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Datenschutz & Sicherheit

„Spätestens jetzt sollte die Bundesdruckerei den Datenatlas öffentlich zugänglich machen“


Der Streit um den Datenatlas kocht weiter hoch. Über das Metadaten-Portal sollen Mitarbeiter*innen der Bundesverwaltung Datensätze und Dokumente aus der internen Verwaltung leichter auffinden. Vor gut zwei Wochen veröffentlichte David Zellhöfer ein wissenschaftliches Gutachten zu dem Portal. Sein Fazit: Der Datenatlas bleibt weit hinter dem zurück, was die zuständige Bundesdruckerei (BDR) auf ihrer Website verspricht.

Daraufhin teilte die BDR auf Anfrage mit, sie erwäge „rechtliche Schritte“ gegen Zellhöfer. Zellhöfer ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und lehrt zum Thema Digitale Innovation in der öffentlichen Verwaltung. Er ist promovierter Information-Retrieval-Spezialist – also ausgewiesener Fachexperte eben jenes Bereichs, dem sich sein Gutachten widmet.

Im Interview mit netzpolitik.org spricht Zellhöfer über seine Motive für das Gutachten und wie es ihm nach der Ankündigung der Bundesdruckerei ergangen ist. Außerdem nimmt er Stellung zu neuen inhaltlichen Angaben, die die BDR gegenüber netzpolitik.org in einem neuen Statement gemacht hat.

David Zellhöfer
David Zellhöfer – Alle Rechte vorbehalten pixelanddotphotography

„Ich wollte gar nicht, dass das Gutachten solch einen Wind macht“

netzpolitik.org: Vor zwei Wochen hatte die Bundesdruckerei angekündigt, möglicherweise rechtliche Schritte gegen dich einzuleiten. Wie ist es dir seither ergangen?

David Zellhöfer: Die Reaktion war für mich nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Privatperson harter Tobak. Sie hat mich ziemlich eingeschüchtert. Umso mehr freue ich mich über die Unterstützung, die ich von vielen Seiten erfahren habe. Rückendeckung bekam zum Beispiel vom Hochschullehrerbund. Er fand die Reaktion der Bundesdruckerei bezüglich der Wissenschaftsfreiheit sehr problematisch. Kolleg*innen haben mir Hilfe angeboten für den Fall, dass ich mich rechtlich zur Wehr setzen muss.

Auf LinkedIn sprangen mir Geschäftsführer von Unternehmen aus dem öffentlichen Sektor zur Seite. Ich glaube, auch ein Referent des Nationalen Normenkontrollrats kritisierte die Reaktion der Bundesdruckerei. Und aus der Bundesverwaltung kamen bestärkende Rückmeldungen, auch von Menschen, die ich nicht kannte und die anonym bleiben wollen. Außerdem haben mir Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Datenlaboren im persönlichen Gespräch meine Ergebnisse bestätigt.

Ich wollte gar nicht, dass das Gutachten solch einen Wind macht, aber so ist es halt jetzt.

Geheimsache Datenatlas

netzpolitik.org: Im Gutachten schreibst du, dass du dich bereits im Sommer an die Bundesdruckerei gewandt hast. Worum ging es dabei?

David Zellhöfer: Ich habe nach Informationen zum Datenatlas gefragt, die ich für meine Lehrveranstaltung nutzen wollte. Damals diskutierte ich mit Kolleg*innen bei der Bundesdruckerei über den Datenatlas. Meine Anfrage wurde dann aber plötzlich aus Sicherheitsgründen oder so ähnlich abgelehnt. Ich solle von weiteren Nachfragen absehen, hieß es, alle Informationen stünden ja in den Pressemitteilungen.

netzpolitik.org: Ist der Verweis auf Sicherheitsbedenken denn ungewöhnlich?

David Zellhöfer: Bei anderen Datenplattformen des Bundes kam ich immer direkt an Informationen, insofern ja. Außerdem stellte ich keine sicherheitskritischen Fragen. Ich wollte nur wissen, ob sie zum Beispiel Offene Software verwenden oder andere Komponenten. Das konnte ich selbst nicht ermitteln. Alle anderen Systeme der Verwaltung finde ich entweder auf GitHub oder auf openCode.de. Zum Datenatlas habe ich mit Ausnahme der Pressemitteilungen keine öffentlichen Informationen gefunden.

netzpolitik.org: Warum macht die Bundesdruckerei aus dem Datenatlas so ein Geheimnis?

David Zellhöfer: Das kann ich mir nicht erklären. Von verschiedenen Kolleg*innen aus der Bundesverwaltung, die viel mit Datenprozessierung zu tun haben, erfuhr ich, dass sich der Datenatlas nicht gut bedienen lässt. Sie fragten mich nach meiner Einschätzung und gewährten mir Einblick über Live-Demos. Außerdem habe ich Screenshots von der Nutzeroberfläche erhalten und ausgewertet.

Ich habe mich erkundigt, ob der Datenatlas einer Geheimhaltungsstufe unterliegt. Das ist nicht der Fall. Daher steht es prinzipiell jede*r Person in der Bundesverwaltung frei, mich in das System schauen zu lassen. Auch habe ich keinerlei Belehrungen erhalten, dass ich nichts darüber sagen darf.

„Nutzende können sich so gar nicht im Datenraum bewegen“

netzpolitik.org: Was ist deine Hauptkritik am Datenatlas?

David Zellhöfer: Meine Bewertung bezieht sich auf den Stand vom Juli dieses Jahres, als ich mir das Portal zuletzt anschauen konnte. Damals gab es nur die Möglichkeit einer gerichteten Suche, auch bekannt als „Known Item Search“. Damit kann ich nur Dokumente finden, von denen ich weiß, dass sie existieren. Für Expert*nnen kann diese Suchart sinnvoll sein, für Laien ist sie es eher nicht. Laut Pressemitteilungen will die Bundesdruckerei im Datenatlas künftig eine explorative Suche anbieten, die eine breitere Suche ermöglicht. Das entspräche dann auch dem aktuellen Stand der Technik.

Mich hat außerdem überrascht, dass die BDR etwas komplett Neues entwickeln wollte, statt zu schauen, was am Markt bereits verfügbar ist und gut funktioniert. Im Gutachten habe ich ausgeführt, dass es seit den frühen 1990er-Jahren Repository-Systeme gibt, die für den Datenatlas geeignet wären. Bei der Software-Entwicklung hätte sich die Bundesdruckerei einfach an GovData orientieren können, die bieten alle Features an.

Schließlich haben mich verschiedene Personen aus der Bundesverwaltung auf die Freitext-Problematik hingewiesen. Wenn Nutzer*innen einen Eintrag in die Datenbank vornehmen wollen, können sie in die entsprechenden Datenfelder beliebige Texte einfügen. Das versucht man üblicherweise zu verhindern.

netzpolitik.org: Was ist das Problem mit Freitext-Feldern?

David Zellhöfer: Um eine Auffindbarkeit von Dokumenten sicherzustellen, sollten sie, vereinfacht gesprochen, immer mit denselben Schlagwörtern belegt werden. Dementsprechend nutzt man hier kontrollierte Vokabulare, wie es sie im Bibliotheks- und Archivwesen seit mehr als 500 Jahren gibt.

Im Datenatlas hat man sich aber anscheinend dagegen entschieden. Das bringt Probleme mit sich, etwa bei Tippfehlern. Zum einen schränkt das die Datenqualität ein. Zum anderen erhalten Nutzende, wenn es nur eine gerichtete Suche gibt, unvollständige Trefferlisten. Sie können sich so gar nicht im Datenraum bewegen.

Darüber hinaus sind Suchanfragen im Datenatlas nur sehr eingeschränkt möglich, weil bestimmte Suchoperatoren wie zum Beispiel „UND“, „ODER“ oder „NICHT“ nicht anwendbar sind. Ich weiß aus verschiedenen Stellen der Bundesverwaltung, dass so etwas eigentlich gefordert war.



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„Dass ich nur das Frontend begutachten konnte, stimmt nicht ganz“

netzpolitik.org: Uns liegt inzwischen eine weitere Stellungnahme der Bundesdruckerei vor. Demnach hast du nur das Frontend des Datenatlas begutachtet und kannst keine Aussagen zum gesamten System machen. Im Frontend liege eine „limitierte Suchfunktion“ vor, die außerdem „in Abstimmung mit dem Auftraggeber für eine Nutzergruppe ohne spezielle IT-Kenntnisse entwickelt“ und seit Juli „noch weiterentwickelt“ wurde. Wie bewertest du diese Behauptung?

David Zellhöfer: Dass ich nur das Frontend begutachten konnte, stimmt nicht ganz. Ein Kapitel im Gutachten stützt sich zwar auf die Screenshots. Abgesehen davon gehören zu meinen Datenquellen aber auch die Berichte von Mitarbeitenden der Datenlabore sowie anderen Personen, die während des Projektverlaufs mit der Softwarelösung zu tun hatten.

Dass die Bundesdruckerei die limitierte Suchfunktion für Laien eingerichtet hat, ist aus informationswissenschaftlicher Sicht nicht plausibel. Eine gerichtete Suche mit Schlagworten hilft Nutzenden nicht, wenn sie nicht auch den gesamten Dokumentkorpus kennen. Das belegen Studien seit den 1980er-Jahren. Für das Gros der Bevölkerung, zu dem auch die meisten Nutzenden der Bundesverwaltung zählen werden, ist eine solche Suche nicht machbar.

Wenn es stimmt, dass sie die Suchfunktion weiterentwickelt haben, freut mich das natürlich. Aber das kann ich derzeit nicht überprüfen.

netzpolitik.org: Die Bundesdruckerei schreibt weiter, dass du das Backend des Datenatlas „sowie die umfangreichen Programmierschnittstellen“ nicht auswerten konntest. Gerade die Schnittstellen seien „jedoch für versierte Nutzende und Data Scientists gedacht“.

David Zellhöfer: Die Programmierschnittstellen als Teil des Backends konnte ich mir bislang tatsächlich nicht anschauen. Das wurde mir verwehrt. Für das Gutachten ist das allerdings kaum ausschlaggebend. Denn ich konzentriere mich auf das Thema der Informationssuche. Dafür muss ich mir in erster Linie die Nutzeroberfläche anschauen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass selbst „versierte Nutzende und Data Scientists“ auf Programmierungsebene mit dem System arbeiten werden.

Die Bundesdruckerei verwendet das Wort „Backend“ aber zudem nicht trennscharf. Denn offenbar meint sie damit auch jene Funktionalitäten, die Datenforschende nutzen können. Und hierzu kann ich in meinem Gutachten Aussagen treffen: konkret darüber, wie Nutzende Datensätze anlegen und wie sie Metadaten importieren.

„Das wirkt wie eine Diffamierung meiner Arbeit“

netzpolitik.org: Auch in ihrer neuen Stellungnahme stellt die BDR die wissenschaftliche Expertise deines Gutachten infrage. Demnach beruhe der Inhalt unseres Artikels „auf einem Papier, das sowohl fachlich, inhaltlich als auch von der Herangehensweise mehr als fragwürdig ist.“

David Zellhöfer: Immerhin setzen sie das Wort „Gutachten“ nicht mehr in Anführungsstriche. Das hatten sie in ihrer ersten Stellungnahme ja noch getan. Ich habe inzwischen ausführlich auf die Stellungnahme reagiert.

Die Aussage der BDR wirkt wie eine Diffamierung meiner Arbeit. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn sie an anderer Stelle schreibt, im Gutachten hätte ich „Vorwürfe und Meinungen“ geäußert. Eben das habe ich aber an keiner Stelle des Gutachtens getan. Sondern ich habe wissenschaftliche Methoden angewandt, die in jedem Einführungsband zum Thema Informationssuche zu finden sind.

Außerdem enthält das Gutachten mehrere Vorschläge, wie man den Datenatlas verbessern könnte. Alle im Gutachten getätigten Aussagen sind fachlich eingeordnet und anhand von Forschungsliteratur belegt. Und spätestens jetzt sollte die Bundesdruckerei den Datenatlas öffentlich zugänglich machen, damit er verbessert werden kann – bekannt ist er ja nun.



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SPD-Politiker fordert Inhaltskontrolle auf allen Endgeräten


Der SPD-Politiker Sebastian Fiedler hat in einer Bundestagsdebatte zur Chatkontrolle am vergangenen Mittwoch gefordert: „Es darf kein Endgerät mehr auf dem europäischen Markt geben, das überhaupt in der Lage ist, kinderpornografisches Material anzuzeigen und zu verarbeiten.“ (Video)

Der Vorschlag würde eine extreme Form von Zensur und Inhaltskontrolle erfordern. Die Technologie und das Vorhaben wären noch weit eingriffsintensiver als die verpflichtende Chatkontrolle, die in Europa vier Jahre lang diskutiert wurde und nun vorerst vom Tisch ist. Zensurtechnologien auf Endgeräten, wie die von Fiedler vorgeschlagene Version, sind eher aus Ländern wie Nordkorea bekannt.

Der Innenpolitiker und Polizist Fiedler, der früher Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter war, fordert diese Form der Überwachung und Informationskontrolle nicht zum ersten Mal. Schon im Jahr 2024 hatte er seinen Vorschlag im Rahmen der Chatkontrolle-Debatte ins Spiel gebracht. Damals behauptete er im Interview mit WDR5, dass eine technische Umsetzung des Vorschlags möglich sei.

Wir hatten schon damals nachgefragt, wie dies funktionieren soll – und bedauerlicherweise keine Antwort von Herrn Fiedler erhalten.

Neue Fragen bleiben ebenfalls unbeantwortet

Weil er nun erneut diesen Vorschlag ins Rennen schickt, haben wir wieder nachgefragt. Wir wollten wir unter anderem wissen, wie die Technologie funktionieren soll, ohne dass es zu einer anlasslosen Komplettüberwachung aller digitalen Inhalte auf sämtlichen Endgeräten kommt.

Außerdem wollten wir von Herrn Fiedler wissen, ob ihm eine Technologie bekannt ist, die das leistet.

Und wir wollten wissen, wie Herr Fiedler ausschließen möchte, dass die Technologie in autoritären Ländern oder in Deutschland unter einer AfD-Regierung dazu genutzt wird, um unliebsame politische Inhalte zu sperren.

Auch dieses Mal hat Herr Fiedler auf die Presseanfrage von netzpolitik.org nicht reagiert.



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Datenschutz & Sicherheit

SSH-Server Dropbear erlaubt Rechteausweitung | heise online


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This article is also available in
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It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Eine Sicherheitslücke im schlanken SSH-Server Dropbear ermöglicht Angreifern, ihre Rechte im System auszuweiten. Aktualisierte Softwarepakete schließen die Sicherheitslücke.

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Dropbear kommt aufgrund seiner geringen Größe oftmals auf Single-Board-Computersystemen und Routern zum Einsatz, etwa in OpenWRT. Jetzt haben die Entwickler die Dropbear-Version 2025.89 veröffentlicht und schreiben in der Ankündigung, dass bei älteren Fassungen bis einschließlich Dropbear 2024.84 Angreifer beliebige Programme im System als „root“ starten können, sofern sie eine Sicherheitslücke in Dropbear ausnutzen.

Ursache des Sicherheitslecks ist die Weiterleitung von Unix-Sockets. Andere Programme auf dem System können Unix-Sockets mittels SO_PEERCRED authentifizieren, was bei von Dropbear weitergeleiteten Verbindungen der User „root“ ist, was die Ausweitung der eigenen Rechte ermöglicht, führen die Dropbear-Programmierer aus (CVE-2025-14282, CVSS 9.8, Risiko „kritisch“).

Wer noch nicht aktualisieren kann, kann sich damit behelfen, den Zugriff auf Unix-Socket-Forwarding zu unterbinden. Das erledigt der Aufruf mit Kommandozeilenparameter dropbear -j – das deaktiviert jedoch zugleich auch TCP-Forwarding. Wer Dropbear aus den Quellen selbst baut, kann auch in den Header-Dateien „localoptions.h“ sowie „distrooptions.h“ einen Define passend setzen: „#define DROPBEAR_SVR_LOCALSTREAMFWD 0“ sorgt dafür, dass die anfällige Funktion nicht ausgeführt wird. Die vollständige Korrektur benötigt jedoch weiterreichende Änderungen.

„Die Weiterleitung von Unix-Sockets ist jetzt deaktiviert, wenn erzwungene Befehlsoptionen verwendet werden, da sie Befehlsbeschränkungen umgehen könnten“, erklären die Dropbear-Entwickler. Das stehe nicht direkt mit der Rechteausweitung in Verbindung, aber könnte die Ausführung beliebiger Befehle als korrekter User erlauben.

Die Risikoeinstufung als „kritisch“ der Schwachstelle stammt vom CERT-Bund. Wer Dropbear als SSH-Server einsetzt, sollte nach aktualisierten Paketen Ausschau halten und diese zeitnah installieren. Sofern das noch nicht möglich ist, hilft der vorgeschlagene Workaround, die eigene Installation abzusichern.

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(dmk)



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Wo US-Konzerne beim digitalen Euro mitreden


Mehr Europäische Souveränität – weniger Abhängigkeit von großen US-Konzernen. Das ist das zentrale Versprechen des Digitalen Euro. Doch immer wenn über technische Standards beim Digitalen Euro geredet wird, sitzen US-amerikanische Big Tech- und Finanzkonzerne mit am Tisch. Mastercard ist sogar an einem der Unternehmen beteiligt, die den Digitalen Euro zum Leben erwecken sollen.

Der Digitale Euro (D€) soll das grenzüberschreitende Bezahlen möglich machen und damit das Oligopol von Mastercard, Visa und PayPal aufbrechen. Spätestens seit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus begründen Befürworter:innen das Projekt der EZB auch mit Europäischer Souveränität.

Europäische Souveränität als Ziel

So verweist Burkhard Balz, Vorstand der Bundesbank, im Tagesspiegel auf das Schicksal des brasilianischen Richters Alexandre de Moraes, der zuerst den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro für seinen Putschversuch verurteilte. Die Trump-Regierung sanktionierte daraufhin den Richter und schloss ihn so de-facto vom Finanzsystem aus. Ähnliche Szenarien seien im europäischen Zahlungsverkehr denkbar. US-Anbieter „können dann darüber entscheiden, ob wir Europäer digital zahlen können oder nicht“, schreibt Bundesbanker Balz.

Weniger Abhängigkeit von US-Firmen ist also das Ziel des D€, insbesondere von Mastercard und Visa, die das bargeldlose Bezahlen in Europa dominieren. Umgesetzt werden soll das auf der einen Seite von EU-Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament – den EU-Gesetzgebern. Sie arbeiten an einem Gesetzespaket zum Digitalen Euro. Auf der anderen Seite arbeitet die Europäische Zentralbank (EZB) bereits an der Umsetzung. Und genau dort wirft der Einfluss von US-Konzernen Fragen auf.

Mastercard ist an App-Entwickler für den D€ beteiligt

Denn ausgerechnet Mastercard ist auch an einem wichtigen Unternehmen für die Entwicklung des Digitalen Euro beteiligt. Der gleiche Digitale Euro, der uns unabhängiger von Mastercard machen soll.

Denn zur Umsetzung des D€ hat die EZB bereits Aufträge vergeben. Unter Vertrag genommen wurden zehn Unternehmen für insgesamt fünf Aufträge: Alias-System, App und Software Entwicklung, Offline-Lösung, Risko- und Betrugsmanagement sowie sicherer Austausch von Zahlungsinformationen.

Einen Teil der Ausschreibung zur App-Entwicklung gewann die italienische Firma Fabrick. Mastercard hat Anteile an dem Unternehmen, das mehrheitlich zur italienischen Banca Sella Gruppe gehört. Mastercard kaufte sich 2023 in das Unternehmen ein, wie ein Pressemitteilung zeigt, und hält die Anteile bis heute. Wie viele Anteile Mastercard an Fabrick besitzt, ist unklar. Beide Unternehmen haben nicht auf Anfragen von netzpolitik.org reagiert.

„Es ist ein Risiko“

Bruno de Conti von der NGO Positive Money führt die Beteiligung von Mastercard auf die hohe Konzentration und Vernetzung innerhalb des Finanzmarkts zurück, er sei daher nicht überrascht gewesen, dass Mastercard an einem der Unternehmen beteiligt gewesen sei. „Dennoch stellt das ein Risiko dar“, warnt de Conti. Es brauche einen möglichst transparenten Prozess und eine starke EZB, die das Gemeinwohl verteidige.

Rechtsprofessor Andreas Kerkemeyer von der TU Darmstadt findet die Minderheitsbeteiligung von Mastercard zumindest überraschend: „Es ist wichtig für das Gelingen des Digitalen Euros, dass die Unternehmen, mit denen die EZB zusammenarbeitet, um die Kernfunktionen bereitzustellen, ihren Sitz in Europa haben, in europäischer Hand sind und auch nicht von nicht-europäischen Unternehmen aufgekauft werden.“

EZB: Minderheitsbeteiligung ist unproblematisch

Die EZB teilt auf Anfrage mit, dass die Verträge und Ausschreibungen eine Bedingung beinhalten, um die europäische Autonomie zu sichern. Dieser Bedingung zur Folge müssen alle Dienstleister des Digitalen Euro europäisch kontrolliert sein, also von einem Unternehmen mit Sitz in der EU oder einem EU-Bürger. Die EZB schreibt:

Kontrolle’ bedeutet die Möglichkeit, direkt oder indirekt über ein oder mehrere zwischengeschaltete Unternehmen einen entscheidenden Einfluss auf ein Unternehmen auszuüben. Die Kontrolle kann in einer der folgenden Formen ausgeübt werden: direkte oder indirekte Beteiligung von mehr als 50 % des Nennwerts des ausgegebenen Aktienkapitals der betreffenden juristischen Person oder Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter dieser Person.

Die Minderheitsbeteiligung von Mastercard habe „offenbar keine ‚Kontrolle‘ über den Anbieter zur Folge und wirkt sich daher nicht auf die Eignung des Anbieters aus, Arbeiten und Dienstleistungen für die EZB zu erbringen“, antwortet die EZB auf netzpolitik.org-Anfrage.

Das Regelwerk

Neben der Unternehmensbeteiligung ist Mastercard noch an einer anderen Stelle in der Umsetzung des Digitalen Euro mindestens involviert – ebenso wie einige US-amerikanische Big Tech-Konzerne.

Denn ein wichtiger Teil der D€-Umsetzung geschieht in der Rulebook Development Group (RDG). Diese arbeitet ein Rulebook („Regelwerk“) aus, in welchem einheitliche Regeln und technische Standards festgelegt sind. Besonders relevant ist das für die Unternehmen, die die zukünftigen Zahlungsprozesse abwickeln, etwa Banken oder andere Zahlungsdienstanbieter. Nach Auskunft der Bundesbank wurde die RDG „ins Leben gerufen, um eine Branchenperspektive auf den Entwurf des Regelwerks für den digitalen Euro zu gewinnen.“

Wo US-Konzerne mit am Tisch sitzen

Doch mit am Tisch sitzen auch Verbände, deren Mitglieder große US-amerikanischen Unternehmen sind, also genau die, von denen die EZB die europäische Abhängigkeit reduzieren möchte.

  • Da ist zum einen als Vertreter der Zahlungsinstitutionen die European Payment Institutions Federation (EPIF). Diese ist dominiert von US-amerikanischen Big-Tech-Konzernen. Apple, Amazon Payments, Google Pay und Meta stellen immerhin die Hälfte der „Voll-Mitglieder“. Zu diesem Kreis gehören auch die US-Finanzkonzerne American Express, Moneygram und Western Union.
  • Auch die Mitgliederliste der Electronic Money Association (EMA) liest sich wie ein Who-is-who der Plattformkonzerne: AirBnB, Amazon, ByteDance, Google, PayPal und Uber sind mit von der Partie, ebenso wie Finanzkonzerne wie American Express und die Kryptobörse Kraken.
  • Amazon ist außerdem noch Mitglied im Händlerverband Eurocommerce, in dem auch Aldi und die Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl) sitzen.
  • Mastercard ist Mitglied in zwei in der RDG sitzenden Verbänden. Die belgische Präsenz von Mastercard ist Mitglied im European Payment Council, außerdem gehört Mastercard das Unternehmen „aiia“, welches Mitglied der European Third Party Providers Association ist.

Wie problematisch ist das?

Bundesbank und EZB verteidigen auf Anfrage die indirekte Präsenz von US-Konzernen in der RDG. So schreibt die EZB: „Alle derzeitigen RDG-Mitglieder aus dem privaten Sektor stammen aus einem europäischen Verband oder sind mit privaten Institutionen/Unternehmen mit Sitz in der EU verbunden.“ Das schließt allerdings auch Tochterunternehmen nicht-europäischer Konzerne mit ein.

Zudem seien die in der RDG ausgehandelten Regeln nicht verbindlich. „Die Rolle der RDG-Mitglieder ist beratend“, schreibt die Bundesbank auf netzpolitik.org-Anfrage. Die Verantwortung und Eigentümerschaft des Regelwerks bleibe beim Eurosystem. Auch die EZB betont, dass die letztendliche Entscheidung bei ihr liege: „Ein endgültiger Entwurf des vorläufigen Regelwerks wird einer öffentlichen Konsultation unterzogen. Anschließend wird das Regelwerk für den digitalen Euro dem EZB-Rat zur Prüfung und anschließenden Genehmigung vorgelegt.“

Zivilgesellschaft: Kein Vorbeikommen an US-Konzernen

Expert:innen aus der Zivilgesellschaft sehen die indirekte Beteiligung von großen US-Konzernen kritischer. So sagt Carolina Melches zu netzpolitik.org: „Dass US-Unternehmen indirekt mit am Tisch sitzen, zeigt die problematische Allgegenwärtigkeit dieser Unternehmen im europäischen Zahlungsverkehr. Will man wichtige Stakeholder dabeihaben, kommt man an den US-Anbietern kaum vorbei.“



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Bruno de Conti von der Nichtregierungsorganisation Positive Money Europe warnt, dass es beim Rulebook um „wesentliche Entscheidungen“ gehe. Die Einbindung von privaten Firmen bei Projekten wie dem Digitalen Euro sei auch eine Strategie der Zentralbanken, „um die Zurückhaltung vieler privater Unternehmen in Bezug auf digitale Zentralbankwährungen zu verringern“, schreibt de Conti auf Anfrage.

US-Digitalkonzerne könnten versuchen, auf einen möglichst unattraktiven Digitalen Euro hinzuarbeiten, aber es könnte auch auf eine interoperable Lösung hinauslaufen, so de Conti weiter. Die Frage nach der Problematik der Beteiligung von großen US-Konzernen „betrifft also weniger die Einbeziehung an sich, sondern vielmehr den Einfluss, den sie in den Gesprächen hatten – etwas, über das wir erschreckend wenig wissen.“

Wissenschaftler: Auch mit diesen Konzernen sprechen

Professor Andreas Kerkemeyer ist von der mindestens indirekten Beteiligung der US-Konzerne an der RDG nicht beunruhigt. „Da der Zugang zum Digitalen Euro für die Nutzer nicht über die EZB oder das Eurosystem erfolgt, sondern über (digitale) Zahlungsdienstleister, macht es schon Sinn mit all denjenigen zusprechen, die in diesem Markt aktiv sind“, sagt der Jura-Professor im Gespräch mit netzpolitik.org.

Für Kerkemeyer „besteht immer die Gefahr eines ‚regulatory capture‘, wenn die Vertreter von Firmen an Rechtsregeln mitarbeiten.“ Regulatory capture meint das Kapern einer Institution, die eigentlich dem Gemeinwohl dienen soll, durch einzelne Lobbygruppen.

„Allerdings steuert die EZB den Prozess maßgeblich, sie hat den Vorsitz und das Sekretariat der RDG inne und am Ende entscheidet sie über das Rulebook“, so Kerkemeyer. Außerdem habe die RDG noch mehr Mitglieder als die oben angesprochenen Verbände.

Der Blick richtet sich auf EU-Parlament und Rat

Dass der Digitale Euro gelinge, sehen alle drei Expert:innen auch in der Verantwortung von Parlament und Rat, diese beraten aktuell über das Gesetzespaket zum Digitalen Euro. So sagt Andreas Kerkemeyer: „In der Verordnung werden die wesentlichen Entscheidungen über den Digitalen Euro getroffen. Es ist klar, dass sich das Rulebook innerhalb des Rahmens der Verordnung bewegen muss.“

Carolina Melches von Finanzwende betont: Der Digitale Euro könne nur dann ein echtes Gegengewicht zu US-amerikanischen Anbietern werden, „wenn Infrastruktur und Betrieb bei seiner Einführung rein europäisch sind“. Hierfür müssten sich auch die EU-Gesetzgeber einsetzen.

Aus Sicht von Positive Money Europe ist das Europäische Parlament aktuell die größte Hürde, um Abhängigkeiten von den USA abzubauen. De Conti bezieht sich damit auf den Entwurf von Berichterstatter Navarrete, der im November im Wirtschaftsausschuss diskutiert wurde. Navarrete hatte vorgeschlagen, einen Online-D€ nur dann einzuführen, wenn bis zu seiner Einführung keine privat-wirtschaftliche pan-europäische Alternative bereitstünde.

Dieser Ansatz sei „kurzsichtig“, kritisiert de Conti: „Würde ein solches System letztendlich von einem Nicht-EU-Unternehmen aufgekauft, stünden wir wieder am Anfang – nur mit einer noch größeren Verzögerung bei der Entwicklung eines umsetzbaren und zuverlässigen Plans und einer weiteren Konsolidierung der Marktmacht in den Händen von Nicht-EU-Unternehmen.“



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