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Datenschutz & Sicherheit

Wie MeinJustizpostfach die Privatsphäre gefährdet


Gerne würde Sabrina W.* das MeinJustizpostfach benutzen. Damit könnte sie schnell und direkt mit dem Gericht oder der Ausländerbehörde kommunizieren. Sie arbeitet in einer deutschen Großstadt ehrenamtlich als gerichtlich bestellte Betreuerin für Geflüchtete.

Als großen Vorteil sieht Sabrina W. es, dass das Postfach automatisch einen Nachweis darüber erstellt, wenn eine Nachricht bei öffentlichen Stellen wie Gericht, Arbeits- oder Einwohnermeldeamt eingeht. Mit dem regulären Briefverkehr ist das nicht gesichert. Daher nutzt sie noch immer meistens das Fax. Es erstellt einen Sendebericht und ist so für beide Seiten nachweissicher.

Warum Sabrina W. das MeinJustizpostach (MJP) nicht nutzt? Sie hat Sorge davor, dass ihre personenbezogenen Daten in die falschen Hände geraten. Als Betreuerin zweier geflüchteter Menschen will sie sich vor Stalking und Ähnlichem schützen.

Tatsächlich brauchen Nutzer*innen des MJP großes Vertrauen in das Justizwesen. Denn mit dem Postfach werden sie laut Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) in einem „sicheren Verzeichnis“, dem SAFE-Verzeichnisdienst, eingetragen. Dieser besteht aus den föderierten SAFE-Verzeichnisdiensten (PDF) der Justiz sowie der Bundesrechtsanwalts-, der Bundesnotar- und der Steuerberaterkammer.

Breiter Zugriff auf SAFE-Verzeichnis

Wie das Landesministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg gegenüber netzpolitik.org schreibt, können Menschen aus der Justiz und Inhaber anderer besonderer elektronischer Postfächer MJP-Nutzer*innen suchen und adressieren. Andere besondere Postfächer sind etwa das besondere elektronische Anwaltspostfach, das besondere elektronische Notarpostfach, das besondere elektronische Steuerberaterpostfach oder das elektronische Behördenpostfach. Das Ministerium ist für den Betrieb des MJP und für die datenschutzrechtlichen Fragen zuständig.

Laut ERVV müssen im SAFE-Verzeichnis Vor- und Nachname, Anschrift und Länderkennung von Nutzer*innen des MJP gespeichert werden und abrufbar sein. Wie das Ministerium mitteilt, müssen diese personenbezogenen Daten „in ihrer Gesamtheit“ vorliegen, um den Absender einer Nachricht „eindeutig und zweifelsfrei authentifizieren zu können“.

Das Problem: Damit können eine ganze Reihe Personen auf diese Daten zugreifen. Laut konservativer Schätzung des IT-Sicherheitsexperten und Netzaktivisten Markus Drenger sind das gut eine Millionen Menschen. Wer genau auf die Daten zugreifen kann, sagt das Ministerium auf Anfrage nicht. Doch es ist davon auszugehen, dass darunter mindestens folgende Gruppen und Einrichtungen sind: Rechtsanwält*innen, Steuerberater*innen, Notar*innen, Staatsanwält*innen, Richter*innen, Vergabekammern, Städte und Gemeinden, Landesbehörden und -ministerien, Bundesbehörden und -ministerien. Hinzu kommen unter anderem die Angestellten etwa in Kanzleien, die häufig eigene Accounts haben.

Funktionalität vor Datenschutz?

Zugriff haben aber auch Jurist*innen, über die die Verzeichnisdaten mittelbar in die Privatwirtschaft gelangen könnten. Drenger nennt hier die sogenannten Syndikusanwält*innen: Sie sind als Rechtsanwält*innen zugelassen, jedoch überwiegend oder ausschließlich für ein privates Unternehmen, eine Bank oder einen Verband im Rahmen eines Dienstvertrages tätig.

Laut Drenger gebe es hier ein grundsätzliches Problem: Was ist ein vertraulicher Umgang mit personenbezogenen Daten und inwiefern ist der überhaupt möglich, wenn so viele Personen Zugriff auf ein wachsendes Verzeichnis haben?

Hierzu äußert sich das zuständige Ministerium in Baden-Württemberg nicht. Es betont aber, dass das MJP in seiner derzeitigen Ausgestaltung den bestehenden gesetzlichen und verordnungsrechtlichen Vorgaben entspreche. Außerdem bestünden „besondere dienst- und standesrechtliche Verschwiegenheitspflichten“ für alle Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr, die Zugriff auf das Verzeichnis haben.

Das Ministerium wolle nun aber prüfen, ob mit dem MJP – entsprechend dem Gebot der Datensparsamkeit – fortan weniger Daten als bisher erfasst und gespeichert werden können. Die Priorität sieht das Ministerium allerdings klar auf der „Aufrechterhaltung der nötigen rechtlich-funktionalen Anforderungen“. Mit anderen Worten: Funktion kommt vor Datenschutz.

BundID als Voraussetzung

Die Datenschutzrisiken sind bereits seit längerem bekannt. Im Herbst 2023 gaben das Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium unter der Ampel-Regierung den Startschuss für das MJP. Sie bewarben das Postfach damit, dass Bürger*innen und Unternehmen „Klagen bei Gericht rechtswirksam einreichen oder Dokumente wie Mietverträge oder Bußgeldbescheide auf sichere Weise elektronisch an ihre Anwälte übermitteln“ können.

Besonders hervorgehoben wurde damals, dass mit dem MJP auch die BundID eine weitere Anwendung findet: Interessierte müssen sich mit ihrem ePerso für eine BundID registrieren, um sich damit beim MJP anmelden zu können. Die dort hinterlegten Daten werden dann an die Justizverwaltung weitergeleitet.

Schon damals ignorierten die zuständigen Behörden Mahnungen, dass es für bestimmte Menschen riskant ist, wenn ihre Daten in dem SAFE-Verzeichnis hinterlegt sind, so Drenger, etwa „Stalkingopfer oder Personen aus Sicherheitsbehörden, Staatsanwälte die gegen organisierte Kriminalität ermitteln“. Auch gebe es gute Gründe, warum etwa auch Prominente ihre Daten nicht öffentlich teilen möchten.

Eine digitale Lösung, um mit Gerichten und Behörden kommunizieren zu können, ist sehr bequem, sagt Drenger gegenüber netzpolitik.org. Doch eine sichere Alternative zum MJP gebe es bislang nicht. Während früher viele Menschen widersprochen hätten, „um nicht mit Namen und Telefonnummer im Telefonbuch aufzutauchen“, erwarte „das Innenministerium heute, dass alle Menschen mit Namen und Adresse in einem quasi-öffentlichen Verzeichnis genannt werden.“


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Für Meldesperre „nicht geeignet“

Das MJP übergeht zudem die Meldesperre. Eine solche Sperre richten Menschen beim Einwohnermeldeamt ein, wenn sie aus Sicherheitsgründen ein hohes Bedürfnis nach Datenschutz haben, etwa weil sie sich vor stalkende Ex-Partner*innen schützen möchten, als Journalist*innen arbeiten oder Zeug*innen eines Verbrechens wurden.

Zur Meldesperre findet sich auf der Website des MJP nur ein lapidarer Warnhinweis: Ausweisdaten, konkret „personenbezogene Daten aus der BundID“, würden „selbst bei Vorliegen einer Meldedatensperre an Dritte übermittelt“. Daher sei die Nutzung des MJP für Personen, „für die im Melderegister eine Auskunftssperre eingetragen ist, gegenwärtig nur bedingt geeignet“.

Das Justizministerium Baden-Württemberg stellt immerhin in Aussicht, dass „im Zuge der Weiterentwicklung des MJP die Einrichtung eines Postfachs auch ohne Veröffentlichung der Anschrift“ möglich werden soll.

Dass Nutzer*innen aber bis dahin selbst dafür verantwortlich sind, „das Kleingedruckte zu lesen, ist wie Autofahrern zu sagen, sie sollen sicher fahren, wobei man auf den Einbau von Gurten und Airbags verzichtet“, kritisiert Drenger. Auch das für die BundID zuständige Bundesinnenministerium nehme bewusst in Kauf, „dass Menschen hier unter die Räder kommen“. Mit Blick auf die Sicherheit hätten die Verantwortlichen hier bessere Vorsorge treffen können, sagt Drenger.

Nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt

Was ebenfalls seit langem bekannt ist: Die Kommunikation über das Postfach verläuft nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt.

Das Justizministerium Baden-Württemberg erklärt auf Anfrage von netzpolitik.org, dass das MJP Nachrichten Ende-zu-Ende-verschlüsselt übermittle – „bis in den Webclient des Bürgers“. Die Verschlüsselung erfolge dabei in der Sende- und Empfangssoftware, die Teil der Postfachinfrastruktur ist. Nutzer*innen könnten Nachrichten ausschließlich mittels „Verschlüsselungszertifikat mit PIN des jeweiligen Nutzers“ entschlüsseln.

Laut Drenger funktioniere das MJP aber im Grunde wie ein klassischer E-Mail-Dienstleister. Denn die Nachrichten an die Nutzer*innen werden nur für den Transport verschlüsselt. Für die Betreiber der Postfächer bleiben sie hingegen lesbar.

* Sabrina W. hat eigentlich einen anderen Namen.



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Trump setzt auf „strategisches Chaos“


Die politische Lage in den USA spitzt sich zu. Vergangene Woche hat der autoritär auftretende Präsident Donald Trump Militärtruppen nach Kalifornien entsandt, um Proteste gegen die Einwanderungsbehörde ICE zu ersticken. Erschreckende Bilder wie die Abführung des demokratischen Senators von Kalifornien, Alex Padilla, gingen um die Welt.

Am Wochenende nahm Trump an seinem Geburtstag eine Militärparade in der Hauptstadt Washington ab – höchst ungewöhnlich für die USA, selbst wenn die Armee am gleichen Tag ihren 250. Geburtstag hatte. Zugleich regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung, nicht nur in Los Angeles. Landesweit kam es am Samstag zu massiven Protesten unter dem Motto „No King“ – „Kein König“ in mehr als 2.000 Städten.

Sind die USA noch vor der autoritären Komplettübernahme durch Trump und seine Bewegung zu retten? Wir haben den Verfassungsrechtler Anthony Michael Kreis gefragt, was gerade passiert und worauf es jetzt ankommt. Kreis ist Professor an der Georgia State University und begleitet die Umwälzungen kritisch unter anderem auf Bluesky.

Man in suit with mustache
Anthony Michael Kreis. – Alle Rechte vorbehalten private

Das Interview wurde auf Englisch geführt und lässt sich hier im Original nachlesen.

„Strategisches Chaos“ der Trump-Regierung

netzpolitik.org: Hierzulande beobachten viele Menschen ungläubig, was mit einem der wichtigsten Verbündeten Deutschlands und einem Land geschieht, das sie immer als stabile Demokratie wahrgenommen haben. Wie würden Sie die Ereignisse der vergangenen Monate in Ihrem Land beschreiben?

Anthony Kreis: Das Beste, was ich dazu sagen kann, ist „strategisches Chaos“. Die Trump-Regierung arbeitet mit Hochdruck daran, Institutionen zu zerstören und die Handlungsfähigkeit des Staates zu schwächen, oft unter Missachtung des Rechts. Und sie vertritt Positionen, die die Verfassung zutiefst verletzen. Leider gab es so viele Angriffe auf die Verfassung und die amerikanische Demokratie, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.

netzpolitik.org: Wie wir in den zurückliegenden Wochen gesehen haben, hat Donald Trump Nationalgarde und Marines in Kalifornien eingesetzt, um Proteste niederzuschlagen. Gibt es dafür einen Präzedenzfall, und was sagt das Gesetz über den Einsatz von Streitkräften im Inland?

Anthony Kreis: Der Einsatz von Bundestruppen oder der Nationalgarde ist äußerst selten – insbesondere, weil die lokalen Behörden nicht um Unterstützung gebeten haben. Nach amerikanischem Recht ist es unzulässig, Bundestruppen zur Durchsetzung ziviler Gesetze einzusetzen. Sie können Bundesgebäude und Beamte schützen, aber in der Regel ist dies eine Maßnahme der letzten Instanz. Die Tatsache, dass der Präsident so leichtfertig Truppen auf amerikanischen Straßen einsetzt, lässt mich vermuten, dass es hier um eine Machtdemonstration geht – und nicht um die Durchsetzung des Gesetzes und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Angesichts der relativ isolierten Natur des Problems inmitten überwiegend friedlicher Demonstrierender hätte das alles auch von nichtmilitärischem Personal geleistet werden können.

Demokratie am Tiefpunkt

netzpolitik.org: Wenn das Ziel darin bestand, die Zivilgesellschaft von Protest abzuschrecken, scheint es gescheitert zu sein: Am vergangenen Wochenende gab es im ganzen Land massive „No King”-Proteste, selbst angesichts der politisch motivierten Ermordung einer demokratischen Abgeordneten in Minnesota. Wie gesund ist die US-Zivilgesellschaft derzeit, und wie mächtig können Proteste sein, um Veränderungen zu bewirken?

Anthony Kreis: Die amerikanische Demokratie befindet sich derzeit an einem Tiefpunkt. Die Drohungen mit politischer Gewalt, die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Versuche, demokratische Institutionen auszuhöhlen, zeigen, wie ernst die Lage ist. Proteste können natürlich dazu beitragen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Menschen zu ermutigen, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Letztendlich müssen die Menschen jedoch protestieren – und wählen gehen. Es wird ein langfristiges, ernsthaftes Engagement von Millionen von Amerikanern erfordern, um dieses jüngste Kapitel des demokratischen Rückschritts in den USA zu beenden.

netzpolitik.org: Wahlen funktionieren nur, wenn sie Konsequenzen haben. Aber es scheint, dass der Kongress keinen nennenswerten Druck auf Trump ausübt. Ist das ein Problem, das durch das US-Verfassungssystem verursacht wird? Oder ist ein politisches Problem?

Anthony Kreis: Wir sprechen oft davon, dass die drei Gewalten sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen. Historisch gesehen geht es jedoch eher um die Trennung der Parteien als um die Trennung der Gewalten. Solange die Republikaner den Kongress und den Verfassungsgerichtshof kontrollieren, wird es weniger institutionellen Widerstand seitens der Legislative und der Judikative geben. Damit dies geschieht, müsste sich die Lage grundlegend ändern und Trump an Popularität unter den Republikanern verlieren. Ansonsten hängt für die Demokraten viel von den Wahlen im Jahr 2026 ab. Das ist dann ihre einzige echte Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.

USA in der Verfassungskrise

netzpolitik.org: Haben die Demokraten bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt oder haben sie noch Optionen?

Anthony Kreis: Sie haben kaum andere Möglichkeiten, als die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bislang haben sie das nicht besonders gut gemacht.

netzpolitik.org: Bis zu den Wahlen 2026 wird also der Supreme Court in den meisten dieser Fragen das letzte Wort haben. Bislang waren seine Entscheidungen für die Trump-Regierung eher durchwachsen. Aber Trump versucht weiterhin, offensichtlich illegale Anordnungen durchzusetzen, sei es der Einsatz des Militärs im Inland oder die Abschaffung des verfassungsmäßig garantierten Geburtsortsprinzips. Wir haben bereits gesehen, dass Trump Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat. Befinden sich die USA bereits in einer Verfassungskrise?

Anthony Kreis: Jeder wird „Verfassungskrise” anders definieren. Für mich ist es ein Moment, in dem die Rechtsstaatlichkeit bedroht ist und die Machthaber versuchen, Regeln und Institutionen außerhalb eines legitimen Prozesses zu ändern – mit anderen Worten: willkürliche und instabile Regierungsführung („Governance“). Das ist seit Januar der Zustand in Amerika. Ich würde sagen, wir befinden uns in einer Verfassungskrise.



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Lass uns jetzt gemeinsam WhatsApp verlassen


WhatsApp hat das Internet zu einem besseren Ort gemacht. Für viele Menschen war es lange Zeit selbstverständlich, dass man andere auf WhatsApp erreichen kann. Ohne absurde Zeichenbegrenzung wie bei der SMS. Ohne den hölzernen Charakter einer E-Mail. Und mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, sodass niemand die Nachrichten auf dem Weg abfangen und mitlesen kann. Danke, WhatsApp!

Aber mit WhatsApp geht es bergab. Der Messenger, der inzwischen zu Meta gehört, soll Geld abwerfen. Meta ist der Konzern, der auch Facebook und Instagram betreibt. An dessen Spitze steht Multi-Milliardär Mark Zuckerberg, der sich darum bemüht, Donald Trump zu gefallen. Und als würde Meta nicht schon genug Geld verdienen, soll jetzt auch noch WhatsApp Werbung bekommen.

Werbung bei WhatsApp: Jahrelang war das tabu. Im Jahr 2012, vor der Übernahme durch Mark Zuckerberg, da schrieben die WhatsApp-Chefs noch :

Werbung ist nicht nur die Störung der Ästhetik, die Beleidigung deiner Intelligenz und die Unterbrechung deines Gedankengangs. Bei jedem Unternehmen, das Anzeigen verkauft, verbringt ein erheblicher Teil des Engineering-Teams seinen Tag damit, die Datenanalyse zu optimieren […]. Sobald Werbung im Spiel ist, bist du als Nutzer*in das Produkt.

2012 ist lange her. Die Gründer von WhatsApp sind schon länger nicht mehr an Bord. Inzwischen ist WhatsApp für viele Menschen nicht mehr wegzudenken. Wie sonst soll man die Familie erreichen, die Leute im Verein, die Bekanntschaft aus der Bar? WhatsApp gehört für viele zur Grundversorgung. Und gerade deshalb sollte WhatsApp keine Werbung haben.

WhatsApp hat uns „absolut“ verarscht

Wie absurd wäre Werbung an anderen Stellen, die zur Grundversorgung gehören? Stellt dir vor, dein Telefonanbieter würde Werbung einführen. Du könntest niemanden mehr anrufen, ohne dir zuerst einen Werbeclip anhören zu müssen. Oder die Post würde Werbung einführen: Du dürftest Briefe nur noch in Umschlägen verschicken, die zugekleistert sind mit knallbunten Anzeigen. Das würde sich einfach falsch anfühlen.

Nach der Übernahme durch Facebook hatte WhatsApp noch mit Nachdruck versprochen, im Messenger solle es auch in Zukunft keine Werbung geben:

Und du kannst dich absolut darauf verlassen, dass deine Kommunikation nicht durch Werbung gestört wird.

Das Wort „absolut“ griff auch Mark Zuckerberg auf, als er im Jahr 2014 sagte:

Wir werden unsere Pläne rund um WhatsApp absolut nicht ändern. […] WhatsApp wird völlig eigenständig arbeiten.

Tja, jetzt kommt die Werbung doch. Inklusive möglicher Personalisierung über andere Meta-Dienste hinweg, also Instagram und Facebook. WhatsApp hat damit seine über Jahre gepflegten Ideale verraten. Worauf sollten wir uns nochmal „absolut“ verlassen? Sieht aus, als hätten uns WhatsApp und Mark Zuckerberg absolut verarscht.

WhatsApp-Chef weicht Fragen aus

Die neue Werbung soll im Tab „Aktuelles“ zwischen Status-Updates zu sehen sein. Das heißt, die Gespräche mit den eigenen Kontakten bleiben vorerst werbefrei. Aber wer weiß, wie lange noch? Der SPIEGEL wollte von WhatsApp-Chef Will Cathcart wissen, ob WhatsApp bald auch noch die Chats und den Startbildschirm zur Werbefläche macht. „Können Sie uns versprechen, dass Sie dies in den nächsten zwei Jahren nicht tun werden?“, lautetet die Frage.

Das ist eine simple Frage. Man kann sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten.  Aber Will Cathcart hat nicht mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet.

Er hat gesagt: „Unser Fokus geht nicht in diese Richtung“.

Bei so einer ausweichenden Antwort gehen meine Alarmglocken an. Offensichtlich will sich WhatsApp alle Optionen offenhalten. Und WhatsApp macht sich nicht einmal die Mühe, das offen zu sagen. Stattdessen übt sich der WhatsApp-Chef in Wortakrobatik. Wer so aalglatt antwortet wie Will Cathcart, der will Menschen verarschen. Hätte er doch nur gesagt: „Vielleicht, keine Ahnung.“ Das wäre ehrlicher gewesen.

WhatsApp hat ein Privatsphäre-Problem

Es gibt noch mehr gute Gründe, WhatsApp zu verlassen. Trotz Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt der Messenger unsere Privatsphäre nicht gut. Um zu funktionieren, will WhatsApp Zugriff auf das gesamte Telefonbuch haben. Inklusive der Kontakte, die kein WhatsApp haben. WhatsApp erklärt zwar, dass diese Nummern nicht im Klartext gespeichert würden; Fachleute wie der IT-Sicherheitsforscher Mike Kuketz beruhigt das aber nicht.

Mehr noch: WhatsApp erfasst, wer wann mit wem Kontakt hatte. Der Zuckerberg-Konzern kann zwar nicht lesen, worum es inhaltlich geht, dank Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Aber WhatsApp hat das wertvolle Wissen, wer mit wem vernetzt ist – und wie eng. Das sind die sogenannten Metadaten. Obendrauf kommen Eckdaten wie Profilbild und Status, die nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind.

Solche Daten sind mächtig. Der Whistleblower Edward Snowden hat in seiner Biografie geschrieben:

Die unbequeme Wahrheit ist aber gerade, dass der Inhalt unserer Kommunikation nur selten so viel über uns verrät wie ihre anderen Elemente. Es sind die ungeschriebenen, unausgesprochenen Informationen, die den weiteren Kontext und unsere Verhaltensmuster offenbaren.

Wie gefährlich ist das, wenn ein Konzern dieses Wissen über drei Milliarden Nutzer*innen hortet? Ein Konzern, der seinen Sitz in den USA hat, also einem zunehmend autokratischen Staat, dessen aktueller Präsident wohl am liebsten ein Diktator wäre?

Natürlich gibt WhatsApp auf Anfrage auch Daten an Polizei und Strafverfolgungsbehörden weiter. Unternehmen können solche Anfragen schwer ignorieren. Aber sie können entscheiden, welche Daten sie überhaupt erfassen. Was man nicht hat, kann man auch nicht weitergeben. Das nennt man Privacy by Design. WhatsApp macht hier keinen guten Job.




So klappt der Umstieg ganz einfach

Es gibt weniger problematische – und werbefreie – Messenger, die genauso praktisch und angenehm sind wie WhatsApp. Die Auswahl ist groß. Es gibt Leute, die sich da tief reinknien und im Detail diskutieren, welcher Messenger der beste ist. Aber darum soll es hier nicht gehen. Von WhatsApp wegzukommen ist ein erster, großer Schritt in die richtige Richtung.

Wer nicht lange suchen will, kann beispielsweise zum kostenlosen Signal oder zum kostenpflichtigen Threema greifen. Beide haben keine Werbung und sammeln deutlich weniger Daten als WhatsApp. Der Umstieg ist einfach. Alles ist sehr ähnlich wie WhatsApp. Schon nach kurzer Zeit hat man sich an das Design gewöhnt.

Vielleicht willst du WhatsApp zumindest vorläufig behalten, weil du einige Kontakte eben nur dort erreichst. Verständlich! Der Messenger-Wechsel wäre viel einfacher, wenn alle direkt mitmachen würden. Aber: Irgendjemand muss den Anfang machen. Und wenn du diesen Artikel schon bis hierhin gelesen hast, dann bist du bestens dafür qualifiziert, den Anfang zu machen.

Es muss ja kein harter Wechsel von heute auf morgen sein. Der erste Schritt ist kurz und schmerzlos: Einfach einen neuen Messenger herunterladen. Jetzt gleich! Fertig ist das erste Erfolgserlebnis.

Das kannst du deinen Kontakten schreiben

Und dann kannst du den Umzug Schritt für Schritt vollziehen. Du kannst mit den Kontakten oder Gruppen beginnen, von denen du weißt: Die machen bestimmt mit. Vielleicht hilft dir dieser Artikel dabei zu erklären, warum dir der Wechsel wichtig ist.

Würde ich heute von WhatsApp wechseln, dann würde ich vielleicht diese Nachricht an meine Kontakte schicken:

Hey ihr Lieben,
auf WhatsApp fühle ich mich nicht mehr richtig wohl. Ich möchte Meta nicht länger meine Daten anvertrauen, und jetzt soll dort auch noch Werbung kommen. Hier könnt ihr mehr darüber lesen: https://netzpolitik.org/2025/bitte-keine-werbung-lass-uns-jetzt-gemeinsam-whatsapp-verlassen
Können wir bitte gemeinsam den Messenger wechseln? Es ist wirklich nicht schwer, und wir bleiben dort genauso gut in Kontakt. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das zusammen ausprobieren. ❤️
[Link zum alternativen Messenger]

So lief es bei mir

Meinen Umzug von WhatsApp habe ich vor ein paar Jahren gemacht. Die Wahl fiel auf Signal. Ich war überrascht, wie viele meiner Kontakte schon dort waren. Andere haben sich extra wegen mir Signal heruntergeladen. Danke nochmal dafür!

Inzwischen erreicht mich fast keine Nachricht mehr über WhatsApp. In meinem WhatsApp-Status steht, dass mir Menschen bitte auf Signal schreiben sollen. Es gibt nur wenige Kontakte, die ich bisher nicht zum Wechseln motivieren konnte. Seit einer Weile warte ich nur noch darauf, die App bald löschen zu können. Nur so kann man auch die letzten Nachzügler*innen dazu bewegen, endlich den Absprung zu schaffen.

Das dürfte leichter fallen, wenn es mit WhatsApp weiter bergab geht. Auch der Messenger ICQ war mal unverzichtbar und spielt heute keine Rolle mehr. Wenn einmal eine kritische Masse zusammenkommt, dann kann sich alles ändern. Und diese kritische Masse, das können einfach wir sein. Nur Mut!



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Cybertrading-Betrug: Ermittler nehmen fast 800 Domains vom Netz


Im Kampf gegen die internationale Wirtschaftskriminalität im Internet und betrügerische Plattformen haben baden-württembergische Behörden fast 800 illegale Websites beschlagnahmt. Das Cybercrime-Zentrum bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe und das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg arbeiteten dafür mit der europäischen Polizeibehörde Europol und bulgarischen Strafverfolgungsbehörden zusammen.

„Die beschlagnahmten Domains wurden auf eine vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg gehostete Beschlagnahmeseite umgeleitet und können nun nicht mehr zur Begehung von Straftaten genutzt werden“, hieß es weiter. „Durch die Maßnahmen wurden die kriminellen Akteure erheblich geschwächt, indem ihre technische Infrastruktur gezielt außer Kraft gesetzt wurde.“ Allein seit der Umleitung in den vergangenen zwei Wochen stellten Strafverfolger den Angaben nach rund 616.000 Zugriffe auf die übernommenen Seiten fest.

Es geht dabei um eine relativ neue Betrugsmasche namens „Cybertrading Fraud“. Die Kriminellen machen gutgläubigen Opfern Hoffnung, per Mausklick vor allem im Bereich Kryptowährungen große Gewinne zu erzielen. Im Internet bewerben sie ihre Angebote laut dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums auf seriös wirkenden Seiten. In der Regel sei eine einfache Registrierung erforderlich.

Dann meldeten sich vermeintliche Brokerinnen und Broker telefonisch, um eine erste Investition von meist 250 Euro zu fordern. Diese sei scheinbar sofort erfolgreich. Gelegentlich gebe es sogar kleinere Auszahlungen. „Diese Erfolge sowie das geschickte und intensive Einwirken der vermeintlichen Brokerin oder des vermeintlichen Brokers verleiten dazu, mehr Geld zu investieren“, schreiben die Fachleute. Die Kriminellen übten oft massiven Druck aus. Doch sobald die Menschen ihre angeblichen Gewinne ausgezahlt haben wollten, seien Internetseite und Ansprechpersonen häufig nicht mehr erreichbar.

Laut dem Sicherheitsbericht 2024 registrierten die Behörden einen Anstieg auf 1036 Fälle. Mehr als doppelt so viele Taten seien zudem aus dem Ausland begangen worden. „Erklärungen hierfür sind die hohe Reichweite der Internetplattformen, die Hoffnung vieler Geschädigter, per Mausklick eine große Rendite zu erwirtschaften und deren Gutgläubigkeit“, heißt es.

Das Cybercrime-Zentrum und das LKA ermitteln in dem aktuellen Fall gegen bislang unbekannte Täter. Manche der 796 Domains seien in deutscher Sprache verfasst. Die Betreiber der Internetauftritte hätten nicht die erforderliche Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für Finanz- beziehungsweise Wertpapierdienstleistungen und Bankgeschäfte.

Den Verbrauchern und Verbraucherinnen raten LKA und das Cybercrime-Zentrum, sich genau über Trading-Plattformen zu informieren, bevor sie sich anmelden oder Geld überweisen. „Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Nehmen Sie sich Zeit, um das Angebot in Ruhe zu prüfen und zu bewerten.“

Bereits Mitte Mai 2025 waren Ermittler gegen Online-Investmentbetrüger vorgegangen. Nach Durchsuchungen an acht Orten in Albanien, Israel und Zypern nahmen sie einen Verdächtigen fest. Ihm steht die Auslieferung nach Deutschland bevor.


(cku)



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