Datenschutz & Sicherheit

„Digitaler Omnibus“ könnte Forschung zu Big-Tech erschweren


Eigentlich will die EU-Kommission mit ihrem „digitalen Omnibus“ Regulierung zurückbauen und so unter anderem die Verfügbarkeit von Daten für innovative Zwecke erhöhen. Doch in einem Bereich könnte das Sammelgesetz das genaue Gegenteil erreichen, kritisieren nun Forscher:innen europäischer Universitäten. In einem offenen Brief warnen sie, dass eine der geplanten Änderungen Datenspenden für wissenschaftliche Forschung unmöglich machen würde.

Als Datenspenden bezeichnet man es, wenn Menschen freiwillig Daten über sich zur Verfügung stellen, damit mit ihnen Forschung betrieben werden kann. Die Wissenschaft ist immer dann auf Datenspenden angewiesen, wenn es keine Möglichkeit gibt, selbst Daten zu erheben oder auf bestehende Daten zuzugreifen. Dies ist besonders häufig bei Untersuchungen zur Funktionsweise algorithmischer Systeme und digitaler Plattformen der Fall, weil Tech-Konzerne die bei ihnen vorhandenen Daten geheim halten wollen.

Geplante Einschränkungen beim Recht auf Datenauskunft würden Datenspenden künftig verhindern, heißt es in dem Brief. Dabei seien diese ein Paradebeispiel für partizipative Wissensgewinnung und für die demokratische Steuerung digitaler Ökosysteme unerlässlich. Außerdem würden sie europäische Bürger:innen durch Citizen-Science-Projekte stärken. Als Beispiele aktueller Forschung auf Basis von Datenspenden nennt der Brief unter anderem Untersuchungen zum digitalen Wohlbefinden junger Menschen, zu Suchtverhalten auf TikTok, zu politischer Polarisierung oder zu algorithmischer Ausbeutung beim Fahrtvermittler Uber.

„Das Recht auf Datenzugang ist für Bürger:innen eines der sichtbarsten Beispiele dafür, wie die europäische Gesetzgebung ihre Nutzer:innenrechte stärkt, was durch die Arbeit der Forschungsgemeinschaft noch verstärkt wird“, so die Unterzeichner:innen von mehreren renommierten Universitäten in Europa. Aus Deutschland sind beispielsweise Wissenschaftler:innen vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, vom Leibniz-Institut für Medienforschung der Uni Hamburg und von der Ludwig-Maximilians-Universität München dabei.

Wettbewerbsnachteil für europäische Forschung

Das digitale Omnibus-Paket (vom lateinischen „für alle“) soll zahlreiche Digitalgesetze der EU anpassen, darunter die KI-Verordnung, der Data Act und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Die EU-Kommission betont, dass das Ziel eine Vereinfachung des rechtlichen Rahmens für die digitale Welt sei, damit europäische Unternehmen wettbewerbsfähiger sind. Kritiker:innen aus der Zivilgesellschaft und dem Europäischen Parlament sprechen von einem Angriff auf digitale Grundrechte.

Insbesondere bei der DSGVO gehen die geplanten Änderungen weit über kosmetische Änderungen oder technische Vereinfachungen hinaus. So will die Kommission etwa Tech-Konzernen einen Freifahrtschein für die Nutzung von personenbezogenen Daten für KI-Modelle ausstellen und pseudonymisierte Daten teilweise vom Datenschutz ausnehmen.

Auch Betroffenenrechte wie das Recht auf Datenauskunft sollen eingeschränkt werden, weil es Unternehmen und Behörden zu viel Arbeit macht. Nach der Änderung, die unter anderem die deutsche Regierung vehement gefordert hatte, könnten Datenverarbeiter vermeintlich missbräuchliche Anfragen künftig ablehnen. Gestellt werden dürften Anfragen dann nur noch zu „Datenschutzzwecken“.

Verwendung zu Forschungszwecken wird verhindert

Die Verwendung solcher Daten zu Forschungszwecken würde damit verhindert, kritisieren die Unterzeichner:innen des englischsprachigen Briefes:

Die vorgeschlagene Änderung würde es Datenverantwortlichen ermöglichen, betroffenen Personen ihr Recht auf Zugang mit der Begründung zu verweigern, dass Forschungsanfragen unter „andere Zwecke als den Datenschutz“ fallen. Selbst wenn diese Argumentation unzutreffend wäre, müssten Bürger:innen zeitaufwändige Beschwerden bei unterfinanzierten Vollzugsbehörden oder kostspielige Rechtsstreitigkeiten in Kauf nehmen. Hinzu kommt, dass europäische Forscher:innen bei der Entwicklung und Nutzung von Datenspenden als Erfolgsmodell für unabhängige Plattformforschung (…) eine Vorreiterrolle einnehmen. Eine Einschränkung würde sie nicht nur wieder in die Abhängigkeit von Verbindungen zwischen Wissenschaft und Industrie zwingen, sondern sie auch gegenüber US-Forschern:innen benachteiligen, die oft über direkte Kontakte Zugang zu Plattformdaten erhalten.

Nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag für den digitalen Omnibus vorgestellt hat, hat inzwischen die Meinungsbildung im Europäischen Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten begonnen. Unter anderem drängt die größte Fraktion des EU-Parlaments, die konservative Europäische Volkspartei, auf eine schnelle Beratung und Verabschiedung.



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