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Wie sieht die Zukunft kreativer Zusammenarbeit aus? › PAGE online


Und welche neuen Denkmodelle kann es für Agenturen und Kreative geben? Florian Severin, Creative Director, Advisor und Gründer der Kreativagentur WRKSPC, hat PAGE Antworten darauf gegeben.

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Florian Severin Bild © WRKSPC/Kim Wanschka

 

Laut Florian Severin steht es für Agenturen, so wie wir sie kennen, gar nicht gut. Kreative seien schon lange herausgespart worden. Und Unternehmen würden bald selbst die kreativen Aufgaben übernehmen, »unterstützt durch Freelancer:innen und KI als Prozess-Optimierung«.

Er spricht im Interview mehr als deutlich von einem großen Shift. Und auch davon, dass die Agenturszene den Punkt schon lange verpasst hat, auf die Entwicklungen zu reagieren. Und trotz seiner düsteren Voraussagen für Agenturen hat er auch einen hilfreichen Tipp für die Kreativen selbst.


PAGE: Aktuell ist in der Agenturwelt viel in Bewegung: Es gibt Umbrüche, vor allem aufgrund der technologischen Entwicklungen mit KI. Wie steht es aktuell um Agenturen in der Kreativbranche?

Florian Severin: Die Agenturbranche steht vor einem Umbruch, wie wir ihn bisher noch nicht erlebt haben. Das liegt zum Teil an KI, aber längst nicht nur. Generative KI ist ja am Ende auch nur ein Tool, wie viele andere auch, und damit lediglich ein Symptom. Photoshop war ja auch nicht das Ende der Malerei, und so ist Gen AI nicht das Ende der Kreativität, sehr wohl aber das Ende der Agenturwelt, wie wir sie heute kennen.

Was Agenturen langfristig die Existenzgrundlage kosten wird, ist die simple Tatsache, dass wir Agenturmenschen die letzten zehn Jahre damit verbracht haben, Kreative aus dem Prozess herauszusparen. Es grenzt fast an Komik, aber heute gibt es in einer Kreativagentur keinen unbeliebteren Job als den des Kreativen. Warum sollte ich als Unternehmen also heute noch eine Kreativagentur beauftragen, wenn die kreativen Talente längst nicht mehr dort arbeiten?

Treffen die Entwicklungen bestimmte Agenturen besonders oder kann man da keinen Unterschied ausmachen, sondern sind da im Grunde genommen alle von betroffen: Design- und Kreativagenturen, Werbeagenturen, Unternehmen mit eigenen Designabteilungen etc.?

Was wir in den nächsten Jahren beobachten werden, ist, dass kreative, kommunikative oder gestalterische Aufgaben, für die man früher klassischerweise eine Agentur beauftragt hat, immer häufiger mit einer Mischung aus internen und freien Ressourcen bearbeitet werden. Einfach gesagt: Was früher Hoheitsgebiet der Agenturen war, können Unternehmen bald selbst, unterstützt durch Freelancer:innen und KI als Prozess-Optimierung.

Es ist jedoch so: Während die Manager:innen von Agenturen daran arbeiten, Kreative durch KI zu ersetzen, werden Unternehmen mit genau dieser KI teure, alte und un-digitale Agenturprozesse ersetzen und damit die kreativen Talente zu sich holen, die die Agenturen wegrationalisiert haben. Damit findet ein riesiger Shift statt: Kreative Exzellenz wird kein inhaltliches Versprechen von Agenturen mehr sein können, weil das Fulfillment längst beim Kunden in Lohn und Brot steht.

Sind Agenturmodelle, wie wir sie kennen, also in puncto Briefings, Rollenverteilungen und Workflows so stark am wanken, dass eigentlich sofort ein Umdenken gefragt ist? Warum?

Wer heute als Agentur noch Kunden für schlechte Briefings basht, hat den Schuss einfach noch nicht gehört. Gute Kreative lesen ihren Kunden ein Briefing von den Lippen ab, das diese zu schreiben nie in der Lage wären. Alles andere ist Umsetzungsanweisung. Und für Umsetzung gibt es KI, die schneller und oftmals besser ist als ein menschliches Pendant. Ich bin kein Fan von »AI for everything«, aber let’s face it: Was gestern noch ein formvollendetes Briefing war, ist heute längst ein Prompt.

Die Agenturszene hätte das vor zehn Jahren sehen, verstehen und beantworten müssen. Stattdessen haben wir uns auf einem »carry on« so lange ausgeruht, bis die Zeit zu knapp wurde, um den Wandel noch selbst zu gestalten. Inzwischen ist es nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf, und wer jetzt nicht realisiert, dass die Agentur, wie wir sie kannten, tot ist, wird mit der alten Welt untergehen.

Was können Agenturen und ihre Kreativen tun, um mit der Zeit zu gehen? Wie kann man da für Markenentwicklungen neu denken?

Kreativen kann ich nur empfehlen, in direkten Austausch mit den Unternehmen zu gehen und sozusagen an der Quelle zu arbeiten. Marke führen geht aus meiner Erfahrung am besten von innen, aber mit einem Blick von außen. Dazu ist niemand besser geeignet als ein:e freie:r Kreativschaffende:r. Im reinen Innenverhältnis geht oft der scharfe Blick auf das Problem verloren, der es am effektivsten löst. Festanstellung beim Kunden ist also keine Option. Umgekehrt wird eine Agentur immer zuerst die Maximierung des eigenen Profits im Auge haben, auch wenn eine günstige Lösung vielleicht besser wäre.

Müssen Agenturen umdenken? Ja und nein. Einerseits wäre ein neues Agenturgeschäftsmodell der beste Weg zum guten Kundenverhältnis. Und wahrscheinlich der einzige Weg für die Agenturen, zu überleben. Andererseits fürchte ich, dass es – remember: fünf nach zwölf – genau dafür bereits zu spät ist. Ob wir es wollen oder nicht: In puncto Markenführung wird die Agentur künftig kaum mehr eine Rolle spielen.

Gibt es aus deiner Sicht praktische Beispiele in der Designszene, an denen man sehen kann, dass alte Modelle mit neuen Workflows und Strukturen für Branding-Projekte bereits erfolgreich umgesetzt wurden?

Marke wird inzwischen zum Glück ja wieder viel universeller gedacht, deshalb würde ich das gar nicht auf Design per se beschränken wollen. Ein paar Beispiele gibt es da aber schon. Bringen wir zunächst die negativen hinter uns: PWC, Bahlsen und, ganz neu, Tempo sind für mich allesamt Beispiele dafür, wie traditionelle Setups, veraltete Workflows und vollkommen überzogene Honorarvorstellungen einen Haufen belangloser Beliebigkeit produzieren, die selbst generative KI vor Neid erblassen lässt.

Auf der Habenseite ist mein liebstes Beispiel immer die letzte Kampagne von Grover, die inzwischen zwar einige Jahre auf dem Buckel, aber nichts an Leuchtturmcharakter verloren hat. Die kreative Leitidee »Miet’se bei Grover« ist so simpel, dass wir alle uns wünschen, sie geboren zu haben. Die Umsetzung ist für damalige Verhältnisse genau richtig, hochgradig zeitgeistig und extrem relevant. Erdacht hat das Ganze ein freier Kreativdirektor im direkten Austausch mit dem Kunden und mit einem minimalen Team drumherum. So, genau so, geht Marke heute. Und so wird sie auch künftig gehen.

Vielen Dank für die spannenden Impulse!



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