Künstliche Intelligenz
Schnelles Boot statt Bus und Bahn: Was sich von London und New York lernen lässt
Ja, die deutsche Hauptstadt Berlin hat – ebenso wie Hamburg rund um den Hafen – Fähren. Darunter ist sogar eine, die von April bis Oktober im 60-Minuten-Takt noch per Hand gerudert wird. Sie sind ins Angebot der örtlichen Verkehrsbetriebe BVG integriert und überbrücken zumeist kürzere Strecken. Doch was man sich wirklich wünscht, nämlich einen bestenfalls elektrischen Schnellverkehr auf der Spree vom Müggelsee im Osten bis zur Havel im Westen, existiert schlicht nicht.
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Stattdessen gibt es oft schadstoffreichen Ausflugsverkehr, der gemütlich durch die Innenstadt tuckert, sich primär an Touristen richtet und kaum dazu beiträgt, dass man schneller und vor allem umweltfreundlicher vorankommt. Dabei liegen zahlreiche wichtige Einrichtungen, zu denen die Menschen kommen wollen, direkt am Fluss – und könnten mit der Nutzung bestehender Anleger aufwandsarm erschlossen werden. Der bestehende ÖPNV aus S- und U-Bahn, Regionalbahnen, Bussen und Trams, der ohnehin dauerhaft am Limit arbeitet („Ich bin ein Fahrgast, ich steig‘ gleich aus“), ließe sich so entlasten. Doch wie sieht es in anderen Metropolen der Welt aus, wie nutzen diese ihre Flüsse? Die Beispiele New York (mit East River und Hudson) und London (mit der Themse) zeigen, wie gut das funktionieren kann, auch wenn es dort jeweils ganz unterschiedlich läuft. Was lässt sich von diesen schwimmenden Nahverkehrsangeboten für Deutschland lernen und wie viel besser setzen sie die Ressource Wasserweg für die Stadtgemeinschaft ein?
Die Staten Island Ferry ist nicht alles
Von New York kennen die meisten Menschen wohl nur eine wichtige Fähre: die Staten Island Ferry. Dabei handelt es sich um einen kostenlosen Zubringer zwischen Staten Island – wo kein Zug hinführt – und dem Whitehall Terminal in Manhattan. Die Strecke ist erstaunlich belebt: Mit knapp unter 17 Millionen Fahrgästen (Zahl aus 2024) gilt sie als meistverwendete Fußgängerfähre des Planeten. Allerdings ist sie in ihrer Brauchbarkeit für New Yorker, die nicht auf Staten Island leben oder arbeiten, eher eingeschränkt – Touristen freuen sich allerdings über die schönen „Views“ auf Manhattan und die Freiheitsstatue, an der es vorbeigeht.
U-Bahn-Station Brooklyn Bridge: Man muss in NYC nicht immer untertauchen, um vorwärts zu kommen.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Deutlich interessanter für die Stadtbevölkerung sind die Angebote anderer Unternehmungen. Hier gibt es zwei zentrale Anbieter: NY Waterway, das im Hudson operiert, bei der Hafenbehörde von New York und New Jersey angesiedelt ist und die Verbindung zwischen New York City und verschiedenen Orten in New Jersey und dem Hudson-Tal herstellt, sowie NYC Ferry. Hinzu kommen kleinere Anbieter wie Seastreak – letztere Firma bewirbt ihr Angebot gar mit dem Werbespruch, „den zivilisiertesten Weg“ von New Jersey nach Manhattan zu bieten.
East-River-Hopping mit der Fähre
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Um NYC Ferry, das als öffentlicher Transportanbieter von einer privaten Fährengesellschaft operiert wird, soll es in diesem Text vor allem gehen. Denn dabei handelt es sich um die größte Flotte an Passagierschiffen in den Vereinigten Staaten, die den innerstädtischen Verkehr der 8,8-Millionen-Stadt stark erleichtern kann – zumindest, wenn man weiß, wie. Das Netzwerk von NYC Ferry deckt vorwiegend den East River ab, also den Bereich zwischen Manhattan, Brooklyn und Queens, in dem die meisten Menschen leben.
Fährterminal Pier 11/Wall Street: Ab hier geht es um die ganze Insel und darüber hinaus.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Schließlich gibt es mit der Linie St. George noch einen (kostenpflichtigen) Konkurrenten zur Staten Island Ferry. Gefahren wird hier allerdings eine längere Strecke: Sie führt von Midtown West über die Battery Park City bis nach St. George auf Staten Island – und von dort geht es über Bay Ridge und Atlantic Avenue zurück zum zentralen Anleger an der Wall Street (Pier 11). Insgesamt betreibt der Fähranbieter sieben Linien – von Throgs Neck oben in der Bronx bis ganz nach Rockaway in Queens. Dabei ist auch ein Lokalverkehr (East River A und B), der Brooklyn und Teile von Queens mit Manhattan verbindet, plus Shuttle-Bus-Betriebe in Queens und Midtown Manhattan.
Kleine Kreuzfahrt zum Schnäppchentarif
Für eine teure Stadt wie New York City ist die Nutzung von NYC Ferry erstaunlich preiswert. Eine Fahrt in einer Richtung kostet 4,50 US-Dollar, inkludiert sind kostenlose Fährenwechsel bis zu 120 Minuten lang. Zur Einordnung: Wer die große Runde von Midtown West über Staten Island bis zum Pier 11 an der Wall Street absolviert, benötigt dafür 68 Minuten. Die längste Strecke im Netz, von der Bronx bis nach Rockaway in Queens, benötigt 120 Minuten, kann also schon fast als Mini-Kreuzfahrt gelten. Touristisch beliebt ist die Astoria Route. Sie führt an des Ostseite Manhattans entlang und „springt“ zwischendurch zwischen Queens/Brooklyn und der anderen Flussseite hin und her. Die Endpunkte sind Wall Street im Süden und East 90th Street im Norden. Die Kulisse ist je nach Wetter atemberaubend – und einen Ausflug auf die schöne Insel Roosevelt Island (die eine Seilbahn nach Manhattan besitzt) kann man ebenfalls empfehlen.
Fahrgäste-Ordnung am Fährterminal Pier 11/Wall Street: Nicht hübsch, aber funktional.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Wer mehr als einmal fahren will, kann 10-Trip-Karten für 29 Dollar oder ein Zwei-Tages-Ticket für 15 Dollar erwerben. Den Kauf von Fahrkarten und die Reiseplanung erledigt man am einfachsten mit der offiziellen iOS- und Android-Anwendung von NYC Ferry, zudem enthalten die großen Karten-Apps den Live-Fahrplan. Wie in New York leider üblich, fehlt die Integration mit anderen Verkehrsmitteln: Die ab 2026 die Metrocard ablösende OMNY-Karte für U-Bahn und Bus funktioniert auf den Fähren nicht, wie man das schon bei den – erstaunlicherweise zum gleichen Verkehrsunternehmen gehörenden – Bahnen der Long Island Rail Road und Metro North kennt, die ebenfalls ihre eigene App (“TrainTime“) haben.
Über den Teich zum Uber-boaten
Wagen wir den Sprung zurück über den großen Teich ins britische London. Dort sind potenzielle Bootfahrer zunächst mit einem leicht verwirrenden Branding konfrontiert: Ausgerechnet der Fahrdienstvermittler Uber hat sich die „Naming Rights“ für den lokalen Themse-Schiffsverkehr gesichert, auch wenn er diesen selbst nicht betreibt. Die Flussfahrzeuge werden einfach nur Uber Boat genannt, weil die Stadt – genauer gesagt der Betreiber – mittels Sponsoring ein wenig Geld hereinholen wollte, ähnlich wie die Seilbahn in Greenwich erst „Emirates Air Line“ (nach der Fluggesellschaft aus den Emiraten) hieß und heute „IFS Cloud Cable Car“ (nach einem schwedischen Enterprise-Cloud-Anbieter) genannt wird.
Uber Boat beim Ablegen: Integriert ins Oyster-Card- und Contactless-System.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Durchgeführt wird Uber Boat vom Flussverkehrsunternehmen Thames Clippers, das die Lizenz von Tranport for London (TfL) erworben hat. Die Firma wurde mittlerweile von einem Private-Equity-Unternehmen gekauft, nachdem sie einst dem Unterhaltungskonzern Anschutz gehört hatte, der die Anbindung seiner Konzerthalle (früher Millennium Dome, heute „The O2“) im Südosten Londons verbessern wollte. Daraus entwickelt hat sich mittlerweile ein stabiles Netzwerk aus 24 Anlegern – von Putney im Westen durch die ganze Innenstadt hindurch bis Barking Riverside im Osten. Zwar hat sich die West-Ost-Verbindung durch die Einrichtung der schnellen und komfortablen Elizabeth Line (vormals Crossrail genannt) mittlerweile stark verbessert. Das hilft Londonern aber nur dann etwas, wenn sich eine Station in der Nähe befindet. Ist der Zielort in Flussnähe – sei es nun Battersea, Waterloo oder Westminster –, kann der Uber-Boat-Trip auf der Themse immer noch die bessere Wahl sein. Hilfreich dabei ist, dass die Fähren insbesondere in den weniger stark frequentierten Bereichen des Flusses durchaus aufdrehen können: Die Katamarane, von denen inzwischen immerhin drei Diesel-Hybrid-Fähren sind, geben auf bis zu 28 Knoten Gas (Elektrobetrieb: 12 Knoten).
Drei Zonen und nicht ganz billig
Das Uber-Boat-Netz besteht aus drei Zonen: West, Central und East. An Fährlinien gibt es fünf, wobei sich diese überschneiden beziehungsweise nur zu bestimmten Zeiten unterwegs sind. Hier inkludiert ist eine Kurzverbindung (Ferry Crossing) zwischen Canary Wharf und Rotherhithe (RB4), wo man sich aber eher eine Brücke gewünscht hätte – immerhin fährt hier eine Elektofähre. Am besten angebunden ist Canary Wharf, wo auch viele Bahnlinien verfügbar sind. Es geht hier täglich bis Putney (RB6) sowie nach Barking Riverside mit allen Stationen (RB1). Etwas komplexer wird es Richtung Westen. Hier sollte man in der App nachsehen, ob der gewünschte Haltepunkt „off-peak“ (also außerhalb von Stoßzeiten) und an Wochenenden angefahren wird oder nicht. Teilweise muss man umsteigen, um etwa nach Battersea oder weiter zu gelangen.
„Respekt“-Tafel am Uber Boat: Verbale und körperliche Gewalt durch Fahrgäste gibt es leider auch auf dem Fluss.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Die Reisezeiten sind unterschiedlich. So geht es von London Bridge nach Battersea in 37 Minuten, von Greenwich bis Tower in 23. Das Uber Boat nimmt entweder eigene Fahrkarten – am einfachsten per App zu erwerben – oder schlicht Contactless- und Oyster-Karte, was die Nutzung sehr bequem macht – Tap in und Tap out, fertig. Die Tarifierung liegt aber höher als bei Bahnen und Bussen. So werden zwischen Battersea und Canary Wharf beispielsweise mindestens 9 britische Pfund 50 aufgerufen, kürzere Strecken sind günstiger.
Der Fluss ist schon da
Die Beispiele London und New York zeigen, dass Boots-ÖPNV auf Stadtflüssen gut funktionieren kann. Und warum sollte man es auch nicht tun: Der Schiffsverkehr in diesen Bereichen ist meist touristisch und nur noch selten logistisch geprägt – und selbst dann können Boote, wie das Beispiel London zeigt, gut kooperieren und behindern sich selten. Der Transportweg Fluss ist zudem schlicht vorhanden und muss nur mit vergleichsweise kostengünstiger Infrastruktur (Fahrzeuge und gegebenenfalls neue Anleger) aufgerüstet werden.
Unterwegs mit dem Uber Boat auf der Themse: Geht schnell und ist einfach zu benutzen.
(Bild: Ben Schwan / heise medien)
Wie man es erstaunlich richtig machen kann mit gutem Fährverkehr, kann man übrigens in einer Stadt erleben, die sonst nur extrem unterdurchschnittlichen ÖPNV hat: In der Theme-Park-Metropole Orlando in Florida. Dort betreibt die „Experiences“-Abteilung des Disney-Konzerns auf dem eigenen Gelände um World Disney World herum zahlreiche kleine und größere Schiffe, die die Gäste von Park zu Park oder Hotel zu Hotel bringen. Das bietet sich – neben einem Monorail-, Seilbahn- und Bussystem – auch an, denn das Gelände mit Magic Kingdom, EPCOT, Hollywood Studios, Animal Kingdom sowie die Shopping-Anlage Disney Springs plus einem Sport- und Wasserpark ist gigantisch. Die Fahrgäste müssen dort übrigens keinen Cent zahlen, nicht einmal Parkeintrittskarten sind notwendig.
(bsc)