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Trugbild: Zündeln für Reichweite
Wir befinden uns im Schwitzkasten der Polarisierung. Meinungsmacher und Moral-Apostel machen den „Kulturkampf“ zum schaurig-schönen Spektakel – manchmal bis zur Unerträglichkeit für das Publikum.
Der Soziologe Steffen Mau bezeichnet die lautesten Stimmen unter ihnen als „Polarisierungsunternehmer“. Sie politisieren ein „gesellschaftliches Thema so, dass es zur Lagerbildung und affektiven Polarisierung beiträgt“.
Ein besonders erfolgreicher Polarisierungsunternehmer ist der Journalist Ulf Poschardt mit seiner aktuellen Wutschrift „Shitbürgertum“, eine Abrechnung mit allem, was er zum linksliberalen Bürgertum zählt. Auf der anderen Seite des Medien-Mainstreams halten Provokateure wie Jan Böhmermann oder Sophie Passmann dagegen.
Sie alle empören sich über die Empörung der anderen. Für die Polarisierungsunternehmer stehen die Schuldigen fest, an der Spitze der Meinungspyramide ist kein Platz für Ambivalenz. Hier geht es um die Platzierung der eigenen Themen – und das Geschäft dahinter.
Persona benennt Target Points
„Du musst deine Persona so bauen, dass sie nicht zu komplex ist, dass sie aber die Target Points klar benennt“, beschreibt Poschardt im Podcast der Finanz-Bros Hoss und Hopf seine Strategie. Die „Persona“ ist hier als eine für die Öffentlichkeit angelegte Rolle zu verstehen.
Wer seine Persona richtig inszenieren will, hat wenig bis keinen Spielraum für Abweichungen von seinen Themen. Für die Benennung der „Target Points“ muss die eigene Integrität also zwangsläufig leiden.
Damit ist die Suppe der US-amerikanischen Medienlandschaft mit ihrem Hang zum Spektakel endlich auch nach Deutschland übergeschwappt.
Polarisierung generiert Klicks
Beflügelt von der Reichweite der amerikanischen Vorbilder machen nun auch im deutschsprachigen Raum bizarre Figuren Karriere. Dazu gehören beispielsweise der „Ketzer der Neuzeit“, nach eigener Aussage ein „Christ, der sein Ding macht“, Ernährungs-Creator Fabian Kowallik aka „Exiled Medic“ oder eben Hoss und Hopf.
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Fesselnde Geschichten brauchen Konflikte und Widersprüche. Starke und schrille Meinungen wirken besonders berichtenswert. Das kennen wir zur Genüge von Trump. Je abstruser die Inhalte und je verrückter die Persona, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, von bereits etablierten Medienakteuren aufgegriffen zu werden.
In diesem Spiel braucht der eine also den anderen. Jan Böhmermann etwa hat durch einen kritischen Videobeitrag über den Youtuber Clownswelt ebenjenem tausende neue Follower beschert. Das Antwortvideo (1,4 Mio.) von Clownswelt hat beinahe genauso viel Klicks wie Böhmermanns Original (1,8 Mio.) generiert. Es ist das mit großem Abstand meistgeklickte Video auf dem Kanal.
Provokation und Polemik
Der von Poschardt und Konsorten wütend angegangene „Meinungskorridor“ der „Cancel Culture“ ist längst zum offenen Feld geworden – und dort ist nun massig Platz für Inhalte aller Art. Entsprechend ist auch Poschardts Büchlein über das „Shitbürgertum“ weniger ein riskanter Versuch, gegen die angeblich uneinnehmbare Festung der „woken“ Meinungselite anzukämpfen, als vielmehr ein Produkt, das zum günstigen Zeitpunkt einen bestimmten Zeitgeist trifft.
Für Persona und Target Points provoziert Poschardt gezielt mit dem Abfeiern seiner Helden Trump („Instinktpolitiker mit unverwechselbarem Verständnis politischer Kommunikation“), Musk („Chefentbürokratisierer“) oder Milei („mutiger Mann, der den Lauf der Welt ändert“).
Poschardts Polemiken stehen damit auch in der Tradition einer Gruppe vermeintlich aktivistischer Akteure in den sozialen Medien, die dort auf dem Empörungsniveau der Bild-Zeitung gegen alles austeilen, was nicht in das eigene begrenzte Weltbild passt.
Qualität vor Labeling
Und auch wenn die ein oder andere von den Polarisierungsunternehmern ausgeteilte Backpfeife eine empfindliche Stelle trifft, nutzen sie dieselben Strategien wie ihre politischen Antagonisten im Debattenzirkus. „Gebetsmühlenhaft wiederholen sie immer wieder dieselben Phrasen, die ihren ideologischen Kern nur unzulänglich verbergen“, wirft Poschardt den „Shitbürgern“ vor – und spiegelt sich selbst in diesem Bild, wenn er gegen den so verhassten „Staat“ anschreibt.
Die simplen und egozentrischen Botschaften begeistern vor allem diejenigen, die ohnehin schon auf derselben Seite stehen. Alle anderen, und vielleicht auch die für einen „echten“ Diskurs interessanteren Leser, wenden sich entweder direkt ab oder lassen sich zur Weißglut treiben. Beides verstärkt wiederum die Polarisierung.
Wenn sich einer der mächtigsten Medienmenschen des Landes als „kleiner rebellischer Punk“ inszeniert und sich eine Champagnerfeministin aus bürgerlichem Haushalt nicht um Klassenunterschiede schert, läuft etwas falsch. Jenseits von pseudoaktivistischen Labeln und Signalen könnte man die Inhalte danach ordnen, was im Diskurs eigentlich zählt: Qualität.
Komplexitätsexplosion der Kommunikation
Leider gelten zynische Aussagen heute oft als smart. Zwar schaffen es die Polarisierungsunternehmer mitunter sogar, die drängenden Probleme der Gegenwart zu beschreiben, sie bieten allerdings keine Lösungen an. Ihr „Erfolg“ in der Debattenkultur hängt dabei auch mit der Funktionsweise digitaler Kommunikation auf den sozialen Medien zusammen, wie Nils Kumkar in seinem Buch „Polarisierung“ beschreibt.
Denn soziale Medien verknüpfen zwei Welten, die eigentlich nicht zusammengehören: Die Kommunikation in Echtzeit zwischen Anwesenden und die schriftliche, zeitlich versetzte Kommunikation unter Abwesenden. Auf sozialen Medien laufen die beiden Formen gleichzeitig ab, ohne dass der Sprecher – wie es von Angesicht zu Angesicht möglich wäre – direkt auf seine Gesprächspartner reagieren kann.
Trotzdem fehlt die Möglichkeit, sich Zeit für eine Antwort zu lassen, wie es die schriftliche Kommunikation erlaubt. Da sich der Austausch auf sozialen Medien wie Kommunikation in Echtzeit anfühlt, erwarten Publikum und Gesprächspartner unmittelbare Reaktionen.
Zusätzlich kann auf diesem „Marktplatz der Ideen“ praktisch jeder jederzeit teilnehmen. Diese wilde, entgrenzte Konstellation führt unweigerlich dazu, dass die Komplexität der Kommunikation nahezu explodiert.
Zeigefinger runter
Polarisierung bricht die Komplexität auf und erlaubt einen universellen Anschluss. Laut Kumkar betreiben deshalb auch die meisten Akteure auf der digitalen Bühne in irgendeiner Form Polarisierung und stellen das Publikum damit vor simple Ja-oder-Nein-Wahlen („Grenzen auf oder zu“, „links oder rechts“).
Wenn Polarisierung also unausweichlich ist, bleibt die Themenwahl für den „Wert“ der Kommunikation entscheidend. Um hier filtern zu können, sollte man die Polarisierungsunternehmer als das verstehen, was sie tatsächlich sind: Anbieter einseitiger Entertainment-Produkte, die sich entlang einer banalen Marktlogik ausrichten.
Interessanter sind jene Personen, die das Publikum inspirieren, im besten Fall mit Hoffnung statt Zynismus – und ohne erhobenen Zeigefinger, der entweder nur auf die Sprecher selbst oder streng in die vermeintliche korrekte Richtung weist. Die Poschardts, Pass- und Böhmermanns dieser Welt zählen nicht dazu.