Datenschutz & Sicherheit
Elektronische Fußfesseln sollen Täter*innen auf Abstand halten
Künftig sollen Familiengerichte bundesweit elektronische Fußfesseln anordnen können, um gewaltsame Täter*innen auf Abstand zu halten. Auf das Vorhaben hatte sich die schwarz-rote Regierung bereits im Koalitionsvertrag geeinigt. Nun hat das Justizministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Die Fußfessel soll dabei helfen, Annäherungsverbote durchzusetzen, etwa bei häuslicher Gewalt. Die Geräte haben einen GPS-Sender und werden am Bein befestigt, beispielsweise bei einem gewaltsamen Ex-Partner. Sobald er sich etwa einer bedrohten Ex-Partnerin nähert, soll ein Alarm ausgelöst werden.
Eine solche Maßnahme gibt es bereits in einzelnen Bundesländern sowie in Spanien. Deshalb ist oft die Rede vom „spanischen Modell“. Die Ampel-Regierung hatte Ende 2024 eine bundesweite Regelung auf den Weg gebracht, aber nicht beschlossen. Fachleute lehnen die elektronische Fußfessel zwar nicht ab, verweisen aber auf den weitaus größeren Handlungsbedarf beim Gewaltschutz.
Elektronische Fußfesseln: So soll das ablaufen
Die Grundlage für elektronische Fußfesseln ist das Gewaltschutzgesetz. Es soll Menschen schützen, die bereits Gewalt erfahren haben, etwa Partner*innen oder Kinder. Demnach können Familiengerichte Täter*innen verbieten, sich einer Person erneut zu nähern. Die Fußfessel soll das nach Plänen des Justizministeriums kontrollieren und weitere Übergriffe durch einen Alarm verhindern.
Nicht nur Täter*innen sollen einen Peilsender bekommen. Auch zu schützende Personen können – auf eigenen Wunsch – ein Empfangsgerät tragen. Dann erhalten sie selbst eine Warnung, sobald der angeordnete Mindestabstand unterschritten wird.
Kommt es zu einem Alarm, landet er bei einer zentralen Anlaufstelle, etwa der HZD (Hessische Zentrale für Datenverarbeitung) oder der GÜL (Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder). Dort müssen die Angestellten je nach Kontext eine Entscheidung treffen: Ist es ein technischer Fehlalarm? Sollten Täter*in oder Opfer kontaktiert werden? Muss die Polizei direkt vor Ort einschreiten?
Das Justizministerium rechnet damit, dass die Fußfesseln vor allem bei Partnerschaftsgewalt zum Einsatz kommen; also bei Menschen, die aktuell in einer Beziehung sind oder sich getrennt haben. Möglich sein sollen Fußfesseln allerdings auch im Eltern-Kind-Verhältnis, bei Stalking oder Konflikten unter Nachbar*innen.
Die Anordnung für elektronische Fußfesseln soll zunächst für sechs Monate gelten und sich danach beim Familiengericht um jeweils drei Monate verlängern lassen. Eine Strafandrohung soll verhindern, dass Täter*innen die Fußfessel ablehnen, entfernen oder zerstören. Das geplante Strafmaß ist eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe.
Kritik am begrenzten Nutzen
Die zentrale Kritik an elektronischen Fußfesseln ist ihr begrenzter Nutzen. So rechnet das Justizministerium selbst aufgrund bisheriger Erfahrungen damit, dass die elektronische Fußfessel bei jährlich 160 Fällen zum Einsatz kommt.
Allerdings gab es im Jahr 2023 rund 256.000 dokumentierte Fälle häuslicher Gewalt in Deutschland. Das entspricht in etwa einem neuen Fall alle zwei Minuten. Besonders betroffen sind Frauen. Sie machen mehr als zwei Drittel der Betroffenen aus. 155 Frauen sind 2023 durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet worden.
Auf Anfrage von netzpolitik.org zeigt sich der Verein Frauenhauskoordinierung skeptisch zu den Plänen für Fußfesseln. Der Verein unterstützt die bundesweit 280 Frauenhäuser und mehr als 285 Fachberatungsstellen. „Bevor neue Maßnahmen eingeführt werden, sollten die bereits geltenden Rechtsinstrumente voll ausgeschöpft werden“, schreibt eine Sprecherin. So würden Richter*innen und Polizist*innen die Frauen nicht immer ernst nehmen; bei Verfahren würden gründliche Prüfungen fehlen.
Nur ein Bruchteil der Bewohnerinnen von Frauenhäusern (10 Prozent) würde überhaupt Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz stellen. „Es bräuchte nicht nur mehr Personal, sondern vor allem intensiv und besser geschultes Personal – bei Polizei, Gerichten und Jugendämtern“, schreibt die Sprecherin.
Der oft zitierte Vergleich mit dem spanischen Modell greife zu kurz. „Dort werden gewaltbetroffene Frauen ganz anders begleitet – mit kontinuierlichen Kontrollanrufen, Polizeibesuchen und engmaschiger Überwachung der Gefährdungslage“, erklärt die Sprecherin. Diese Infrastruktur fehle in Deutschland vollständig.
Wir sind ein spendenfinanziertes Medium
Unterstütze auch Du unsere Arbeit mit einer Spende.
Ähnliche Kritik übte der Deutsche Juristinnenbund (djb) zu einem ähnlichen Gesetzentwurf der Union aus dem Jahr 2024. Der Einsatz der Fußfessel sei nur „eine situationsbezogene, kurzfristige Form der Prävention“, heißt es in einer 15-seitigen Stellungnahme. Weder würde die Maßnahme die Ursachen der Gewalt adressieren, noch langfristigen Schutz gewähren. Nur selten könnten von Gewalt betroffene Frauen und Kinder eine Wohnung alleine nutzen. Das heißt: Vielen fehlt die Möglichkeit, einfach so auf Abstand zum Täter zu gehen. Das Fazit der Jurist*innen: Der flächendeckende Ausbau von Beratungsstellen und Schutzunterkünften sei „unabdingbar“.
Wie viel Geld ist dem Staat der Gewaltschutz wert?
Dass elektronische Fußfesseln allein nicht genügen, ist dem Justizministerium offenbar bewusst. Der Gesetzentwurf sieht weitere Maßnahmen zum Gewaltschutz vor. So sollen Familiengerichte auch Täter*innen zu Anti-Gewalt-Trainings verpflichten können. Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten soll das neue Gesetz zudem überprüft werden. Weitere Maßnahmen seien geplant, teilt das Ministerium mit, etwa im Sorge- und Mietrecht.
Zum Nutzen der Maßnahmen äußert sich das Justizministerium teils irreführend. In der Pressemitteilung zum Gesetzentwurf heißt es etwa: „Die Justiz soll häusliche Gewalt besser verhindern können“ und „Jeder Fall von häuslicher Gewalt ist einer zu viel.“ Aber die vorgeschlagenen Maßnahmen – Fußfesseln und Anti-Gewalt-Trainings – greifen erst, nachdem es bereits zu Gewalt gekommen ist. Nur wenn Betroffene die Ressourcen haben, Hilfe beim Familiengericht zu suchen, können die Neuerungen weitere Gewalt verhindern.
Der Knackpunkt beim Gewaltschutz sind die Kosten. Wie viel Geld ist es dem Staat wert, Menschen, insbesondere Frauen, vor Gewalt zu schützen? Immer wieder beklagen Fachleute: Es gebe nicht genug Hilfe für alle, die Hilfe benötigen; die Finanzierung sei unsicher. Schätzungen zufolge fließen ins Hilfesystem aus Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen jährlich rund 270 Millionen Euro. Nötig seien allerdings 1,6 Milliarden Euro, wie der Verein Frauenhauskoordinierung festhält. Zum Vergleich: Für die neuen, elektronischen Fußfesseln rechnet das Justizministerium mit jährlich laufenden Kosten von rund 11 Millionen Euro.
Eine weitere konkrete Hochrechnung liefert der Verein Frauenhauskoordinierung in seiner bundesweiten Statistik für das Jahr 2023. Demnach gebe es in Deutschland rund 7.700 Plätze in Frauenhäusern; benötigt würden aber rund 21.000. Das heißt, der Bedarf ist nur zu rund einem Drittel gedeckt.
Im Februar hatten sich Bundestag und Bundesrat auf ein Gewalthilfegesetz geeinigt. Darin steht ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt für Frauen und ihre Kinder. Für die Umsetzung wurde den Ländern viel Zeit eingeräumt: Der Anspruch soll erst 2032 in Kraft treten.