Softwaredesign wie Glas – gefällt’s oder nicht? › PAGE online
Aufregende Neuigkeiten aus dem Hause Apple lassen die Designszene diskutieren. Und wie finden Kreative das neue Design? PAGE hat nachgefragt.
Icon Composer
Die WWDC 2025 hatte am 9. Juni einige Neuerungen veröffentlicht. Eine davon war Apples frisches iPhone Design. iOS 26 (die 19. Version) wurde als das Highlight gelauncht und wird voraussichtlich im Herbst 2025 auf den Markt kommen. Und tatsächlich ist »Liquid Glass« sehr schnell in aller Munde heiß diskutiert worden.
PAGE hat sich umgehört und zwei Stimmen dazu eingeholt. Stephan Kochs von Rebelko und Oliver Griep vom zuzy.studio haben sich geäußert, was gut gefällt und was so gar nicht überzeugt. Verraten sei, dass die Meinungen in verschiedene Richtungen gehen, aber auch unterschiedliche Designaspekte ansprechen.
»Kaum war das Liquid Glass Design vorgestellt, schon kamen die ersten Vergleiche mit Windows Vista um die Ecke. Klar, transparent und ein bisschen verspielt – da liegen die hämischen Meme-Posts ja schon auf der Hand. Aber mal ehrlich: So halbgar und undurchdacht wie damals bei Microsoft lässt man bei Apple ja eher nichts von der Werkbank.
Was man da sieht, ist zwar auch Neumorphismus und kommt natürlich vom Vision OS der Brille, aber es ist auch eine konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Designlinie. Schon seit iOS 7 werden die Apple Interfaces ja schrittweise immer plastischer und durchlässiger. Aber das hier geht viel weiter und sieht beeindruckend flüssig aus.
Das Material verändert sich dynamisch mit dem Kontext, ist transluzent, passt sich Lichtverhältnissen an und bringt eine nützliche visuelle Tiefe ins Interface. Auf den ersten Blick ist das Erlebnis und die Bedienung wirklich flüssiger und weniger aufdringlich.
Das Spannende ist für mich aber hier gar nicht mal nur der Look, sondern wie sehr sich Menüs und Interface-Elemente verändert haben. Statt alles mit halbtransparenten Overlays zu überdecken, tauchen Kontextmenüs jetzt genau da auf, wo man sie braucht – platzsparend, elegant und wesentlich aufgeräumter. Gerade auf dem Smartphone macht das funktional echt was her. Und genau deswegen passt der Vista-Vergleich schon mal gar nicht.
Was mich allerdings (noch) nicht überzeugt: die Umsetzung auf dem Desktop. Die ersten Eindrücke von macOS wirken teilweise noch etwas überambitioniert – man wird sehen müssen, wie sich das im Alltag anfühlt. Denn ein Mauszeiger auf einem großen Screen ist eben doch etwas anderes als ein Wisch mit dem Finger auf einem kleinen Display, welches dynamisch in der Hand liegt.«
Oliver Griep vom zuzy.studio und Lehrbeauftragter an der HAWK Hildesheim:
Mit »Liquid Glass« zelebriert Apple Hochglanzästhetik – und sich selbst. Dafür wird jedoch geopfert, was Interfacegestaltung eigentlich leisten soll: Orientierung, Zugänglichkeit und Effizienz. Was als technisch brillanter Effekt inszeniert wird, ist in der Praxis vor allem eines – ein Rückschritt funktionaler Gestaltung.
Tatsächlich ist es nicht die 2000er-Windows-Ästhetik, die am meisten irritiert – die Glaseffekte lassen sich, so bleibt zu hoffen, künftig deaktivieren. Schwerer wiegt, dass »Liquid Glass« in seiner aktuellen Ausprägung zentrale Fortschritte im Bereich inklusiver Nutzererfahrung ignoriert. Statt Klarheit erzeugt es Unruhe, die kaum zu kontrollieren ist – ein ernstzunehmendes Hindernis, insbesondere für Menschen mit visuellen Beeinträchtigungen oder neurodivergenten Wahrnehmungsmustern.
Hinzu kommt: Der nun immer vorhandene Rand reduziert auf kleineren Geräten wie einem iPhone die nutzbare Fläche erheblich. Bedienelemente werden zusammengedrängt, bisher direkt zugängliche Funktionen verschwinden in zusätzlichen Navigationsebenen. Das erschwert die Orientierung und macht die Bedienung unnötig komplex.
Prinzipien, die über Jahre hinweg etabliert wurden – dass Design für alle gedacht ist und Barrierefreiheit kein Add-on, sondern Standard ist –, werden hier im Handstreich durch schillerndes Ornament ersetzt.
Die Kombination aus mangelndem Kontrast, visueller Überfrachtung und verschachtelter Logik ist nicht nur ein Rückschritt, der Nutzer:innen ausschließt. Sie erweist auch Designer:innen, die seit Jahren dafür kämpfen, dass Gestaltung mehr ist als bloße Oberfläche, einen Bärendienst.
Die gute Nachricht: Es handelt sich um eine Beta-Version. Die Schwächen sind offensichtlich – und damit vermutlich korrigierbar. Wenn Apple es mit seinen eigenen, inklusiven Ansprüchen ernst meint, sollte das System am Ende nicht nur technisch und visuell beeindrucken, sondern auch verständlich, funktional und zugänglich sein.«