In einer Zeit, in der KI Marken austauschbarer macht, erlebt Branding eine neue Bedeutung. Denn KI erzeugt Durchschnitt. Aber: Der ist selten divers. Jana Reske erklärt, welche Folgen das für Marken hat.
Jana, Branding wird wieder wichtiger, nach einem starken Fokus auf Performance-Kampagnen erkennen das immer mehr Unternehmen. Welche Rolle spielt dabei KI?
Jana: Ich habe das Gefühl, dass Branding derzeit eine Renaissance erlebt, da KI das gesamte digitale Ökosystem grundlegend verändert hat. Plötzlich können alle dieselben Tools nutzen, dieselben Bildgeneratoren und Textmodelle. Dadurch droht jedoch ein gewisser Gleichklang. Wenn Inhalte auf Knopfdruck entstehen, verschwimmt schnell, wofür welche Marke eigentlich steht. Genau deshalb wird eine klare Positionierung wieder so wichtig. Marken müssen heute viel bewusster entscheiden, wofür sie stehen, welche Haltung sie vertreten und vor allem, wie sie KI in ihren Ausdruck integrieren wollen.
KI ist in diesem Prozess nicht die Lösung, sondern eine Variable, die klar strategisch eingeordnet werden muss. Es reicht nicht aus, einfach generierte Bilder oder Texte zu nutzen, nur weil es schnell und kostengünstig ist. Viel wichtiger ist die Frage: Passt dieser Stil wirklich zur Marke? Oder wird die Marke dadurch austauschbar? KI kann ein wertvolles Werkzeug sein – aber nur, wenn Marken sehr genau definieren, wie, wo und in welchem Umfang sie KI einsetzen. Wer das nicht tut, läuft Gefahr, in einer Landschaft von sich zunehmend ähnelnden Inhalten unterzugehen.
Wie hat sich deiner Meinung nach die Markenführung durch KI in den letzten Jahren verändert? Und macht KI Marken besser oder schlechter? Wo bleibt die Authentizität?
In den letzten Jahren ist die Markenführung hybrider geworden. Einerseits ist KI ein enormer Effizienztreiber. Viele repetitive Prozesse können automatisiert werden, wodurch Teams entlastet und kreative Prozesse freigesetzt werden. Gleichzeitig entsteht ein neuer Druck: Wenn KI viele Aufgaben übernimmt, muss das, was wirklich von Menschen kommt, besonders deutlich spürbar sein.
Dabei ist Authentizität ein entscheidender Faktor. Wir sind inzwischen sehr sensibel dafür, ob etwas menschlich klingt oder maschinell generiert wurde. KI-Texte wirken oft zu glatt, was schnell das Vertrauen der Leser:innen zerstört. Besonders bei Marken, die eine enge Beziehung zu ihrer Community pflegen. Genau deshalb wird die menschliche Perspektive gerade noch wichtiger. Emotionale Geschichten, echte Gesichter, reale Erfahrungen und Offline-Erlebnisse bekommen wieder mehr Gewicht, weil sie das bieten, was KI nicht kann: Unperfektheit, Nuance, Empathie und Haltung.
Ob KI Marken besser oder schlechter macht, hängt also von der Umsetzung ab. KI kann Potenziale freisetzen, die vorher unerreichbar waren. Sie kann aber auch dafür sorgen, dass eine Marke ihr Profil verliert. Entscheidend ist, ob KI bewusst und reflektiert eingesetzt wird – oder ob sie nur eingesetzt wird, weil es möglich ist.
Du hast dich im Studium intensiv mit dem Thema KI-Forschung befasst und vor allem damit, wie KI das Frauenbild prägt. Was hat dich dabei am meisten überrascht?
In meiner Forschung hat mich vor allem überrascht, wie einheitlich das Problem ist, aber auch, wie unterschiedlich die Ausprägungen sind. Ich habe mit äußerst neutralen Prompts gearbeitet (»A beautiful woman« und »A beautiful man«) und trotzdem haben alle drei Modelle Frauen deutlich stärker sexualisiert als Männer. Das hätte ich in dieser Klarheit nicht erwartet. Noch erstaunlicher war, dass jedes Modell dies auf eine ganz eigene Art tut: DALL·E war zwar am neutralsten, aber auch dort wurden Frauen fast ausschließlich in Trägertops gezeigt, während Männer eher seriös, angezogen und bedeckter inszeniert wurden. Stable Diffusion war am extremsten und hat Frauen fast nur in Unterwäsche dargestellt. Midjourney inszenierte Frauen hyperfeminin und oft nackt mit Blumen, während Männer eher wie griechische Götter erschienen.
Trotz völlig unterschiedlicher Ästhetiken reproduzieren alle Modelle den gleichen Kernbias – eine Logik, die stark der »male gaze« Theorie entspricht. Es spielt also keine Rolle, wie »neutral« die Prompts sind: Die Verzerrungen sitzen tief in den Datensätzen und werden automatisch reproduziert. Genau das fand ich so erschreckend. Denn wenn KI-Bilder immer realistischer werden und gleichzeitig solche Muster verstärken, besteht die Gefahr, dass diese einseitigen Darstellungen wieder zur Norm werden. Vielen ist gar nicht bewusst, wie stark KI hier unreflektiert historische Rollenbilder und sexuelle Objektifizierung weiterträgt.
Wie hängen Feminismus und KI zusammen – und wo liegt das Problem?
Feminismus und KI sind enger miteinander verknüpft, als man auf den ersten Blick annimmt. KI wirkt oft neutral, objektiv und technisch, ist im Grunde aber ein Spiegel unserer Gesellschaft. Die Systeme werden mit historischen Daten trainiert, die von Ungleichheiten, männlich dominierten Perspektiven und Strukturen, in denen Frauen anders oder weniger sichtbar sind, geprägt sind. Gleichzeitig entsteht KI in einer nach wie vor stark männlich dominierten Branche und das prägt, welche Annahmen in Modelle einfließen, welche Daten bevorzugt werden und welche blinden Flecken bestehen bleiben. Die Verzerrungen in der Darstellung von Frauen sind zwar nicht bewusst eingebaut, resultieren jedoch aus einem System, das auf Jahrzehnte digitaler Inhalte zurückgreift, in denen Frauen häufig sexualisiert, marginalisiert oder stereotypisiert dargestellt wurden. KI macht aus diesen Mustern keine Fehler, sondern Trends. Sie verstärkt sie, weil sie sie statistisch für wahrscheinlich hält.
Das Problem ist also strukturell: Es gibt zu wenige diverse Stimmen in der Entwicklung, zu viele historische Verzerrungen im Training und zu wenig Bewusstsein dafür, dass Algorithmen gesellschaftliche Ungleichheiten nicht nur abbilden, sondern sogar verstärken können. Feministische Perspektiven sind deshalb keine nette Zusatzoption, sondern eine Voraussetzung dafür, dass KI keine alten Muster unbewusst zementiert.
Wo siehst du bei der Nutzung von KI im Marketing die größten Risiken, wenn es um Vielfalt und realistische Darstellungen geht – und was müssen Marken beachten?
Das größte Risiko besteht darin, dass die Fortschritte in puncto Diversität und Repräsentation, für die wir jahrelang gekämpft haben, wieder unsichtbar werden. KI erzeugt Inhalte, die auf Durchschnittswerten basieren. Doch dieser Durchschnitt ist nicht divers. Der ist weiß, schlank, jung und normschön. Wenn Marken Inhalte generieren, ohne sie zu hinterfragen, produzieren sie ungewollt Inhalte, die Diversität eher zurückdrehen als stärken. Das ist bereits bei KI-Models und Avataren zu beobachten: Die meisten sind nach wie vor weiß, feminin kodiert und entsprechen sehr engen Schönheitsnormen. Wenn Marken hier nicht bewusst gegensteuern, reproduzieren sie nicht nur alte Stereotype, sondern verschärfen diese sogar.
»Marken müssen verstehen, dass KI nicht neutral ist und Repräsentation heute mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordert als je zuvor.«
Deshalb ist bewusstes Prompting so wichtig. Dove hat das in einem KI-Projekt sehr gut gezeigt: Vielfalt entsteht nicht automatisch, sondern muss aktiv erarbeitet werden. Marken müssen verstehen, dass KI nicht neutral ist und Repräsentation heute mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordert als je zuvor. Es geht darum, Vielfalt nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie gezielt zu gestalten.
Du hast einmal gesagt »Design ist kein Selbstzweck, sondern Verantwortung«. Was heißt das für dich und was heißt es im Hinblick auf die Markenführung?
Für mich bedeutet dieser Satz, dass Design immer Auswirkungen hat – unabhängig davon, ob diese bewusst einkalkuliert werden oder nicht. Design entscheidet darüber, wer sich repräsentiert fühlt, wer Zugang hat, wer sich angesprochen fühlt und wer ausgeschlossen wird. Jede gestalterische Entscheidung ist mit einer gewissen Macht verbunden, da Gestaltung nie nur ästhetisch, sondern auch sozial ist. Im Kontext der Markenführung bedeutet das: Design trägt die Verantwortung dafür, wie eine Marke sich präsentiert und welche Werte sie vermittelt. Gerade jetzt, wo KI viele gestalterische Prozesse automatisiert, müssen Designer:innen und Marken noch klarer definieren, wofür sie stehen. Barrierefreiheit, Inklusivität und kulturelle Sensibilität sind Aspekte, die nicht zufällig entstehen.
»Design trägt die Verantwortung dafür, wie eine Marke sich präsentiert und welche Werte sie vermittelt.«
Je automatisierter die Gestaltung wird, desto bewusster muss der menschliche Teil sein, der diese Verantwortung trägt. Wenn Design nur effizient oder »KI-optimiert« ist, verliert es seine Wirkung. Wenn Design hingegen Haltung hat, kann es echten gesellschaftlichen Einfluss entfalten.
Was glaubst du: Wie werden Markenverantwortliche und Agenturen in 5 Jahren mit KI umgehen?
Ich glaube, dass wir in fünf Jahren einen Punkt erreichen werden, an dem KI selbstverständlich Teil des Arbeitsalltags ist. Allerdings nicht mehr in dieser überwältigenden und unstrukturierten Form, wie es aktuell der Fall ist. Die Euphoriephase wird sich gelegt haben und es werden stattdessen klar definierte Workflows, Rollen und Standards entstehen. KI wird wahrscheinlich viele operative Aufgaben übernehmen, der strategische, emotionale und zwischenmenschliche Teil wird jedoch bei Menschen bleiben, da Marken ohne diesen Teil austauschbar werden.
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Ich glaube auch, dass wir eine Art »technologische Sättigung« erleben werden. Je stärker digitale Inhalte von KI geprägt sind, desto wertvoller werden menschliche Begegnungen, Events, echte Testimonials und alles, was spürbar authentisch ist. Marken, die relevant bleiben wollen, werden den Menschen deshalb wieder radikal in den Mittelpunkt stellen. Nicht als Gegenbewegung zur KI, sondern als Ergänzung. In fünf Jahren wird es deshalb eine Art Co-Creation geben, die weniger chaotisch und weniger blind ist als heute. KI wird ein Standardtool sein. Aber die Marken, die herausstechen werden, sind diejenigen, die KI bewusst, reflektiert und mit einer klaren Haltung einsetzen.
Über Jana
Jana Reske arbeitet im Online-Marketing und verbindet dort Content, Storytelling und visuelle Kommunikation mit strategischer Markenführung. Gleichzeitig ist sie in der akademischen KI-Forschung tätig und untersucht aus meist feministischer Perspektive, wie Algorithmen Bilder und Identitäten formen. Ihr besonderes Interesse gilt generativen Bildmodellen und der Frage, welche (kulturellen) Biases in ihnen sichtbar werden.
