Datenschutz & Sicherheit
Die Versammlungsfreiheit darf nicht der Polizeitaktik geopfert werden
Wenn sich am Wochenende die Neo-Nazis und Rechtsradikalen der AfD-Jugend zu ihrer vermeintlich weniger radikalen Neugründung in Gießen treffen, dann wird das nicht ohne zivilgesellschaftlichen Widerspruch ablaufen. Breite Bündnisse von Gewerkschaften über Kirchen bis zur FDP rufen zum Protest auf.
Tausende Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet werden die Gießener Bevölkerung dabei auf unterschiedliche Weise unterstützen. Alle Protestierenden eint, dass sie keinen reibungslosen und unwidersprochenen Verlauf der AfD-Veranstaltung hinnehmen, sondern deutlich sichtbar demonstrieren wollen.
Doch genau einen reibungs- und störungslosen Ablauf versucht nun die Hessische Polizei zusammen mit der Stadt Gießen zu erreichen, indem sie ausgerechnet diesen bunten Gegenprotest bekämpft. Die Stadt hat letztlich auf Anraten der Polizei angekündigt, dass in der Weststadt – und damit dort, wo sich die Rechtsextremen treffen – keine Demos stattfinden dürfen. Der antifaschistische Protest soll auf die Ostseite des Flusses Lahn verdrängt werden, die gut kontrollierbaren Brücken werden von der Polizei gesperrt, nur Anwohner:innen kommen durch.
„Fatales Zeichen, wenn Protest verhindert werden soll“
Gewalt herbeireden
Medial begleitet wird die Maßnahme durch den Verweis des Innenministers auf einen angeblich anarchistischen Aufruf zur Gewalt aus dem Internet, den allerdings jeder dahergelaufene Agent Provocateur geschrieben haben könnte, um den Protest zu diskreditieren und Öl ins Feuer zu gießen.
Daraus konstruieren Polizei und Versammlungsbehörde, flankiert von rechtsradikaler Desinformation und Panikmache in sozialen Netzwerken, mit Verweis auf angebliche frühere Straftaten von aufrufenden Organisationen nun eine Gefährdung für Leib und Leben.
Das Recht auf Unversehrtheit aller Teilnehmenden mache die Verlegung der Gegendemonstrationen nötig, so die Argumentation der Versammlungsbehörde. Sie schafft damit faktisch eine Demonstrationsverbotszone in der Nähe der AfD-Veranstaltung.
Durchschaubare Strategie
Doch die ganze Nummer ist durchschaubar: Es geht vermutlich weniger um die Unversehrtheit als vielmehr darum, dass sich die Polizei mit der Verbotszone einen taktischen Vorteil verschafft. Durch die wenigen Brücken über die Lahn kontrolliert sie den Zugang zur Weststadt. Sie will damit letztlich absichern, dass die Rechtsradikalen ungestört, unbehelligt und ohne in Proteste zu geraten zu ihrer Veranstaltung anreisen können.
Die Demonstrierenden sollen so auf die andere Seite des Flusses verbannt werden und dort rein symbolisch für ein buntes Gießen demonstrieren, während die Rechtsextremisten ungestört auf der anderen Seite ihren braunen Jugendverband gründen. Die Polizei kann auf der Westseite, alle die dort dennoch protestieren, ohne den Schutz der Versammlungsfreiheit und mit deutlich weitergehenden Befugnissen am Protest hindern. Die anreisenden Jungnazis werden sich freuen, dass die Polizei ihnen den Weg ebnet und sichtbaren Protest vom Leib hält.
Freie Wahl des Ortes
Das geht so nicht: Die Versammlungsfreiheit ist ein elementares Grundrecht, sie steht höher als polizeitaktische Erwägungen und Pläne. Im Zweifel muss die Polizei sich eben einer schwierigeren Aufgabe stellen, denn Protest muss in Hör- und Sichtweite des Adressaten stattfinden können. Zur Versammlungsfreiheit gehört auch die freie Wahl des Ortes. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung betont – und dieses Grundrecht muss die Polizei mit welcher Taktik auch immer absichern, um die Unversehrtheit aller Beteiligten zu gewährleisten.
Es ist deswegen richtig, dass die Anmelder jetzt vor dem Verwaltungsgericht ihr Recht einklagen, um diese unverschämten Demoverbote auf den letzten Metern doch noch zu kippen.