Wie sich Agenturen neuesten Herausforderungen stellen › PAGE online
»Wer Prozesse digitalisiert, schafft die Grundlage für wirtschaftliche Steuerung und damit für echte Wettbewerbsfähigkeit.« Im Interview erklärt uns Digitalisierungsexperte Ante Spittler, warum die Digitalisierung so oft schwierig ist – und gibt Tipps, wie Agenturen es besser angehen können.
Digitalisierungsexperte Ante Spittler
Die Herausforderungen der Agentur- und Kreativbranche sind immer schon vielschichtig gewesen, aber aktuell ist es besonders tricky: von Digitalisierungsproblemen über Margendruck bis hin zu wenig effizienten Finanzprozessen.
PAGE hat Digitalisierungsexperte Ante Spittler Fragen dazu gestellt. Es geht vor allem um die Digitalisierung der eigenen internen Prozesse, meint er.
Das sei zwar nicht immer ganz einfach – aber machbar, wenn man Finance nicht isoliert betrachtet.
PAGE: Was sind aktuell die Hauptgründe, warum Agenturen zu kämpfen haben? Es gibt ja derzeit leider sehr viele Insolvenzmeldungen.
Ante Spittler: Viele Agenturen sind in den letzten Jahren in eine Art Dauerstress geraten. Sie müssen immer schneller liefern, immer mehr Kanäle bespielen – aber mit denselben oder sogar schrumpfenden Margen arbeiten. Hinzu kommt, dass viele Strukturen historisch gewachsen und nie konsequent digitalisiert worden sind. Während Kunden längst mit datengetriebenen Prozessen und KI-Tools arbeiten, laufen in den Agenturen selbst viele Abläufe noch manuell: Freigaben per E-Mail, Budgets in Excel, Belege per Chat oder Slack.
Das führt zu Reibungsverlusten, die intern kaum sichtbar sind, aber enorme Wirkung haben. Gerade im Finanzbereich summiert sich das: Zahlungen verzögern sich, Forecasts sind ungenau, Projektmargen werden zu spät erkannt. Diese Ineffizienz trifft auf steigende Fixkosten, längere Zahlungsziele und eine zunehmend angespannte Auftragslage. Die Folge ist ein gefährlicher Mix aus operativer Überlastung und finanzieller Unsicherheit. Wer das nicht in den Griff bekommt, verliert – nicht wegen fehlender Kreativität, sondern wegen fehlender Struktur.
Warum stehen die Margen so stark unter Druck?
Der Margendruck entsteht heute von zwei Seiten. Zum einen hat sich das Marktumfeld mit knapperen Budgets, härter umkämpften Pitches und stärker vergleichbaren Leistungen spürbar für Agenturen verändert. Trotz der steigenden Komplexität bleiben viele Honorarmodelle fix, während die Erwartungen steigen.
Zum anderen entscheiden die internen Finanzprozesse, wie gut Agenturen mit diesem Umfeld umgehen können. In vielen Teams sind Workflows historisch gewachsen, aber heute nicht mehr skalierbar: Budgets werden in verschiedenen Tools gepflegt, Ausgaben laufen dezentral, Belege fehlen oder kommen zu spät, Rechnungen werden manuell geprüft. All das führt zu Mehraufwand, der in einem Margen-armen Geschäft sofort ins Gewicht fällt – besonders bei hybriden Teams mit Freelancer:innen oder Remote-Strukturen.
Ein großes Problem ist die zeitversetzte Kostentransparenz. Wenn Projektkosten erst Wochen später sichtbar werden, sind Gegenmaßnahmen kaum noch möglich. Automatisierung schafft hier Entlastung: Digitale Freigaben, Echtzeit-Budgets und saubere Schnittstellen zur Buchhaltung sorgen dafür, dass Daten sofort zur Verfügung stehen. Das macht Margen planbarer, schützt vor Überraschungen und schafft den Freiraum, den Agenturen in einem herausfordernden Markt dringend brauchen.
Gibt es da einige alltägliche Beispiele aus dem Agenturalltag – wie zum Beispiel bei Finanz- und Projektprozessen?
Das fängt oft bei den kleinen Dingen an. Ein:e Projektleiter:in leitet eine Rechnung per E-Mail weiter, die im Postfach eines Kollegen hängen bleibt. Oder Belege werden gesammelt, aber erst am Monatsende hochgeladen – dann fehlt die Hälfte und jemand aus der Buchhaltung muss tagelang nachfassen. Viele Agenturen nutzen noch geteilte Firmenkreditkarten, über die mehrere Mitarbeitende einkaufen. Am Monatsende weiß niemand mehr genau, welche Buchung zu welchem Kundenprojekt gehört. Das führt zu Rückfragen, doppelten Abstimmungen und Fehlern in den Forecasts.
Auch Budgets werden häufig in Excel gepflegt, während Projektmanagement-Tools und Buchhaltungssysteme separat laufen. Es gibt also keinen einheitlichen Datenfluss. Das Ergebnis sind unvollständige Reports und verspätete Monatsabschlüsse. Und das alles in einer Branche, in der Geschwindigkeit eigentlich der entscheidende Erfolgsfaktor ist. Ich sehe hier kein Problem mangelnder Kompetenz – sondern ein strukturelles. Agenturen improvisieren hervorragend für Kunden, aber zu oft im eigenen Backoffice.
Viele der Herausforderungen laufen demnach aufs Thema Digitalisierung im weitesten Sinne hinaus. Und jetzt ist auch noch KI da, was sicherlich on top herausfordernd ist. Oder?
Absolut. KI ist für viele ein zusätzlicher Katalysator – sie macht sichtbar, wie fragmentiert die Systemlandschaft vieler Agenturen tatsächlich ist. KI kann aber nur dort sinnvoll wirken, wo Daten verbunden und Prozesse durchgängig sind. Stecken Freigaben in E-Mails, liegen Budgets in Excel und erfolgen Buchungen manuell, fehlt jeder KI die notwendige Grundlage. Genau deshalb ist die aktuelle KI-Debatte auch eine Chance: Sie zwingt Agenturen, ihre Infrastruktur zu modernisieren und Datenflüsse zu vereinheitlichen. Erst wenn Finanz- und Projektdaten in Echtzeit vorliegen, lassen sich KI-Anwendungen produktiv nutzen – etwa in der Ausgabenprognose, der Budgetsteuerung oder im Cashflow-Management. Gleichzeitig kann KI selbst helfen, diese Datenbasis aufzubauen.
Wie können Agenturen versuchen, mehr Transparenz über Kundenbudgets zu schaffen? Und welche Rolle spielen künftig automatisierte Prozesse für die Wettbewerbsfähigkeit?
Transparenz entsteht, wenn Daten fließen. In vielen Agenturen sind Finanzinformationen über mehrere Tools verteilt – Buchhaltung, Projektmanagement, Einkauf. Automatisierung verbindet diese Punkte. Wenn Budgets, Rechnungen und Zahlungen automatisch miteinander verknüpft und Transaktionen direkt den richtigen Sachkonten zugeordnet werden, entsteht ein Echtzeitbild über alle Projekte hinweg. Teams sehen sofort, welche Ausgaben bereits gebucht, freigegeben oder noch offen sind.
CFOs können Forecasts erstellen, ohne Daten manuell zusammenzuführen. Und Projektleitungen erkennen früh, wenn ein Kunde über oder unter Budget liegt. Entscheidungen werden so faktenbasiert statt gefühlsgesteuert. In der Praxis führt das nicht nur zu weniger Abstimmung, sondern auch zu mehr Vertrauen zwischen Teams – weil alle dieselben Zahlen sehen. Wichtig ist dabei: Automatisierung ersetzt keine Kontrolle, sie ermöglicht sie erst. Wer Prozesse digitalisiert, schafft die Grundlage für wirtschaftliche Steuerung und damit für echte Wettbewerbsfähigkeit.
Gibt es weitere Tipps oder hilfreiche Hinweise für Agenturen?
Ich empfehle Agenturen, Digitalisierung nicht als IT-Projekt zu sehen, sondern als Organisationsentwicklung. Kleine, gezielte Schritte wirken oft stärker als große Umbrüche – zum Beispiel die Einführung virtueller, projektgebundener Firmenkarten, klarer Freigabe-Workflows oder einer Echtzeitverfolgung von Budgets. Solche Maßnahmen ermöglichen eine dezentralere und kontinuierlichere Buchhaltung: Ausgaben werden dort erfasst, wo sie entstehen, und Verantwortlichkeiten werden sinnvoll verteilt. Das entlastet Finance, stärkt die Teams und macht Ausgabensteuerung überhaupt erst alltagstauglich.
Wichtig ist auch, Finance nicht isoliert zu betrachten, sondern als Partner der Kreativ- und Projektteams. Wenn Controlling und operative Teams auf dieselben Daten zugreifen, entsteht Transparenz und Vertrauen. Langfristig sollten Agenturen ihre Finanzprozesse genauso konsequent optimieren wie ihre Kundenkampagnen, denn wirtschaftliche Stabilität ist die Grundlage für kreative Freiheit. Digitalisierung bedeutet dabei nicht, Menschen zu ersetzen, sondern sie von Routinen zu befreien – damit sie sich auf das konzentrieren können, was Agenturen wirklich ausmacht: Ideen entwickeln statt Belege suchen.