Connect with us

Datenschutz & Sicherheit

Elektronische Fußfesseln sollen Täter*innen auf Abstand halten


Künftig sollen Familiengerichte bundesweit elektronische Fußfesseln anordnen können, um gewaltsame Täter*innen auf Abstand zu halten. Auf das Vorhaben hatte sich die schwarz-rote Regierung bereits im Koalitionsvertrag geeinigt. Nun hat das Justizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt.

Die Fußfessel soll dabei helfen, Annäherungsverbote durchzusetzen, etwa bei häuslicher Gewalt. Die Geräte haben einen GPS-Sender und werden am Bein befestigt, beispielsweise bei einem gewaltsamen Ex-Partner. Sobald er sich etwa einer bedrohten Ex-Partnerin nähert, soll ein Alarm ausgelöst werden.

Eine solche Maßnahme gibt es bereits in einzelnen Bundesländern sowie in Spanien. Deshalb ist oft die Rede vom „spanischen Modell“. Die Ampel-Regierung hatte Ende 2024 eine bundesweite Regelung auf den Weg gebracht, aber nicht beschlossen. Fachleute lehnen die elektronische Fußfessel zwar nicht ab, verweisen aber auf den weitaus größeren Handlungsbedarf beim Gewaltschutz.

Elektronische Fußfesseln: So soll das ablaufen

Die Grundlage für elektronische Fußfesseln ist das Gewaltschutzgesetz. Es soll Menschen schützen, die bereits Gewalt erfahren haben, etwa Partner*innen oder Kinder. Demnach können Familiengerichte Täter*innen verbieten, sich einer Person erneut zu nähern. Die Fußfessel soll das nach Plänen des Justizministeriums kontrollieren und weitere Übergriffe durch einen Alarm verhindern.

Nicht nur Täter*innen sollen einen Peilsender bekommen. Auch zu schützende Personen können – auf eigenen Wunsch – ein Empfangsgerät tragen. Dann erhalten sie selbst eine Warnung, sobald der angeordnete Mindestabstand unterschritten wird.

Kommt es zu einem Alarm, landet er bei einer zentralen Anlaufstelle, etwa der HZD (Hessische Zentrale für Datenverarbeitung) oder der GÜL (Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder). Dort müssen die Angestellten je nach Kontext eine Entscheidung treffen: Ist es ein technischer Fehlalarm? Sollten Täter*in oder Opfer kontaktiert werden? Muss die Polizei direkt vor Ort einschreiten?

Das Justizministerium rechnet damit, dass die Fußfesseln vor allem bei Partnerschaftsgewalt zum Einsatz kommen; also bei Menschen, die aktuell in einer Beziehung sind oder sich getrennt haben. Möglich sein sollen Fußfesseln allerdings auch im Eltern-Kind-Verhältnis, bei Stalking oder Konflikten unter Nachbar*innen.

Die Anordnung für elektronische Fußfesseln soll zunächst für sechs Monate gelten und sich danach beim Familiengericht um jeweils drei Monate verlängern lassen. Eine Strafandrohung soll verhindern, dass Täter*innen die Fußfessel ablehnen, entfernen oder zerstören. Das geplante Strafmaß ist eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.

Kritik am begrenzten Nutzen

Die zentrale Kritik an elektronischen Fußfesseln ist ihr begrenzter Nutzen. So rechnet das Justizministerium selbst aufgrund bisheriger Erfahrungen damit, dass die elektronische Fußfessel bei jährlich 160 Fällen zum Einsatz kommt.

Allerdings gab es im Jahr 2023 rund 256.000 dokumentierte Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland. Das entspricht in etwa einem neuen Fall alle zwei Minuten. Besonders betroffen sind Frauen. Sie machen mehr als zwei Drittel der Betroffenen aus. 155 Frauen sind 2023 durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet worden.

Auf Anfrage von netzpolitik.org zeigt sich der Verein Frauenhauskoordinierung skeptisch zu den Plänen für Fußfesseln. Der Verein unterstützt die bundesweit 280 Frauenhäuser und mehr als 285 Fachberatungsstellen. „Bevor neue Maßnahmen eingeführt werden, sollten die bereits geltenden Rechtsinstrumente voll ausgeschöpft werden“, schreibt eine Sprecherin. So würden Richter*innen und Polizist*innen die Frauen nicht immer ernst nehmen; bei Verfahren würden gründliche Prüfungen fehlen.

Nur ein Bruchteil der Bewohnerinnen von Frauenhäusern (10 Prozent) würde überhaupt Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz stellen. „Es bräuchte nicht nur mehr Personal, sondern vor allem intensiv und besser geschultes Personal – bei Polizei, Gerichten und Jugendämtern“, schreibt die Sprecherin.

Der oft zitierte Vergleich mit dem spanischen Modell greife zu kurz. „Dort werden gewaltbetroffene Frauen ganz anders begleitet – mit kontinuierlichen Kontrollanrufen, Polizeibesuchen und engmaschiger Überwachung der Gefährdungslage“, erklärt die Sprecherin. Diese Infrastruktur fehle in Deutschland vollständig.

Wir sind ein spendenfinanziertes Medium

Unterstütze auch Du unsere Arbeit mit einer Spende.

Ähnliche Kritik übte der Deutsche Juristinnenbund (djb) zu einem ähnlichen Gesetzentwurf der Union aus dem Jahr 2024. Der Einsatz der Fußfessel sei nur „eine situationsbezogene, kurzfristige Form der Prävention“, heißt es in einer 15-seitigen Stellungnahme. Weder würde die Maßnahme die Ursachen der Gewalt adressieren, noch langfristigen Schutz gewähren. Nur selten könnten von Gewalt betroffene Frauen und Kinder eine Wohnung alleine nutzen. Das heißt: Vielen fehlt die Möglichkeit, einfach so auf Abstand zum Täter zu gehen. Das Fazit der Jurist*innen: Der flächendeckende Ausbau von Beratungsstellen und Schutzunterkünften sei „unabdingbar“.

Wie viel Geld ist dem Staat der Gewaltschutz wert?

Dass elektronische Fußfesseln allein nicht genügen, ist dem Justizministerium offenbar bewusst. Der Gesetzentwurf sieht weitere Maßnahmen zum Gewaltschutz vor. So sollen Familiengerichte auch Täter*innen zu Anti-Gewalt-Trainings verpflichten können. Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten soll das neue Gesetz zudem überprüft werden. Weitere Maßnahmen seien geplant, teilt das Ministerium mit, etwa im Sorge- und Mietrecht.

Zum Nutzen der Maßnahmen äußert sich das Justizministerium teils irreführend. In der Pressemitteilung zum Gesetzentwurf heißt es etwa: „Die Justiz soll häusliche Gewalt besser verhindern können“ und „Jeder Fall von häuslicher Gewalt ist einer zu viel.“ Aber die vorgeschlagenen Maßnahmen – Fußfesseln und Anti-Gewalt-Trainings – greifen erst, nachdem es bereits zu Gewalt gekommen ist. Nur wenn Betroffene die Ressourcen haben, Hilfe beim Familiengericht zu suchen, können die Neuerungen weitere Gewalt verhindern.

Der Knackpunkt beim Gewaltschutz sind die Kosten. Wie viel Geld ist es dem Staat wert, Menschen, insbesondere Frauen, vor Gewalt zu schützen? Immer wieder beklagen Fachleute: Es gebe nicht genug Hilfe für alle, die Hilfe benötigen; die Finanzierung sei unsicher. Schätzungen zufolge fließen ins Hilfesystem aus Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen jährlich rund 270 Millionen Euro. Nötig seien allerdings 1,6 Milliarden Euro, wie der Verein Frauenhauskoordinierung festhält. Zum Vergleich: Für die neuen, elektronischen Fußfesseln rechnet das Justizministerium mit jährlich laufenden Kosten von rund 11 Millionen Euro.

Eine weitere konkrete Hochrechnung liefert der Verein Frauenhauskoordinierung in seiner bundesweiten Statistik für das Jahr 2023. Demnach gebe es in Deutschland rund 7.700 Plätze in Frauenhäusern; benötigt würden aber rund 21.000. Das heißt, der Bedarf ist nur zu rund einem Drittel gedeckt.

Im Februar hatten sich Bundestag und Bundesrat auf ein Gewalthilfegesetz geeinigt. Darin steht ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt für Frauen und ihre Kinder. Für die Umsetzung wurde den Ländern viel Zeit eingeräumt: Der Anspruch soll erst 2032 in Kraft treten.



Source link

Datenschutz & Sicherheit

Qantas-Kundendaten tauchen nach Cyberangriff im Netz auf


Nach einem Cyberangriff bei der australischen Airline Qantas im Juli sind jetzt Kundendaten im Netz aufgetaucht. Gemeinsam mit den Ermittlungsbehörden versucht das Unternehmen aktuell noch zu ermitteln, um welche Daten genau es sich handelt. Experten ordnen die Ereignisse bei Qantas dem Cybercrime-Kollektiv Scattered Lapsu$ Hunters zu, das zuletzt eine Reihe von Großunternehmen heimsuchte.

5,7 Millionen Kundendaten waren bei Qantas Anfang Juli gestohlen worden. Größtenteils handelt es sich dabei um Namen, E-Mail-Adressen und Vielfliegerdaten. Ein kleinerer Teil der betroffenen Kundendaten umfasst aber auch Geschäfts- oder Privatadressen sowie Geburtsdaten, Telefonnummern, Geschlecht und Essenspräferenzen, teilte Qantas am Samstag mit. Kreditkartendaten oder Passwörter seien aber nicht betroffen. Vielflieger müssten sich keine Sorgen um ihre Bonuspunkte machen, versichert das Unternehmen in einer Kundeninformation.

Am New South Wales Supreme Court, einem der obersten australischen Gerichtshöfe, hat die Airline nun eine einstweilige Verfügung erwirkt, welche den Zugriff auf und die Veröffentlichung der geleakten Daten untersagt. Was die mutmaßlichen Akteure hinter dem Angriff aber kaum abhalten dürfte: Es gibt Hinweise, dass es sich hierbei um Scattered Lapsu$ Hunters handelt. Ein Konglomerat von Cybercrime Gangs, das aktuell 39 namhafte Unternehmen auf einer Leaksite im Darknet erpresst. Sie fordern unter anderem Google Adsense, Salesforce, Adidas auf, ein Lösegeld zu verhandeln. Ansonsten wollen die Täter zuvor erbeutete Daten veröffentlichen.

Der australische IT-Sicherheitsexperte Troy Hunt ist der Schöpfer von haveibeenpwnd.com. Mit der Seite lässt sich einfach herausfinden, ob die eigene Mailadresse schon einmal Teil eines Datenlecks bei einer Website war und dortige Login-Daten in die Hände von Cyberkriminellen gefallen sein könnten. Jetzt erwischte es Hunt selbst, wie er dem australischen Fernsehsender ABC News bestätigte: Die Mailadresse, die er in einem Qantas-Kundenaccount hinterlegt hat, sei auch Teil der kursierenden Kundendaten.

Allerdings dürfte der Schaden sich in Grenzen halten: Hunt nutzte die betroffene Adresse demnach ausschließlich für Qantas. Eine gängige Praxis unter IT-Sicherheitsexperten: Eine Mailadresse anlegen, die ausschließlich für den Account auf einer bestimmten Webseite dient – wenn hier zum Beispiel plötzlich fremde Mails eintreffen oder die Adresse in völlig anderen Leaks auftaucht, kann das Hinweise auf Kompromittierungen beziehungsweise die Zusammensetzung fremder Datenleaks liefern.

Auf einer Website, wo die Qantas-Daten zunächst zum Download bereitstanden, sind sie Hunt zufolge entfernt worden. Möglicherweise auf Verfügung des Gerichts. „Aber sie sind bereits in Tausenden von Händen und werden wahrscheinlich einfach auf einen neuen Dienst hochgeladen“, sagte er. Der sprichwörtliche Geist sei aus der Flasche. Er rät betroffenen Qantas-Kunden, noch wachsamer gegenüber möglichen Phishing-Versuchen zu sein – je mehr ein Bedrohungsakteur über sein Opfer weiß, desto besser könne er seine Phishing-Angriffe zuschneiden.


(nen)



Source link

Weiterlesen

Datenschutz & Sicherheit

Degitalisierung: Wut


Wenn Menschen sehr wütend sind, gehen sie oft irrationale Wege. Das ist aber nicht immer hilfreich, wenn es darum geht, Probleme gut zu lösen. Was diese Dynamik mit der Diskussion um Chatkontrolle zu tun hat, erklärt unsere Kolumnistin Bianca Kastl.

Mensch rennt im Schnee und zieht Feuer hinter sich her.
– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Alexander JT

Die heutige Degitalisierung wird sich mit der Wirkung von Wut beschäftigen müssen, mit Furor. Denn Wut ist ein Momentum, das uns immer wieder dazu bringt, dass vermeintlich gut gemeinte Ideen katastrophale Folgen haben können. Um das Konzept mit der Wut und seine Wirkung besser zu verstehen, hilft es vielleicht, einen Blick in die Filmgeschichte zu werfen.

Im Jahr 1936 erzählte der zuvor aus Nazideutschland emigrierte Filmregisseur Fritz Lang in „Blinde Wut“ die Geschichte des unschuldig verhafteten Joe Wilson, gespielt von Spencer Tracy. Wegen der vermeintlichen Entführung eines Kindes wird er beinahe von einem aufgebrachten Lynchmob ermordet. Die Menge stürmt das Gefängnis, in dem Joe inhaftiert ist, setzt es in Brand und am Ende kann Joe nur um ein Haar lebend entkommen. Für tot gehalten, schmiedet Joe Rachepläne – und irgendwo gegen kurz vor Schluss wäre es fast ein brillanter Film geworden, hätte Hollywood nicht noch ein typisch kitschiges Ende anfügen müssen.

Fritz Langs Film kann uns dabei helfen, zu verstehen, aus welchen Motiven Menschen durch starke Gefühle wie Wut oft irrationale Wege gehen. Dass kann sogar so weit gehen, dass es ihnen nach Rache oder sogar Lynchmord gelüstet. Gleichzeitig sollte uns der Film aber auch genau deshalb eine Lehre sein, gerade nach besonders schrecklichen Ereignissen unsere Entscheidungen und die Abwägung ihrer Folgen nicht von starken Emotionen leiten zu lassen.

Zerfetzte Seelen

Oftmals fällt es leichter, den eigenen Irrweg im Hier und Heute neutraler zu betrachten, wenn dazu Beispiele verwendet werden, die doch etwas aus der Zeit gefallen sind. Das kann ein Film in Schwarz-Weiß von 1936 sein oder eben ein netzpolitisches Beispiel aus dem Jahr 2009. Ursula von der Leyen, heute Präsidentin der Europäischen Kommission, damals Familienministerin, versuchte ein digitalpolitisches Ungetüm namens „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (oder etwas kürzer Zugangserschwerungsgesetz) voranzutreiben.

Das Konzept des Gesetzes war mehr oder weniger: Es sollte eine vom BKA verwaltete Sperrliste mit Webseiten geben, auf denen Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu finden sind. Webseiten auf der Sperrliste würden dann von Internetanbietern geblockt, sofern das Material nicht entfernt werden konnte. Ein Stoppschild für Webseiten, ernsthaft.

Im Vorfeld des Gesetzes wurde an der ein oder anderen Stelle versucht, eine Art wütender Gruppendynamik zu schaffen. Von der Leyen sprach in Interviews von „zerfetzten Seelen“, zeigte Journalist*innen Missbrauchsdarstellungen als Ausdruck der Dringlichkeit und Schwere des Problems und warf Kritikern Zynismus vor. Karl Theodor zu Guttenberg, damals noch nicht mit vollstem Vertrauen versehen, zeigte sich auch schwer betroffen und stellte den Protest gegen Internetsperren gleich auf eine Stufe mit der Ablehnung des Kampfes gegen Darstellungen sexualisierter Gewalt.

Letztlich alles ein Versuch, Wut gegenüber andere Handlungsweisen zu erregen. Wer nicht voll für uns ist, kann nur mit den Menschen sein, die etwas so absolut Inakzeptables wie Kindesmissbrauch betreiben. Jede Maßnahme zur Durchsetzung ist recht, um so etwas Schreckliches durch genau den einen von vielen möglichen Wegen zu verhindern. Seid wütend gegenüber anderen Lösungsvorschlägen, auch wenn andere Lösungen genauso Sicherheit und Gerechtigkeit für alle erreichen wollen.

Die damaligen Methoden von DNS-Sperren waren vergleichsweise minimalinvasiv. Die Anpassung eines DNS-Servers, um Blockierungen durch Internetprovider zu umgehen, war eher Grundkurs Internettechnik und wäre schwerlich zu irgendeiner Art von Zugangserschwerung gut gewesen. Speziell für Menschen, die mit der Verbreitung und Erstellung von Darstellungen sexuellem Missbrauchs klare Straftaten in oftmals voller bösartiger Absicht begehen. Wohl aber hätte es die Basis einer Infrastruktur für Zensur im Internet sein können.

Das Zugangserschwerungsgesetz trat letztlich zwar formal Anfang 2010 in Kraft, so wirklich angewendet wurde es aber nicht und verschwand Ende 2011 wieder still und heimlich.

Was zumindest aber in der Geschichte der deutschen Digitalpolitik blieb: „Zensursula“ und ein erster netzpolitischer Erfolg gegen unsinnige technische Beeinflussung von Internetinfrastruktur.

Schauspielerei

In der Genese des Regelungsvorschlags einer Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, besser bekannt als die heutige Chatkontrolle, wurden dann seit 2022 ebenfalls nicht weniger starke Emotionen gezeigt. Klar, wenn ein Schauspieler wie Ashton Kutcher für Organisationen wie Thorn die löblichen Absichten im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen als oberster Lobbyist bewirbt, dann sind da große Emotionen im Spiel, aber auch seltsame Lobbyverbindungen. Am Ende ging es möglicherweise um weit mehr als das Erkennen von entsprechenden Inhalten.

Für die Erkennung von Missbrauchsdarstellungen wurde Client-Side-Scanning (CSS) vorgeschlagen. Dabei werden bereits auf dem jeweiligen Endgerät Inhalte wie Fotos oder Videos in Messengern oder bei Maildiensten automatisch gegen eine Datenbank bekannter Inhalte abgeglichen. Immer wieder wurde von Befürwortern von Techniken wie dieser große Emotionen geschürt, dass das jetzt notwendig sei und dass wir das unseren Kindern quasi schulden würden. Gerade bei einem so sensiblen und emotionalen Thema wie Kindesmissbrauch müssen wir uns da immer die Frage stellen, ob das, was von diesen Gruppen auch mit viel Emotion getrieben wurde, auch wirklich hilfreich ist.

Viele wiesen in der langen politischen Diskussion um die Chatkontrolle auf Probleme hin. Seien es Hunderte von IT-Expert*innen und Sicherheitsforschenden, Jurist*innen, Datenschützer, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messenger, UN-Vertreter, Kinderschützer, Wächter*innen der Internetstandards, Wissenschaftler*innen weltweit sowie eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft. Immer. Wieder.

Auch jüngst wurde wieder sachlich vorgetragen von Internetunternehmen, Wirtschaftsverbänden, dem Kinderschutzbund und Herstellern von Messengern: Der geplante Weg der Chatkontrolle ist falsch und schädlich.

Es wirkt gerade so, als würde eine kleine politische Gruppe gegen alle Rationalität und wider besseren Wissens das mühsam aufgebaute Gebäude unserer freiheitlich-demokratischen Grundrechte stürmen und in Brand setzen wollen. Bei aller Wut, die dabei bei uns entstehen kann, ist aber die Sachlichkeit des Protests das, was uns zumindest für diese Etappe im Widerstand gegen die Chatkontrolle gut zu Gesicht stand. Oder um es mit Markus zu sagen: Das war ein guter Tag für Grund- und Freiheitsrechte.

Memento

Nach der Wut und ihrem Abklingen zeigte sich diese Woche im Bundestag aber ein durchaus bemerkenswertes Momentum Memento. Die zur Chatkontrolle angesetzte Aktuelle Stunde in dieser Woche war eine Ansammlung diverser Sonderbarkeiten: Eine gesichert rechtsextremistische Partei, die perfiderweise so tut, als wäre das Scheitern der Zustimmung Deutschlands zur Chatkontrolle ihr Erfolg, und Regierungsparteien, die ja schon immer dagegen waren, im Besonderen ausgerechnet der Innenminister mit seinen eigenen Überwachungsfantasien.

Einig war man sich darin, dass es mehr zu tun gibt für den Kinderschutz. Immerhin. Allerdings ist die digitalpolitische Erkenntnis aus der aktuellen Episode um die Chatkontrolle vielleicht etwas arg sanft in der Debatte ausgefallen.

Speziell konservative Parteien wie die Union, aber leider auch die SPD, leben gedanklich immer noch in einer Welt des Internets als Neuland. Eine virtuelle Welt, die von der realen Welt irgendwie losgelöst ist, in der die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung aber immer wieder mit falsch analog gedachten Mitteln versucht wird.

Stoppschilder im Internet? Funktionieren nicht. Weiterhin vertrauliche Kommunikation, wenn in jedem digitalen Endgerät mit erratischen Techniken wie Client-Side-Scanning mitgelesen wird? Gibt es nicht. Und wenn wir schon dabei sind: Es gibt keine Sicherheitslücken oder Überwachungsinfrastrukturen, die bis in alle Ewigkeit nur von den Guten genutzt werden können.

Am Ende bleibt auch auf EU-Ebene leider der Eindruck, dass bei einem so wichtigen Thema wie dem Kampf gegen die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von EU-Politiker*innen wie Ursula von der Leyen oder Ylva Johansson zur Lösung schwieriger digitalpolitischer Probleme nur starke Emotionen vorhanden sind und daraus resultierende digitalpolitische Übersprungshandlungen. Es entsteht der Eindruck, dass diese Lücke der Umsetzungskompetenz von Lobbyorganisationen wie Thorn bösartig ausgenutzt wird.

In der aktuellen Diskussion um die Chatkontrolle war die konservative Kraft – also eine, die sich für die Erhaltung von Grundrechten auch im digitalen Raum einsetzt – keine rein politische. Es war ein eher ungewöhnliches Bündnis aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Betroffenenverbänden. Ein Bündnis, das das Thema Chatkontrolle aus der Digitalbubble heraus erst medial zu dem gesamtgesellschaftlichen Problem erhoben hat, das es nun mal ist. Weil die Regierungsparteien selbst keine klare Haltung finden konnten und ihr – zumindest in der Wahrnehmung nach außen – keine Kompetenzen zugeordnet werden können, Digitalpolitik nach dem eigenen Wertekanon gestalten zu können.

Dieser Mangel an klarer Haltung zu digitalpolitischen Themen und eigener Kompetenz zur adäquaten Problemlösung ist für Parteien in Regierungsverantwortung komplett aus der Zeit gefallen.

Dabei war die Chance eigentlich relativ gut: Ein klares Nein zur Chatkontrolle von Seiten Deutschlands hätte genügt, die fachlichen Begründungen wurden Jahre vorher ja schon massenhaft servierfertig geliefert. Gegen diese momentan vielleicht aufkommende Wut hilft am Ende vor allem eines: eine weiterhin klare Haltung für Grundrechte, auch in der digitalen Welt.

Denn diese klare Haltung für digitale Grundrechte bei der Lösungsfindung digitalpolitischer Problemfelder werden wir weiterhin brauchen, ganz ohne Wut.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.



Source link

Weiterlesen

Datenschutz & Sicherheit

US-Investoren übernehmen Spyware-Hersteller NSO-Group | heise online


Die für ihre Überwachungssoftware Pegasus bekannte NSO-Group wird von einer US-amerikanischen Investorengruppe aufgekauft. Das bestätigt das Unternehmen gegenüber dem Online-Nachrichtenportal TechCrunch. Laut NSO-Sprecher Oded Hershowitz habe „eine amerikanische Investorengruppe Dutzende Millionen Dollar in das Unternehmen investiert und die Kontrollmehrheit erworben.“

Gegenüber TechCrunch betonte er, dass die Investition nichts daran ändere, dass das Unternehmen unter israelischer Kontrolle operiert. Der Hauptsitz verbleibe in Israel und auch die Kernoperationen werden weiter von dort ausgeführt. Die NSU-Group „wird weiterhin vollständig von den zuständigen israelischen Behörden beaufsichtigt und reguliert, darunter das Verteidigungsministerium und der israelische Regulierungsrahmen“, so Hershowitz.

Die genaue Investitionssumme sowie die Identität der Investoren nannte der Sprecher nicht. Spekulationen darüber gibt es aber längst. Wie die israelische Technik-Nachrichten-Seite Calcalist berichtet, stehe eine von dem Hollywood-Produzenten Robert Simonds geführte Gruppe hinter dem Deal. Laut Calcalist hat die Übernahme eine Vorgeschichte. Simonds war demnach offenbar bereits zuvor im Vorstand der NSO-Muttergesellschaft tätig, trat jedoch nach fünf Monaten zurück. Außerdem gebe es Hinweise darauf, dass William Wrigley Jr., ein Erbe des Wrigley-Kaugummi-Imperiums, möglicherweise an den Übernahmeplänen beteiligt ist oder war.

Eigentlich steht das Unternehmen auf der Sanktionsliste des US-Handelsministeriums, das amerikanischen Unternehmen den Handel mit dem Spyware-Anbieter untersagt. John Scott-Railton, ein leitender Forscher am Citizen Lab, der seit einem Jahrzehnt Missbrauchsfälle von NSO-Spyware untersucht, äußerte gegenüber TechCrunch Bedenken zur Übernahme: „NSO ist ein Unternehmen mit einer langen Geschichte, gegen amerikanische Interessen zu handeln und das Hacken amerikanischer Beamter zu unterstützen.“ Er bezeichnete Pegasus als „Diktator-Technik“, die nicht in die Nähe von Amerikanern gehöre.

Laut TechCrunch hatte NSO noch im Mai 2025 mithilfe einer Lobbyfirma mit Verbindungen zur Trump-Administration versucht, von der US-Blockadeliste entfernt zu werden.

Viele Spekulationen zur NSO-Übernahme stehen also im Raum. Das passt zur bisherigen Geschichte, denn seit seiner Gründung steht das Unternehmen im Zentrum zahlreicher Kontroversen. Forschungs- und Journalistengruppen sowie Amnesty International haben über Jahre hinweg dokumentiert, wie die Spionagesoftware Pegasus eingesetzt wurde, um Journalisten, Menschenrechtler und Politiker in unzähligen Ländern auszuspionieren.

Für Aufsehen sorgte in jüngerer Vergangenheit die Auseinandersetzung mit dem Meta-Konzern. Anfang Mai wurde das Unternehmen zur Zahlung von mehr als 167 Millionen US-Dollar (144 Millionen Euro) Schadensersatz an den zum Meta-Konzern gehörenden Messenger-Dienst WhatsApp verurteilt.

WhatsApp verklagte die NSO-Group bereits im Oktober 2019, weil diese angeblich durch unerlaubten Zugriff auf WhatsApp-Server die Spionagesoftware Pegasus auf den Geräten von etwa 1400 Nutzern installiert hatte, darunter eben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.

Die NSO-Group verteidigte sich mit dem Argument, ihre Software diene Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten im Auftrag ausländischer Regierungen zur Bekämpfung von Terrorismus und anderen schweren Verbrechen.


(ssi)



Source link

Weiterlesen

Beliebt