Künstliche Intelligenz
Überwachung made in EU: Dobrindt vermeidet klares Nein zur Chatkontrolle
Nach dem Wechsel beim Bund von der Ampel-Koalition zu Schwarz-Rot befürchten Grundrechtsaktivisten, dass die neue Bundesregierung im jahrelangen Streit um die Chatkontrolle auf EU-Ebene nachgeben könnte. Eine Antwort von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf eine parlamentarische Anfrage befeuert diese Sorgen nun noch.
Die EU-Kommission brachte ihren Entwurf für eine Verordnung zur massenhaften Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch schon Mitte 2022 auf den Weg. Sie will mit der damit verknüpften Chatkontrolle vor allem auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, iMessage, Signal und Threema dazu verdonnern können, Missbrauchsfotos und -videos in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. Eine sichere Verschlüsselung dürfte damit perdu sein. Im Gegensatz zum EU-Parlament konnten sich die Mitgliedsstaaten trotz mehrjähriger Debatten nicht auf eine gemeinsame Position zu dem Vorhaben einigen.
Das Bundesinnenministerium (BMI) hob auf eine Anfrage von Jeanne Dillschneider, Obfrau der Grünen-Bundestagsfraktion im Bundestagsausschuss für Digitalisierung, jetzt laut der Frankfurter Rundschau (FR) hervor, dass der Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen „höchste Priorität“ habe. Das Ziel der EU-Verordnung, dafür „klare, dauerhafte und grundrechtskonforme Rechtsgrundlagen“ zu schaffen, sei daher zu begrüßen. Dazu kommt die Versicherung, sich „weiterhin für den größtmöglichen Schutz aller betroffenen Grundrechte“ einsetzen zu wollen.
Nachdrücklicher Appell an Dobrindt
„Die Bundesregierung drückt sich ganz bewusst um eine Beantwortung der Frage“ nach einer potenziellen Zustimmung zur Chatkontrolle im EU-Ministerrat, kritisiert Dillschneider die vage Aussage gegenüber der FR. Die deutsche Exekutive müsse sich deutlich dafür starkmachen, „effektiven Kinderschutz und Schutz digitaler Privatsphäre miteinander zu verbinden – statt beides gegeneinander auszuspielen“.
Zuletzt war die vormalige polnische Ratspräsidentschaft mit ihrer Initiative gescheitert, die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach Missbrauchsdarstellungen in eine dauerhafte Erlaubnis zu überführen. Damit wäre eine verpflichtende Chatkontrolle vom Tisch gewesen. Der neue, seit Anfang Juli amtierende dänische Ratsvorsitz will eine Verständigung auf eine gemeinsame Linie zu der Verordnung unter Hochdruck vorantreiben.
Bislang gibt es im Rat eine Sperrminorität von Staaten, die sich gegen die Chatkontrolle stellen. Dazu gehören neben Deutschland beispielsweise die Niederlande, Polen, Österreich, Schweden und Slowenien. Die Bundesregierung gilt als Zünglein an der Waage. Sollte sie einknicken, dürfte einem Ratsbeschluss nur noch wenig entgegenstehen. Das Bündnis „Chatkontrolle stoppen!“, dem etwa der Chaos Computer Club (CCC), Amnesty International und die Gesellschaft für Informatik beigetreten sind, richtete erst Mitte Juni einen eindringlichen Appell an Dobrindt. In einem offenen Brief forderte die zivilgesellschaftliche Initiative den Minister zum Schutz von Verschlüsselung für die Gesellschaft und zum Einsatz gegen die Chatkontrolle auf. Diese wäre nicht vereinbar mit europäischen Grundrechten und dem Grundgesetz.
(nie)