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„Die Infrastruktur für föderale Lösungen soll einheitlich sein“


Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht auch bei der neuen Bundesregierung auf der Agenda. Dass es hier bislang nur kleine Fortschritte gab, hängt vor allem damit zusammen, dass Bund und Länder jeweils eigene technische Systeme aufbauen und betreiben.

Mit dem Government-as-a-Platform-Ansatz (GaaP) könnte Schwarz-Rot neuen Schwung in die Umsetzung bringen. Denn damit könnte der Bund IT-Infrastruktur mit einheitlichen Standards und Basiskomponenten zentral steuern. Doch dem steht bislang der Föderalismus im Weg.

Die Juristen Mario Martini und Jonas Botta wollen die Diskussion um GaaP deswegen mit einem Vorschlag zu einer Grundgesetzänderung auf ein „neues Level“ heben. Dazu schlagen sie vor, den Artikel 91c des Grundgesetzes (GG) anzupassen. Das stelle den Föderalismus nicht infrage und führe auch nicht zu einer Zentralisierung der Verwaltung.

Mario Martini ist Professor für Recht und Digitalisierung an der Universität der Bundeswehr München und leitet den Themenbereich „Digitale Transformation im Rechtsstaat“ am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV). Jonas Botta habilitiert an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Er ist Forschungsreferent am FÖV und koordiniert das Themenfeld „Digitale Verwaltung im Föderalismus und Mehrebenensystem“.

Portraitfoto von Mario Martini
Mario Martini, Professor für Recht und Digitalisierung an der Universität der Bundeswehr München und Leiter des Themenbereichs „Digitale Transformation im Rechtsstaat“ am FÖV.

netzpolitik.org: Auch Schwarz-Rot will die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen? Wie kann der neuen Bundesregierung gelingen, woran alle Vorgängerregierungen bisher gescheitert sind?

Mario Martini: Bei allen Parteien ist die Erkenntnis gereift, dass die Vielfalt digitaler Einzellösungen in den Ländern die Digitalisierung der Verwaltung bremst. Ein wichtiger Schritt nach vorn kann es sein, die digitale Infrastrukturkompetenz stärker bei einer Instanz – dem Bund – zu bündeln. Das könnte eine substantielle Schubwirkung entfalten.

Jonas Botta: Für Unmut sorgte bisher nicht das Ob, sondern das Wie der Digitalisierung, weil kein Akteur gern die Karten aus der Hand gibt. Eine Bündelung würde ja heißen, dass Länder technische Entscheidungskompetenzen abgeben müssten.

netzpolitik.org: Ihr Vorschlag bezieht sich auf den Artikel 91c des Grundgesetzes. Worum geht es in diesem Artikel?

Mario Martini: Unser bundesstaatliches System geht von getrennten Verwaltungsräumen aus. Eine Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern ist verfassungsrechtlich grundsätzlich ausgeschlossen. Dahinter steckt ein einfacher Grundgedanke: Der Wähler soll immer zuordnen können, welche föderale Entscheidungsinstanz eine staatliche Maßnahme veranlasst hat, wen er also gegebenenfalls in seinem demokratischen Wahlakt dafür zur Rechenschaft ziehen kann.

In einer digitalen Welt sollten die IT-Systeme der öffentlichen Verwaltung aber nicht strikt hermetisch gegeneinander abgeriegelt sein. Gemeinsame Infrastruktur-Ressourcen vorzuhalten, ist effizient und notwendig. Dafür soll Artikel 91c den Weg ebnen: Bund und Länder können auf IT-Instruktur-Ebene zusammenarbeiten, ohne gegen das Verbot der Mischverwaltung zu verstoßen. Ein wichtiges „Produkt“ dieser Vorschrift ist der sogenannte IT-Planungsrat. Art. 91c erlaubt zudem, föderale IT-Entscheidungen nicht immer einstimmig, sondern ausnahmsweise mit Mehrheit zu fällen – das ist im Bundesstaat eine verfassungsrechtliche Rarität.

Portraitfoto von Jonas Botta
Jonas Botta, Forschungsreferent am FÖV.

„Eine weitere Verfassungsänderung in Betracht ziehen“

Jonas Botta: Im internationalen Vergleich ist das Grundgesetz eine sehr stabile Verfassung. Nur selten werden Änderungen darin aufgenommen. Der Artikel 91c ist so eine Änderung von 2009. Die ersten E-Government-Schritte zeigten damals schon, dass Bund und Länder mehr zusammenarbeiten müssen. Dafür brauchte es einen rechtlichen Rahmen.

Acht Jahre später wurde der Artikel angepasst. Heute hat der Absatz 5 die größte Bedeutung. Er bildet die Grundlage des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und verleiht dem Bund die ausschließliche Gesetzeskompetenz, wenn es um den Zugang zur digitalen Verwaltung geht.

Das wollen wir mit unserem Vorschlag weiterdenken. Die hochgesteckten Ziele des OZG wurden nicht erreicht, etwa bis Ende 2022 575 Verwaltungsleistungen online anzubieten. Daraus sollte man nicht nur organisatorisch Lehren ziehen, sondern auch rechtlich. Wenn man es besser machen möchte, sollte man eine weitere Verfassungsänderung in Betracht ziehen.

netzpolitik.org: Wie sollte diese Änderung konkret aussehen?

Mario Martini: Die Digitalisierung der Verwaltung krankte in der Vergangenheit daran, dass alle 16 Länder eigene technische Systeme entwickelt und betrieben haben. So sinnvoll der Föderalismus prinzipiell ist, so wenig ist eine solche Vielfalt der Systeme für eine erfolgreiche und ebenenübergreifende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber förderlich.

Das sogenannte Einer-für-alle-Prinzip hat in den letzten Jahren zwar immerhin manche Effizienzpotenziale erschlossen: Ein Land entwickelt IT-Lösungen und bietet sie allen anderen zur Nutzung an. Den entscheidenden Durchbruch hat dieser Ansatz in der Praxis jedoch nicht hervorgebracht.

Wir schlagen vor, den GaaP-Ansatz als Strukturprinzip in der Verfassung zu verankern, also dem Bund eine Kompetenz für Basisinfrastrukturen zuzugestehen.

Jonas Botta: Auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfG) gibt es eine Einheitlichkeit in Deutschland trotz der föderalen Ordnung. Zwar liegt es dem Grunde nach bei Bund und Ländern, wie sie ihre Verwaltung organisieren und wie sie Verfahren durchführen. Nach dem Prinzip der Simultangesetzgebung haben alle Gesetzgeber in Bund und Ländern aber ihre entsprechenden Vorgaben lange einheitlich beschlossen.

Als vor über zwanzig Jahren die ersten digitalen Bestimmungen Einzug in das VwVfG fanden, haben noch alle an einem Strang gezogen. Die E-Government-Gesetze waren jedoch der Ausschlag dafür, dass alle anfingen, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Den Onlinezugang regeln das OZG und das OZG 2.0, die hier für einheitliche Standards und Basiskomponenten sorgen sollen. Allerdings kann der Bund alles, was die technische Organisation nach dem Verwaltungszugang betrifft, also das eigentliche Fachverfahren, nicht einfach vorgeben. Das führt zu Kleinstaaterei.

Unser Ziel ist: Die staatliche öffentliche Infrastruktur, auf der die jeweils eigenen föderalen Lösungen entwickelt werden können, soll einheitlich sein. Gerade die Registermodernisierung und das technische System des National-Once-Only-Technical-System würden damit gewinnen, weil ein Datenaustausch zwischen Behörden und Registern erleichtert würde.

Normenkontrollrat will föderale Hürden überwinden

netzpolitik.org: Wo genau wollen Sie beim Artikel 91c ansetzen?

„Die zentrale Infrastruktur zum Datenaustausch beim Bund angesiedelt“

Jonas Botta: Wir unterstützen den GaaP-Ansatz, den unter anderem der Normenkontrollrat vorschlägt. GaaP sieht einheitliche Standards, einheitliche Basiskomponenten und eine zentrale Infrastruktur in der Verantwortung einer zuständigen Stelle vor, dem sogenannten Plattform-Owner. Dieser Ansatz klingt im OZG 2.0 und auch bei NOOTS bereits an, kommt aber aufgrund des Artikel 91c an seine Grenzen. Um GaaP verfassungsrechtlich möglich zu machen, schlagen wir vor, zwei Absätze des Artikel 91c anzupassen.

In Absatz 2 ist bereits jetzt von Standards und Sicherheitsanforderungen die Rede. Der Bund sollte hier klare Vorgaben machen dürfen. Dann müsste der Bund nicht alle Standards und Basiskomponenten vorgeben, aber er könnte es. Schutzmechanismen sorgen dann dafür, sodass der Bund nicht einfach durchregieren kann. Er übernimmt die Verantwortung für die technische Umsetzung und die Finanzierung.

Zudem schlagen wir vor die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die in Absatz 4 vorgelegt ist, für das sogenannte Verbindungsnetz auszuweiten. Man kann bereits jetzt eine allgemeine Datenaustauschplattform darunter subsumieren. Es ist aber eine offene Rechtsfrage. Vor allem aber kann der Bund die Nutzung bislang nicht verpflichtend vorgeben. Die Änderung sähe vor: Die zentrale Infrastruktur zum Datenaustausch soll beim Bund angesiedelt sein, der sie entwickelt, betreibt und finanziert.

„Länder sehen die Notwendigkeit der Änderung“

netzpolitik.org: Inwieweit braucht es für Ihren Vorschlag die Zustimmung der Länder? Wie können die Länder davon überzeugt werden? Einige haben bereits viel in eigene Infrastruktur investiert.

Mario Martini: Eine solche Verfassungsänderung geht nur mit den Ländern. Das ist klar. Im Bundesrat ist – ebenso wie im Bundestag – eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Es zeichnet sich ab, dass viele Länder eine stärkere Fokussierung der IT-Kompetenzen beim Bund offen gegenüberstehen. In Bezug auf den Staatsvertrag, der das sogenannte NOOTS ins Werk setzen soll, hat sich das mit dem „Bremer Modell“ gezeigt.


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netzpolitik.org: Was ist das „Bremer Modell“?

Mario Martini: Das Land Bremen schlug unterstützt von mehreren Ländern vor, dem Bund die Entscheidungskompetenz für die NOOTS-Infrastruktur zu überlassen. Im Gegenzug sollte der Bund die Finanzierung im Ganzen übernehmen. Das macht beispielhaft deutlich, dass die Länder die Vorteile einer Anpassung der föderalen Ordnung erkennen.

Jonas Botta: Auch die Ebene, die nicht unmittelbar beteiligt ist, weil es sie als Staatlichkeitsebene verfassungsrechtlich gesehen gar nicht gibt, also die Kommunen haben auch deutlich gemacht, dass sie entlastet werden wollen. Sie stoßen bei der Digitalisierung an ihre Grenzen. Sie begrüßen es, wenn der Bund hier zentrale technische Vorgaben macht und auch finanziell die meiste Verantwortung schultert.

„Föderale Ideenvielfalt auf eine einheitliche Struktur aufsetzen“

netzpolitik.org: Wo genau sind mit der GG-Änderung dem Bund Grenzen gesetzt?

Jonas Botta: Der Bund kann den Ländern nicht inhaltlich Vorgaben machen. Wie sie zum Beispiel ihre Fachverfahren umzusetzen, liegt grundsätzlich in ihrer Verantwortung. Welche Behörden daran beteiligt werden, ob das auf Landesebene oder auf kommunaler Ebene stattfindet, das sind inhaltliche und organisatorische Fragen, die mit den Fragen der technischen Umsetzung nichts zu tun haben.

Mario Martini: Die inhaltliche Gestaltungsmacht der Länder für ihre Verwaltungen bliebe grundsätzlich unberührt. Diese Freiheit ist ein wichtiger Baustein ihrer Staatlichkeit. Der Bund dürfte lediglich die IT-Komponenten für die digitale Abwicklung des Verwaltungsverfahrens vorgeben. Die föderale Ideenvielfalt kann dadurch auf einer einheitlichen Struktur aufsetzen.

„Greifen Resilienz des Föderalismus nicht an“

netzpolitik.org: Der Föderalismus hat ja auch eine verfassungsrechtliche Schutzfunktion. Wird diese mit Ihrem Vorschlag preisgegeben?

Mario Martini: Die Verfassung geht davon aus, dass grundsätzlich die Länder den Verwaltungsvollzug regeln. Einen Teil dieser Verantwortung in die Hände des Bundes zu legen, ist nicht unsensibel. Die Verfassung erklärt die föderale Struktur und die Eigenstaatlichkeit der Länder für unantastbar.

Das schließt es aber nicht aus, die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung an sich wandelnde Bedürfnisse anzupassen. Unser Vorschlag zielt genau darauf. Er hebt weder die Länderstaatlichkeit noch die föderalen Strukturen insgesamt aus den verfassungsrechtlichen Angeln.

Jonas Botta: Es ist wichtig, hier aufmerksam zu sein. Vor allem mit Blick auf die Dystopie einer rechtsstaatsfeindlichen Mehrheit auf Bundesebene. Dieses Szenario sollte man immer vor Augen haben, wenn es um Zentralisierungsfragen geht.

Was unseren konkreten Vorschlag betrifft, kann ich die Sorge entkräften. Es ist damit verfassungsrechtlich nicht möglich, einen Zentralstaat einzuführen. Im GG gibt es sogenannte Ewigkeitsklauseln, bestimmte Prinzipien sind dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen. Dazu gehört auch das Bundesstaatsprinzip. Den Bundesstaat könnte er zwar ändern, nicht aber den Kern dessen, was ihn ausmacht, zum Beispiel den Föderalismus.

Wir greifen in die Kompetenzordnung per se nicht ein und wollen die Resilienz des Föderalismus nicht angreifen. Wir konzentrieren uns auf den Artikel 91c. GaaP ist kein allgemeingültiger Ansatz für mögliche Föderalismusreformen.

netzpolitik.org: Gibt es bereits erste Rückmeldungen zu Ihrem Vorschlag von den Ländern?

Mario Martini: Ich erhalte nur positive Rückmeldungen. Es wird bestimmt auch die Sorge vor einem Dammbruch aufkommen – also davor, dass der Bund mit seinem Einfluss auf die IT-Infrastruktur der gesamten öffentlichen Verwaltung auch eine Eintrittskarte erhalten könnte, Inhalte vorzugeben. Das sehen wir aber nicht. Bei nüchterner Betrachtung überwiegen jedenfalls die Vorteile die Risiken. Funktionierender Föderalismus braucht Strukturen, die die Handlungsfähigkeit der Verwaltung im digitalen Zeitalter gewährleisten.



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Trump setzt auf „strategisches Chaos“


Die politische Lage in den USA spitzt sich zu. Vergangene Woche hat der autoritär auftretende Präsident Donald Trump Militärtruppen nach Kalifornien entsandt, um Proteste gegen die Einwanderungsbehörde ICE zu ersticken. Erschreckende Bilder wie die Abführung des demokratischen Senators von Kalifornien, Alex Padilla, gingen um die Welt.

Am Wochenende nahm Trump an seinem Geburtstag eine Militärparade in der Hauptstadt Washington ab – höchst ungewöhnlich für die USA, selbst wenn die Armee am gleichen Tag ihren 250. Geburtstag hatte. Zugleich regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung, nicht nur in Los Angeles. Landesweit kam es am Samstag zu massiven Protesten unter dem Motto „No King“ – „Kein König“ in mehr als 2.000 Städten.

Sind die USA noch vor der autoritären Komplettübernahme durch Trump und seine Bewegung zu retten? Wir haben den Verfassungsrechtler Anthony Michael Kreis gefragt, was gerade passiert und worauf es jetzt ankommt. Kreis ist Professor an der Georgia State University und begleitet die Umwälzungen kritisch unter anderem auf Bluesky.

Man in suit with mustache
Anthony Michael Kreis. – Alle Rechte vorbehalten private

Das Interview wurde auf Englisch geführt und lässt sich hier im Original nachlesen.

„Strategisches Chaos“ der Trump-Regierung

netzpolitik.org: Hierzulande beobachten viele Menschen ungläubig, was mit einem der wichtigsten Verbündeten Deutschlands und einem Land geschieht, das sie immer als stabile Demokratie wahrgenommen haben. Wie würden Sie die Ereignisse der vergangenen Monate in Ihrem Land beschreiben?

Anthony Kreis: Das Beste, was ich dazu sagen kann, ist „strategisches Chaos“. Die Trump-Regierung arbeitet mit Hochdruck daran, Institutionen zu zerstören und die Handlungsfähigkeit des Staates zu schwächen, oft unter Missachtung des Rechts. Und sie vertritt Positionen, die die Verfassung zutiefst verletzen. Leider gab es so viele Angriffe auf die Verfassung und die amerikanische Demokratie, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.

netzpolitik.org: Wie wir in den zurückliegenden Wochen gesehen haben, hat Donald Trump Nationalgarde und Marines in Kalifornien eingesetzt, um Proteste niederzuschlagen. Gibt es dafür einen Präzedenzfall, und was sagt das Gesetz über den Einsatz von Streitkräften im Inland?

Anthony Kreis: Der Einsatz von Bundestruppen oder der Nationalgarde ist äußerst selten – insbesondere, weil die lokalen Behörden nicht um Unterstützung gebeten haben. Nach amerikanischem Recht ist es unzulässig, Bundestruppen zur Durchsetzung ziviler Gesetze einzusetzen. Sie können Bundesgebäude und Beamte schützen, aber in der Regel ist dies eine Maßnahme der letzten Instanz. Die Tatsache, dass der Präsident so leichtfertig Truppen auf amerikanischen Straßen einsetzt, lässt mich vermuten, dass es hier um eine Machtdemonstration geht – und nicht um die Durchsetzung des Gesetzes und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Angesichts der relativ isolierten Natur des Problems inmitten überwiegend friedlicher Demonstrierender hätte das alles auch von nichtmilitärischem Personal geleistet werden können.

Demokratie am Tiefpunkt

netzpolitik.org: Wenn das Ziel darin bestand, die Zivilgesellschaft von Protest abzuschrecken, scheint es gescheitert zu sein: Am vergangenen Wochenende gab es im ganzen Land massive „No King”-Proteste, selbst angesichts der politisch motivierten Ermordung einer demokratischen Abgeordneten in Minnesota. Wie gesund ist die US-Zivilgesellschaft derzeit, und wie mächtig können Proteste sein, um Veränderungen zu bewirken?

Anthony Kreis: Die amerikanische Demokratie befindet sich derzeit an einem Tiefpunkt. Die Drohungen mit politischer Gewalt, die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Versuche, demokratische Institutionen auszuhöhlen, zeigen, wie ernst die Lage ist. Proteste können natürlich dazu beitragen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Menschen zu ermutigen, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Letztendlich müssen die Menschen jedoch protestieren – und wählen gehen. Es wird ein langfristiges, ernsthaftes Engagement von Millionen von Amerikanern erfordern, um dieses jüngste Kapitel des demokratischen Rückschritts in den USA zu beenden.

netzpolitik.org: Wahlen funktionieren nur, wenn sie Konsequenzen haben. Aber es scheint, dass der Kongress keinen nennenswerten Druck auf Trump ausübt. Ist das ein Problem, das durch das US-Verfassungssystem verursacht wird? Oder ist ein politisches Problem?

Anthony Kreis: Wir sprechen oft davon, dass die drei Gewalten sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen. Historisch gesehen geht es jedoch eher um die Trennung der Parteien als um die Trennung der Gewalten. Solange die Republikaner den Kongress und den Verfassungsgerichtshof kontrollieren, wird es weniger institutionellen Widerstand seitens der Legislative und der Judikative geben. Damit dies geschieht, müsste sich die Lage grundlegend ändern und Trump an Popularität unter den Republikanern verlieren. Ansonsten hängt für die Demokraten viel von den Wahlen im Jahr 2026 ab. Das ist dann ihre einzige echte Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.

USA in der Verfassungskrise

netzpolitik.org: Haben die Demokraten bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt oder haben sie noch Optionen?

Anthony Kreis: Sie haben kaum andere Möglichkeiten, als die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bislang haben sie das nicht besonders gut gemacht.

netzpolitik.org: Bis zu den Wahlen 2026 wird also der Supreme Court in den meisten dieser Fragen das letzte Wort haben. Bislang waren seine Entscheidungen für die Trump-Regierung eher durchwachsen. Aber Trump versucht weiterhin, offensichtlich illegale Anordnungen durchzusetzen, sei es der Einsatz des Militärs im Inland oder die Abschaffung des verfassungsmäßig garantierten Geburtsortsprinzips. Wir haben bereits gesehen, dass Trump Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat. Befinden sich die USA bereits in einer Verfassungskrise?

Anthony Kreis: Jeder wird „Verfassungskrise” anders definieren. Für mich ist es ein Moment, in dem die Rechtsstaatlichkeit bedroht ist und die Machthaber versuchen, Regeln und Institutionen außerhalb eines legitimen Prozesses zu ändern – mit anderen Worten: willkürliche und instabile Regierungsführung („Governance“). Das ist seit Januar der Zustand in Amerika. Ich würde sagen, wir befinden uns in einer Verfassungskrise.



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Lass uns jetzt gemeinsam WhatsApp verlassen


WhatsApp hat das Internet zu einem besseren Ort gemacht. Für viele Menschen war es lange Zeit selbstverständlich, dass man andere auf WhatsApp erreichen kann. Ohne absurde Zeichenbegrenzung wie bei der SMS. Ohne den hölzernen Charakter einer E-Mail. Und mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, sodass niemand die Nachrichten auf dem Weg abfangen und mitlesen kann. Danke, WhatsApp!

Aber mit WhatsApp geht es bergab. Der Messenger, der inzwischen zu Meta gehört, soll Geld abwerfen. Meta ist der Konzern, der auch Facebook und Instagram betreibt. An dessen Spitze steht Multi-Milliardär Mark Zuckerberg, der sich darum bemüht, Donald Trump zu gefallen. Und als würde Meta nicht schon genug Geld verdienen, soll jetzt auch noch WhatsApp Werbung bekommen.

Werbung bei WhatsApp: Jahrelang war das tabu. Im Jahr 2012, vor der Übernahme durch Mark Zuckerberg, da schrieben die WhatsApp-Chefs noch :

Werbung ist nicht nur die Störung der Ästhetik, die Beleidigung deiner Intelligenz und die Unterbrechung deines Gedankengangs. Bei jedem Unternehmen, das Anzeigen verkauft, verbringt ein erheblicher Teil des Engineering-Teams seinen Tag damit, die Datenanalyse zu optimieren […]. Sobald Werbung im Spiel ist, bist du als Nutzer*in das Produkt.

2012 ist lange her. Die Gründer von WhatsApp sind schon länger nicht mehr an Bord. Inzwischen ist WhatsApp für viele Menschen nicht mehr wegzudenken. Wie sonst soll man die Familie erreichen, die Leute im Verein, die Bekanntschaft aus der Bar? WhatsApp gehört für viele zur Grundversorgung. Und gerade deshalb sollte WhatsApp keine Werbung haben.

WhatsApp hat uns „absolut“ verarscht

Wie absurd wäre Werbung an anderen Stellen, die zur Grundversorgung gehören? Stellt dir vor, dein Telefonanbieter würde Werbung einführen. Du könntest niemanden mehr anrufen, ohne dir zuerst einen Werbeclip anhören zu müssen. Oder die Post würde Werbung einführen: Du dürftest Briefe nur noch in Umschlägen verschicken, die zugekleistert sind mit knallbunten Anzeigen. Das würde sich einfach falsch anfühlen.

Nach der Übernahme durch Facebook hatte WhatsApp noch mit Nachdruck versprochen, im Messenger solle es auch in Zukunft keine Werbung geben:

Und du kannst dich absolut darauf verlassen, dass deine Kommunikation nicht durch Werbung gestört wird.

Das Wort „absolut“ griff auch Mark Zuckerberg auf, als er im Jahr 2014 sagte:

Wir werden unsere Pläne rund um WhatsApp absolut nicht ändern. […] WhatsApp wird völlig eigenständig arbeiten.

Tja, jetzt kommt die Werbung doch. Inklusive möglicher Personalisierung über andere Meta-Dienste hinweg, also Instagram und Facebook. WhatsApp hat damit seine über Jahre gepflegten Ideale verraten. Worauf sollten wir uns nochmal „absolut“ verlassen? Sieht aus, als hätten uns WhatsApp und Mark Zuckerberg absolut verarscht.

WhatsApp-Chef weicht Fragen aus

Die neue Werbung soll im Tab „Aktuelles“ zwischen Status-Updates zu sehen sein. Das heißt, die Gespräche mit den eigenen Kontakten bleiben vorerst werbefrei. Aber wer weiß, wie lange noch? Der SPIEGEL wollte von WhatsApp-Chef Will Cathcart wissen, ob WhatsApp bald auch noch die Chats und den Startbildschirm zur Werbefläche macht. „Können Sie uns versprechen, dass Sie dies in den nächsten zwei Jahren nicht tun werden?“, lautetet die Frage.

Das ist eine simple Frage. Man kann sie mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten.  Aber Will Cathcart hat nicht mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet.

Er hat gesagt: „Unser Fokus geht nicht in diese Richtung“.

Bei so einer ausweichenden Antwort gehen meine Alarmglocken an. Offensichtlich will sich WhatsApp alle Optionen offenhalten. Und WhatsApp macht sich nicht einmal die Mühe, das offen zu sagen. Stattdessen übt sich der WhatsApp-Chef in Wortakrobatik. Wer so aalglatt antwortet wie Will Cathcart, der will Menschen verarschen. Hätte er doch nur gesagt: „Vielleicht, keine Ahnung.“ Das wäre ehrlicher gewesen.

WhatsApp hat ein Privatsphäre-Problem

Es gibt noch mehr gute Gründe, WhatsApp zu verlassen. Trotz Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt der Messenger unsere Privatsphäre nicht gut. Um zu funktionieren, will WhatsApp Zugriff auf das gesamte Telefonbuch haben. Inklusive der Kontakte, die kein WhatsApp haben. WhatsApp erklärt zwar, dass diese Nummern nicht im Klartext gespeichert würden; Fachleute wie der IT-Sicherheitsforscher Mike Kuketz beruhigt das aber nicht.

Mehr noch: WhatsApp erfasst, wer wann mit wem Kontakt hatte. Der Zuckerberg-Konzern kann zwar nicht lesen, worum es inhaltlich geht, dank Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Aber WhatsApp hat das wertvolle Wissen, wer mit wem vernetzt ist – und wie eng. Das sind die sogenannten Metadaten. Obendrauf kommen Eckdaten wie Profilbild und Status, die nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind.

Solche Daten sind mächtig. Der Whistleblower Edward Snowden hat in seiner Biografie geschrieben:

Die unbequeme Wahrheit ist aber gerade, dass der Inhalt unserer Kommunikation nur selten so viel über uns verrät wie ihre anderen Elemente. Es sind die ungeschriebenen, unausgesprochenen Informationen, die den weiteren Kontext und unsere Verhaltensmuster offenbaren.

Wie gefährlich ist das, wenn ein Konzern dieses Wissen über drei Milliarden Nutzer*innen hortet? Ein Konzern, der seinen Sitz in den USA hat, also einem zunehmend autokratischen Staat, dessen aktueller Präsident wohl am liebsten ein Diktator wäre?

Natürlich gibt WhatsApp auf Anfrage auch Daten an Polizei und Strafverfolgungsbehörden weiter. Unternehmen können solche Anfragen schwer ignorieren. Aber sie können entscheiden, welche Daten sie überhaupt erfassen. Was man nicht hat, kann man auch nicht weitergeben. Das nennt man Privacy by Design. WhatsApp macht hier keinen guten Job.




So klappt der Umstieg ganz einfach

Es gibt weniger problematische – und werbefreie – Messenger, die genauso praktisch und angenehm sind wie WhatsApp. Die Auswahl ist groß. Es gibt Leute, die sich da tief reinknien und im Detail diskutieren, welcher Messenger der beste ist. Aber darum soll es hier nicht gehen. Von WhatsApp wegzukommen ist ein erster, großer Schritt in die richtige Richtung.

Wer nicht lange suchen will, kann beispielsweise zum kostenlosen Signal oder zum kostenpflichtigen Threema greifen. Beide haben keine Werbung und sammeln deutlich weniger Daten als WhatsApp. Der Umstieg ist einfach. Alles ist sehr ähnlich wie WhatsApp. Schon nach kurzer Zeit hat man sich an das Design gewöhnt.

Vielleicht willst du WhatsApp zumindest vorläufig behalten, weil du einige Kontakte eben nur dort erreichst. Verständlich! Der Messenger-Wechsel wäre viel einfacher, wenn alle direkt mitmachen würden. Aber: Irgendjemand muss den Anfang machen. Und wenn du diesen Artikel schon bis hierhin gelesen hast, dann bist du bestens dafür qualifiziert, den Anfang zu machen.

Es muss ja kein harter Wechsel von heute auf morgen sein. Der erste Schritt ist kurz und schmerzlos: Einfach einen neuen Messenger herunterladen. Jetzt gleich! Fertig ist das erste Erfolgserlebnis.

Das kannst du deinen Kontakten schreiben

Und dann kannst du den Umzug Schritt für Schritt vollziehen. Du kannst mit den Kontakten oder Gruppen beginnen, von denen du weißt: Die machen bestimmt mit. Vielleicht hilft dir dieser Artikel dabei zu erklären, warum dir der Wechsel wichtig ist.

Würde ich heute von WhatsApp wechseln, dann würde ich vielleicht diese Nachricht an meine Kontakte schicken:

Hey ihr Lieben,
auf WhatsApp fühle ich mich nicht mehr richtig wohl. Ich möchte Meta nicht länger meine Daten anvertrauen, und jetzt soll dort auch noch Werbung kommen. Hier könnt ihr mehr darüber lesen: https://netzpolitik.org/2025/bitte-keine-werbung-lass-uns-jetzt-gemeinsam-whatsapp-verlassen
Können wir bitte gemeinsam den Messenger wechseln? Es ist wirklich nicht schwer, und wir bleiben dort genauso gut in Kontakt. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das zusammen ausprobieren. ❤️
[Link zum alternativen Messenger]

So lief es bei mir

Meinen Umzug von WhatsApp habe ich vor ein paar Jahren gemacht. Die Wahl fiel auf Signal. Ich war überrascht, wie viele meiner Kontakte schon dort waren. Andere haben sich extra wegen mir Signal heruntergeladen. Danke nochmal dafür!

Inzwischen erreicht mich fast keine Nachricht mehr über WhatsApp. In meinem WhatsApp-Status steht, dass mir Menschen bitte auf Signal schreiben sollen. Es gibt nur wenige Kontakte, die ich bisher nicht zum Wechseln motivieren konnte. Seit einer Weile warte ich nur noch darauf, die App bald löschen zu können. Nur so kann man auch die letzten Nachzügler*innen dazu bewegen, endlich den Absprung zu schaffen.

Das dürfte leichter fallen, wenn es mit WhatsApp weiter bergab geht. Auch der Messenger ICQ war mal unverzichtbar und spielt heute keine Rolle mehr. Wenn einmal eine kritische Masse zusammenkommt, dann kann sich alles ändern. Und diese kritische Masse, das können einfach wir sein. Nur Mut!



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Cybertrading-Betrug: Ermittler nehmen fast 800 Domains vom Netz


Im Kampf gegen die internationale Wirtschaftskriminalität im Internet und betrügerische Plattformen haben baden-württembergische Behörden fast 800 illegale Websites beschlagnahmt. Das Cybercrime-Zentrum bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe und das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg arbeiteten dafür mit der europäischen Polizeibehörde Europol und bulgarischen Strafverfolgungsbehörden zusammen.

„Die beschlagnahmten Domains wurden auf eine vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg gehostete Beschlagnahmeseite umgeleitet und können nun nicht mehr zur Begehung von Straftaten genutzt werden“, hieß es weiter. „Durch die Maßnahmen wurden die kriminellen Akteure erheblich geschwächt, indem ihre technische Infrastruktur gezielt außer Kraft gesetzt wurde.“ Allein seit der Umleitung in den vergangenen zwei Wochen stellten Strafverfolger den Angaben nach rund 616.000 Zugriffe auf die übernommenen Seiten fest.

Es geht dabei um eine relativ neue Betrugsmasche namens „Cybertrading Fraud“. Die Kriminellen machen gutgläubigen Opfern Hoffnung, per Mausklick vor allem im Bereich Kryptowährungen große Gewinne zu erzielen. Im Internet bewerben sie ihre Angebote laut dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums auf seriös wirkenden Seiten. In der Regel sei eine einfache Registrierung erforderlich.

Dann meldeten sich vermeintliche Brokerinnen und Broker telefonisch, um eine erste Investition von meist 250 Euro zu fordern. Diese sei scheinbar sofort erfolgreich. Gelegentlich gebe es sogar kleinere Auszahlungen. „Diese Erfolge sowie das geschickte und intensive Einwirken der vermeintlichen Brokerin oder des vermeintlichen Brokers verleiten dazu, mehr Geld zu investieren“, schreiben die Fachleute. Die Kriminellen übten oft massiven Druck aus. Doch sobald die Menschen ihre angeblichen Gewinne ausgezahlt haben wollten, seien Internetseite und Ansprechpersonen häufig nicht mehr erreichbar.

Laut dem Sicherheitsbericht 2024 registrierten die Behörden einen Anstieg auf 1036 Fälle. Mehr als doppelt so viele Taten seien zudem aus dem Ausland begangen worden. „Erklärungen hierfür sind die hohe Reichweite der Internetplattformen, die Hoffnung vieler Geschädigter, per Mausklick eine große Rendite zu erwirtschaften und deren Gutgläubigkeit“, heißt es.

Das Cybercrime-Zentrum und das LKA ermitteln in dem aktuellen Fall gegen bislang unbekannte Täter. Manche der 796 Domains seien in deutscher Sprache verfasst. Die Betreiber der Internetauftritte hätten nicht die erforderliche Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für Finanz- beziehungsweise Wertpapierdienstleistungen und Bankgeschäfte.

Den Verbrauchern und Verbraucherinnen raten LKA und das Cybercrime-Zentrum, sich genau über Trading-Plattformen zu informieren, bevor sie sich anmelden oder Geld überweisen. „Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Nehmen Sie sich Zeit, um das Angebot in Ruhe zu prüfen und zu bewerten.“

Bereits Mitte Mai 2025 waren Ermittler gegen Online-Investmentbetrüger vorgegangen. Nach Durchsuchungen an acht Orten in Albanien, Israel und Zypern nahmen sie einen Verdächtigen fest. Ihm steht die Auslieferung nach Deutschland bevor.


(cku)



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