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Wir alle sollten mehr übereinander wissen


Es gibt Momente auf sozialen Medien, die man so sonst nicht mit völlig Fremden erlebt: Wenn ein Creator auf TikTok erklärt, welche neue Sexualpraktik sein Leben verändert hat. Wenn eine Instagram-Story intime Beziehungskonflikte mit der Welt teilt. Oder wenn ein Video namens „Get ready with me, während ich erkläre, was es mit meinem veränderten Stuhlgang auf sich hat“ plötzlich auf der eigenen For-You-Page landet. In solchen Momenten taucht ein Meme zuverlässig in den Kommentaren auf: ein Screenshot eines New-York-Times-Artikels mit dem Titel „We should all know less about each other“.

Der Artikel aus dem Jahr 2021 beschäftigte sich eigentlich mit den Polarisierungsmechanismen politischer Internetbubbles. Heute steht der Meme-gewordene Satz hauptsächlich unter Videos, in denen Menschen über ihre Kinks sprechen oder den Streit mit ihrem Partner nachstellen. Solche Inhalte scheinen in den gängigen sozialen Medien immer populärer zu werden und ihre Aufrufzahlen sind oftmals höher als bei anderen Videos desselben Accounts. Intimität ist zur öffentlich handelbaren Ressource geworden.

Aus Tabus wird Reichweite

Besonders persönliche Inhalte klicken sich eben besonders gut. Was früher als Tabuthema galt, ist heute Reichweitenquelle. Je intimer der Inhalt, desto stärker die Reaktion des Publikums. Likes, Shares und Kommentare sind längst Teil einer Aufmerksamkeitsökonomie, in der Selbstöffnung taktisch eingesetzt wird.

Hierbei geht es mir explizit nicht um diejenigen, die über Sex, Verhütungsmethoden, ihre chronische Krankheit oder andere tabuisierte Themen aufklären. Wir sollten nicht aufhören, Themen sichtbar zu machen, nur weil diese angeblich als anstößig wahrgenommen werden könnten. Es geht um das gezielte Verkaufen einer vermeintlich realen eigenen Intimität. Sie ist nicht viel mehr als eine Währung, auf die unserer Voyeurismus einzahlt.

Dabei werden nicht nur einwilligungsfähige Erwachsene zu Protagonist:innen eines digitalen Reality-Formats. Auch Kinder tauchen in viralen Challenges auf, obwohl sie der Veröffentlichung nicht zustimmen können.

Menschen mit Behinderungen werden für emotionalisierte Storytelling-Formate instrumentalisiert. Damit werden sie zum Material für algorithmisch optimierte Erzählungen. Warum manche Accountbetreiber scheinbar alles für die Likes tun und wem das schadet, durfte ich hier bereits vor über zwei Jahren aufschreiben.

Aber nicht nur gesellschaftliche Aspekte machen das ungefilterte Teilen intimster Details fragwürdig: Das massenhafte Sammeln und die zunehmende Verwertung von Daten durch Plattformbetreiber, etwa zum Trainieren ihrer generativen KIs, macht es unklug, allzu viele intime Informationen über sich zu teilen. Gerade gesundheitsbezogene, sexuelle oder reproduktive Inhalte gehören zu den sensibelsten Daten, die nicht leichtfertig in sozialen Medien veröffentlicht werden sollten – und gleichzeitig zu jenen, die oft besonders hohe Klickzahlen hervorrufen.

Inszenierte Intimität

Doch viele dieser „intimen Einblicke“ sind gar nicht intim. Sie sind Inszenierungen. Große Accounts produzieren Erzählungen über ihr Datingleben, ihre Konflikte oder ihre Sexualität, die eher an Mini-Episoden einer Soap erinnern als an Alltagserfahrungen. Professionalisierte Creator-Strukturen entwickeln Drehbücher und konstruieren Geschichten, die in erster Linie Engagement erzeugen sollen. Einem viralen Influencer zu folgen, ist heute das Gleiche wie eine Netflixserie zu schauen.

Wer regelmäßig viral gehen will, erzählt wahrscheinlich nicht mehr oft aus seinem Leben, sondern schreibt ein Drehbuch. Die angebliche Transparenz ist Kulisse. Die Millionen Follower:innen sehen ein ausgeklügeltes Skript und nicht das Leben einer realen Person. Das Ergebnis ist paradox: Wir meinen, viel zu viel von anderen zu wissen: zu intime Details in zu exhibitionistischen Geschichten. Tatsächlich wissen wir aber in Wirklichkeit weniger.

Während wir durch inszenierte Dramen scrollen, verlieren wir den Kontakt zu den Menschen, deren Alltag tatsächlich relevant wäre: Freund:innen, Familie, Kolleg:innen. Zwischen Lohnarbeit und vier, fünf oder sechs Stunden täglichem Doomscrolling lässt sich kaum noch die Zeit finden, reale Personen zu treffen und echte Gespräche zu führen.



Soziale Medien erzeugen eine doppelte Verschiebung: Erstens ersetzt der Konsum pseudointimer Inhalte die echte Auseinandersetzung mit realen Personen. Zweitens verschiebt sich unsere Wahrnehmung dessen, was „normal“ ist. Die dramaturgische Überhöhung sozialer Medien macht reale Erfahrungen unscheinbar. Warum sich für einen ehrlichen Austausch über Gefühle oder Beziehungen interessieren, wenn die Timeline mit Skandalen, Geständnissen und emotionalen Extremzuständen gefüllt ist?

Das Falsche von den Falschen

Vielleicht ist das eigentliche Problem nicht, dass wir „zu viel“ voneinander wissen. Sondern dass wir das Falsche von den falschen Personen wissen. Wir erfahren intime Details, die entweder künstlich produziert sind oder die niemals für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Und zugleich wissen wir immer weniger über die Menschen, die unser Leben wirklich ausmachen.

Wenn wir wieder mehr von den Menschen um uns herum wissen wollen, müssen wir uns weniger für die Schauspieler:innen in unseren Feeds interessieren. Und welche Details wir selbst auf Instagram oder TikTok teilen, sollten wir uns auch besser zweimal überlegen: Nicht aus Prüderie, sondern aus Selbstschutz vor Datensammlung, emotionaler Abstumpfung und um die Beziehungen zu pflegen, die nicht algorithmisch optimiert sind.

Es tut gut, mit Freunden über das eigene Datingleben zu quatschen, mit seinem Vater über die Gesundheit und mit der besten Freundin über den letzten Sex – und es stärkt die Beziehung, wenn sie das ebenso tun. Diese Zeit und Kapazität sollten wir einander einräumen. Auch wenn das ab und zu bedeutet, auf den Dopaminrausch via Instafeed zu verzichten.

Wir alle sollten wieder mehr voneinander wissen. Darauf, auf sozialen Medien darüber zu posten, sollten wir hingegen verzichten.



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Raue Storys für glatte Zeiten


Beim Anblick der die Hollywood-Version von Leonidas und seiner legendären „300“ überkommt mich die Lust nach einem Work-out. Und wenn König Théoden und der Waldläufer Aragorn, beides Charaktere aus „Herr der Ringe“, auf die feindliche Ork-Armee losstürmen, stellen sich Zuschauern die Nackenhaare auf.

Todesverachtenden Heldenmut zeigt auch Achilles in der amerikanischen Adaption der Troja-Sage, als er seinen Myrmidonen vor dem selbstmörderischen Angriff auf die Stadt die „Unsterblichkeit“ verspricht. Etwas feingeistiger, doch nicht weniger archaisch, nimmt Feldherr Julius Cäsar durch seinen viel zitierten Spruch „Ich kam, ich sah, ich siegte“ einen Platz in der Geschichte verwegener Männer ein.

„WARNING: watching this will increase your testosterone level by 300%”, lautet der Top-Kommentar für Leonidas auf YouTube. Auch im Silicon Valley, wo der Bedarf an Testosteron offenbar besonders hoch ist, fallen die Heldenerzählungen auf überaus fruchtbaren Boden. Dort lassen sich Tech-Jünger von ihren Idolen gar zu neuen Unternehmen inspirieren.

Fantasy als Vorbild

Palmer Luckey ist Erfinder der Virtual-Reality-Brille Oculus Rift. Gemeinsam mit Trae Stephens, ehemals Mitarbeiter beim Überwachungsunternehmen Palantir, hat er 2017 das Verteidungs-Start-up „Anduril“ gegründet. Benannt ist es nach Aragorns Schwert Andúril. Übersetzt aus der fiktiven Quenya-Sprache bedeutet der Name „Flamme des Westens“.

Peter Thiel, Mitgründer von Palantir, dessen Name ebenfalls aus dem Herr-der-Ringe-Kosmos stammt, investiert in Technologie für „Unsterblichkeit“, sich selbst stilisiert er zum furchtlosen Kämpfer gegen den „Antichristen“. Curtis Yarvin, ein im Silicon Valley beliebter Blogger, wünscht sich gar einen „neuen Cäsar“ an der Spitze der USA.

Mark Zuckerberg, Leser und Bewunderer von Yarvin, hat seiner Frau Priscilla „nach römischem Brauch“ eine Statue im hauseigenen Garten gewidmet. Die Namen ihrer Kinder – Maxima, August, Aurelia – sind an römische Kaiser angelehnt.

Schwarz-weiße Welt

Fantasy-Epen wie 300 oder Herr der Ringe zeichnen sich durch eine verlässliche Einteilung der Welt in Gut und Böse aus. „Wir lieben die alten Geschichten wegen ihrer Unveränderlichkeit“, stellte die Fantasy-Autorin Ursula K. Le Guin einst fest. Hier finden Menschen Beständigkeit und alte Weisheiten – seltene Schätze in unserer flüchtigen Gegenwart.

Oft sind es gerade jüngere Menschen, die sich an der Vorstellung von glorreichen Königen oder unbezwingbaren Herrschern – und damit auch an antidemokratischen Erzählungen – ergötzen. Schließlich waren es Cäsar und sein Nachfolger Augustus, die das Ende der Republik besiegelten und den Weg zum römischen Kaiserreich ebneten. Und in Sparta, das im Film 300 als „freies Griechenland“ porträtiert wird, herrschte eine kleine Elite über den Großteil der Bevölkerung. Nachdem der Staat im Peloponnesischen Krieg seinen langjährigen Rivalen Athen besiegt, bricht dort umgehend die Oligarchie an.

Im zahlen- und umsatzgetriebenen Silicon Valley können die Unternehmer so ihre vergleichsweise kurze Kulturgeschichte erweitern und dabei etwaige Komplexe ausgleichen. Womöglich suchen sie auch einen passenden ideologischen Rahmen für ihre aggressiven Geschäftsmodelle – oder streben genau danach, was ihre Idole ihnen vorleben: Ruhm, Oligarchie, Sixpack.



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Die glatte Tech-Welt sehnt sich offenbar nach den rauen Erfahrungen, die das analoge Leben noch bereithielt. Dafür muss sie „Kämpfe“ inszenieren, die eigentlich keine sind. Elon Musk etwa bekämpft die eigenen Komplexe mit Haartransplantationen, Botox und Wangenknochenverstärkung. Derweil hat Zuckerberg sich zum Kampfsportler hochpäppeln zu lassen. Beim Podcaster Joe Rogan spricht er betont „männlich“ über Jagd, Töten und Mixed Martial Arts.

Widersprüche und Allmachtsfantasien

Führen Heldensagen ins nächste Fitnessstudio, ist das erst mal keine schlechte Sache. Die Weltanschauung und das eigene Unternehmen rund um ambivalenzbefreite Allmachtsfantasien aufzubauen, ist hingegen brandgefährlich.

Dabei ist es Zuckerberg selbst, der mit seinen Unternehmen und „sozialen“ Medien unermüdlich das Fundament einer schönen Welt ruiniert und ihre Bewohner in die digitale Entfremdung treibt. Den Erfolg Zuckerbergs garantiert ein werbe- und effizienzorientiertes System, das sich durch die wachsende Unzufriedenheit seiner Mitglieder und den Ruf nach „alter“ Stärke schließlich gewaltsam selbst abschafft.

Und was passiert, wenn eine kleine Gruppe in Widersprüchen gefangener Männer die Macht übernimmt und die Wut der Menschen für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert, zeigt die Geschichte. Dass ebenjene nur als Karikaturen ihrer verherrlichten antiken Ideale dienen, ist ein kleiner, überaus bitterer Witz. Denn das große Leid tragen später wie üblich die Schwächsten einer Gesellschaft und nicht die Profiteure an der Spitze.



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Die Woche, in der wir zurück ins Jahr 1986 reisten


Liebe Leser:innen,

das Wort des Jahres ist „KI-Ära“. Das Thema Künstliche Intelligenz „ist aus dem Elfenbeinturm der wissenschaftlichen Forschung herausgetreten und hat die Mitte der Gesellschaft erreicht“, begründet die Gesellschaft für deutsche Sprache ihre Wahl.

Die Bundesdruckerei hockt derweil in ihrer ganz eigenen Abgeschiedenheit. Sie setzt den Datenatlas um, der „souveräne Datenkatalog für die Bundesverwaltung“. Mitarbeitende verschiedener Ministerien und Behörden sollen hier nachschlagen können, wo welche Daten liegen.

Eigentlich eine gute Sache. Doch das Projekt ist offenbar Lichtjahre von der technischen Gegenwart, geschweige denn von irgendeiner „KI-Ära“ entfernt. Zu diesem Schluss kommt zumindest der Wissenschaftler David Zellhöfer in einem Gutachten, über das meine Kollegin Esther diese Woche berichtet hat. Demnach biete der Datenatlas weniger Funktionen als Datenbanken aus dem Jahr 1986, so das markige Urteil. Damals war das Wort des Jahres übrigens „Tschernobyl“. So lange ist das her.

Auf Platz 2 kam vor knapp vierzig Jahren das Wort „Havarie“, was so viel wie Fehler oder Schaden bedeutet. Den will die Bundesdruckerei nun offenbar noch vergrößern. Als wir sie mit den Ergebnissen des Gutachtens konfrontieren, schrieb die bundeseigene GmbH zurück, gegebenenfalls rechtliche Schritte gegen Zellhöfer einzuleiten.

Zellhöfer nahm sein Gutachten daraufhin offline, um sich rechtlich abzusichern. „Ich war unmittelbar eingeschüchtert“, sagte er gegenüber netzpolitik.org, „obwohl die Antwort der Bundesdruckerei in keiner Weise sachlich nachvollziehbar ist.“

Inzwischen ist das Gutachten wieder abrufbar. Und Zellhöfer kann mit mehr Humor auf die Sache schauen. Positiv gesehen könne der Datenatlas auch „als Projekt eines Retro-Computing-Enthusiasten“ durchgehen, sagt er.

Ein bisschen mehr Humor wünsche ich auch der Bundesdruckerei. Dann trägt sich die Atlas-Last gleich leichter.

Habt ein schönes Wochenende!

Daniel

 

 



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Weltweites CDN: Offenbar wieder Störung bei Cloudflare


Am Freitagvormittag gibt es offenbar erneut Probleme beim CDN-Anbieter Cloudflare. Verschiedene Webseiten sind nicht verfügbar – sie liefern lediglich einen HTTP-Fehler 500 aus. Die Ursache ist unklar, der Anbieter spricht von „API-Problemen“.

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Cloudflare kaputt

Cloudflare kaputt

Fehler 500 beim Besuch von cloudflare.com

Stichproben einiger Webseiten wie cloudflare.com, aber auch die beliebten Störungsmelder downdetector.com und allestoerungen.de sind fehlerhaft oder komplett defekt: Mal fehlt die Startseite komplett, in anderen Fällen lediglich die per Cloudflare-CDN ausgelieferten Assets wie Bilder und Stylesheets

Cloudflares Statusseite hingegen ist, anders als beim vorherigen Ausfall im November, noch immer verfügbar. Sie spricht von Fehlern bei der Cloudflare API und dem Dashboard. „Customers using the Dashboard / Cloudflare APIs are impacted as requests might fail and/or errors may be displayed.“

Wie Cloudflare nun erläuterte, handelte es sich beim Ausfall um eine Auswirkung der kürzlich bekannt gewordenen kritischen „React2Shell“-Sicherheitslücke im React-Framework. Das Unternehmen habe für die Web Application Firewall, die neben Kundendomains offenbar auch die eigene Webseite schützt, eine Änderung eingespielt, um vor CVE-2025-55182 zu schützen. Was genau schiefgegangen sei, werde man später bekanntgeben, so das Unternehmen. Ein Cyberangriff liege nicht vor.

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Der Cloudflare-eigene DNS-Resolver 1.1.1.1 war für viele Telekom-Kunden offenbar am Abend des 3. Dezember nicht erreichbar. Wie Betroffene auf Reddit beklagten, führte das zu Internetausfällen – weil auch die Alternative 1.0.0.1 nicht funktionierte. Mittlerweile scheint diese Störung jedoch behoben, die Ursache ist unklar.


RIPE Atlas: Cloudflare-DNS 1.1.1. nicht erreichbar

RIPE Atlas: Cloudflare-DNS 1.1.1. nicht erreichbar

Am Abend des 3. Dezember erreichte keiner der 150 Messpunkte des Monitoringnetzes „RIPE Atlas“ im Netz der Telekom den DNS-Server 1.1.1.1.

(Bild: Reddit-User lordgurke)


Update

05.12.2025,

10:16

Uhr

Cloudflare hat laut eigenen Angaben Problembehebungen vorgenommen und beobachtet die Störung weiter.


Update

05.12.2025,

11:08

Uhr

Erste Fehleranalyse seitens Cloudflare ergänzt.


(cku)



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