena Rohrbach und Philipp Krüger von Amnesty International mit Blick aufs geplante Bundespolizeigesetz konstatieren –, habe ich dann doch nicht erwartet.
Zurück zum Bambus. Auch wir sind diese Woche ordentlich gewachsen. Drei neue Menschen gehören seit dem 1. September unserem Team an. Timur ist unser erster Volontär und macht nebenher noch Beiträge für KiKA. Bahn-Nerd Ben ist für die nächsten 12 Monate unser Bundesfreiwilliger. Und Fio unterstützt uns ab sofort bei der Social-Media-Arbeit. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!
Verabschieden mussten wir uns von Lilly, die uns ein Jahr lang tatkräftig als Bundesfreiwillige unterstützt hat. Wie sie auf ihre Zeit bei uns zurückblickt, erzählt sie in der aktuellen Folge unseres Podcasts Off/On. Hört gerne rein. Und vielen Dank für alles, Lilly!
Habt ein schönes Wochenende
Daniel
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Seit Monaten protestieren Microsoft-Mitarbeitende in den USA dagegen, dass ihr Unternehmen Geschäftsbeziehungen zum israelischen Militär und der israelischen Regierung unterhält. Microsoft hat einige demonstrierende Angestellte entlassen. Zugleich will das Unternehmen prüfen, ob israelische Streitkräfte die Azure-Plattform zur Überwachung von Palästinenser:innen nutzen.
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Wie unsere jüngsten Team-Mitglieder auf unsere Arbeit und Soziale Medien blicken
Ingo, Karoline und Lilly bei der Arbeit
Karoline ist seit zwei Monaten Praktikantin bei uns. Lilly war seit September 2024 unsere Bundesfreiwillige im Rahmen eines „Freiwilligenjahres Beteiligung“. In der neuen Ausgabe Off The Record erzählen die beiden, was sie bei uns erlebt haben. Welche Tätigkeiten haben sie übernommen? Was haben sie gelernt? Und wie ist das so als junger Mensch in einem älteren Team?
Außerdem gibt’s eine kleine Meme-Nachhilfestunde. Wir sprechen nämlich auch über ihre Erfahrungen mit unserer Community und über die Rolle Sozialer Medien. Lilly hat im letzten Jahr unseren Instagram-Account betreut, Karoline hat sich im Studium intensiv mit Social Media beschäftigt. Was denken die beiden: Sollten wir den Insta-Account unserer Redaktion dichtmachen?
In dieser Folge: Ingo Dachwitz, Karoline Tanck und Lilly Pursch. Produktion: Serafin Dinges. Titelmusik: Trummerschlunk.
Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format. Ein maschinell erstelltes Transkript gibt es im txt-Format.
Unseren Podcast könnt ihr auf vielen Wegen hören. Der einfachste: in dem Player hier auf der Seite auf Play drücken. Ihr findet uns aber ebenso bei Apple Podcasts, Spotify und Deezer oder mit dem Podcatcher eures Vertrauens, die URL lautet dann netzpolitik.org/podcast.
Wir freuen uns über Kritik, Lob, Ideen und Fragen entweder hier in den Kommentaren oder per E-Mail an podcast@netzpolitik.org.
Links und Infos
Blattkritik
Karolines Text über verschwundene Porno-Games
Ingos Text über den Wasserverbrauch von Rechenzentren: Immer noch nicht erschienen…