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Datenschutz & Sicherheit

Du hast Überwachungsinstrumente im Portemonnaie



Er wartet in deinem Portemonnaie auf seinen Einsatz. Schon jahrelang ist er unterwegs und meldet seinen Standort, wann immer er gescannt wird – was ziemlich oft passiert. Er kann deine Interessen und Bedürfnisse nachvollziehbar machen, persönliche Verbindungen und Geschäftsbeziehungen aufzeigen.

Er ist ein Geldschein, ein bedruckter Streifen aus Baumwollfasern mit zwei Buchstaben und einer zehnstelligen Zahlenkette in der oberen rechten Ecke auf seiner Rückseite – seiner einmaligen Seriennummer. Ein beispielhafter Zwanziger vielleicht. Er wird im Laufe seines Lebens an unzähligen Positionen registriert. Er durchläuft etwa Automaten für Fahrkarten, Parkscheine, Snacks, Kaffee, Zigaretten, Fotos oder Glücksspiel, und immer wieder Geräte, die Geld zählen, prüfen und sortieren. Maschinen mit modernen Banknoten-Verarbeitungs-Modulen können Seriennummern tracken.

Selbst wenn ein Mensch die Banknote einkassiert, ist sie nicht vor automatisierter Seriennummern-Erkennung geschützt. Denn die Einnahmen der meisten Geschäfte werden täglich von Geldtransportunternehmen abgeholt. Und die jagen das Geld in ihren Cash-Centern durch Banknotenprüf- und -sortiermaschinen, die auch Seriennummern auslesen können.

Der umfassende Einsatz von automatisierter Seriennummernerkennung bietet die technische Infrastruktur für eine detailreiche Nachverfolgung der Reise von Geldscheinen. Und es gibt zunehmend Bestrebungen, die anfallenden Daten zu speichern und zusammenzuführen. Bargeld wird so zum Überwachungsinstrument.

Strafverfolgungsbehörden nutzen die Seriennummern-Nachverfolgung bereits für Ermittlungen. Die Industrie möchte damit die Bargeldlogistik optimieren. Und auch neugierige Menschen tracken Bargeld als Freizeit-Beschäftigung. „Weil es Spaß macht!“, heißt es auf einer Website für leidenschaftliche Euro-Banknoten-Tracker*innen.

Dabei gibt es eine Menge Zahlungen, die einige Menschen lieber anonym abwickeln: Ausgaben für gesundheitliche Probleme oder sexuelle Spielarten beispielsweise, aber auch Spenden an politische Organisationen. Wenn der Schein, den ein hoher Beamter heute abgehoben hat, morgen in einer Arbeitsstätte für Sexarbeiter*innen auftaucht, kann ihn das erpressbar machen. Wenn ein ungeouteter Mensch mit einem getrackten Geldschein eine queere NGO unterstützt, kann das mancherorts seine Existenz bedrohen.

Bargeld ist populär – auch wegen des Datenschutzes

Über 80 Prozent der Deutschen sehen im Datenschutz ein Argument für Bargeldzahlungen. Mehr als zwei Drittel finden, dass Bargeld eine hohe Bedeutung für die Gesellschaft hat. Laut der aktuellsten Erhebung wurden 2023 immer noch über die Hälfte aller Bezahlvorgänge mit Bargeld abgewickelt. 395 Milliarden Euro bunkern die Menschen in Deutschland in bar.

Datenschützer*innen warnen vor einer neuen Form der Massenüberwachung und dem immensen Grundrechtseingriff, den Bargeld-Tracking potenziell bedeutet. Die Bundesbank verweist darauf, dass der Schutz der Privatsphäre für viele Menschen ein wichtiger Vorteil des Bargelds sei. Menschen in Deutschland hätten ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei verfolgt die deutsche Zentralbank selbst zu gewissen Gelegenheiten den Weg bestimmter Banknoten. „Es ist davon auszugehen, dass sich das Seriennummernlesen dauerhaft und irreversibel etablieren wird“, schreibt sie in einem internen Dokument von 2021, das netzpolitik.org per Informationsfreiheitsanfrage veröffentlicht hat.

Wer in die Welt des Bargeld-Trackings eintaucht, nimmt Geld anders wahr. Die Scheine erzählen dann nämlich Geschichten. In diesem Artikel erkunden wir, wie Bargeldindustrie, Strafverfolgungsbehörden und Zentralbanken weltweit an der Nachverfolgung von Bargeld arbeiten. Wir schauen uns an, wie deutsche Polizeien und Staatsanwaltschaften Bargeld-Tracking nutzen. Und wir lernen ein ziemlich unbekanntes Start-up kennen, das Seriennummern an einem zentralen Knoten des Bargeldkreislaufs sammelt und Einblicke in die Datenbank an Ermittlungsbehörden verkauft.

„Eine vielversprechende Technologie“

Die nötige Technik, um den Weg einer Banknote nachzuverfolgen zu können, existiert bereits und wird in zahlreichen Ländern eingesetzt. Der Lobbyverband der Zentralbanken und Unternehmen der Bargeldindustrie, die International Association of Currency Affairs (IACA), hält das Bargeld-Tracking, im Fachsprech „Cycle-Cash Visibility and Collaboration“ genannt, für eine vielversprechende Technologie. Sie soll Bargeld effizienter handhabbar machen.

Wo die Branche die Zukunft sieht, zeigt die Auszeichnung für besonders fortschrittliche Lösungen der Bargeldnachverfolgung, die IACA Ende Mai vergeben hat. Gewonnen hat sie der japanische Konzern Glory Ltd mit einer Reihe von Projekten in Europa, bei denen Banken und Geldtransportunternehmen Seriennummern erfassen und automatisch nach Nummern gesucht wird, die in kriminelle Handlungen verwickelt waren.

Die Firma entwickelte auch Kibango, eine Software für Analyse und Management von Seriennummern. Darin lassen sich Seriennummern-Suchlisten importieren. Jede Banknote, die von einem Geldautomaten abgehoben werde, könne damit nachverfolgt werden, so Werbematerial der Firma. Derartige Software löst, wenn unser Beispiel-Zwanziger auf einer Suchliste verzeichnet ist, einen Alarm aus, sobald er irgendwo gescannt wird.

Diese Staaten tracken Bargeld bereits sehr genau

In China müssen Geldautomaten die Seriennummer jeder Banknote, die sie auszahlen, einem Konto zuordnen. So ist bei jedem Schein klar, wer ihn in Umlauf gebracht hat. Einige Geräte erfassen sogar biometrische Daten der abhebenden Person.

In Südafrika betreibt die Zentralbank eine Echtzeit-Nachverfolgung von Bargeldbewegungen, so Pearl Kgalegi, Chefin des dortigen Währungsmanagements, auf einer IACA-Tagung. Informationen aus Geldautomaten würden in einer zentralen Datenbank gesammelt und mit Sicherheitsbehörden geteilt. Seit dies geschehe, gäbe es mehr Verhaftungen, zum Beispiel nach Bankautomatensprengungen.

Die kanadische Zentralbank führt eine Datenbank mit Daten zu allen in Umlauf befindlichen kanadischen Banknoten, um Abnutzungserscheinungen zu erfassen. Die Bank of Israel hat ebenfalls eine Banknoten-Datenbank.

In den USA betreibt ein Zusammenschluss von 10.800 US-Strafverfolgungsbehörden, Regional Information Sharing Systems (RISS) genannt, ein Netzwerk von Geldzählmaschinen und eine Datenbank, in der die erfassten Geldscheine mit Fotos und Seriennummern gespeichert werden. Ermittler*innen teilnehmender Behörden können diese Datenbank durchsuchen. In Hawaii sei damit ein Drogengroßhändler gefasst worden, nachdem man Geld verfolgt hatte, das bei einem Kunden beschlagnahmt, registriert und wieder ausgehändigt worden sei, so eine RISS-Broschüre.

Auch deutsche Sicherheitsbehörden verwenden registrierte Geldscheine aktuell als Ermittlungsinstrument. Und gerade gibt es Bestrebungen, deren Bargeld-Tracking auf ein ganz neues Level zu heben.

Diese Straftaten verfolgt die deutsche Polizei mit Bargeld-Tracking

Die deutsche Polizei nutzt spätestens seit den 70er Jahren Seriennummern von Geldscheinen zur Nachverfolgung von Bargeldströmen. Das kann zum Beispiel so aussehen: Ein Mensch wird entführt, die Entführer*innen stellen eine Lösegeldforderung. Doch bevor das Geld im Koffer übergeben wird, erfassen Polizist*innen die Seriennummern der zu übergebenden Scheine in einer Polizeidatenbank. In dieser Datenbank vermerken sie auch Seriennummern von Banknoten, die bei Bankautomatensprengungen oder Überfällen auf Geldtransporter erbeutet wurden. Wenn dann beispielsweise an einem Grenzübergang oder bei einer Hausdurchsuchung größere Mengen Bargeld auffallen, prüft die Polizei oder der Zoll, ob gesuchte Scheine dabei sind. So können sie, je nachdem, wo das Geld wieder auftaucht, Rückschlüsse auf die Täter*innen ziehen.

Die Seriennummern werden in der Polizeidatenbank auch mit Personen verknüpft. „Im Polizeilichen Informationsverbund ist die Verknüpfung verschiedener Informationskategorien möglich, unter anderem auch personenbezogener Daten“, schreibt die Polizei Bremen. Parallel zur Speicherung in der nationalen Datenbank erfolge auch eine Fahndungsspeicherung im Schengener Informationssystem, in dem sich Banknoten-Seriennummern auch europaweit suchen lassen.

Das heißt: Da draußen zirkulieren Polizei-bekannte Geldscheine. Und es kann sein, dass du einen davon in deinem Portemonnaie hast.

Die Ermittler*innen scheinen nicht gerne über dieses Werkzeug zu sprechen. BKA und Landespolizeien verweisen auf ermittlungstaktische Gründe, aus denen sie keine Angaben machen dürften. Die Polizei Hamburg wehrte Ende Mai sogar eine entsprechende parlamentarische Anfrage der Linken-Abgeordneten Nathalie Meyer ab. Doch aus dem wenigen, das die Polizeibehörden dann doch geantwortet haben, lässt sich ablesen, dass und wie Banknoten-Seriennummern für Ermittlungen verwendet werden.

Die Polizei Thüringen schreibt: „Bei der Verfolgung von Geldwäsche kann die Kenntnis der Seriennummern helfen, illegale Geldflüsse nachzuvollziehen und die beteiligten Personen oder Organisationen zu identifizieren.“ Die Polizei Bayern nennt als Einsatzbeispiel die Terrorismusfinanzierung, wo Bargeld-Tracking „Bargeldströme oder deren Herkunft“ aufklären könne. Die Polizeien weiterer Bundesländer bestätigen, dass Seriennummern von Banknoten für Ermittlungen in verschiedenen Kriminalitätsbereichen erfasst und gesucht werden.

Bislang müssen die Behörden darauf hoffen, dass die gesuchten Geldscheine irgendwann mal bei einer Polizei- oder Zollkontrolle auftauchen. Die Chance ist relativ klein. Wohl auch deshalb fragen Ermittler*innen regelmäßig bei der Bundesbank an, ob dieser ein bestimmter Geldschein begegnet ist. Das geht aus einer internen Studie von 2020 hervor, die netzpolitik.org per Informationsfreiheitsanfrage öffentlich gemacht hat. Die Bundesbank testete damals, ob sie umfassend Seriennummern verarbeiten könne, auch um den Ermittler*innen entgegen zu kommen. Sie entschied sich letztlich dagegen. Doch die Ermittler*innen können inzwischen in einer anderen Datenbank nach den Scheinen suchen lassen. Eventuell bekommen sie sogar Anschluss an eine Art Echtzeiterfassung des deutschen Bargeldkreislaufs.

“Wir lauschen quasi dem Bargeld“

Gerrit Stehle, Geschäftsführer der Elephant & Castle IP GmbH, will das behördliche Bargeld-Tracking in Deutschland auf eine neue Ebene heben. Stehle bietet einen beständigen, automatisierten Massenabgleich mit zirkulierenden Banknoten-Seriennummern. Eine Schnittstelle in den Maschinenraum der Bargeldinfrastruktur.

Sein Unternehmen bekommt Banknoten-Seriennummern mit Ort und Zeit der Erfassung von einem der Geldtransportunternehmen, die in Deutschland operieren. Die Geldtransporter sind zentrale Punkte im Bargeldkreislauf – hier kommen die meisten Scheine regelmäßig vorbei. Gerrit Stehle recherchiert für Sicherheitsbehörden als Gutachter in dieser Datenbank. Die Seriennummern der Scheine, deren Geschichten er für Behörden nachspürt, speichert Stehle ebenfalls in seinem System. Seine Firma arbeite bereits mit mehreren deutschen Staatsanwaltschaften zusammen und auch mit Sicherheitsbehörden aus anderen Ländern, sagt er.

„Unsere Technologie ermöglicht es, auf Knopfdruck die Historie von Banknoten nachzuvollziehen“, sagt Stehle. Es ließe sich etwa herausfinden, welche Scheine wie oft im Umlauf waren, welche verschwunden sind oder welche das Land verlassen haben. „Wir nutzen die Datenanalyse, um ein tiefes Verständnis für die Bewegungen von Bargeld zu entwickeln und Zahlungsströme zu identifizieren, die potenziell verdächtige Muster aufweisen. Wir ,lauschen’ quasi dem Bargeld“, sagt er. Seit sieben Jahren arbeite er an dem Projekt, inzwischen seien 15 Menschen daran beteiligt.

Diese Geräte tracken deine Geldscheine

Die Cybercrime-Staatsanwaltschaft von Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) hat das System getestet und es in einer Online-Schulung Fachdezernenten von Staatsanwaltschaften aus den Bereichen Organisierte Kriminalität, Betrug und Korruption vorgestellt. Die ZAC NRW verleiht auch eine Geldzählmaschine, die Seriennummern liest und bietet Hilfe bei der Datenerfassung an. ZAC-NRW-Leiter Markus Hartmann sagt, die Datenbank sei ein „Instrument, das in einer überschaubaren Anzahl von Fällen genutzt wurde“.

Stehle und sein Partnerunternehmen setzen bei der Seriennummernerfassung auf ein bestimmtes Geldzählgerät des Herstellers Glory Ltd aus Japan, das sei am zuverlässigsten. Die gewonnenen Informationen teilt Stehle in Form von Gutachten mit Ermittlungsbehörden. Die könnten die Daten dann mit den Aussagen von Beschuldigten abgleichen und Ungereimtheiten aufdecken oder Einlassungen bestätigen. „Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Fall behauptete eine Person, das Geld stamme frisch von der Bank, doch durch unsere Analyse konnten wir nachweisen, dass das Bargeld schon wesentlich älter war“, sagt Stehle.

Behörden sollen direkte Schnittstelle bekommen

Am liebsten möchte Stehle noch weitere Kontrollpunkte an sein Bargeldüberwachungsnetz anschließen. „Geldzählgeräte sind bereits weit verbreitet, etwa im Backoffice von Supermärkten, was ein erhebliches Potenzial bietet. Wenn Seriennummern von Banknoten systematisch erfasst würden, könnten Überfälle auf ältere Bevölkerungsschichten, Geldtransporter, Bankautomaten oder Einzelhandelsgeschäfte deutlich an Attraktivität verlieren.“

Dabei sieht Stehle durchaus die Gefahr. Die Möglichkeit, anonyme Transaktionen durchzuführen, „stellt eine fundamentale Säule der Freiheit dar“, sagt er. Aber er sehe eben auch die Schattenseite: Bargeld könne missbraucht werden, um illegale Aktivitäten zu unterstützen.

Stehles Ziel ist, sein System Ermittler*innen über entgeltpflichtige Softwarelizenzen direkt zugänglich zu machen. Ohne Umweg über den Gutachter. „Über eine benutzerfreundliche Schnittstelle könnten sie sich dann an das System 24/7 anbinden und die entsprechenden Auswertungen eigenständig durchführen“, sagt Stehle.

Das Werttransportunternehmen, von dem die Daten stammen, erhält dafür kein Geld. „Das Unternehmen hat den Vorteil, dass Kosten sinken können, weil es tendenziell weniger Angriffe gibt und dass es Einzelhändlern und Banken die Nutzung dieser neuen Technologie anbieten kann“, sagt Stehle. Welches der Unternehmen mit ihm zusammenarbeitet, will er nicht verraten.

Die erhobenen Daten lägen, mit Kopien an mehreren Orten, in einer Cloud, die in einer Kooperation mit Google und Telekom entwickelt wurde, sagt Stehle. Dort seien sie auch geschützt vor dem unbefugten Zugriff durch US-amerikanische Sicherheitsbehörden.

Wie sensibel sind die Daten?

Datenschutzrechtlich sieht Stehle keine Probleme. „Es handelt sich hierbei um Sachdaten, die nicht dem Datenschutz unterliegen. Wir erheben keinerlei personenbezogene Daten der Bürgerinnen und Bürger“, sagt er. Die DSGVO schützt nur personenbezogene Daten – also solche, die sich auf eine direkt oder indirekt identifizierbare Person beziehen. Jede Menge andere Daten fallen nicht darunter, zum Beispiel Wetteraufzeichnungen. Aber haben Daten über Bargeldströme wirklich so wenig mit einzelnen Personen zu tun wie etwa die Windstärke?

Luke Hoß, Bundestagsabgeordneter der Linken, sieht im Bargeld-Tracking durchaus eine Bedrohung der Privatsphäre: „Eine umfassende Nachverfolgung von Bargeld-Seriennummern würde tiefgreifende Einblicke in das Privatleben von Menschen ermöglichen. Nicht nur der Gang zum Bäcker, auch die Fahrt zu einer Klinik für Schwangerschaftsabbrüche wäre nachvollziehbar.“ Das Recht auf Privatsphäre dürfe nicht unter Verweis auf Sicherheitsaspekte weiter eingeschränkt werden. „Bei einer Machtübernahme autoritärer Parteien wie der AfD besteht die Gefahr, dass die hierbei erfassten Vorgänge zu Verfolgung führen, auch wenn sie nach aktueller Rechtslage legal sind“, sagt er.

Obwohl Gerrit Stehle von „Sachdaten“ spricht, zeigt er dennoch Verständnis dafür, dass die Daten nicht ganz harmlos sind. „Sie besitzen eine gewisse Potenz, solche Informationen sollten nicht in privaten Händen liegen“, sagt er. Deshalb biete er seine Dienste nur staatlichen Stellen an. Zum Teil gäbe es schon Schnittstellen zwischen polizeilichen Fallbearbeitungstools und seinem System. „Deren Tools laden unsere Daten in ihre Tools hoch“, sagt er.

Welche Zukunft Stehle sich vorstellen kann, zeigt ein internationales Patent, das er 2018 angemeldet hat. Er nennt es den „Nukleus des Projekts“. Stehle beschreibt darin einen Automaten, der Bargeld annimmt und mittels der Seriennummern auf den Scheinen erkennt, ob dieses Geld gestohlen gemeldet oder im Rahmen einer Lösegelderpressung übergeben wurde. Bei entsprechenden Funden soll er automatisch Polizei oder Sicherheitsdienste benachrichtigen können. Und an Tankstellen könnten, so Stehles Patentschrift, Einzahlungsautomaten bei einem Fund von gesuchtem Geld automatisch die Speicherung der passenden Videobilder initiieren.

Zoll-Gewerkschaftschef fordert umfassendes Bargeld-Tracking

Frank Buckenhofer, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Zoll, ist ein engagierter Fürsprecher der Technologie zum Bargeld-Tracking. „Banken und auch Geldkurierdienste erfassen die Nummern der Geldscheine und deren zeitlich-örtliche Zuordnung. Hilfreich wäre, wenn diese Daten zusammengeführt und den Polizei- und Zollbehörden verfügbar gemacht würden“, sagt er. Die Daten ergäben ein relativ dichtes Netz von wichtigen Informationen über Weg und Herkunft des Bargeldes. „Und weil die bloßen Nummern keine personenbezogenen Daten sind, spielt auch der Datenschutz keine Rolle“, behauptet er. Die Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein sieht das anders – dazu gleich mehr.

Wenn von Polizei- und Zollbehörden größere Mengen Bargeld aufgefunden würden, so Buckenhofers Hoffnung, könnten mit Hilfe registrierter Seriennummern Widersprüche in den Aussagen ermittelt werden. „Wird zum Beispiel jemand an der Grenze mit einer Million Euro Bargeld oder mehr aufgegriffen, was immer wieder vorkommt, kann er den Beamten jede Geschichte erzählen. Zum Beispiel die, dass es ,Erspartes von der Oma‘ sei“, sagt Buckenhofer. Wenn dann aber mit einer Geldzählmaschine Scheine identifiziert würden, die in den letzten 48 Stunden noch in vielen verschiedenen Geldautomaten, an Tankstellen oder Supermärkten waren, dann breche die Geschichte des Geldkuriers zusammen. „Wir brauchen also dringend diese Daten, sonst können uns die Leute die Hucke vollügen.“

Mit der Technologie lasse sich auch ehemaliges Lösegeld und Geld aus geknackten Geldautomaten aufspüren. So kann beispielsweise die Suche nach Verdächtigen in Regionen intensiviert werden, in denen gesuchte Geldscheine auftauchen. „Die systematische Erfassung der Geldscheine in einer Datenbank ermöglicht eine ganze Reihe von Nutzungen für die kriminalistische Arbeit von Zoll und Polizei“, sagt Buckenhofer. Er hätte gerne Gesetze zum Bargeld-Tracking und eine privatwirtschaftliche Seriennummern-Datenbank, auf die Zoll- und Polizei-, Steuer- Finanz- und Geldwäscheaufsichts-Behörden online zugreifen können.

Datenschutzbeauftragte in Sorge

Marit Hansen, Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein, sieht umfassendes Bargeld-Tracking kritisch. Sie sagt: „Wenn Seriennummern mit Zeit und Ort der Erfassung gespeichert und diese Daten immer granularer gesammelt werden, verliert man die Anonymität des Bargelds.“ Auch wenn die Erfassung jeweils berechtigte Interessen verfolge, könne sie problematisch sein. „In der Gesamtschau entsteht das Risiko, dass die einzelnen Daten einen Personenbezug ergeben. Ab einer gewissen Schwelle könnten beispielsweise Standortdaten von Personen abgeleitet werden. Ebenso ließe sich dann ablesen, wer sich wofür interessiert“, sagt sie.

Durch umfassendes Bargeld-Tracking entstünden nicht nur Risiken für Individuen, sondern auch für Geschäftsgeheimnisse und womöglich gar für die innere Sicherheit, sagt Hansen. So könnten damit beispielsweise geheimdienstlich verwertbare Informationen über sicherheitsrelevante Personen gewonnen werden.

Hansen vergleicht die Seriennummern mit den Drucker-IDs, sogenannten Yellow Dots, die in Farbausdrucken enthalten sind. „Das sind auch erstmal nur technische Daten und dennoch lassen sie sich beispielsweise dazu nutzen, Whistleblower zu identifizieren.“

Hansen hält es für wichtig, dass Menschen eine wirklich anonyme Zahlungsmöglichkeit zur Verfügung steht. Denn aus den Zahlungsspuren ließen sich persönliche oder gar intime Details ablesen: mehr oder weniger gesunde Ernährung, Süchte, Liebschaften. „Das sind Informationen, die andere nichts angehen. Hier haben Menschen das legitime Interesse, keine Spuren zu hinterlassen“, sagt sie.

In einem weiteren Teil dieser Recherche verfolgen wir das Leben einer Banknote vom Druck bis zum Schredder und sehen, wo überall bereits Seriennummern erfasst werden. Die Rundreise im Bargeldkreislauf zeigt eindrücklich, wie die drohende Vernetzung der Datenpunkte das Bargeld deanonymisieren würde.



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Patchday: Adobe schützt After Effects & Co. vor möglichen Attacken


Aufgrund von mehreren Softwareschwachstellen können Angreifer Systeme mit den Adobe-Anwendungen After Effects, Audition, ColdFusion, Connect, Dimension, Experience Manager Forms, Experience Manager Screens, FrameMaker, Illustrator, InCopy, InDesign, Substance 3D Stager und Substance 3D Viewer attackieren. Bislang gibt es Adobe zufolge keine Hinweise auf Attacken.

Von den Schwachstellen sind macOS und Windows betroffen. Am gefährlichsten gilt eine „kritische“ Lücke (CVE-2025-49535) in ColdFusion, über die Angreifer lesend auf Systemdateien zugreifen können. Wie so eine Attacke ablaufen könnte, ist bislang nicht bekannt. Dagegen sind die Ausgaben ColdFusion 2021 Update 21, ColdFusion 2023 Update 15 und ColdFusion 2025 Update 3 geschützt.

Ebenfalls als „kritisch“ eingestuft sind Schwachstellen in Connect (CVE-2025-27203) und Experience Manager Forms (CVE-2025-2025-49533). An diesen Stellen kann Schadcode auf PCs gelangen. Ein Sicherheitspatch ist in Connect Windows App 25.1 und Experience Manager (AEM) Forms on JEE 6.5.0.0.202505270 implementiert. Auch InCopy und InDesign sind anfällig für Schadcode-Attacken. Wenn Angreifer eigenen Code auf Systemen ausführen, übernehmen sie in der Regel im Anschluss die volle Kontrolle über Systeme.

Die verbleibenden Sicherheitspatches listet Adobe in den verlinkten Warnmeldungen auf. Aus den Beiträgen geht leider nicht hervor, woran Admins bereits attackierte Systeme erkennen können.


(des)



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Patchday: Microsoft schließt 100.000-$-Lücke in SharePoint aus Hacker-Wettbewerb


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This article is also available in
English.

It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

Microsoft schließt mehrere Sicherheitslücken in seinem Softwareportfolio. Davon stuft der Hard- und Softwareentwickler mehrere Schwachstellen als „kritisch“ ein. In vielen Fällen kann Schadcode Computer vollständig kompromittieren.

Eine Lücke (CVE-2025-49719 „hoch„) in Microsoft SQL Server ist öffentlich bekannt und es können Angriffe bevorstehen. Daran können der Beschreibung der Schwachstelle zufolge Angreifer ohne Authentifizierung ansetzen, um über ein Netzwerk auf eigentlich abgeschottete Informationen zuzugreifen. Die dagegen geschützten Versionen sind in einem Beitrag aufgelistet.

Mehrere Schadcodelücken, die Angreifer aus der Ferne ausnutzen können sollen, stuft Microsoft als „kritisch“ ein, auch wenn die CVE-Einstufung niedriger ist. Davon sind unter anderem Office (etwa CVE-2025-49695hoch„), SharePoint (CVE-2025-49704hoch„) und Hyper-V (CVE-2025-48822hoch„) betroffen. Die Office-Sicherheitsupdates sind aber Microsoft zufolge bisher nicht komplett verfügbar. Sie sollen aber so schnell wie möglich folgen.

Die genannte SharePoint-Lücke haben Sicherheitsforscher während des Hacker-Wettbewerbs Pwn2Own in Berlin entdeckt. Dafür haben sie eine Prämie von 100.000 US-Dollar kassiert. 

Überdies können Angreifer noch an Softwareschwachstellen in unter anderem BitLocker, Edge und verschiedenen Windows-Komponenten wie dem Kernel ansetzen. An diesen Stellen können sie sich etwa höhere Nutzerrechte aneignen oder Dienste via DoS-Attacke abstürzen lassen.

Mit den aktuellen Updates reparieren die Entwickler einen Firewall-Fehler und die Update-Vorschau, die durch den Patchday im Juni kaputtgegangen sind. Zusätzlich hat Microsoft das im Zuge der April-Updates demolierte Windows-Recovery-Enviroment-Update unter Windows 10 und Server 2022 wieder zum Laufen gebracht.

Außerdem wurde die Kerberos-Authentifizierung gehärtet. Seit 8. Juli 2025 gelten standardmäßig nur noch Zertifikate als vertrauenswürdig, die von Zertifikatsausstellern signiert wurden, die Teil des NTAuth-Speichers sind. Bis 14. Oktober 2025 können Admins das über den Registryeintrag AllowNtAuthBypass noch umgehen. Ab dem zuletzt genannten Datum geht das dann nicht mehr.

Weitergehende Informationen zu allen an diesem Patchday geschlossenen Lücken listet Microsoft im Security Update Guide auf.


(des)



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Diese Geräte tracken deine Geldscheine



Der Protagonist dieser Geschichte ist als „Zwanni“ bekannt. Es ist ein 20-Euro-Schein, der ein bewegtes Leben vor sich hat. Sehr viele Menschen werden ihn berühren, ihn mal mehr, mal weniger wertschätzen. Er wird immer wieder vereinzelt und gebündelt, von Automaten eingezogen, von bewaffnetem Sicherheitspersonal herumgetragen und in gepanzerten Transportern chauffiert, von Maschinen in rasender Geschwindigkeit geprüft, gezählt und verbucht und von anderen Automaten wieder ausgespuckt. Bald wird er Falten bekommen und eine Ecke wird eingeknickt sein.

Zwanni ist einzigartig. Nicht nur wegen der Verschmutzungen, Falten und Fingerabdrücke, die er sich zuziehen wird, oder wegen seiner spezifischen Faserstruktur. Sondern vor allem wegen des Schriftzugs, den er in sattschwarzen Lettern auf seinem Rücken trägt. WA0453338776 steht dort in der rechten oberen Ecke.

Mit dieser Nummer hinterlässt Zwanni eine Datenspur, die ihn sichtbar macht wie der Schweif einen Kometen. Sie verknüpft Zwannis Besitzer*innen miteinander und erlaubt Rückschlüsse auf ihre Vorlieben und Bedürfnisse. Wer der Datenspur folgt, lernt, wer mit Zwanni wo gezahlt hat – und wofür. Daraus lassen sich mitunter intime Details ablesen, beispielsweise wer an welche politische Organisation gespendet hat oder woher die Geldscheine bei einer Dealerin oder einem Sexarbeiter kommen. Seine Seriennummer macht Zwanni zu einem nützlichen Helfer für Polizist*innen und Staatsanwält*innen. Und zu einem Überwachungsinstrument.

Im Vergleich zu digitalen Zahlungen gewährt Bargeld einen weit umfassenderen Datenschutz. 80 Prozent der Deutschen halten das für eine wichtige Eigenschaft. Doch diese gefühlte Anonymität ist in Gefahr.

Zunehmend werden Menschen, die hinter Schaltern, Kassen und Theken arbeiten, durch Automaten ersetzt. Und die können mit optischer Zeichenerkennung Ziffern und Buchstaben lesen. Immer mehr Geräte erkennen immer zuverlässiger Banknoten-Seriennummern. Und je engmaschiger dieses Bargeld-Tracking-Netz geknüpft wird, desto leichter lassen sich Muster aufdecken, die sich Gruppen und Personen zuordnen lassen. Desto klarer kann Zwannis Weg Beziehungen und Interessen seiner Besitzer*innen beschreiben.

Es ist eine Überwachungs-Infrastruktur im Aufbau. Sie ist noch nicht lückenlos und auch noch nicht scharfgestellt. Es gibt aktuell keine Datenbank, in der alle Bewegungen unserer Banknoten samt ihrer zwischenzeitlichen Besitzer*innen verzeichnet sind. Aber auf seinen verschlungenen Wegen vom Druck bis zum Schredder wird Zwannis Seriennummer schon jetzt an einer Vielzahl von Positionen erfasst. Weltweit und auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, die erfassten Seriennummern zu verknüpfen. Zwannis Rundreise durch den Bargeldkreislauf zeigt, wie umfassend die Vernetzung dieser Informationen Bargeld deanonymisieren kann.

Follow the Zwanni

Zwanni ist ein gebürtiger Leipziger. Er wurde dort von Giesecke+Devrient (G+D) hergestellt, das zeigt der erste Buchstabe seiner Seriennummer. Das Familienunternehmen druckt seit 1854 deutsches Geld. Zuerst für deutsche Kleinstaaten, dann fürs Kaiserreich, für die Weimarer Republik, die Nazis, für Westdeutschland und die wiedervereinigte Bundesrepublik. In Deutschland drucken ausschließlich G+D und die Bundesdruckerei Euro-Banknoten.

G+D druckt nicht nur Geld. Das Unternehmen ist auch zentral in der deutschen Sicherheitsarchitektur. Es sichert Regierungs-, Behörden- und Militärkommunikation, stellt Infrastruktur für Zutrittskontrollen zu Hochsicherheitsbereichen her und die Geräte für Überwachungschnittstellen bei Internetdienstleistern, außerdem SIM- und Krankenkassenkarten. Es arbeitet über Tochterfirmen mit über 100 Zentralbanken zusammen, darunter die chinesische. Es stattet die Banken unter anderem mit Maschinen aus, die Geldscheine prüfen und sortieren – und ihre Seriennummern lesen können.

Die Schöpfer von Zwanni sind sozusagen Helikopter-Eltern. G+D spielt eine wichtige Rolle bei der Verfolgung von Bargeld. Die G+D-Software „Compass Banknote Intelligence“ vernetzt Geldtransportunternehmen und Banken, mit dem Ziel, den Weg unserer Scheine umfassend transparent zu machen. Bei der Deutschen Bundesbank läuft das System gerade im Testbetrieb.

In einem Joint Venture mit dem Geldautomatenhersteller Diebold Nixdorf (DN), genannt CI Tech Sensors, entwickelt G+D zudem Sensoren, die Seriennummern lesen können. CI Tech Sensors hält auch ein Patent über die Verknüpfung von Banknoten-Informationen mit persönlichen Daten der einzahlenden Person.

Etappe 1: Zwanni kommt zur Welt

Wann genau Zwanni gedruckt wurde, das wissen nur G+D und die Bundesbank. G+D zeichne die gedruckten Seriennummern auf, sagt Alfred Schmidt im Gespräch mit netzpolitik.org. Er war bis 2018 Produktmanager für Banknotenbearbeitungssysteme bei G+D. Die Nummern würden fortlaufend gedruckt, jede Seriennummer nur ein Mal verwendet.

Von der Druckerei geht es für Zwanni zuerst zur Bundesbank. Die bekommt von G+D auch die erste und die letzte verwendete Seriennummer des Druckauftrags mitgeteilt, so die Behörde auf Anfrage. Aufgezeichnet wird auch, in welche Bundesbank-Filiale Zwanni mit seinen frisch gedruckten Geschwistern wandert: „Bei der Auslieferung von neu produzierten Banknoten lassen sich den jeweiligen Auslieferungseinheiten spezifische Seriennummern zuordnen“, schreibt die Bundesbank.

Danach gibt es jedoch eine Lücke in Zwannis Datenspur: Nach eigenen Angaben zeichnet die Bundesbank keine Seriennummern auf, wenn Scheine die Filialen verlassen.

Etappe 2: Zwanni reist ins Cash-Center

Ein Geldtransportunternehmen holt Zwanni bei der Bundesbank ab und bringt ihn in eines seiner Cash-Center. Das ist ein Gebäude, in dem Maschinen Geld sortieren und prüfen. Wahrscheinlich heißt das Unternehmen Prosegur, Ziemann oder Loomis. Denn diese drei Geldtransportunternehmen teilen sich den deutschen Markt. Allein Marktführer Prosegur transportiert täglich 500 Millionen Euro durch die Republik und betreibt 20 Cash-Center in Deutschland.

Das Transportunternehmen packt Zwanni im Cash-Center in eine Geldautomatenkassette. Moderne Banknotenzähl- und -bearbeitungsgeräte erfassen dabei seine Seriennummer. Bargeld-Experte Alfred Schmidt sagt: „Maschinen, die Seriennummern lesen können, werden inzwischen flächendeckend eingesetzt.“ Mindestens eines der Unternehmen speichert die erfassten Seriennummern auch. Es gibt sie an ein Start-up weiter, das diese Daten sammelt und für Sicherheitsbehörden auswertet. Mehr darüber berichten wir im anderen Teil dieser Recherche.

Etappe 3: Zwanni landet im Geldautomaten

Ein bewaffneter Bargeldlieferant fährt die Geldkassette, in der auch Zwanni steckt, zu einem der locker 50.000 Geldautomaten in Deutschland und steckt sie hinein. Mit einiger Wahrscheinlichkeit lässt sich auch diese Etappe von Zwanni nachverfolgen. Das legt eine Aussage des BKA gegenüber netzpolitik.org nahe. Demnach seien Seriennummern zur Aufklärung von physischen Angriffen auf Geldautomaten relevant. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die eingelagerten Seriennummern in mindestens einigen Fällen vorliegen.

An dieser Stelle von Zwannis Reise zeigt sich ein potenzielles Datenschutz-Problem. Denn der Geldautomat ist ein vulnerabler Punkt des Bargeldkreislaufs. Hier kann ein Schein theoretisch mit dem Konto verknüpft werden, von dem das Geld ausgezahlt wird. Das bestätigt die Polizei Niedersachsen auf Anfrage. Demnach ist es beispielsweise vorstellbar, dass die Polizei „in geeigneten Konstellationen/im konkreten Einzelfall“ Banken anweist, die Seriennummern von Banknoten aufzuzeichnen, die sie an eine bestimmte Person ausgibt.

Die Technologie dafür gibt es bereits seit vielen Jahren. Das Unternehmen Wincor Nixdorf, heute: Diebold Nixdorf (DN), hat bereits 2010 eine Geldkassette für Geldautomaten vorgestellt, die Seriennnummern der Scheine darin aufzeichnet. Die Kassette loggt auch, wann und wo auf die Scheine zugegriffen wird, und schickt die Daten an einen Server. DN schreibt auf Anfrage: „Jegliche Implementierung, Speicherung und Weiterverwendung der Banknoten-Seriennummern liegt im Ermessen des jeweiligen Finanzinstituts und muss den lokalen gesetzlichen Bestimmungen entsprechen.“

Zwanni unter Verdacht

Wir wissen also nicht, ob der Geldautomat Zwannis Seriennummer erfasst und mit dem Konto seines neuen Besitzers verknüpft. Das kann passieren, muss aber nicht. Es gibt aber einen Fall, in dem die Seriennummern von Geldscheinen immer mit Kontonummern verknüpft werden: bei Falschgeldverdacht.

Aus einem Beschluss der Europäischen Zentralbank von 2010 geht hervor, dass Bankautomaten, die Bargeld annehmen, fälschungsverdächtige Banknoten einem Kontoinhaber zuordnen können müssen. Wenn beispielsweise ein Ein- und Auszahlungsautomat, auch Cash-Recycler genannt, einen Schein nicht sicher als echt identifizieren kann, legt der Automat diesen Schein in einem Extrafach zur erneuten Prüfung ab und es geht ein Bericht mit der Seriennummer des Scheins und der Kontonummer zur versuchten Einzahlung an die Polizei. Ein solcher Bericht ist auch Pflicht, wenn Geldtransportunternehmen oder die Bundesbank Falschgeld finden.

Cash-Recycler gelten in der Branche als Zukunftstechnologie. Denn wenn die Geräte nicht nur Geld ausgeben, sondern auch annehmen können, muss man sie nicht ständig nachfüllen. Das spart Kosten für Geldtransporte. Und die Bundesbank schreibt: Einige Cash-Recycler können selbstständig Seriennummern lesen und speichern.

Die Seriennummererfassung im Cash-Recycler sei allerdings nicht dauerhaft scharf gestellt, schreibt der Bankautomatenhersteller Diebold-Nixdorf auf netzpolitik.org-Anfrage. Diese Funktion werde nur „auf Anfrage des betreffenden Finanzinstituts und/oder der entsprechenden Strafverfolgungsbehörde eingesetzt.“ Auf Wunsch könne das Gerät sogar gezielt Seriennummern anhand von Listen suchen.

Du hast Überwachungsinstrumente im Portemonnaie

Technisch möglich wäre also Bargeld-Tracking am Automaten. Welche Anbieter reizen das aus? Die Betreiber zeigen sich auf netzpolitik.org-Anfrage mäßig transparent. Die Deutsche Bank antwortet nur ausweichend auf eine von 17 Fragen: „Sofern im Rahmen von Cash-Recyling Banknoten wieder an den Kunden ausgegeben werden, stellt die Deutsche Bank sicher, dass diese vollständig geprüft werden.“

Sparkasse und Commerzbank antworten gar nicht. Die GLS Bank verweist an die Reisebank, die ihre Einzahlungsautomaten betreut. Die Reisebank schreibt, sie habe kein Bestreben, Sicherheitsvorkehrungen offenzulegen. Die DZ Bank verweist an den Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, der wiederum an die Deutsche Kreditwirtschaft.

Dieser Zusammenschluss verschiedener Bankenverbände antwortet: „Bei falsch-verdächtigen Banknoten werden Informationen zur Banknote ausschließlich temporär auf dem Gerät gespeichert. Eine Übermittlung dieser Daten erfolgt nicht. Sie dienen dem Kreditinstitut ausschließlich zur Rückverfolgung eines Einzahlvorgangs bei Falschgeldverdacht.“

Außerdem schreibt die Deutsche Kreditwirtschaft: „Es findet keine allgemeine, institutsübergreifende Erfassung der Seriennummern von Banknoten statt.“ Offen bleibt damit, inwiefern Seriennummern innerhalb einzelner Institute getrackt werden.

Etappe 4: Zwanni darf ins Portemonnaie

Für diesen Moment war Zwanni bestimmt, seit er bedruckt wurde: Ein Mensch befreit ihn aus dem Bankautomaten und steckt ihn ins Portemonnaie zu ein paar anderen Scheinen, die schon länger im Umlauf sind.

Ab hier könnte sich Zwannis Datenspur verlieren. Er könnte in einem Sparschwein landen und dort für viele Jahre untertauchen. Oder sein Schicksal führt ihn an einen der zahlreichen weiteren Orte, wo Seriennummern erfasst werden können. In ein Casino? In die Wohnung eines Kokain-Dealers, der bei einer Razzia auffliegt? In einen Fahrkartenautomaten, im Austausch gegen ein Ticket nach Pullach? Einen Parkautomaten, der ihn mit einem Auto-Kennzeichen verknüpfen kann? Einen Glücksspiel- oder einen Zigarettenautomaten, der auch den Personalausweis scannt? Die Selbstbedienungskasse eines videoüberwachten Supermarktes?

Mit stetig wachsender Wahrscheinlichkeit landet Zwanni früher oder später wieder in einer Maschine, die seine Seriennummer liest. Neben CI Tech Sensors baut beispielsweise auch Japanese Cash Machine (JCM) Banknotenmodule, die Seriennummern erfassen. JCM bietet auch eine Software an, die den Geldbestand in Automaten zentral überwachen kann.

Wie verbreitet Bargeld-Tracking jetzt schon ist, zeigt ein Beispiel aus Berlin. Dort erfasst sogar ein Automaten-Späti die Seriennummern – also ein kleiner Laden, wo man an Automaten Snacks und Getränke ziehen kann. Der Betreiber schreibt netzpolitik.org, das Tracking sei nötig für „bestimmte Compliance-Anforderungen“. Mehr noch: Seine Automaten seien in einer Cloud vernetzt, so dass sich beispielsweise Umsätze und Füllstände aus der Ferne abrufen lassen.

Etappe 5: Zwanni wird schon wieder chauffiert

Stellen wir uns vor, dass Zwannis Besitzer ihn im Supermarkt gegen seinen Wocheneinkauf eintauscht. Inmitten eines ganzen Stapels mehr oder weniger abgegriffener Zwanziger landet Zwanni in der Supermarktkasse. Wenn er nicht sogleich wieder als Wechselgeld herausgegeben wird, kommt er nach Feierabend der kassierenden Person in einen Beutel. Zum Marktschluss wird dieser von einem Geldtransportunternehmen abgeholt. Vielleicht ja sogar dem gleichen, das Zwanni schon von der Bundesbank zum Geldautomaten gebracht hat.

Die Transportunternehmen sind zentrale Punkte im Bargeldkreislauf. Immer wieder kommen die Scheine bei Ihnen vorbei. Und auch diesmal geht es für Zwanni wieder in ein Cash-Center und er durchläuft eine Maschine, die seine Seriennummer erfassen kann. Bei der Banknotenbearbeitung wird das Geld jeder einzahlenden Institution getrennt geprüft und gutgeschrieben. Die Trennung erfolgt beispielsweise durch „Headerkarten“. Die Geldtransportunternehmen können somit erfasste Seriennummern teils sogar einzelnen Kassenschichten zuordnen.

Aber tun sie das auch? Die Geldtransportunternehmen Ziemann und Loomis haben auf Fragen von netzpolitik.org nicht geantwortet, ebenso die Bundesvereinigung deutscher Geld- und Wertdienste. Marktführer Prosegur lässt über eine PR-Agentur antworten: „Seriennummern sind nicht im Dienstleistungs-Fokus von Prosegur. Natürlich verfügen unsere Einzahllösungen über entsprechende Schutz- und Prüfmaßnahmen, zu denen wir uns aus Sicherheitsgründen nicht äußern.“

Etappe 6: Zwanni kommt zurück zur Bundesbank

Es ist wahrscheinlich, dass Zwanni die Etappen Geldautomat, Portemonnaie, Kasse, Geldtransporter mehrfach durchläuft. Aber im Schnitt 1,45 Mal pro Jahr bringen die Transportunternehmen eine Banknote wieder zurück zur Deutschen Bundesbank, um sie auf eigene Rechnung oder im Namen von Geschäftsbanken und Unternehmen einzuzahlen. Auch Zwanni ist eines Tages dabei.

Dort wird er abermals maschinell gescannt und sortiert. Die Bundesbank nutzt dafür Maschinen vom Typ BPS M7 vom Hersteller G+D. Auch diese Geräte können Zwannis Seriennummer lesen.

Alfred Schmidt sagt: „Die Seriennummerlesung fällt einfach an, sie ist zunächst in den Daten vorhanden. Und es ist ein- und abschaltbar, ob die Nummer gespeichert wird. Es ist kein Aufwand, die Daten zu speichern und für eine gewisse Zeit vorzuhalten.“

Die Geräte können sogar im Strom der einlaufenden Scheine nach bestimmten Seriennummern suchen. Der Hersteller bietet eine Fernwartungssoftware an, mit der sich Seriennummer-Suchlisten unkompliziert in der Maschinenflotte aktualisieren lassen. Mit einem solchen Alarmsystem ließe sich ausmachen, in welchem Laden in welcher Stadt ein gesuchter Schein ausgegeben wurde – also wo sich beispielsweise ein gesuchter Erpresser aufhält.

Wenn Zwanni also irgendwo auf seiner Reise nicht in guten Händen war und ins Visier von Ermittlungsbehörden geriet, könnte er jetzt auffliegen. Aber die Bundesbank nutzt diese Technologie nach eigenen Angaben nicht. Die Behörde schreibt: „Zwar bietet der Hersteller diese Funktionalität tatsächlich an, jedoch findet ein solches Listenverfahren bei uns aus grundsätzlichen Erwägungen keine Anwendung.“ Ein umfassendes Bargeld-Tracking sei zudem zu teuer für den erwartbaren Nutzen, schreibt die Bundesbank auf Anfrage.

Abschied von Zwanni

In gewissen Fällen erfasst die Bundesbank durchaus Banknoten-Seriennummern. Zum Beispiel wenn sie die Lebensdauer von Scheinen untersucht. Dabei geht es laut Bundesbank nur um spezifisch abgegrenzte Banknotengruppen. Die würden beispielsweise mit anderen Farben oder Lacken bedruckt, um zu testen, ob sie so widerstandsfähiger gegen Defekte oder Verschmutzungen werden. Wäre Zwanni also ein solcher Spezialschein mit ungewöhnlicher Lackierung, dann würde die Bundesbank ihn tracken. Das ist er aber nicht. Zwanni ist ein ganz gewöhnlicher Zwanziger.

Zwannis zweiter Besuch bei der Bundesbank entscheidet maßgeblich über seine Zukunft. Die Bundesbank prüft, ob die gebrauchten Banknoten noch hübsch genug sind, um ihnen eine erneute Reise durch den Kreislauf zuzutrauen. Falls nicht, landen sie im Schredder – laut Bundesbank ohne Erfassung der Seriennummern.

Es wäre allzu traurig, Zwannis Geschichte jetzt schon im Schredder enden zu lassen. Druckfrisch ist er nicht mehr, seine Falten sind nicht zu übersehen und wie vorausgesagt, war zwischenzeitlich eine Ecke geknickt, aber er tut’s noch. Als Banknote in umlauffähigem Zustand kommt Zwanni also wieder in den Umlauf – und wird schon wieder von einem Geldtransportunternehmen gescannt.

In einem weiteren Teil dieser Recherche zu Bargeld-Tracking steht, wer versucht, die Informationen über Zwannis Leben zusammenzuführen. Und wie Sicherheitsbehörden bereits jetzt für Ermittlungen Scheine tracken.



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