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„Die Infrastruktur für föderale Lösungen soll einheitlich sein“


Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht auch bei der neuen Bundesregierung auf der Agenda. Dass es hier bislang nur kleine Fortschritte gab, hängt vor allem damit zusammen, dass Bund und Länder jeweils eigene technische Systeme aufbauen und betreiben.

Mit dem Government-as-a-Platform-Ansatz (GaaP) könnte Schwarz-Rot neuen Schwung in die Umsetzung bringen. Denn damit könnte der Bund IT-Infrastruktur mit einheitlichen Standards und Basiskomponenten zentral steuern. Doch dem steht bislang der Föderalismus im Weg.

Die Juristen Mario Martini und Jonas Botta wollen die Diskussion um GaaP deswegen mit einem Vorschlag zu einer Grundgesetzänderung auf ein „neues Level“ heben. Dazu schlagen sie vor, den Artikel 91c des Grundgesetzes (GG) anzupassen. Das stelle den Föderalismus nicht infrage und führe auch nicht zu einer Zentralisierung der Verwaltung.

Mario Martini ist Professor für Recht und Digitalisierung an der Universität der Bundeswehr München und leitet den Themenbereich „Digitale Transformation im Rechtsstaat“ am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV). Jonas Botta habilitiert an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Er ist Forschungsreferent am FÖV und koordiniert das Themenfeld „Digitale Verwaltung im Föderalismus und Mehrebenensystem“.

Mario Martini, Professor für Recht und Digitalisierung an der Universität der Bundeswehr München und Leiter des Themenbereichs „Digitale Transformation im Rechtsstaat“ am FÖV.

netzpolitik.org: Auch Schwarz-Rot will die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen? Wie kann der neuen Bundesregierung gelingen, woran alle Vorgängerregierungen bisher gescheitert sind?

Mario Martini: Bei allen Parteien ist die Erkenntnis gereift, dass die Vielfalt digitaler Einzellösungen in den Ländern die Digitalisierung der Verwaltung bremst. Ein wichtiger Schritt nach vorn kann es sein, die digitale Infrastrukturkompetenz stärker bei einer Instanz – dem Bund – zu bündeln. Das könnte eine substantielle Schubwirkung entfalten.

Jonas Botta: Für Unmut sorgte bisher nicht das Ob, sondern das Wie der Digitalisierung, weil kein Akteur gern die Karten aus der Hand gibt. Eine Bündelung würde ja heißen, dass Länder technische Entscheidungskompetenzen abgeben müssten.

netzpolitik.org: Ihr Vorschlag bezieht sich auf den Artikel 91c des Grundgesetzes. Worum geht es in diesem Artikel?

Mario Martini: Unser bundesstaatliches System geht von getrennten Verwaltungsräumen aus. Eine Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern ist verfassungsrechtlich grundsätzlich ausgeschlossen. Dahinter steckt ein einfacher Grundgedanke: Der Wähler soll immer zuordnen können, welche föderale Entscheidungsinstanz eine staatliche Maßnahme veranlasst hat, wen er also gegebenenfalls in seinem demokratischen Wahlakt dafür zur Rechenschaft ziehen kann.

In einer digitalen Welt sollten die IT-Systeme der öffentlichen Verwaltung aber nicht strikt hermetisch gegeneinander abgeriegelt sein. Gemeinsame Infrastruktur-Ressourcen vorzuhalten, ist effizient und notwendig. Dafür soll Artikel 91c den Weg ebnen: Bund und Länder können auf IT-Instruktur-Ebene zusammenarbeiten, ohne gegen das Verbot der Mischverwaltung zu verstoßen. Ein wichtiges „Produkt“ dieser Vorschrift ist der sogenannte IT-Planungsrat. Art. 91c erlaubt zudem, föderale IT-Entscheidungen nicht immer einstimmig, sondern ausnahmsweise mit Mehrheit zu fällen – das ist im Bundesstaat eine verfassungsrechtliche Rarität.

Jonas Botta, Forschungsreferent am FÖV.

„Eine weitere Verfassungsänderung in Betracht ziehen“

Jonas Botta: Im internationalen Vergleich ist das Grundgesetz eine sehr stabile Verfassung. Nur selten werden Änderungen darin aufgenommen. Der Artikel 91c ist so eine Änderung von 2009. Die ersten E-Government-Schritte zeigten damals schon, dass Bund und Länder mehr zusammenarbeiten müssen. Dafür brauchte es einen rechtlichen Rahmen.

Acht Jahre später wurde der Artikel angepasst. Heute hat der Absatz 5 die größte Bedeutung. Er bildet die Grundlage des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und verleiht dem Bund die ausschließliche Gesetzeskompetenz, wenn es um den Zugang zur digitalen Verwaltung geht.

Das wollen wir mit unserem Vorschlag weiterdenken. Die hochgesteckten Ziele des OZG wurden nicht erreicht, etwa bis Ende 2022 575 Verwaltungsleistungen online anzubieten. Daraus sollte man nicht nur organisatorisch Lehren ziehen, sondern auch rechtlich. Wenn man es besser machen möchte, sollte man eine weitere Verfassungsänderung in Betracht ziehen.

netzpolitik.org: Wie sollte diese Änderung konkret aussehen?

Mario Martini: Die Digitalisierung der Verwaltung krankte in der Vergangenheit daran, dass alle 16 Länder eigene technische Systeme entwickelt und betrieben haben. So sinnvoll der Föderalismus prinzipiell ist, so wenig ist eine solche Vielfalt der Systeme für eine erfolgreiche und ebenenübergreifende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber förderlich.

Das sogenannte Einer-für-alle-Prinzip hat in den letzten Jahren zwar immerhin manche Effizienzpotenziale erschlossen: Ein Land entwickelt IT-Lösungen und bietet sie allen anderen zur Nutzung an. Den entscheidenden Durchbruch hat dieser Ansatz in der Praxis jedoch nicht hervorgebracht.

Wir schlagen vor, den GaaP-Ansatz als Strukturprinzip in der Verfassung zu verankern, also dem Bund eine Kompetenz für Basisinfrastrukturen zuzugestehen.

Jonas Botta: Auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfG) gibt es eine Einheitlichkeit in Deutschland trotz der föderalen Ordnung. Zwar liegt es dem Grunde nach bei Bund und Ländern, wie sie ihre Verwaltung organisieren und wie sie Verfahren durchführen. Nach dem Prinzip der Simultangesetzgebung haben alle Gesetzgeber in Bund und Ländern aber ihre entsprechenden Vorgaben lange einheitlich beschlossen.

Als vor über zwanzig Jahren die ersten digitalen Bestimmungen Einzug in das VwVfG fanden, haben noch alle an einem Strang gezogen. Die E-Government-Gesetze waren jedoch der Ausschlag dafür, dass alle anfingen, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Den Onlinezugang regeln das OZG und das OZG 2.0, die hier für einheitliche Standards und Basiskomponenten sorgen sollen. Allerdings kann der Bund alles, was die technische Organisation nach dem Verwaltungszugang betrifft, also das eigentliche Fachverfahren, nicht einfach vorgeben. Das führt zu Kleinstaaterei.

Unser Ziel ist: Die staatliche öffentliche Infrastruktur, auf der die jeweils eigenen föderalen Lösungen entwickelt werden können, soll einheitlich sein. Gerade die Registermodernisierung und das technische System des National-Once-Only-Technical-System würden damit gewinnen, weil ein Datenaustausch zwischen Behörden und Registern erleichtert würde.

Normenkontrollrat will föderale Hürden überwinden

netzpolitik.org: Wo genau wollen Sie beim Artikel 91c ansetzen?

„Die zentrale Infrastruktur zum Datenaustausch beim Bund angesiedelt“

Jonas Botta: Wir unterstützen den GaaP-Ansatz, den unter anderem der Normenkontrollrat vorschlägt. GaaP sieht einheitliche Standards, einheitliche Basiskomponenten und eine zentrale Infrastruktur in der Verantwortung einer zuständigen Stelle vor, dem sogenannten Plattform-Owner. Dieser Ansatz klingt im OZG 2.0 und auch bei NOOTS bereits an, kommt aber aufgrund des Artikel 91c an seine Grenzen. Um GaaP verfassungsrechtlich möglich zu machen, schlagen wir vor, zwei Absätze des Artikel 91c anzupassen.

In Absatz 2 ist bereits jetzt von Standards und Sicherheitsanforderungen die Rede. Der Bund sollte hier klare Vorgaben machen dürfen. Dann müsste der Bund nicht alle Standards und Basiskomponenten vorgeben, aber er könnte es. Schutzmechanismen sorgen dann dafür, sodass der Bund nicht einfach durchregieren kann. Er übernimmt die Verantwortung für die technische Umsetzung und die Finanzierung.

Zudem schlagen wir vor die Gesetzgebungskompetenz des Bundes, die in Absatz 4 vorgelegt ist, für das sogenannte Verbindungsnetz auszuweiten. Man kann bereits jetzt eine allgemeine Datenaustauschplattform darunter subsumieren. Es ist aber eine offene Rechtsfrage. Vor allem aber kann der Bund die Nutzung bislang nicht verpflichtend vorgeben. Die Änderung sähe vor: Die zentrale Infrastruktur zum Datenaustausch soll beim Bund angesiedelt sein, der sie entwickelt, betreibt und finanziert.

„Länder sehen die Notwendigkeit der Änderung“

netzpolitik.org: Inwieweit braucht es für Ihren Vorschlag die Zustimmung der Länder? Wie können die Länder davon überzeugt werden? Einige haben bereits viel in eigene Infrastruktur investiert.

Mario Martini: Eine solche Verfassungsänderung geht nur mit den Ländern. Das ist klar. Im Bundesrat ist – ebenso wie im Bundestag – eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Es zeichnet sich ab, dass viele Länder eine stärkere Fokussierung der IT-Kompetenzen beim Bund offen gegenüberstehen. In Bezug auf den Staatsvertrag, der das sogenannte NOOTS ins Werk setzen soll, hat sich das mit dem „Bremer Modell“ gezeigt.


netzpolitik.org: Was ist das „Bremer Modell“?

Mario Martini: Das Land Bremen schlug unterstützt von mehreren Ländern vor, dem Bund die Entscheidungskompetenz für die NOOTS-Infrastruktur zu überlassen. Im Gegenzug sollte der Bund die Finanzierung im Ganzen übernehmen. Das macht beispielhaft deutlich, dass die Länder die Vorteile einer Anpassung der föderalen Ordnung erkennen.

Jonas Botta: Auch die Ebene, die nicht unmittelbar beteiligt ist, weil es sie als Staatlichkeitsebene verfassungsrechtlich gesehen gar nicht gibt, also die Kommunen haben auch deutlich gemacht, dass sie entlastet werden wollen. Sie stoßen bei der Digitalisierung an ihre Grenzen. Sie begrüßen es, wenn der Bund hier zentrale technische Vorgaben macht und auch finanziell die meiste Verantwortung schultert.

„Föderale Ideenvielfalt auf eine einheitliche Struktur aufsetzen“

netzpolitik.org: Wo genau sind mit der GG-Änderung dem Bund Grenzen gesetzt?

Jonas Botta: Der Bund kann den Ländern nicht inhaltlich Vorgaben machen. Wie sie zum Beispiel ihre Fachverfahren umzusetzen, liegt grundsätzlich in ihrer Verantwortung. Welche Behörden daran beteiligt werden, ob das auf Landesebene oder auf kommunaler Ebene stattfindet, das sind inhaltliche und organisatorische Fragen, die mit den Fragen der technischen Umsetzung nichts zu tun haben.

Mario Martini: Die inhaltliche Gestaltungsmacht der Länder für ihre Verwaltungen bliebe grundsätzlich unberührt. Diese Freiheit ist ein wichtiger Baustein ihrer Staatlichkeit. Der Bund dürfte lediglich die IT-Komponenten für die digitale Abwicklung des Verwaltungsverfahrens vorgeben. Die föderale Ideenvielfalt kann dadurch auf einer einheitlichen Struktur aufsetzen.

„Greifen Resilienz des Föderalismus nicht an“

netzpolitik.org: Der Föderalismus hat ja auch eine verfassungsrechtliche Schutzfunktion. Wird diese mit Ihrem Vorschlag preisgegeben?

Mario Martini: Die Verfassung geht davon aus, dass grundsätzlich die Länder den Verwaltungsvollzug regeln. Einen Teil dieser Verantwortung in die Hände des Bundes zu legen, ist nicht unsensibel. Die Verfassung erklärt die föderale Struktur und die Eigenstaatlichkeit der Länder für unantastbar.

Das schließt es aber nicht aus, die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung an sich wandelnde Bedürfnisse anzupassen. Unser Vorschlag zielt genau darauf. Er hebt weder die Länderstaatlichkeit noch die föderalen Strukturen insgesamt aus den verfassungsrechtlichen Angeln.

Jonas Botta: Es ist wichtig, hier aufmerksam zu sein. Vor allem mit Blick auf die Dystopie einer rechtsstaatsfeindlichen Mehrheit auf Bundesebene. Dieses Szenario sollte man immer vor Augen haben, wenn es um Zentralisierungsfragen geht.

Was unseren konkreten Vorschlag betrifft, kann ich die Sorge entkräften. Es ist damit verfassungsrechtlich nicht möglich, einen Zentralstaat einzuführen. Im GG gibt es sogenannte Ewigkeitsklauseln, bestimmte Prinzipien sind dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen. Dazu gehört auch das Bundesstaatsprinzip. Den Bundesstaat könnte er zwar ändern, nicht aber den Kern dessen, was ihn ausmacht, zum Beispiel den Föderalismus.

Wir greifen in die Kompetenzordnung per se nicht ein und wollen die Resilienz des Föderalismus nicht angreifen. Wir konzentrieren uns auf den Artikel 91c. GaaP ist kein allgemeingültiger Ansatz für mögliche Föderalismusreformen.

netzpolitik.org: Gibt es bereits erste Rückmeldungen zu Ihrem Vorschlag von den Ländern?

Mario Martini: Ich erhalte nur positive Rückmeldungen. Es wird bestimmt auch die Sorge vor einem Dammbruch aufkommen – also davor, dass der Bund mit seinem Einfluss auf die IT-Infrastruktur der gesamten öffentlichen Verwaltung auch eine Eintrittskarte erhalten könnte, Inhalte vorzugeben. Das sehen wir aber nicht. Bei nüchterner Betrachtung überwiegen jedenfalls die Vorteile die Risiken. Funktionierender Föderalismus braucht Strukturen, die die Handlungsfähigkeit der Verwaltung im digitalen Zeitalter gewährleisten.



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