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Digitalsteuer: Tech-Konzerne sollen blechen


Da ist sie wieder, die Digitalsteuer. Letzte Woche hat Kulturstaatsminister Wolfram Weimer eine Digitalabgabe für große Tech-Unternehmen wie Alphabet oder Meta ins Spiel gebracht. Ein Abgabesatz von 10 Prozent sei „moderat und legitim“, sagte der parteilose Konservative dem Magazin Stern. Sein Haus arbeite nun eine Gesetzesvorlage aus, als Vorbild soll eine Regelung aus Österreich dienen.

Für manche in der schwarz-roten Koalition kam der Vorstoß überraschend, abgestimmt war der Vorschlag augenscheinlich nicht. Dabei hatte der Koalitionsvertrag eine Abgabe für Online-Plattformen, die Medieninhalte nutzen, in Aussicht gestellt. Die Erlöse sollen demnach dem Medienstandort zugutekommen.

Indes ist nachvollziehbar, warum so eine Abgabe nicht auf der Prioritätenliste der Bundesregierung steht: Ein Alleingang Deutschlands könnte zur Eskalation des weiterhin ungeklärten Handelsstreits zwischen den USA und der EU beitragen und zugleich Brüssel im Verhandlungs-Poker einen Trumpf entziehen – etwas, was die EU-Kommission tunlichst vermeiden will.

Wiederkehrende Debatte

Dennoch lässt sich die Debatte um eine Digitalsteuer nicht vom Tisch wischen, sie flammt seit Jahren über Parteigrenzen hinweg immer wieder auf. Politisch wie wirtschaftlich lässt sich kaum vermitteln, warum manche Weltkonzerne jedes Quartal Milliardengewinne einstreichen, aber signifikant weniger Steuern zahlen als andere Unternehmen.

Laut Angaben der EU-Kommission aus dem Jahr 2018 zahlen Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen im Schnitt rund 23 Prozent Steuern, Digitalunternehmen jedoch nicht einmal 10 Prozent. Es ist schlicht eine Frage der Gerechtigkeit, zumal auf den Kosten, die manche dieser Konzerne verursachen, oft der Rest der Gesellschaft sitzen bleibt.

Sinnvoll wäre eine Lösung auf EU-Ebene, von der Kommission zuletzt im Jahr 2018 vorgeschlagen. Doch im Streit um den Ansatz, auf den sich alle Mitgliedstaaten hätten einigen können, ist die Diskussion schließlich erfolglos versandet. Gebremst hatten vor allem Länder wie Irland, die Konzerne wie Google oder Apple mit großzügigen Steuervorteilen ins Land locken und zuweilen sogar vor Gericht ziehen, um kaum haltbares Steuerdumping betreiben zu können.

Einige Länder haben deshalb kurzerhand eigene Modelle in die Welt gesetzt, darunter Frankreich, Italien und eben auch Österreich. Wie könnte nun eine mögliche Digitalsteuer nach österreichischem Muster aussehen?

Die österreichische „Übergangslösung“

Die dortige Regelung zielt auf Online-Werbung ab. Seit dem Jahr 2020 entfällt auf beispielsweise Bannerwerbung auf Websites oder Suchmaschinen eine fünfprozentige Abgabe. Erfasst werden Unternehmen ab einem weltweiten Umsatz von 750 Millionen Euro und inländischem Umsatz von 25 Millionen Euro pro Jahr.

Als relevante Werbeleistung gelten Anzeigen, die von Geräten mit österreichischer IP-Adresse abgerufen werden und sich an österreichische Nutzer:innen richten. Es handelt sich um eine Selbstberechnungsabgabe, die Unternehmen ermitteln also selbst, was sie zu entrichten haben.

Rund 2,6 Milliarden Euro sollen Berechnungen des Standard zufolge vom Gesetz erfasste Tech-Konzerne im Jahr 2024 mit Werbung in Österreich eingenommen haben. Damit flossen circa 124 Millionen Euro ans österreichische Finanzministerium.

Online-Werbung ist ein rasant wachsender Markt: Einnahmen aus Werbeanzeigen, die früher ein wichtiges Standbein der Medienfinanzierung waren, landen zunehmend bei Google, Facebook & Co. In Österreich haben die Tech-Riesen die traditionelle Verlagsbranche etwa um das Jahr 2022 überflügelt. Letztere konnte im Vorjahr nur rund 2 Milliarden Euro aus Werbebuchungen einnehmen, wie in anderen Ländern sind die Zahlen seit Jahren rückläufig.

Wo die neuen Einnahmen genau landen, ist eine politische Frage. In Österreich gehen davon jährlich nur rund 20 Millionen Euro an einen Fonds zur Förderung der digitalen Transformation, zum Frust österreichischer Fachverbände. Der Fonds soll die Digitalisierung der Medienlandschaft vorantreiben und unterstützt eine Reihe an Digitalisierungsprojekten, darunter auch die Weiterbildung von Journalist:innen – aber nicht reine Online-Medien.

Wie eng sich ein konkreter deutscher Aufschlag letztlich am österreichischen orientieren wird, bleibt offen. In seiner eher vagen Ankündigung hatte Weimer die Tür für weiter reichende Ansätze offen gelassen, ganz abgesehen vom doppelt so hohen Abgabesatz. „Es geht nicht nur um Google-Ads. Es geht generell um Plattform-Betreiber mit Milliardenumsätzen“, sagte der Kulturstaatsminister.

Nicht alle Geschäftsmodelle der Digitalkonzerne bauen auf Online-Werbung auf, bekannte Steuervermeider wie Apple kämen ungeschoren davon. Außerdem wolle Weimer das Gespräch mit den „Plattformbetreibern auf Spitzenebene“ suchen, um „Alternativlösungen zu sondieren“.

Grundsätzlich sieht Österreich das eigene Modell aber weiterhin als „Übergangslösung“, während „auf OECD-Ebene und innerhalb der EU an umfassenden globalen Besteuerungsregeln für die digitale Wirtschaft gearbeitet wird“, wie das Finanzministerium letztes Jahr betonte.


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Wackliges OECD-Säulenmodell

Tatsächlich hat sich die letzte, fruchtlos gebliebene EU-Debatte zur OECD hin verschoben, um zumindest einen Mindeststandard bei der Besteuerung insbesondere multinationaler Unternehmen zu schaffen. Diese beschäftigen ganze Heerscharen an Jurist:innen, die mit ausgeklügelten Tricks die Steuerlast der Konzerne so gering wie möglich halten.

Doch selbst die innerhalb der OECD erzielte und nach einigem Tauziehen von der EU bestätigte Einigung, einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent zu schaffen, wackelt, weil einmal mehr Donald Trump reingrätscht und US-amerikanische Unternehmen ungerecht behandelt sieht. Die Folgen für die Abgabengerechtigkeit wären jedoch ohnehin nur „schwach positiv“, auch bei einer relativ umfassenden Umsetzung, führt eine Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) aus.

In dieser aus dem Vorjahr stammenden Studie deklinieren die Autoren zudem weitere möglich Ansätze durch – vom Zwei-Säulen-Modell der OECD über Zölle auf Handel mit Software-Lizenzen bis hin zur sogenannten Datenmaut. Jeder dieser Ansätze bringt seine eigenen Vor- und Nachteile mit, ganz zu schweigen vom Problem der Umsetzbarkeit. Schließlich hat die derzeitige EU-Kommission nicht nur mit dem Trump-Problem zu kämpfen, sondern sich generell Erleichterungen für die europäische Wirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Wirtschaftsverbände warnten denn auch umgehend vor möglichen negativen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit.

EU-Länder lassen sich ungern reinreden

Wie schwierig es ist, Einigkeit über sogar auf den ersten Blick scheinbar unkontroverse Vorhaben zu finden, zeigen etwa die zähen Verhandlungen zur „Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter“. Über drei Jahre lagen sich die EU-Länder in den Haaren, um sich letztlich auf die Digitalisierung von Meldepflichten oder auf Mehrwertsteuern für Kurzzeitvermietung von Unterkünften zu einigen. Das hat auch damit zu tun, dass die EU selbst nicht direkt Steuern einnehmen kann und sich die Mitgliedstaaten ungern in ihren Hoheitsbereich reinreden lassen.

Auf absehbare Zeit dürften deshalb eher nationale Vorstöße dominieren und dabei Fakten schaffen, die wiederum auf die EU zurückwirken könnten. Einer von der Grünen-Fraktion im EU-Parlament in Auftrag gegebenen Studie des Centre for European Policy Studies (CEPS) lässt sich etwa entnehmen, dass Online-Werbetreibende über die Hälfte des entsprechenden EU-Umsatzes in nur drei Ländern erwirtschaften: Deutschland, Frankreich und Italien. In diesem Trio fehlt also nur mehr Deutschland mit einem eigenen Modell.

Auch diese Studie zeigt die Spannweite des Handlungsrahmens auf, es muss nicht notwendigerweise bei Abgaben auf Online-Werbung bleiben. Frankreich besteuert etwa nicht nur Umsätze im Werbemarkt mit 3 Prozent, sondern ab einem gewissen Umsatz mittlerweile auch Musikstreaming-Dienste mit 1,2 Prozent. Italien und Spanien, zwei weitere EU-Länder mit bereits eingeführten und jeweils dreiprozentigen Steuern auf Online-Werbeumsätze, experimentieren unter anderem mit der Höhe inländischer Umsatzschwellen oder der steuerlichen Erfassung von Schnittstellen, über die personenbezogene Daten übertragen werden.

Vom rückblickend moderat wirkenden Vorschlag aus dem Jahr 2018, Digitalkonzerne mit bescheidenen drei Prozent zu besteuern, scheinen wir inzwischen meilenweit entfernt zu sein.



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„Passwort“ Folge 34: Lokale Sauereien von Meta und Yandex


Die Internetriesen Meta und Yandex sind beim Tracken ihrer Nutzer erwischt worden. Das klingt kaum nach einer Neuigkeit, doch der Knackpunkt ist die Art und Weise dieses Trackings: Facebook, Instagram, Yandex Maps und einige andere Yandex-Apps haben Nutzer auch dort verfolgt, wo es weder vertretbar noch technisch möglich erscheint: im Browser außerhalb der App.

Dabei haben Meta und Yandex nicht nur die expliziten Wünsche ihrer Nutzer ignoriert – gängige Anti-Tracking-Maßnahmen wie der Inkognito-Modus, sich auszuloggen oder Cookies zu löschen waren wirkungslos – sondern auch Sicherheitskonzepte von Android absichtlich ausgehebelt. Die Podcast-Hosts sehen sich an, wie skrupellos und trickreich die Firmen dabei vorgingen, gestützt auf die Analyse „Local Mess“. Unter diesem Titel dokumentierten die ursprünglichen Entdecker des Verhaltens ihre Ergebnisse.

Christopher und Sylvester ringen dabei immer wieder um Worte, denn das Vorgehen von Meta und Yandex ist so perfide, nutzerfeindlich und offensichtlich absichtlich, dass die Hosts kaum noch Unterschiede zu typischer Malware sehen. Im Podcast zeichnen die beiden nach, wie das Tracking technisch umgesetzt wurde – auch diese Tricks erinnern an klassische bösartige (und illegale) Software, was sie wenigstens interessant macht.

Außerdem diskutieren die Hosts, wie Meta und Yandex reagierten, als sie auf das Verhalten ihrer Apps angesprochen wurden, was eigentlich Google, die Hüterin der Play-Store- und Android-Richtlinien dazu sagt, und woran es liegen könnte, dass iOS offenbar nicht betroffen war. Zuletzt reden die beiden darüber, wie man sich vor solchen Methoden schützen kann und welche Vorschläge es gibt, dergleichen in Zukunft zu unterbinden. Denn eigentlich sollte niemand die Isolationsschichten zwischen Apps überwinden können, wenn Nutzer das nicht wollen – ganz gleich, ob die Apps von Hackern mit kriminellen Absichten oder von Firmen ohne moralischen Kompass stammen.

Das Chrome-Entwicklerteam hat zwischenzeitlich seine Pläne konkretisiert, lokale Netzwerkzugriffe aus dem Google-Browser heraus an die Erlaubnis des Nutzers zu knüpfen. Bereits mit Chrome 138 können Desktop-Nutzer den „Local Network Access“ testen, Android wird später folgen.

Die neueste Folge von „Passwort – der heise security Podcast“ steht seit Mittwochmorgen auf allen Podcast-Plattformen zum Anhören bereit.


(syt)



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Achtstellige Passwörter unzureichend: Datenschutzstrafe für Genfirma 23andme


„23andme hat dabei versagt, grundlegende Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten zu setzen“, zeiht John Edwards, Chef der britischen Datenschutzbehörde, das US-Unternehmen für Genanalysen, „Ihre Sicherheitssysteme waren inadäquat, die Warnsignale waren da und die Firma hat langsam reagiert.“ Das Ergebnis ist bekannt: Fast sieben Millionen Datensätze von Kunden 23andmes gelangten 2023 in falsche Hände und im Darknet zum Verkauf. Edwards Behörde verhängt nun eine Strafe von umgerechnet gut 2,7 Millionen Euro über die Genfirma.

Die der Strafe zugrundeliegende Untersuchung war gemeinsame Arbeit der britischen und der kanadischen Bundesdatenschutzbehörde. Letztere darf, sehr zum anhaltenden Ärger ihres Chefs Philippe Dufresne, keine Strafen verhängen, sondern muss sich auf die Feststellung beschränken, dass 23andme kanadisches Datenschutzrecht verletzt hat. Von der illegalen Offenlegung dürften etwa 320.000 Kanadier und rund 150.000 Briten betroffen sein.

Die Methode des Angreifers war banal: Credential Stuffing. Dabei werden Logins und Passwörter, die bei Einbrüchen in andere Dienste offengelegt worden sind, ausprobiert. Hat der User die gleiche Kombination eingesetzt, und gibt es keine Multifaktor-Authentifizierung, kann sich der Angreifer einloggen. Das ist bei 23andme im Jahr 2023 bei über 18.000 Konten gelungen. Viele 23andme-Kunden haben in ihren Konten die Option aktiviert, ihre Daten mit Verwandten zu teilen. Daher konnte der Angreifer über gut 18.000 Konten die Daten von fast sieben Millionen Menschen abgreifen.

Fünf Monate lang, ab Ende April 2023, konnte der Täter ungestört ein Passwort nach dem anderen ausprobieren. Denn, so die kanadische und die britische Behörde, 23andme hatte ineffektive Erkennungssysteme sowie unzulängliches Logging und Monitoring. Zudem sei die Untersuchung von Anomalien inadäquat gewesen, sonst hätte 23andme die Vorgänge Monate früher als erst im Oktober 2023 erkannt.

Hinzu kommt unzureichende Vorbeugung. Die beiden Behörden kritisieren, dass 23andme keine verpflichtende Multifaktor-Authentifizierung (MFA) hatte, dass es nicht überprüft hat, ob Kunden anderswo kompromittierte Passwörter wiederverwenden, dass es keine zusätzliche Überprüfung bei der Anforderung der Gen-Rohdaten gab, und dass die Passwortregeln zu lasch waren: 23andme schrieb mindestens achtstellige Passwörter mit „minimalen Komplexitätsregeln“ vor; eine Richtlinie der britischen Datenschutzbehörde ICO (Information Commissioner’s Office) empfiehlt mindestens zehnstellige Passwörter ohne Zwang der Verwendung von Sonderzeichen und ohne Längenbeschränkung.

Selbst als 23andme die unberechtigten Zugriffe erkannt hatte, reagierte es nicht so, wie sich die Datenschutzbehörden das vorstellen. Es dauerte vier Tage, bis die Firma alle Passwörter zurücksetzte und laufende Sitzungen schloss. Bis zur Einführung verpflichtender MFA und zusätzlicher Absicherung der Rohdaten verging gar ein Monat. Zu allem Überdruss waren die rechtlich vorgeschriebenen Mitteilungen der Firma an die britische und die kanadische Datenschutzbehörde auch noch unvollständig.

Einige Monate nach dem Vorfall stellte 23andme Insolvenzantrag. Daher ist nicht gesichert, dass die britische Strafe in der festgesetzten Höhe bezahlt wird. Das Unternehmen könnte auch noch Rechtsmittel ergreifen.

23andme wurde 2006 gegründet, ist 2021 an die Börse gegangen, hat aber nie Gewinn geschrieben. Nach einigem Hin und Her im Insolvenzverfahren dürfte Mitgründern Anne Wojcicki über ihre Forschungsfirma TTAM die Konkursmasse 23andmes aus dem Konkursverfahren erwerben. TTAM hat dafür 305 Millionen US-Dollar geboten, mehr als die Pharmafirma Regeneron. Wojcicki war bis 2015 mit Google-Mitgründer Sergey Brin verheiratet und ist die jüngste Schwester der im August an Lungenkrebs verstorbenen Susan Wojcicki, der ersten Marketingleiterin Googles und langjährigen Chefin Youtubes.


(ds)



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Trump setzt auf „strategisches Chaos“


Die politische Lage in den USA spitzt sich zu. Vergangene Woche hat der autoritär auftretende Präsident Donald Trump Militärtruppen nach Kalifornien entsandt, um Proteste gegen die Einwanderungsbehörde ICE zu ersticken. Erschreckende Bilder wie die Abführung des demokratischen Senators von Kalifornien, Alex Padilla, gingen um die Welt.

Am Wochenende nahm Trump an seinem Geburtstag eine Militärparade in der Hauptstadt Washington ab – höchst ungewöhnlich für die USA, selbst wenn die Armee am gleichen Tag ihren 250. Geburtstag hatte. Zugleich regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung, nicht nur in Los Angeles. Landesweit kam es am Samstag zu massiven Protesten unter dem Motto „No King“ – „Kein König“ in mehr als 2.000 Städten.

Sind die USA noch vor der autoritären Komplettübernahme durch Trump und seine Bewegung zu retten? Wir haben den Verfassungsrechtler Anthony Michael Kreis gefragt, was gerade passiert und worauf es jetzt ankommt. Kreis ist Professor an der Georgia State University und begleitet die Umwälzungen kritisch unter anderem auf Bluesky.

Man in suit with mustache
Anthony Michael Kreis. – Alle Rechte vorbehalten private

Das Interview wurde auf Englisch geführt und lässt sich hier im Original nachlesen.

„Strategisches Chaos“ der Trump-Regierung

netzpolitik.org: Hierzulande beobachten viele Menschen ungläubig, was mit einem der wichtigsten Verbündeten Deutschlands und einem Land geschieht, das sie immer als stabile Demokratie wahrgenommen haben. Wie würden Sie die Ereignisse der vergangenen Monate in Ihrem Land beschreiben?

Anthony Kreis: Das Beste, was ich dazu sagen kann, ist „strategisches Chaos“. Die Trump-Regierung arbeitet mit Hochdruck daran, Institutionen zu zerstören und die Handlungsfähigkeit des Staates zu schwächen, oft unter Missachtung des Rechts. Und sie vertritt Positionen, die die Verfassung zutiefst verletzen. Leider gab es so viele Angriffe auf die Verfassung und die amerikanische Demokratie, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.

netzpolitik.org: Wie wir in den zurückliegenden Wochen gesehen haben, hat Donald Trump Nationalgarde und Marines in Kalifornien eingesetzt, um Proteste niederzuschlagen. Gibt es dafür einen Präzedenzfall, und was sagt das Gesetz über den Einsatz von Streitkräften im Inland?

Anthony Kreis: Der Einsatz von Bundestruppen oder der Nationalgarde ist äußerst selten – insbesondere, weil die lokalen Behörden nicht um Unterstützung gebeten haben. Nach amerikanischem Recht ist es unzulässig, Bundestruppen zur Durchsetzung ziviler Gesetze einzusetzen. Sie können Bundesgebäude und Beamte schützen, aber in der Regel ist dies eine Maßnahme der letzten Instanz. Die Tatsache, dass der Präsident so leichtfertig Truppen auf amerikanischen Straßen einsetzt, lässt mich vermuten, dass es hier um eine Machtdemonstration geht – und nicht um die Durchsetzung des Gesetzes und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Angesichts der relativ isolierten Natur des Problems inmitten überwiegend friedlicher Demonstrierender hätte das alles auch von nichtmilitärischem Personal geleistet werden können.

Demokratie am Tiefpunkt

netzpolitik.org: Wenn das Ziel darin bestand, die Zivilgesellschaft von Protest abzuschrecken, scheint es gescheitert zu sein: Am vergangenen Wochenende gab es im ganzen Land massive „No King”-Proteste, selbst angesichts der politisch motivierten Ermordung einer demokratischen Abgeordneten in Minnesota. Wie gesund ist die US-Zivilgesellschaft derzeit, und wie mächtig können Proteste sein, um Veränderungen zu bewirken?

Anthony Kreis: Die amerikanische Demokratie befindet sich derzeit an einem Tiefpunkt. Die Drohungen mit politischer Gewalt, die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Versuche, demokratische Institutionen auszuhöhlen, zeigen, wie ernst die Lage ist. Proteste können natürlich dazu beitragen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Menschen zu ermutigen, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Letztendlich müssen die Menschen jedoch protestieren – und wählen gehen. Es wird ein langfristiges, ernsthaftes Engagement von Millionen von Amerikanern erfordern, um dieses jüngste Kapitel des demokratischen Rückschritts in den USA zu beenden.

netzpolitik.org: Wahlen funktionieren nur, wenn sie Konsequenzen haben. Aber es scheint, dass der Kongress keinen nennenswerten Druck auf Trump ausübt. Ist das ein Problem, das durch das US-Verfassungssystem verursacht wird? Oder ist ein politisches Problem?

Anthony Kreis: Wir sprechen oft davon, dass die drei Gewalten sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen. Historisch gesehen geht es jedoch eher um die Trennung der Parteien als um die Trennung der Gewalten. Solange die Republikaner den Kongress und den Verfassungsgerichtshof kontrollieren, wird es weniger institutionellen Widerstand seitens der Legislative und der Judikative geben. Damit dies geschieht, müsste sich die Lage grundlegend ändern und Trump an Popularität unter den Republikanern verlieren. Ansonsten hängt für die Demokraten viel von den Wahlen im Jahr 2026 ab. Das ist dann ihre einzige echte Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.

USA in der Verfassungskrise

netzpolitik.org: Haben die Demokraten bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt oder haben sie noch Optionen?

Anthony Kreis: Sie haben kaum andere Möglichkeiten, als die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bislang haben sie das nicht besonders gut gemacht.

netzpolitik.org: Bis zu den Wahlen 2026 wird also der Supreme Court in den meisten dieser Fragen das letzte Wort haben. Bislang waren seine Entscheidungen für die Trump-Regierung eher durchwachsen. Aber Trump versucht weiterhin, offensichtlich illegale Anordnungen durchzusetzen, sei es der Einsatz des Militärs im Inland oder die Abschaffung des verfassungsmäßig garantierten Geburtsortsprinzips. Wir haben bereits gesehen, dass Trump Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat. Befinden sich die USA bereits in einer Verfassungskrise?

Anthony Kreis: Jeder wird „Verfassungskrise” anders definieren. Für mich ist es ein Moment, in dem die Rechtsstaatlichkeit bedroht ist und die Machthaber versuchen, Regeln und Institutionen außerhalb eines legitimen Prozesses zu ändern – mit anderen Worten: willkürliche und instabile Regierungsführung („Governance“). Das ist seit Januar der Zustand in Amerika. Ich würde sagen, wir befinden uns in einer Verfassungskrise.



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