Datenschutz & Sicherheit
EuGH: Schmerzensgeld nach Datenpanne auch ohne materiellen Schaden möglich
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag seine Rechtsprechung zum Ausgleich von Schäden auf Basis der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erneut präzisiert. Ein Arbeitssuchender hat demnach bei einem Datenschutzverstoß des potenziellen Arbeitgebers prinzipiell Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld, auch wenn er keinen materiellen Schaden nachweisen kann. Ausgelöste negative Gefühle können ausreichen.
Hintergrund des Falls: Ein Bewerber, der sich bei der Berliner Quirin-Privatbank Online-Karrierenetzwerk beworben hatte, erhielt eine unerwartete Benachrichtigung. Auslöser: Eine Mitarbeiterin des Finanzinstituts hatte über den Messenger-Dienst des Netzwerks eine vertrauliche Nachricht an den Jobsuchenden an eine dritte Person geschickt, die der Bewerber kannte. Die Nachricht enthielt vertrauliche Informationen über die Gehaltsverhandlungen des Bewerbers, insbesondere die Ablehnung seiner Gehaltsvorstellungen und ein neues Gehaltsangebot. Sie war eigentlich nicht für Außenstehende bestimmt.
Der Dritte, ein ehemaliger Kollege des Bewerbers, leitete die Nachricht an ihn weiter, um herauszufinden, ob er auf Jobsuche war. Daraufhin reichte der Arbeitssuchende Klage gegen die Quirin-Bank ein. Er forderte von ihr, die Verarbeitung seiner Bewerbungsdaten einzustellen, um weitere unbefugte Offenlegungen zu verhindern. Zudem verlangte er Schadensersatz für den immateriellen Schaden, den er erlitten hatte.
Dieser Schaden entstand ihm zufolge, weil er sich Sorgen machte, dass die vertraulichen Informationen von der dritten Person aus der Branche an frühere oder potenzielle Arbeitgeber weitergegeben werden könnten. Der Bewerber befürchtete zudem einen Wettbewerbsnachteil und fühlte sich durch die Offenlegung seiner gescheiterten Gehaltsverhandlungen gedemütigt. Der Bundesgerichtshof (BGH) verwies den Fall an den EuGH zur Klärung von Fragen zur DSGVO.
Gefühlter Kontrollverlust gilt
Die Luxemburger Richter haben mit ihrem am Donnerstag verkündeten Urteil in der Rechtssache C-655/23 nun entschieden: Negative Gefühle wie Sorge, Ärger oder der Eindruck des Kontrollverlusts über die eigenen Daten können einen immateriellen Schaden darstellen. Eine finanzielle Entschädigung ist möglich, wenn der Kläger nachweisen kann, dass er diese negativen Gefühle tatsächlich empfunden hat.
Bei der Höhe der Entschädigung darf laut dem EuGH nicht berücksichtigt werden, wie schwerwiegend das Verschulden der Bank war. Auch eine leichtfertige Fahrlässigkeit reicht also aus. Zudem darf dem Beschluss zufolge das Schmerzensgeld nicht gekürzt oder ersetzt werden, nur weil der Kläger eine gerichtliche Anordnung erwirkt hat, dass die Bank den Verstoß künftig unterlassen muss.
DSGVO-Schadenersatzklagen dürften zunehmen
Weiter stellte der Gerichtshof fest: Es gibt im EU-Recht keinen speziellen Rechtsanspruch darauf, eine Wiederholung des Datenlecks gerichtlich zu unterbinden, falls der Kläger nicht die Löschung seiner Daten fordert. Dennoch können Mitgliedstaaten wie Deutschland solche Unterlassungsklagen in ihrem nationalen Recht vorsehen. Die ausdrückliche Verneinung eines europäischen datenschutzrechtlichen Unterlassungsanspruchs überrascht den Wirtschaftsprofessor Alexander Golland, da der EuGH einen solchen in mehreren Google-Urteilen 2014 und 2019 noch bejaht habe.
Bislang war nicht ganz klar, ob ein reiner immaterieller Schaden ohne konkrete finanzielle oder körperliche Nachteile für eine Klage ausreicht. Der EuGH hat nun hervorgehoben, dass genau diese Art von Benachteiligung einen Anspruch auf Entschädigung begründen kann. Das Urteil senkt so weiter die Hürde für Betroffene, Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Es reicht der Nachweis, dass der Verstoß größere Sorgen oder Ärger ausgelöst hat.
Zuvor urteilte der EuGH etwa schon 2023: Allein der Umstand, dass nach einem Cyberangriff auf Unternehmen oder Behörden eine betroffene Person infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO befürchtet, ihre personenbezogenen Daten könnten durch Dritte missbräuchlich verwendet werden, stellt einen immateriellen Schaden dar. Bereits zuvor bestätigte der Gerichtshof, dass die DSGVO keine Erheblichkeitsschwelle für Schadenersatz vorgibt und breite Ansprüche möglich sind. 2024 arbeitete der EuGH heraus: Ein Datenschutzverstoß ist grundsätzlich nicht weniger schwerwiegend als eine Körperverletzung.
(mki)
Datenschutz & Sicherheit
„Passwort“ Folge 43: Oracle-Exploits, Post-Quanten-Kryptografie und andere News
Nach der extralangen Folge zu Phrack nähert sich der Podcast wieder seinem Normalzustand an – nicht nur in der Länge, sondern auch inhaltlich: Die Hosts ärgern sich über Oracle, freuen sich über Signal und wundern sich über Geheimdienste. Alles wenig überraschend, aber dahinter stecken dennoch interessante Nachrichten.
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Los geht es jedoch mit Leserfeedback und der Chatkontrolle. Die wurde zwar schon ausführlich in Folge 16 behandelt, aber die Politik lässt das Thema nun mal nicht los. Die Hosts iterieren – leicht verstimmt – warum die Chatkontrolle nach wie vor technisch unausgegoren ist, sowie unverhältnismäßig, gefährlich und vermutlich auch ineffektiv wäre.
Angriff auf Oracle
Danach wird die Laune leider nicht besser, denn Christopher erzählt von Angriffen auf Oracles E-Business-Suite und vor allem von Oracles Verhalten dazu. Das mutet weder professionell noch kundenfreundlich an. Beileibe nicht der problematischste, aber ein sehr illustrativer Aspekt daran ist, dass Oracle dem Angriff – der eine ganze Kaskade von ziemlich peinlichen Sicherheitslücken ausnutzt – nur eine einzelne CVE-Nummer zuordnet. Die Hosts halten nur mit Mühe die Contenance und vermuten weitere Fehler in der Software, die so mit Löchern gespickt scheint. Eine Annahme, die sich schon Stunden nach der Aufzeichnung bewahrheitete.
Nach so viel Frust können sich die Hosts zum Glück einem erfreulichen Thema zuwenden: Sylvester berichtet von Signals neuem Verschlüsselungsprotokoll SPQR, das auch vor zukünftigen Quantencomputern schützen soll. Die Hosts erörtern, welche Probleme Signal damit lösen möchte, warum die Lösung alles andere als trivial ist und welchen Aufwand der Messenger betreibt, damit das neue Protokoll korrekt und fehlerfrei funktioniert.
Hybride Verschlüsselung
SPQR nehmen Christopher und Sylvester auch zum Anlass, etwas allgemeiner über „hybride“ Verschlüsselungen zu sprechen, was in diesem Kontext Systeme bezeichnet, die ein klassisches Verfahren mit einem Post-Quanten-Verfahren kombiniert. Erstere sind wohlbekannt und -erforscht, während letztere vor Angriffen mit Quantencomputern schützen. Deshalb empfehlen viele relevante Stellen und Experten solche Kombinationen. Anders sehen das die Geheimdienste NSA und GCHQ, allerdings mit Argumenten, die die Hosts kaum nachvollziehen können.
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Die neueste Folge von „Passwort – der heise security Podcast“ steht seit Mittwochmorgen auf allen Podcast-Plattformen zum Anhören bereit.
(syt)
Datenschutz & Sicherheit
EU arbeitet an ausufernder Vorratsdatenspeicherung
Vor elf Jahren hat der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung gekippt. Seitdem gibt es keine EU-weite Vorratsdatenspeicherung. Jetzt arbeiten die EU-Institutionen an einem neuen Gesetz.
Die EU-Kommission hat bis Juni eine Sondierung und bis September eine Konsultation durchgeführt. Es wird erwartet, dass die Kommission Anfang 2026 ein neues Gesetz vorschlägt.
Standortdaten und Over-the-Top
Die EU-Staaten machen ebenfalls Druck. Die dänische Ratspräsidentschaft hat vor kurzem eine Fragebogen verschickt. Wir veröffentlichen das Dokument. Die Antworten sollen der EU-Kommission beim Schreiben des Gesetzentwurfs helfen.
Die Fragen weisen weit über die in Deutschland diskutierte Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen bei Internet-Zugangs-Anbietern hinaus. Dänemark fragt, ob die EU auch Dienste-Anbieter wie „Over-the-Top“-Dienste verpflichten soll – also etwa Messenger, Videos und Spiele. Dänemark fragt auch nach Verkehrsdaten und Standortdaten – diese sind hochsensibel.
Darüber hinaus fragt Dänemark die EU-Staaten auch nach anlassbezogener Speicherung mit Quick Freeze, Speicher-Dauer, Zugangsregeln und Straftaten, für die Vorratsdaten genutzt werden sollen.
Messenger und Verschlüsselung
Die Vorratsdatenspeicherung ist nur ein Baustein im größeren Wunsch nach „Zugang zu Daten für eine wirksame Strafverfolgung“. Zu diesem Thema hatte eine einseitige Arbeitsgruppe getagt und Forderungen erstellt. Das Generalsekretariat des Rates hat jetzt einen aktuellen Stand verschickt. Wir veröffentlichen auch dieses Dokument.
Die Sicherheitsbehörden wünschen sich den Zugang zu verschiedenen Daten. An erster Stelle steht auch hier die Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten. Daneben wünschen sie eine Kommunikationsüberwachung auch bei „Messaging-Apps wie WhatsApp, Facebook Messenger und WeChat“. Und schließlich fordern sie den Zugang zu verschlüsselten Inhalten, auch bei „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“.
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Die dänische Ratspräsidentschaft ruft die EU-Staaten dazu auf, ihre Forderungen in diese Debatte einzubringen.
Ausweis für Mobilfunk
Die EU-Staaten diskutieren außerdem den Ausweis-Zwang für Mobilfunk-Anschlüsse. Noch 2013 sagte die EU-Kommission, dass „es keine Beweise für die Wirksamkeit dieser Maßnahme für die Strafverfolgung gibt“. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat die „Verwendung von Prepaid-Karten zur Anonymisierung“ sogar empfohlen.
Trotzdem hat unter anderem Deutschland 2016 anonyme Prepaid-Karten verboten. Behörden fragen diese Daten jede Sekunde ab.
Staaten wie Polen wünschen sich EU-weite Vorschriften zur Registrierung von SIM-Karten. Anfang des Jahres hat die polnische Polizei einen Vortrag dazu gehalten. Wir veröffentlichen die Präsentation.
Dafür haben sie die Regeln von 37 europäischen Staaten untersucht. 16 Staaten haben eine Registrierungspflicht, darunter Deutschland und Italien. 13 Staaten haben keine Registrierungspflicht, darunter Großbritannien und die Niederlande. Für acht Staaten hat Polen keine Daten gefunden.
Polen schließt daraus, dass es eine EU-weite Registrierungspflicht braucht. Bekämpfen wollen sie damit unter anderem falsche Bomben-Drohungen und Betrug an älteren Menschen. Es ist möglich, dass ein neues EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auch diese Speicherpflicht enthält.
Datenschutz & Sicherheit
Amerikanische Abschiebebehörde will Soziale Medien überwachen
Die US-Polizeibehörde ICE will künftig auch in Sozialen Medien nach Menschen suchen, die sie abschieben kann. Das geht aus einer Suche der US-Regierung nach entsprechender Monitoring-Software hervor. Das neue Programm, über das zuerst das US-Medium WIRED berichtete, soll unterschiedliche Informationsquellen wie etwa Social-Media-Plattformen auswerten.
Die umstrittene Behörde, mit vollem Namen Immigration and Customs Enforcement (ICE), untersteht dem US-Heimatschutzministerium. Sie ist für Grenzschutz, Zollkontrollen und Migration zuständig und setzt den rücksichtslosen Abschiebekurs von US-Präsident Donald Trump um. Anfang Oktober veröffentlichte sie auf einer Regierungswebsite eine sogenannte Request for Information (RFI). Das Dokument ist noch keine Ausschreibung für mögliche Auftragnehmer, sondern dient zunächst der Bestandsaufnahme möglicher Dienstleister und Produkte.
In der RFI werden Soziale Medien ausdrücklich als mögliche Quelle für die zu sammelnden Daten genannt. Die Software soll diese dann mit Daten aus anderen Quellen wie etwa Regierungsdatenbanken zusammenführen und auswerten. So will die Behörde Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung generieren. Unter diese Anhaltspunkte fallen Adressen, Fortbewegungsmittel, Arbeitsplatz, Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Änderungen von Telefonnummern, Usernames, Sozialversicherungsnummer und mehr.
Massiver Ausbau
Die Migrationsbehörde steht bereits seit geraumer Zeit in der Kritik, da Beamte bei Einsätzen teils nicht zu identifizieren sind und demokratische Kontrollinstanzen ausgeschaltet werden. US-Präsident Donald Trump baut die Kapazitäten der Behörde immer weiter aus. Erst in diesem Sommer wurde ihr Etat von acht auf 28 Milliarden Dollar erhöht, das Dreifache des FBI-Budgets.
Auch technisch rüstet Trumps Abschiebebehörde massiv auf. Im April gab ICE rund 30 Millionen US-Dollar für eine neue Software von Palantir aus. Das umstrittene Big-Data-Unternehmen soll ICE mit einem System namens „ImmigrationOS“ ausstatten, das Visa-Überzüge trackt und dabei helfen soll, die Abschiebungen von „gewalttätigen Kriminellen“ zu priorisieren.
Vollkommen unklar ist dabei, anhand welcher Kriterien ImmigrationOS gewalttätige Kriminelle erkennen will, kritisiert etwa der American Immigration Counsel. Gleiches gilt auch für geplante Software zum Durchforsten der Sozialen Medien.
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