Die Studentinnen Anna Maurer und Emma Märschenz in ihrer Semesterarbeit über einen Störfaktor den jeder übersieht: die Industrie der Schnittblumen
TH Würzburg-Schweinfurt. Achtet ihr im Supermarkt auf die kleinen Behälter mit Tulpen? Sie sind eine Randnotiz im Alltag, falls man nicht gerade als Florist:in arbeitet. Den wenigsten sind wahrscheinlich die Probleme bewusst, die durch das Geschäft mit Schnittblumen entstehen. So ging es auch den Designstudentinnen Anna Maurer und Emma Märschenz – bis sie letztes Jahr in einem Café saßen und über ein gemeinsames Projektthema für ihren Semesterkurs »Störfelder« im Fach Grafikdesign grübelten.
»Es ging um die Frage, was uns im Leben oder an der Welt störte«, erklärt Anna Maurer. Die Themen wurden immer größer, und am Ende standen sie wieder bei null. Doch dann fiel ihr Blick auf die kleine Vase mit einer einzelnen Gerbera. »Woher kommen die eigentlich?« war die erste von vielen Fragen, die sich daran anschlossen.
Denn je mehr sie über Schnittblumen recherchierten, desto klarer wurde, wie komplex dieses Thema tatsächlich ist, und vor allem, was sie daran störte: »Über Kleidung und Lebensmittel diskutiert die Gesellschaft intensiv. Doch wenn es um Blumen geht, übersehen viele, was für eine Industrie dahintersteckt«, ergänzt Emma Märschenz.
Grafisch aufbereitet in einem Buch erzählen die beiden Studentinnen in ihrer Semesterarbeit »Schnittblumen« von problematischen Produktionsbedingungen, den Auswirkungen auf die Umwelt, Pestiziden und Gütesiegeln – und entsprechend auch von Nachhaltigkeit und der Slow-Flower-Bewegung. Insgesamt unterteilten sie ihre Semesterarbeit in vier verschiedene gestalterische Ebenen. Die eindrücklichste davon: die Bildwelten
Mit ihrer Semesterarbeit möchten sie über die Missstände in der Schnittblumenindustrie aufklären und mehr Bewusstsein für dieses Thema schaffen. Im Mittelpunkt steht der bewusste Blumenkonsum.
Die Farbgestaltung ergab sich ganz natürlich aus dem Blumenangebot, das sie im Laden vorfanden. Im Fotostudio verwandelten sie die Blumen anschließend in ein Stillleben: »Mit der Blume im Fokus wollten wir Missstände aufzeigen und unsere Protagonist:innen bewusst in unnatürliche Situationen bringen,« erklärt Emma Märschenz.
»Einmal mussten unsere Blumen in Gelee schwimmen, ein anderes Mal wurden sie eingegelt. Auch mit Materialien wie Plastik spielten wir, um auf subtile Weise zu zeigen, wie unecht das Geschäft hinter Schnittblumen ist.« Um den Kontrast noch zu verstärken, setzten sie im Kapitel über nachhaltige, saisonale Blumen und die Slow-Flower-Bewegung auf Wildblumen.
Für das Kapitel über Nachhaltigkeit wurden frische Blumen in Plastik eingeschweißt, um das Problem der Umweltbelastung zu verdeutlichen
Durch das große A3-Seitenformat konnten die Blumen nahezu in Originalgröße abgebildet werden. Gedruckt wurde auf Munken Polar von Arctic Paper – einem Papier, das die beiden Studentinnen nicht nur haptisch überzeugte, sondern auch, weil der Hersteller großen Wert auf Nachhaltigkeit legt. Die grafischen Elemente und abstrakten Illustrationen auf den Doppelseiten verstärken visuell die Komplexität und Vielschichtigkeit der Problematik rund um die Schnittblumenproduktion.
Die Kombination aus einer klaren Groteskschrift, der Neue Haas Grotesk, die die Ernsthaftigkeit des Themas unterstreichen soll, und der Serifenschrift Serifbabe von Charlotte Rohde, deren spitze Serifen die beiden Studentinnen an Rosendornen erinnerten, passte für ihren Zweck perfekt. »Unser Projekt soll eine Diskussion anstoßen«, fassen die Designerinnen zusammen. »Das Ziel unseres Projekts ist keineswegs, den Menschen die Freude an Blumen zu nehmen – im Gegenteil! Wir möchten auf nachhaltige Alternativen aufmerksam machen und die Wertschätzung für Blumen fördern.«
Anna Maurer hat während ihres Kommunikationsdesign-Studiums schnell ihre Stärken in den Bereichen Grafikdesign und Fotografie entdeckt – zwei Felder, in denen sie sich, wie sie selbst sagt, voll und ganz entfalten kann. Ob es nach dem Bachelor direkt mit dem Master weitergeht oder sie sich zunächst für Praktika in den Bereichen Editorial Design oder Sportfotografie entscheidet, wird sich noch herausstellen.
Für Emma Märschenz sind es vor allem die Disziplinen Typografie und Grafikdesign, in denen sie ihre Stärken sieht. Vom Gestalten einer eigenen Schrift bis hin zu Plakatserien – das ist es, was ihr im Studium besonders Spaß macht. Auch Emma hält sich offen, ob nach dem Bachelor direkt der Master ansteht oder doch zunächst Praktika folgen.
Kursinhalt und Lernziel: das steckt dahinter! – Christoph Barth im Interview
Was soll den Studierenden in einem Semesterkurs wie »Störfelder« vermittelt werden? Das haben wir den verantwortlichen Dozenten Christoph Barth, Professor für Grafikdesign und Konzeption an der TU Würzburg Schweinfurt, gefragt.
»Störfelder«, das klingt für Außenstehende zunächst einmal abstrakt. Welche Idee steckt dahinter? Und was sollen Student:innen daraus mitnehmen?
Prof. Christoph Barth: »Bei den Störfeldern war es mir wichtig, erst mal einen ganz offenen Themenschirm anzubieten. Warum? Weil mich interessiert, wo die Student:innen jetzt mit ihrem Kopf sind. Wie gucken sie in die Welt, was finden sie relevant, was beängstigend, bedrohlich, aber auch interessant, neu und spannend. Und unter diesem Schirm versuchen sie dann ihre Themen für sich zu definieren.«
Und auf der konzeptionellen, auf der Fachebene?
»Es geht grundsätzlich darum, bei Themen zu begreifen, was interessant daran ist oder auch klischeehaft. Der Kurs setzt einen kurzen Impuls, bei dem dann in der Tiefe gebohrt und ergebnis- und medial offen geschaut wird, was entsteht. Dabei geht es nicht immer um die klassischen Printmedien, sondern auch darum, dass man vielleicht Medien oder Produkte (er-)findet, die sehr genau auf die jeweiligen Themen passen.«
Aus ihrer eigenen Agenturerfahrung heraus: Sind das Fähigkeiten, die Talente in der freien Wirtschaft anbringen können?
»Ja, genau diese freie Art des konstitutionellen Denkens. Angesichts von Technologien wie KI arbeiten wir in Zusammenhängen, die vor zehn Jahren noch nicht vorstellbar waren. Anspruchsvolle neue Aufgabenfelder, die weit über das hinausgehen, was ich damals nach meinem Studium kennengelernt habe.«