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Datenschutz & Sicherheit

Big-Data-Rasterfahndung: Die Palantir-Konkurrenz schläft nicht


Das Bundesinnenministerium unter Alexander Dobrindt (CSU) plant neue Befugnisse für das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Sie sollen künftig Big-Data-Analysesoftware einsetzen dürfen. Ob dafür als Softwareanbieter der erheblich polarisierende US-Konzern Palantir gewählt wird, ist jedoch noch offen. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte nach unserer Veröffentlichung des Referentenentwurfs eine noch „andauernde Prüfung“ für die Bundesebene.

Ein aktueller Beschluss der Innenministerkonferenz setzt dagegen auf ein „neues, europäisch beherrschtes System“. Denn „die digitale Souveränität“ sei auch für „IT-Produkte der automatisierten Datenanalyse anzustreben“.

Weil das Vorhaben der automatisierten Datenanalyse für die Polizeien des Bundes schon in Kürze zusammen mit einem ganzen „Sicherheitspaket“ ins Kabinett wandern wird, drängen nun Palantir-Konkurrenten an die Öffentlichkeit. Wortreich beschwert sich die Konkurrenz über die Einäuigkeit des Innenministers bei der Auswahl des Softwarepartners.

Der deutsche Anbieter One Data etwa beklagte den gewissen „Promifaktor“ von Palantir, der nicht etwa technisch begründet sei. Auch der Deutschland-Geschäftsführer vom Softwarekonzern SAS, Robert Simmeth, sagt gegenüber netzpolitik.org, dass es „leistungsfähige Alternativen“ gäbe, die auch „rechtsstaatlich kompatibel“ seien.

Der CEO von One Data, Andreas Böhm, gibt auch zu bedenken, „dass US-Anwendungen dem Cloud Act unterliegen und somit dem Zugriff durch US-Sicherheitsbehörden“. Sein Unternehmen biete hingegen „eine souveräne Alternative, die rechtlich im europäischen Raum verankert“ sei. Allein ist er damit nicht: Es würden sich „im Wochentakt“ Unternehmen melden, die sagen würden, „wir können so etwas auch bauen“. Das sagt der Grüne Konstantin von Notz, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Innenexperte ist.

Vereinfachung und Beschleunigung der Datenrecherche

Was ist eigentlich die technische Problemlösung, die Palantir für die Polizei attraktiv erscheinen lässt? Die Software des Konzerns bringt verstreute, heterogene und teilweise unstrukturierte Daten zusammen. Und die liegen bei den Polizeien in großer Fülle vor, aber eben nicht immer schnell und einheitlich zugreifbar. Also kommen die Palantir-Leute in die Amtsstuben und zeigen, wie der Datendschungel aus Polizeidatenbanken und teilweise angejahrten Softwarelösungen erschlossen werden kann.

Dass dabei weitestgehender Zugang zu Daten gewährt werden muss, ist eine technische Notwendigkeit. Das betrifft auch unausweichlich zahlreiche personenbezogene Datensätze über Menschen. Am Ende kommt das Flickwerk aus allen polizeilichen Datenquellen auf der Palantir-Plattform zusammen und kann darüber per Klick ausgewertet werden. Das vereinfacht und beschleunigt polizeiliche Recherchen in den Daten.

Das alles ist technisch keine Magie oder anderen Anbietern Lichtjahre voraus. Es ist modernes Datenmanagement, semantische Datenmodellierung und Anomalie- und Mustererkennung, die in der Informatik gut erforscht sind. Und beileibe nicht jeder öffentliche Auftraggeber war immer voll des Lobes über Palantirs Leistungen. Das bekannteste Beispiel in Europa dürfte Europol sein, die den Konzern nach wenigen Jahren Zusammenarbeit schassten und sich mit dem Konkurrenten IBM zusammentaten. Die Entscheidung Frankreichs gegen Palantir ist ein weiteres prominentes Beispiel.

Fuß in der Tür

Ein entscheidender Vorteil des US-Konzerns aber: Palantirs deutsche Tochter hat den Fuß schon in der Tür und steht im engen politischen Austausch. Es existiert seit Frühjahr 2022 ein Rahmenvertrag, den das bayerische Landeskriminalamt geschlossen hat und der es Polizeien anderer Bundesländer erleichtert, die Software einzusetzen.

Bayern hat dafür eine europäische Ausschreibung durchgeführt und eine zeitaufwendige externe Quellcode-Prüfung vornehmen lassen. Wie genau diese Prüfung aussah und welche Ergebnisse sie hatte, bleibt allerdings geheim. Wenn über Alternativen gesprochen wird, kommt dennoch bei Polizeipraktikern oft das Argument, dass man sofort eine Softwarelösung bräuchte, die eben nur mit Palantir möglich sei. Sonst müsste man diese Schritte wiederholen.

Ist Palantir erst einmal im Einsatz, sind die polizeilichen Nutzer am Haken. Denn das System ist nicht interoperabel mit Konkurrenzsoftware. Daten also einfach in ein anderes System zu übertragen, ist nicht vorgesehen und wäre entsprechend aufwendig. Verständlich aus Anbietersicht, für Polizeien aber eine schwer überwindbare Abhängigkeit und auch eine Kostenfalle bei etwaigen Preissteigerungen. Denn schließlich hängen zahlreiche polizeiliche Ermittler mit ihrer täglichen Arbeit an ihren Computern dann schon am Datentropf.

Zugleich erschwert diese Verschlossenheit eine Evaluation der Leistungsfähigkeit der Software. Bei der Auswertung oder einer wissenschaftlichen Begleitung der automatisierten polizeilichen Datenanalyse weiterhin auf anekdotenhafte Fallbeispiele und fiktive Fallkonstellationen zu vertrauen, ist keine ernsthafte Option.

Zwingend notwendige gesetzliche Grundlage

Letztlich ist es der Auftraggeber, der die Regeln für Software-Dienstleister der Polizei macht: Für den gesetzlichen Rahmen ist das Parlament zuständig, für die praktische Umsetzung sind die aufgestellten Kriterien und die Leistungsbeschreibung in der Ausschreibung ausschlaggebend.

Weder für das BKA noch für die Bundespolizei gibt es bisher die zwingend notwendige gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Palantir oder eines Konkurrenzproduktes zur automatisierten Massendatenanalyse. Vorgaben dafür macht ein Urteil vom 16. Februar 2023, in dem das Bundesverfassungsgericht detailreiche Kriterien für solche Analysen aufstellt.

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Doch selbst wenn die Palantir-Scheuklappen noch fallen und Konkurrenten ernsthaft in den Blick genommen werden sollten, bleiben die Probleme der massiven Grundrechtseingriffe, die solche automatisierten Polizeidatenanalysen mit sich bringen. Das liegt insbesondere daran, dass eben nicht nur Daten von Verdächtigen gerastert werden, sondern auch von völlig unverdächtigen Menschen, deren Daten aus ganz verschiedenen Gründen in Polizeidatenbanken eingeflossen sind. Lena Rohrbach, Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International in Deutschland, nennt das System gegenüber netzpolitik.org eine „auf einem geheimen Code basierende Software“, die Schlussfolgerungen ziehe, „die der Mensch vor dem Rechner oftmals nicht nachvollziehen kann“.

Ob überhaupt ein kommerzielles Unternehmen wie der nach Europa expandierende US-Konzern Palantir für die Verarbeitung solch sensibler Polizeidaten geeignet ist, bleibt kontrovers. Der Grüne von Notz nannte das Outsourcing von „relevanten Teilen polizeilicher Datenverarbeitung an einen privaten Anbieter“ gegenüber netzpolitik.org „ein verfassungsrechtlich extrem heikles Feld“.

Experten zerpflücken automatisierte Datenanalyse bei der Polizei Sachsen-Anhalt

Wer ist die Konkurrenz?

Neben dem schon erwähnten Unternehmen One Data und SAS sind auch Konzerne wie IBM oder Anbieter wie Atos oder das Stuttgarter Softwareunternehmen Almato mit dem Produkt „Bardioc“ oder die französische Konkurrenz Thales mit „Commander“ oder ChapsVision mit „Argonos“ am Markt vertreten. Als weiterer deutscher Anbieter sieht sich auch das Unternehmen Secunet aus Essen als prädestiniert. Das liegt daran, dass es jahrzehntelange Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Polizei- und Geheimdienstbehörden aufweisen kann.

Christine Skropke von Secunet präsentiert in der Bundestagsanhörung den Zeitplan für NasA.
Christine Skropke von Secunet in der Bundestagsanhörung 2024. – Alle Rechte vorbehalten Deutscher Bundestag

So ließ Secunet schon letztes Jahr bei einer Palantir-Anhörung im Bundestag wissen, dass als eine Alternativlösung ein hiesiges Anbieterkonsortium „in sechs bis zwölf Monaten“ eine vergleichbare Software liefern könne. Mit im Boot war der deutsche Softwarekonzerns SAP, aber auch mittelständische Unternehmen. Die dafür geforderte „Anschubfinanzierung“ blieb aber aus.

In derselben Bundestagsanhörung betonte der als Sachverständiger geladene Vertreter des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit Nachdruck, die Software-Lösung von Palantir sei „weniger verfügbar und plug-and-play, als sie immer beworben wird“. Er berichtete von gleich zwei Unternehmenskonsortien aus seinem Verband, die „lösungsnahe Angebote machen können“. Mitgliedsunternehmen könnten bereits bestehende Systeme für die Polizeien „sehr leicht adaptieren“ und zwar „ohne wirkliche Risiken einzugehen, was die Funktionalitäten angeht“. Aus politischen Gründen sei die Software „national zu beschaffen“.

Das ist nun ein Jahr her. Aber mochten sich die deutschen Konkurrenten noch so anbiedern, man stieß offenbar auf taube Ohren. Auch in den Bundesländern sind alternative Anbieter für Softwareprodukte der kriminalpolizeilichen Auswertung und Analyse auf Nachfrage von netzpolitik.org weitgehend unbekannt.

Für die Polizeien des Bundes wird sich wohl in Kürze herausstellen, ob Palantir und sein Software-Monolith zum Zuge kommt. In der hessischen Polizei jedenfalls, die als eines von drei Bundesländern Palantir bereits einsetzt, weiß man von nichts. Bodo Koch, deren Chief Digital Officer, will an Palantir festhalten und erklärte kürzlich gegenüber dem NDR allen Ernstes: „Wir betreiben seit Beginn intensive Marktschau dazu und da haben wir auch noch nichts gehört, was die Alternative sein könnte.“



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EU arbeitet an ausufernder Vorratsdatenspeicherung


Vor elf Jahren hat der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung gekippt. Seitdem gibt es keine EU-weite Vorratsdatenspeicherung. Jetzt arbeiten die EU-Institutionen an einem neuen Gesetz.

Die EU-Kommission hat bis Juni eine Sondierung und bis September eine Konsultation durchgeführt. Es wird erwartet, dass die Kommission Anfang 2026 ein neues Gesetz vorschlägt.

Standortdaten und Over-the-Top

Die EU-Staaten machen ebenfalls Druck. Die dänische Ratspräsidentschaft hat vor kurzem eine Fragebogen verschickt. Wir veröffentlichen das Dokument. Die Antworten sollen der EU-Kommission beim Schreiben des Gesetzentwurfs helfen.

Die Fragen weisen weit über die in Deutschland diskutierte Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen bei Internet-Zugangs-Anbietern hinaus. Dänemark fragt, ob die EU auch Dienste-Anbieter wie „Over-the-Top“-Dienste verpflichten soll – also etwa Messenger, Videos und Spiele. Dänemark fragt auch nach Verkehrsdaten und Standortdaten – diese sind hochsensibel.

Darüber hinaus fragt Dänemark die EU-Staaten auch nach anlassbezogener Speicherung mit Quick Freeze, Speicher-Dauer, Zugangsregeln und Straftaten, für die Vorratsdaten genutzt werden sollen.

Messenger und Verschlüsselung

Die Vorratsdatenspeicherung ist nur ein Baustein im größeren Wunsch nach „Zugang zu Daten für eine wirksame Strafverfolgung“. Zu diesem Thema hatte eine einseitige Arbeitsgruppe getagt und Forderungen erstellt. Das Generalsekretariat des Rates hat jetzt einen aktuellen Stand verschickt. Wir veröffentlichen auch dieses Dokument.

Die Sicherheitsbehörden wünschen sich den Zugang zu verschiedenen Daten. An erster Stelle steht auch hier die Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten. Daneben wünschen sie eine Kommunikationsüberwachung auch bei „Messaging-Apps wie WhatsApp, Facebook Messenger und WeChat“. Und schließlich fordern sie den Zugang zu verschlüsselten Inhalten, auch bei „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“.

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Die dänische Ratspräsidentschaft ruft die EU-Staaten dazu auf, ihre Forderungen in diese Debatte einzubringen.

Ausweis für Mobilfunk

Die EU-Staaten diskutieren außerdem den Ausweis-Zwang für Mobilfunk-Anschlüsse. Noch 2013 sagte die EU-Kommission, dass „es keine Beweise für die Wirksamkeit dieser Maßnahme für die Strafverfolgung gibt“. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat die „Verwendung von Prepaid-Karten zur Anonymisierung“ sogar empfohlen.

Trotzdem hat unter anderem Deutschland 2016 anonyme Prepaid-Karten verboten. Behörden fragen diese Daten jede Sekunde ab.

Staaten wie Polen wünschen sich EU-weite Vorschriften zur Registrierung von SIM-Karten. Anfang des Jahres hat die polnische Polizei einen Vortrag dazu gehalten. Wir veröffentlichen die Präsentation.

Dafür haben sie die Regeln von 37 europäischen Staaten untersucht. 16 Staaten haben eine Registrierungspflicht, darunter Deutschland und Italien. 13 Staaten haben keine Registrierungspflicht, darunter Großbritannien und die Niederlande. Für acht Staaten hat Polen keine Daten gefunden.

Polen schließt daraus, dass es eine EU-weite Registrierungspflicht braucht. Bekämpfen wollen sie damit unter anderem falsche Bomben-Drohungen und Betrug an älteren Menschen. Es ist möglich, dass ein neues EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auch diese Speicherpflicht enthält.



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Amerikanische Abschiebebehörde will Soziale Medien überwachen



Die US-Polizeibehörde ICE will künftig auch in Sozialen Medien nach Menschen suchen, die sie abschieben kann. Das geht aus einer Suche der US-Regierung nach entsprechender Monitoring-Software hervor. Das neue Programm, über das zuerst das US-Medium WIRED berichtete, soll unterschiedliche Informationsquellen wie etwa Social-Media-Plattformen auswerten.

Die umstrittene Behörde, mit vollem Namen Immigration and Customs Enforcement (ICE), untersteht dem US-Heimatschutzministerium. Sie ist für Grenzschutz, Zollkontrollen und Migration zuständig und setzt den rücksichtslosen Abschiebekurs von US-Präsident Donald Trump um. Anfang Oktober veröffentlichte sie auf einer Regierungswebsite eine sogenannte Request for Information (RFI). Das Dokument ist noch keine Ausschreibung für mögliche Auftragnehmer, sondern dient zunächst der Bestandsaufnahme möglicher Dienstleister und Produkte.

In der RFI werden Soziale Medien ausdrücklich als mögliche Quelle für die zu sammelnden Daten genannt. Die Software soll diese dann mit Daten aus anderen Quellen wie etwa Regierungsdatenbanken zusammenführen und auswerten. So will die Behörde Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung generieren. Unter diese Anhaltspunkte fallen Adressen, Fortbewegungsmittel, Arbeitsplatz, Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Änderungen von Telefonnummern, Usernames, Sozialversicherungsnummer und mehr.

Massiver Ausbau

Die Migrationsbehörde steht bereits seit geraumer Zeit in der Kritik, da Beamte bei Einsätzen teils nicht zu identifizieren sind und demokratische Kontrollinstanzen ausgeschaltet werden. US-Präsident Donald Trump baut die Kapazitäten der Behörde immer weiter aus. Erst in diesem Sommer wurde ihr Etat von acht auf 28 Milliarden Dollar erhöht, das Dreifache des FBI-Budgets.

Auch technisch rüstet Trumps Abschiebebehörde massiv auf. Im April gab ICE rund 30 Millionen US-Dollar für eine neue Software von Palantir aus. Das umstrittene Big-Data-Unternehmen soll ICE mit einem System namens „ImmigrationOS“ ausstatten, das Visa-Überzüge trackt und dabei helfen soll, die Abschiebungen von „gewalttätigen Kriminellen“ zu priorisieren.

Vollkommen unklar ist dabei, anhand welcher Kriterien ImmigrationOS gewalttätige Kriminelle erkennen will, kritisiert etwa der American Immigration Counsel. Gleiches gilt auch für geplante Software zum Durchforsten der Sozialen Medien.



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Eine Härte, die nur Schwäche zeigt


Eine Frau, die auf der Ausländerbehörde von vier Polizist*innen erwartet wird. Sie durchsuchen sie und nehmen ihr das Handy ab, das sie in einer Tasche bei sich trägt. Sie weint und fleht, sie beteuert, nichts verbrochen zu haben.

Ein Mann, der beim Amtstermin seine Handys in die Plastikschale an der Sicherheitsschleuse legt. Als er sie zurückfordert, hört er: Seine Geräte würden eingezogen, um darauf nach Hinweisen zu seiner Identität zu suchen. Er schreit, springt auf, zittert.

Solche Szenen sind schwer aus dem Kopf zu bekommen. Sie gehören inzwischen aber offenbar zum Alltag auf deutschen Ausländerbehörden. In ganz Deutschland durchsuchen diese inzwischen die Geräte. Allein in Köln hat das Ausländeramt seit Jahresbeginn 130 „Datenträger“ auf solchen Wegen eingezogen, teilt die Stadt mit.

In den Händen der Behörden nichts verloren

Dass das Aufenthaltsrecht schon seit fast zehn Jahren erlaubt, bei ausreisepflichtigen Menschen ohne Papiere auch deren digitales Leben zu durchsuchen, ist schlimm genug. Auf einem Handy, einem Laptop finden sich intimste Details. Dating-Chats, Krankheitsdiagnosen, die Kommunikation mit der eigenen Anwältin oder dem Therapeuten. All das hat in den Händen von Behörden nichts verloren. Selbst für mutmaßliche Straftäter*innen gilt: Beschlagnahme und Auswertung eines Handys geht nur mit Durchsuchungsbefehl und wenn ein gut begründeter Verdacht vorliegt.

Im Falle von ausreisepflichtigen Menschen ohne gültige Papiere gilt aber schon seit langem: Das Grundrecht auf Privatsphäre ist für sie ausgehebelt. Und es geht nicht nur um Privatsphäre und das Kommunikationsgeheimnis. Das Mobiltelefon ist oft der einzige Kontakt in die alte Heimat, dort stehen alle Adressen und Nummern. Es ist der Zugang zum Bank-Account, enthält alle digitalen Schlüssel. Ohne sein Handy kann man heute fast nichts mehr.

Das Amt kann ganz nach eigenem Ermessen entscheiden, dass dieser Zugang zum digitalen Leben gekappt und durchsucht werden soll – die Anordnung eines Gerichts ist dazu nicht nötig. „Mitwirkungspflicht“ nennt sich das. Das Aufenthaltsrecht macht es möglich.

Jurist*innen warnen seit Jahren vor den Folgen dieser Eingriffe. Die noch dazu weitgehend nutzlos sind, was das erklärte Ziel des Paragrafen angeht: die Identitätsfeststellung. Botschaften, die vorher nicht kooperierten, produzieren nicht plötzlich Ausweispapiere, bloß weil das Ausländeramt mit einer Liste von Anrufen nach Eritrea wedelt oder weil „Mama“ mit einer Nummer in Afghanistan eingespeichert ist. Verändert an der Gesetzeslage haben all diese Warnrufe nichts.

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Überbietungswettbewerb der Härte

Im Gegenteil. Jede Bundesregierung versucht offenbar, die Befugnisse der Ausländerbehörden noch weiter auszudehnen. Statt nur die Daten auf den Handys zu durchsuchen, dürfen Behörden seit vergangenem Jahr auch an die Daten aus der Cloud holen. Und statt die Smartphones und Laptops nach der Durchsuchung zurückzugeben, dürfen sie sie jetzt einfach behalten – „bis zur Ausreise“.

Für die Betroffenen kann das Jahre bedeuten. Abschiebeverfahren ziehen sich oft über lange Zeiträume hin. In manchen Fällen werden die Hürden nie vollständig ausgeräumt. Und dann? Wer garantiert, dass das Amt nicht jedes neue Gerät erneut einzieht?

Es geht längst nicht mehr nur um den Verlust von Daten. Mit diesen Verschärfungen nimmt das Aufenthaltsrecht den Menschen ihr zentralstes Kommunikationsmittel – für unbestimmte Zeit.

Wenn Ausländerbehörden zu Ermittler*innen werden

Was passiert, wenn Verwaltungsbehörden die Befugnisse von Ermittler*innen bekommen? Ein Blick nach Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen zeigt es: Landesregierungen haben ihre Behörden technisch aufgerüstet – mit denselben Geräten und Software, die sonst Polizei und Staatsanwaltschaften zur Strafverfolgung einsetzen.

Dabei geht es nicht um organisierte Kriminalität oder schwere Steuerhinterziehung. Es geht um Menschen, die wegen fehlenden Ausweispapieren nicht aus Deutschland ausreisen können, mehr nicht. Diese Praxis ist kein Versehen und kein Missverständnis. Sie ist politisch gewollte Schikane – ein Signal der Härte, das in Wahrheit Schwäche verrät. Ein Staat, der Geflüchteten die Handys entzieht, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, zeigt vor allem eines: dass er das Maß längst verloren hat.

Denn solche Maßnahmen schaffen keine Sicherheit und keine Ordnung. Sie zerstören Vertrauen – und gefährden das, was sie eigentlich schützen sollten: die Idee eines Rechtsstaats, der für alle gilt.



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