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Ungarn verbietet auch Pride in Pécs


Nach dem Verbot der Pride-Parade in Budapest im Juni gehen ungarische Behörden zum zweiten Mal gegen eine Demonstration für die Rechte queerer Menschen im Land vor. Diesmal trifft es die für Anfang Oktober geplante Pride in der südungarischen Stadt Pécs. Anfang September hat die Polizei die als Versammlung angemeldete Pride untersagt. Die Kúria, das höchste ungarischen Gericht, hat das Verbot inzwischen bestätigt.

Es ist ein Affront gegen Brüssel. Darauf weisen auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Civil Liberties Union und die Ungarische Bürgerrechtsunion hin. In einem Brief von Anfang dieser Woche fordern sie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das nachzuholen, was die EU vor der Budapester Veranstaltung versäumt hat: ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten und beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) sofortige einstweilige Maßnahmen zu beantragen.

Per Gesichtserkennung identifizieren  – wegen einer Ordnungswidrigkeit

Die Verbote basieren auf einer queerfeindlichen Gesetzesänderung, die das ungarische Parlament Anfang dieses Jahres im Eilverfahren verabschiedet hat. Die Änderungen betreffen das Versammlungsgesetz, das Gesetz für Ordnungswidrigkeiten und das Gesetz über den Einsatz von Gesichtserkennungtechnologien.

Sie verbieten effektiv jegliche Veranstaltungen und Versammlungen im öffentlichen Raum, die für die Rechte von queeren oder trans Menschen eintreten und knüpfen an das berüchtigte „Kinderschutzgesetz“ an, mit dem Ungarn bereits seit 2021 queere Minderheiten zum Feindbild macht. Die Teilnahme an solchen Veranstaltungen gilt seither als Ordnungswidrigkeit, auf die ein Bußgeld von bis zu 500 Euro steht.

Weil zugleich das Gesetz für den Einsatz von Gesichtserkennung so verändert wurde, dass Personen nun schon im Fall von Ordnungswidrigkeiten per Gesichtserkennung identifiziert werden dürfen, bedeutet das: Teilnehmende der Demo müssen fürchten, gefilmt, biometrisch identifiziert und anschließend mit einem Ordnungsgeld belegt zu werden.

Eine Abschreckungsmaßnahme, die zumindest im Fall der Budapest Pride nach hinten losgegangen ist. Mehr als 150.000 Menschen kamen schätzungsweise zu der Großdemonstration im Juni, die nach einer Intervention des grünen Budapester Bürgermeisters unter dessen Schirmherrschaft stand. Menschen aus der ganzen Welt reisten an, spektakuläre Bilder von den Massen auf der Donaubrücke gingen um die Welt, die internationale Presse berichtete aus Budapest.

Die Rekordzahlen in Budapest ändern nichts an der Rechtslage

Schon damals war klar: Der Triumph über Viktor Orbáns queerfeindliches Verbot, so psychologisch wichtig er sein mochte, ändert nichts an der Rechtslage in Ungarn. Kommende Pride-Veranstaltungen würden vom neuen Gesetz ebenso betroffen sein. Für einige ist die Messlatte jetzt also: Wird sich für die verbotene Pride in Pécs, Ungarns fünftgrößte Stadt mit rund 140.000 Einwohner*innen, ebenso viel Aufmerksamkeit mobilisieren lassen.

Eine Rückendeckung des Bürgermeisters, wie in Budapest, ist in Pécs nicht zu erwarten. Attila Péterffy (parteilos) hatte vergangene Woche angekündigt, der Einladung der Veranstalter zu folgen und eine Rede auf der Eröffnung des parallel stattfindenden Festivals für Menschenrechte zu halten, was er auch tat. An der Demonstration selbst werde er hingegen nicht teilnehmen.

Die Pécs Pride wird seit 2021 von der Organisation Divers Youth Network ausgerichtet und findet traditionell als Abschluss des Festivals für Menschenrechte in der südungarischen Stadt statt. In der Vergangenheit war es eine überschaubare Demonstration. Die Zahl der Teilnehmenden bewegte sich um die Marke von etwa 1000 Teilnehmenden. Dieses Jahr werden jedoch, wie in Budapest, Rekordzahlen erwartet. Wieder wollen ausländische Politiker*innen und EU-Parlamentarier*innen teilnehmen. Die Veranstalter*innen haben angekündigt, die Versammlung werde trotz Verbot wie geplant stattfinden.

„Diese Entscheidung ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Machthaber versuchen, mit rechtlichen Mitteln die Ausübung grundlegender Freiheitsrechte einzuschränken und das Recht auf friedliche Versammlung zu unterbinden“, schreiben sie auf Facebook zur Entscheidung des obersten Gerichtshofes. Nun gehe es darum, „gemeinsam für Gleichheit, Akzeptanz und Freiheit einzutreten“.

Auch die Ungarische Bürgerrechtsunion TASZ fordert zur Teilnahme auf und hat gemeinsam mit anderen Organisationen einen Leitfaden zu rechtlichen Fragen rund um die Demo veröffentlicht. Darin warnen die Jurist*innen auch vor dem Einsatz von Gesichtserkennung. In Ungarn gilt ebenso wie in Deutschland ein Vermummungsverbot, Masken oder Schals über dem Gesicht zu tragen ist daher verboten.

Gesichtserkennung in Ungarn verstößt gegen EU-Gesetze

Selbst in ihrer großzügigsten Auslegung lässt das KI-Regelwerk diesen Einsatz von Gesichtserkennung nicht zu

Zum Affront gegen die EU wird die Sache nicht nur, weil Orbáns Regierung mit dem Gesetz offensiv die Rechte von queeren Minderheiten im Land beschneidet und damit gegen die Grundrechtscharta der Union verstößt. Der Einsatz von Gesichtserkennung auf einer Demonstration zur Identifikation von Teilnehmenden ist auch ein klarer Verstoß gegen die neue KI-Verordnung, ein Gesetz, das erst im vergangenen Jahr verabschiedet wurde und dessen Verbote nun nach und nach greifen.

Die biometrische Identifikation aus der Ferne, vor allem in Echtzeit, war bei der jahrelangen Verhandlungen um das Gesetz einer der größten Streitpunkte. Kritiker*innen warnten vor den Gefahren für die Demokratie, wenn Staaten in die Lage versetzt werden, Menschen etwa auf Demonstrationen zu identifizieren.

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Am Ende stand ein Kompromiss, laut dem der Einsatz dieser Technologien für wenige Fälle erlaubt sein soll. Auf der Liste stehen etwa Terrorverdacht oder Straftaten, auf die mindestens vier Jahre Gefängnis stehen. Eine Ordnungswidrigkeit wie in Ungarn ist, wie man es auch dreht und wendet, davon nicht abgedeckt.

In ihrem Brief an die EU-Kommission gemeinsam mit der Civil Liberties Union weist die TASZ auf diesen Umstand hin: Das Gesichtserkennungssystem, mit dem die ungarische Polizei arbeite, sei in der Lage, Personen auch binnen kürzester Zeit zu identifizieren und falle deswegen klar in die Kategorie der Echtzeit-Systeme.

Die EU solle nun endlich das tun, was im Vorlauf der Budapester Veranstaltung nicht passiert ist: ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten und beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einstweilige Maßnahmen beantragen.

„Es geht um die Freiheit“

Bald urteilt der Gerichtshof der Europäischen Union

In Brüssel brodelt es um den Fall, die Kommission prüft derzeit laut eigenen Angaben, ob das ungarische Gesetz gegen EU-Vorgaben verstößt. In einer Parlamentsdebatte im Juni sagte der Justizkommissar Michael McGrath, die Budapester Pride sei keine Gefahr für Kinder.

Vor einem anderen EU-Gericht, dem Gerichtshof der Europäischen Union, wird derweil das Urteil zur Klage gegen Ungarn queerfeindliches Gesetz von 2021 erwartet, das den Zugang zu Darstellungen von Queerness einschränkt. Die EU-Kommission, 16 EU-Länder und das EU-Parlament hatten Ungarn verklagt, Menschenrechtsorganisationen sprechen vom „größten Menschenrechtsfall in der Geschichte der EU“.

Im Juni gab die Generalanwältin des Gerichtshofs, Tamara Ćapeta, ihre Stellungsnahme ab, die als wegweisend für das finale Urteil der Richter*innen gilt. Sie sagt, Ungarn verstößt mit dem Gesetz gegen EU-Recht und die in den Verträgen verankerten Werte der EU. Folgt das Gericht ihrer Einschätzung, könnte es anordnen, das Ungarn das Gesetz zurücknimmt oder Strafen verhängen.



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