Datenschutz & Sicherheit
In den meisten Fällen nicht hilfreich
Seit den 90er Jahren analysieren Polizeien in Deutschland Erbgut, die sogenannte DNA. Sie vergleichen dabei etwa Spuren von Tatorten mit DNA-Proben von Verdächtigen oder gleichen sie mit Datenbanken ab. Seit 2019 dürfen sie auch Informationen über die wahrscheinliche Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter von unbekannten Personen aus den molekulargenetischen Untersuchungen ableiten. Nun wollen einige Bundesländer den Erbgut-Schnipseln noch mehr Informationen für die Polizei entlocken.
Bayern und Baden-Württemberg fordern, dass DNA-Analysen auf die sogenannte biogeographische Herkunft ausgeweitet werden sollen. Soll heißen: Künftig könnte dann die Polizei nach unbekannten Verdächtigen suchen und hätte vielleicht die Information, dass sie wie jemand mit als asiatisch interpretierter Herkunft aussehen könnten. Die Ermittlungstechnik wollen die beiden Länder auf der Justizministerkonferenz in dieser Woche mit ihren Amtskolleg:innen aus Bund und Ländern besprechen.
Während sich etwa das Bundesinnenministerium unter CSU-Politiker Alexander Dobrindt bereits positiv zu dem Ländervorschlag geäußert hat, kritisiert etwa der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein das Vorhaben gegenüber LTO als Gefahr für rassistische Hetze. Doch die Analysen bringen nicht nur eine Diskriminierungsgefahr mit sich, ihr realer Nutzen ist überaus fragwürdig.
Schon die letzte Erweiterung der Strafprozessordnung, mit der eine Analyse von Alter und Aussehen möglich wurde, führte zu Diskussionen: etwa wegen der Zuverlässigkeit, mit der entsprechende Merkmale ermittelt werden können, sowie der Gefahr von Diskriminierung bei Öffentlichkeitsfahndungen nach bestimmten äußerlichen Merkmalen.
Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) sagt zu dem neuen Vorstoß: „Unsere Ermittler brauchen gerade zur Aufklärung schwerer Verbrechen alle zur Verfügung stehenden Instrumente.“ Aber warum brauchen sie das? Was hat beispielsweise die letzte Erweiterung von Analysemöglichkeiten den Länderpolizeien gebracht? Wie häufig hat eine Analyse möglicher Aussehensmerkmale bei Ermittlungen zum Erfolg beigetragen? Und wie geht die Polizei mit verbundenen Problemen um?
Keine Statistiken zur Analyse von äußerlichen Merkmalen
Wir haben bei den Justizministerien in Bayern und Baden-Württemberg nachgefragt, ihre Antworten sind jedoch wenig aufschlussreich. Wortgleich heißt es aus den Ländern, die „Möglichkeit der erweiterten DNA-Analyse kann dazu beitragen, den Täterkreis einzugrenzen, Unverdächtige auszuschließen und Ermittlungen zielgerichteter und schneller durchzuführen“. Statistische Angaben dazu, wie häufig eine DNA-Analyse – ob erweitert oder nicht – durchgeführt wird, können beide Länder nicht machen. Entsprechend lassen sich auch Ermittlungserfolge nicht quantifizieren und bewerten.
Baden-Württemberg weist indes darauf hin, dass wegen der derzeitigen Gesetzeslage und „mit dieser einhergehenden Unsicherheiten in den Ergebnissen“ die Möglichkeit der erweiterten forensischen DNA-Analyse wenig genutzt werde. Rechtsmedizinische Institute, Landeskriminalämter und Dienststellen würden die Bestimmung von Aussehensmerkmalen „als unvollständig und fehleranfällig“ bewerten. „Nur gemeinsam mit der Bestimmung der biogeographischen Herkunft können die anderen Angaben zum Aussehen des Spurenverursachers präzise eingeschätzt werden“, heißt es in der Antwort.
Ebensowenig haben die beiden vorpreschenden Länder einen Überblick darüber, welche Kosten die Analysen verursachen. „Die Kosten für ein solches DNA-Sachverständigengutachten liegen bei circa 1.200 bis 1.500 Euro“, schreibt das bayerische Justizministerium auf Anfrage. Zu den Gesamtkosten weiß man dort allerdings wie auch in Baden-Württemberg nichts.
Keine Handreichungen zum Umgang mit Analyse-Ergebnissen
Fehlanzeige gibt es auch bei der Unterstützung für die Polizei, wenn es um den Umgang mit den Ergebnissen von DNA-Analysen geht. „In Bayern gibt es keine Dienstanweisungen oder Handreichungen für den Umgang mit DNA-Analyse-Ergebnissen im Ermittlungsverfahren“, heißt es. Kommt es zu einem Verfahren, obliege die Wertung den Gerichten. Auch im Nachbarbundesland scheint es für die Ermittler:innen diesbezüglich keine expliziten Vorschriften zu geben.
Der fehlende verbindliche Handlungsrahmen verwundert. Gerade beim Umgang mit den Ergebnissen von DNA-Analysen haben sich in der Vergangenheit falsche Interpretationen als verheerend erwiesen. Vorschnelle Schlussfolgerungen haben zuweilen sowohl die Aufklärung von Verbrechen erschwert als auch zu diskriminierenden Anschuldigungen geführt. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das sogenannte Phantom von Heilbronn.
Falsche Spuren falsch interpretiert
Nach dem Mord an einer Polizistin im Jahr 2007 stellte die Polizei die DNA-Spur einer Frau sicher, die bereits an anderen Tatorten festgestellt worden war. Der Schluss: Es müsse sich um eine hochmobile Mehrfach-Täterin handeln. Eine in Österreich durchgeführte und dort zulässige erweiterte DNA-Analyse der vermeintlichen biogeographischen Herkunft ergab, dass das Muster in der gefundenen DNA „gehäuft in Osteuropa und im Gebiet der angrenzenden Russischen Föderation“ auftreten würde. Zusätzlich hielt sich am Tattag eine Gruppe serbischer Rom*nja in der Nähe des Tatortes auf.
Es folgten Ermittlungen, die von antiziganistischer Medienarbeit der Polizei und viel Personenaufwand an falschen Fährten geprägt waren. Auch nachdem sich herausstellte, dass die allgegenwärtige DNA-Spur durch verunreinigte Wattestäbchen entstand, hörten die Ermittlungen mit dem Fokus „Schausteller und Landfahrer“ nicht auf. Die wahren Täter:innen fand man dadurch nicht.
Erst vier Jahre später stellte sich heraus: Die Polizistin Michèle Kiesewetter war von den Rechtsterrorist:innen des NSU ermordet worden.

Der Fall zeigt, wie der gedankenlose Umgang mit DNA-Spuren zu schweren Konsequenzen führen kann, für zu Unrecht verdächtigte Personen und Gruppen, für die Aufklärung schwerer Verbrechen und für das Vertrauen in die Arbeit der Polizei.
Die fünf Hauptkontinente der DNA-Analyse
Aber wann sind Ergebnisse einer DNA-Analyse zuverlässig genug? Wie sollte man sie etwa bei Öffentlichkeitsfahndungen kommunizieren? Was kann eine Untersuchung über das Aussehen von mutmaßlichen Täter:innen verraten – und was nicht?
„Nach unseren Erkenntnissen funktioniert die Bestimmung am zuverlässigsten auf kontinentalem Niveau“, schreibt ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums auf Anfrage von netzpolitik.org. „Relevante Studien“ würden für die Bestimmung der Herkunft zeigen, „dass für die fünf Hauptkontinente eine Zuverlässigkeit von über 90 Prozent erreicht werden kann.“
Bei diesen Hauptkontinenten, ergibt unsere Nachfrage, handelt es sich um „Europa, Afrika, Ostasien, Ozeanien und Amerika (hier die indigene Bevölkerung)“. Dann wären sogar „Wahrscheinlichkeitswerte von 99,9 Prozent“ möglich, schreibt das Justizministerium unter Verweis auf eine Pressemitteilung der Spurenkommission, einer Arbeitsgemeinschaft der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute in Deutschland. Baden-Württemberg nennt leicht andere Regionen für die hohe Unterscheidungsgenauigkeit: „Europa, Afrika südlich der Sahara, Ostasien, Südasien, Ozeanien und Amerika“. Um welche Studien es sich bei den Zitierungen handelt, ist unklar.
Was das bayerische Ministerium nicht schreibt: Gleich unter der selektiven hohen Vorhersagewahrscheinlichkeit schränkt die Pressemitteilung die hochprozentige Zuversicht ein: Auf einer subkontinentalen Ebene sinke die Wahrscheinlichkeit „sehr schnell“. Zwischen Westasien und Europa sei eine Unterscheidung wegen großer Wanderungsbewegungen schwierig, auch Nord- und Südamerika stellten „aufgrund der massiven europäischen Einwanderungswellen der letzten 500 Jahre“ Sonderfälle dar. Außerdem könne es zu falschen Vorhersagen kommen, wenn eine Person aus einem Gebiet mit fehlenden Referenzdaten komme.
Das bedeutet stark vereinfacht: Eine Person mit familiären Wurzeln in Saudi-Arabien lässt sich nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit von jemandem aus Spanien trennen. Oder umgekehrt: Stammt eine Mörderin aus einer abgelegenen Region in Ozeanien und weist ihre Familiengeschichte bisher kein Migrationsgeschehen auf, mag eine Aussage bezüglich ihrer biogeographischen Herkunft möglich sein.
Das führt dazu, dass Ergebnisse solcher Analysen praktisch nur dann nützlich sind, wenn sie auf Angehörige ganz bestimmter Minderheiten hindeuten. In der real existierenden Gesellschaft mit den vielfältigen Migrations- und Herkunftshistorien von Personen dürften sich die so klar gelagerten Fälle, für die eine derartige Analyse verwertbare Ergebnisse hervorbringt, erheblich in Grenzen halten.
Datenschutz & Sicherheit
„Passwort“ Folge 34: Lokale Sauereien von Meta und Yandex
Die Internetriesen Meta und Yandex sind beim Tracken ihrer Nutzer erwischt worden. Das klingt kaum nach einer Neuigkeit, doch der Knackpunkt ist die Art und Weise dieses Trackings: Facebook, Instagram, Yandex Maps und einige andere Yandex-Apps haben Nutzer auch dort verfolgt, wo es weder vertretbar noch technisch möglich erscheint: im Browser außerhalb der App.
Dabei haben Meta und Yandex nicht nur die expliziten Wünsche ihrer Nutzer ignoriert – gängige Anti-Tracking-Maßnahmen wie der Inkognito-Modus, sich auszuloggen oder Cookies zu löschen waren wirkungslos – sondern auch Sicherheitskonzepte von Android absichtlich ausgehebelt. Die Podcast-Hosts sehen sich an, wie skrupellos und trickreich die Firmen dabei vorgingen, gestützt auf die Analyse „Local Mess“. Unter diesem Titel dokumentierten die ursprünglichen Entdecker des Verhaltens ihre Ergebnisse.
Christopher und Sylvester ringen dabei immer wieder um Worte, denn das Vorgehen von Meta und Yandex ist so perfide, nutzerfeindlich und offensichtlich absichtlich, dass die Hosts kaum noch Unterschiede zu typischer Malware sehen. Im Podcast zeichnen die beiden nach, wie das Tracking technisch umgesetzt wurde – auch diese Tricks erinnern an klassische bösartige (und illegale) Software, was sie wenigstens interessant macht.
Außerdem diskutieren die Hosts, wie Meta und Yandex reagierten, als sie auf das Verhalten ihrer Apps angesprochen wurden, was eigentlich Google, die Hüterin der Play-Store- und Android-Richtlinien dazu sagt, und woran es liegen könnte, dass iOS offenbar nicht betroffen war. Zuletzt reden die beiden darüber, wie man sich vor solchen Methoden schützen kann und welche Vorschläge es gibt, dergleichen in Zukunft zu unterbinden. Denn eigentlich sollte niemand die Isolationsschichten zwischen Apps überwinden können, wenn Nutzer das nicht wollen – ganz gleich, ob die Apps von Hackern mit kriminellen Absichten oder von Firmen ohne moralischen Kompass stammen.
Das Chrome-Entwicklerteam hat zwischenzeitlich seine Pläne konkretisiert, lokale Netzwerkzugriffe aus dem Google-Browser heraus an die Erlaubnis des Nutzers zu knüpfen. Bereits mit Chrome 138 können Desktop-Nutzer den „Local Network Access“ testen, Android wird später folgen.
Die neueste Folge von „Passwort – der heise security Podcast“ steht seit Mittwochmorgen auf allen Podcast-Plattformen zum Anhören bereit.
(syt)
Datenschutz & Sicherheit
Achtstellige Passwörter unzureichend: Datenschutzstrafe für Genfirma 23andme
„23andme hat dabei versagt, grundlegende Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten zu setzen“, zeiht John Edwards, Chef der britischen Datenschutzbehörde, das US-Unternehmen für Genanalysen, „Ihre Sicherheitssysteme waren inadäquat, die Warnsignale waren da und die Firma hat langsam reagiert.“ Das Ergebnis ist bekannt: Fast sieben Millionen Datensätze von Kunden 23andmes gelangten 2023 in falsche Hände und im Darknet zum Verkauf. Edwards Behörde verhängt nun eine Strafe von umgerechnet gut 2,7 Millionen Euro über die Genfirma.
Die der Strafe zugrundeliegende Untersuchung war gemeinsame Arbeit der britischen und der kanadischen Bundesdatenschutzbehörde. Letztere darf, sehr zum anhaltenden Ärger ihres Chefs Philippe Dufresne, keine Strafen verhängen, sondern muss sich auf die Feststellung beschränken, dass 23andme kanadisches Datenschutzrecht verletzt hat. Von der illegalen Offenlegung dürften etwa 320.000 Kanadier und rund 150.000 Briten betroffen sein.
Die Methode des Angreifers war banal: Credential Stuffing. Dabei werden Logins und Passwörter, die bei Einbrüchen in andere Dienste offengelegt worden sind, ausprobiert. Hat der User die gleiche Kombination eingesetzt, und gibt es keine Multifaktor-Authentifizierung, kann sich der Angreifer einloggen. Das ist bei 23andme im Jahr 2023 bei über 18.000 Konten gelungen. Viele 23andme-Kunden haben in ihren Konten die Option aktiviert, ihre Daten mit Verwandten zu teilen. Daher konnte der Angreifer über gut 18.000 Konten die Daten von fast sieben Millionen Menschen abgreifen.
Fünf Monate nichts mitbekommen
Fünf Monate lang, ab Ende April 2023, konnte der Täter ungestört ein Passwort nach dem anderen ausprobieren. Denn, so die kanadische und die britische Behörde, 23andme hatte ineffektive Erkennungssysteme sowie unzulängliches Logging und Monitoring. Zudem sei die Untersuchung von Anomalien inadäquat gewesen, sonst hätte 23andme die Vorgänge Monate früher als erst im Oktober 2023 erkannt.
Hinzu kommt unzureichende Vorbeugung. Die beiden Behörden kritisieren, dass 23andme keine verpflichtende Multifaktor-Authentifizierung (MFA) hatte, dass es nicht überprüft hat, ob Kunden anderswo kompromittierte Passwörter wiederverwenden, dass es keine zusätzliche Überprüfung bei der Anforderung der Gen-Rohdaten gab, und dass die Passwortregeln zu lasch waren: 23andme schrieb mindestens achtstellige Passwörter mit „minimalen Komplexitätsregeln“ vor; eine Richtlinie der britischen Datenschutzbehörde ICO (Information Commissioner’s Office) empfiehlt mindestens zehnstellige Passwörter ohne Zwang der Verwendung von Sonderzeichen und ohne Längenbeschränkung.
Selbst als 23andme die unberechtigten Zugriffe erkannt hatte, reagierte es nicht so, wie sich die Datenschutzbehörden das vorstellen. Es dauerte vier Tage, bis die Firma alle Passwörter zurücksetzte und laufende Sitzungen schloss. Bis zur Einführung verpflichtender MFA und zusätzlicher Absicherung der Rohdaten verging gar ein Monat. Zu allem Überdruss waren die rechtlich vorgeschriebenen Mitteilungen der Firma an die britische und die kanadische Datenschutzbehörde auch noch unvollständig.
Nach Insolvenz kommt Wojcicki wieder ans Ruder
Einige Monate nach dem Vorfall stellte 23andme Insolvenzantrag. Daher ist nicht gesichert, dass die britische Strafe in der festgesetzten Höhe bezahlt wird. Das Unternehmen könnte auch noch Rechtsmittel ergreifen.
23andme wurde 2006 gegründet, ist 2021 an die Börse gegangen, hat aber nie Gewinn geschrieben. Nach einigem Hin und Her im Insolvenzverfahren dürfte Mitgründern Anne Wojcicki über ihre Forschungsfirma TTAM die Konkursmasse 23andmes aus dem Konkursverfahren erwerben. TTAM hat dafür 305 Millionen US-Dollar geboten, mehr als die Pharmafirma Regeneron. Wojcicki war bis 2015 mit Google-Mitgründer Sergey Brin verheiratet und ist die jüngste Schwester der im August an Lungenkrebs verstorbenen Susan Wojcicki, der ersten Marketingleiterin Googles und langjährigen Chefin Youtubes.
(ds)
Datenschutz & Sicherheit
Trump setzt auf „strategisches Chaos“
Die politische Lage in den USA spitzt sich zu. Vergangene Woche hat der autoritär auftretende Präsident Donald Trump Militärtruppen nach Kalifornien entsandt, um Proteste gegen die Einwanderungsbehörde ICE zu ersticken. Erschreckende Bilder wie die Abführung des demokratischen Senators von Kalifornien, Alex Padilla, gingen um die Welt.
Am Wochenende nahm Trump an seinem Geburtstag eine Militärparade in der Hauptstadt Washington ab – höchst ungewöhnlich für die USA, selbst wenn die Armee am gleichen Tag ihren 250. Geburtstag hatte. Zugleich regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung, nicht nur in Los Angeles. Landesweit kam es am Samstag zu massiven Protesten unter dem Motto „No King“ – „Kein König“ in mehr als 2.000 Städten.
Sind die USA noch vor der autoritären Komplettübernahme durch Trump und seine Bewegung zu retten? Wir haben den Verfassungsrechtler Anthony Michael Kreis gefragt, was gerade passiert und worauf es jetzt ankommt. Kreis ist Professor an der Georgia State University und begleitet die Umwälzungen kritisch unter anderem auf Bluesky.

Das Interview wurde auf Englisch geführt und lässt sich hier im Original nachlesen.
„Strategisches Chaos“ der Trump-Regierung
netzpolitik.org: Hierzulande beobachten viele Menschen ungläubig, was mit einem der wichtigsten Verbündeten Deutschlands und einem Land geschieht, das sie immer als stabile Demokratie wahrgenommen haben. Wie würden Sie die Ereignisse der vergangenen Monate in Ihrem Land beschreiben?
Anthony Kreis: Das Beste, was ich dazu sagen kann, ist „strategisches Chaos“. Die Trump-Regierung arbeitet mit Hochdruck daran, Institutionen zu zerstören und die Handlungsfähigkeit des Staates zu schwächen, oft unter Missachtung des Rechts. Und sie vertritt Positionen, die die Verfassung zutiefst verletzen. Leider gab es so viele Angriffe auf die Verfassung und die amerikanische Demokratie, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.
netzpolitik.org: Wie wir in den zurückliegenden Wochen gesehen haben, hat Donald Trump Nationalgarde und Marines in Kalifornien eingesetzt, um Proteste niederzuschlagen. Gibt es dafür einen Präzedenzfall, und was sagt das Gesetz über den Einsatz von Streitkräften im Inland?
Anthony Kreis: Der Einsatz von Bundestruppen oder der Nationalgarde ist äußerst selten – insbesondere, weil die lokalen Behörden nicht um Unterstützung gebeten haben. Nach amerikanischem Recht ist es unzulässig, Bundestruppen zur Durchsetzung ziviler Gesetze einzusetzen. Sie können Bundesgebäude und Beamte schützen, aber in der Regel ist dies eine Maßnahme der letzten Instanz. Die Tatsache, dass der Präsident so leichtfertig Truppen auf amerikanischen Straßen einsetzt, lässt mich vermuten, dass es hier um eine Machtdemonstration geht – und nicht um die Durchsetzung des Gesetzes und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Angesichts der relativ isolierten Natur des Problems inmitten überwiegend friedlicher Demonstrierender hätte das alles auch von nichtmilitärischem Personal geleistet werden können.
Demokratie am Tiefpunkt
netzpolitik.org: Wenn das Ziel darin bestand, die Zivilgesellschaft von Protest abzuschrecken, scheint es gescheitert zu sein: Am vergangenen Wochenende gab es im ganzen Land massive „No King”-Proteste, selbst angesichts der politisch motivierten Ermordung einer demokratischen Abgeordneten in Minnesota. Wie gesund ist die US-Zivilgesellschaft derzeit, und wie mächtig können Proteste sein, um Veränderungen zu bewirken?
Anthony Kreis: Die amerikanische Demokratie befindet sich derzeit an einem Tiefpunkt. Die Drohungen mit politischer Gewalt, die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Versuche, demokratische Institutionen auszuhöhlen, zeigen, wie ernst die Lage ist. Proteste können natürlich dazu beitragen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Menschen zu ermutigen, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Letztendlich müssen die Menschen jedoch protestieren – und wählen gehen. Es wird ein langfristiges, ernsthaftes Engagement von Millionen von Amerikanern erfordern, um dieses jüngste Kapitel des demokratischen Rückschritts in den USA zu beenden.
netzpolitik.org: Wahlen funktionieren nur, wenn sie Konsequenzen haben. Aber es scheint, dass der Kongress keinen nennenswerten Druck auf Trump ausübt. Ist das ein Problem, das durch das US-Verfassungssystem verursacht wird? Oder ist ein politisches Problem?
Anthony Kreis: Wir sprechen oft davon, dass die drei Gewalten sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen. Historisch gesehen geht es jedoch eher um die Trennung der Parteien als um die Trennung der Gewalten. Solange die Republikaner den Kongress und den Verfassungsgerichtshof kontrollieren, wird es weniger institutionellen Widerstand seitens der Legislative und der Judikative geben. Damit dies geschieht, müsste sich die Lage grundlegend ändern und Trump an Popularität unter den Republikanern verlieren. Ansonsten hängt für die Demokraten viel von den Wahlen im Jahr 2026 ab. Das ist dann ihre einzige echte Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.
USA in der Verfassungskrise
netzpolitik.org: Haben die Demokraten bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt oder haben sie noch Optionen?
Anthony Kreis: Sie haben kaum andere Möglichkeiten, als die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bislang haben sie das nicht besonders gut gemacht.
netzpolitik.org: Bis zu den Wahlen 2026 wird also der Supreme Court in den meisten dieser Fragen das letzte Wort haben. Bislang waren seine Entscheidungen für die Trump-Regierung eher durchwachsen. Aber Trump versucht weiterhin, offensichtlich illegale Anordnungen durchzusetzen, sei es der Einsatz des Militärs im Inland oder die Abschaffung des verfassungsmäßig garantierten Geburtsortsprinzips. Wir haben bereits gesehen, dass Trump Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat. Befinden sich die USA bereits in einer Verfassungskrise?
Anthony Kreis: Jeder wird „Verfassungskrise” anders definieren. Für mich ist es ein Moment, in dem die Rechtsstaatlichkeit bedroht ist und die Machthaber versuchen, Regeln und Institutionen außerhalb eines legitimen Prozesses zu ändern – mit anderen Worten: willkürliche und instabile Regierungsführung („Governance“). Das ist seit Januar der Zustand in Amerika. Ich würde sagen, wir befinden uns in einer Verfassungskrise.
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