Datenschutz & Sicherheit
Bundesverfassungsgericht lehnt Beschwerde im Fall Modern Solution ab
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des im Modern-Solution-Prozess angeklagten IT-Experten ohne Begründung abgelehnt. In einer Entscheidung vom 15. September, die heise online vorliegt, heißt es, dass drei Richter und Richterinnen der Dritten Kammer des Zweiten Senats des Gerichtes einstimmig beschlossen haben, dass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird. Damit hat der Fall Modern Solution seit Juni 2021 alle deutschen Gerichtsinstanzen vom Amtsgericht Jülich bis hin zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durchlaufen.
Die Geschichte des freiberuflichen IT-Experten aus Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, der eine Sicherheitslücke in einer E-Commerce-Software der Firma Moden Solution aus Gladbeck im Ruhrgebiet entdeckte und dafür statt einer Belohnung eine Anzeige und Durchsuchung erntete, war von vielen Beobachtern aus der deutschen IT-Branche mit Interesse verfolgt worden. Nicht wenige hatten sich nicht zuletzt von der Verfassungsbeschwerde eine Klärung der diversen Rechtsunsicherheiten im Alltag von IT-Experten und Sicherheitsforschern erhofft. Stattdessen liefert die letztinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln und nun die Ablehnung der Verfassungsbeschwerde das Gegenteil: Der sogenannte Hackerparagraf 202 StGB macht es in Deutschland heikel wie nie, eine gefundene Sicherheitslücke ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
Der Fall Modern Solution: ein modernes Märchen aus Neuland
Die Saga um Modern Solution nahm Ende Juni 2021 ihren Lauf, als die Öffentlichkeit von einer Sicherheitslücke erfuhr, die dazu geführt hatte, dass Namen, Adressen, Kontodaten und weitere Informationen von rund 700.000 Online-Shoppern frei im Internet abrufbar waren. Die Sicherheitslücke befand sich in einer E-Commerce-Middleware der Firma Modern Solution, die es Anbietern von kleineren Online-Shops ermöglichen sollte, ihre Waren in den großen Online-Shops von Kaufland, Otto, Check24 und anderen Unternehmen anzubieten. Modern Solution hatte die Daten aller Einkäufer, die über diese Software an die Betreiber der Modern-Solution-Software übermittelt worden waren, in einer einzigen Datenbank abgelegt. Das Passwort zu dieser Datenbank auf den Servern von Modern Solution war unverschlüsselt in einer ausführbaren Datei der Middleware-Software gespeichert und für alle Modern-Solution-Kunden gleich. Somit war es mit Zugang zu dieser Software, die zu diesem Zeitpunkt frei aus dem Netz heruntergeladen werden konnte, ziemlich einfach möglich, an diese Daten zu gelangen. Bei heise online hatten wir den öffentlichen Zugang zu diesen Daten damals selbst bestätigen können.
Anstatt den Fehler zu beheben, zeigte sich Modern Solution uneinsichtig, weshalb der IT-Berater, der die Lücke entdeckt hatte, diese an einen E-Commerce-Blogger meldete, um den Druck auf das Unternehmen zu erhöhen. Das führte dazu, dass Modern Solution die Lücke schloss, allerdings zeigte man zusätzlich den Berater, der die Lücke gemeldet, und den Blogger, der darüber berichtet hatte, an. Das Verfahren gegen den Blogger wurde eingestellt, bei dem unabhängigen IT-Experten wurde dann im Oktober 2021 allerdings eine Hausdurchsuchung durchgeführt und sein gesamtes Arbeitsgerät beschlagnahmt.
Verfahren in Jülich
Im Juni 2023 war die Staatsanwaltschaft Köln zuerst damit gescheitert, den IT-Berater anzuklagen. Das Amtsgericht Jülich lehnte den Prozess mit der Begründung ab, es liege keine Straftat vor, da die Daten, auf die der Sicherheitsexperte im Zuge seiner Untersuchungen Zugriff hatte, nicht effektiv geschützt gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft Köln ging in Berufung und im Juli 2023 entschied das Landgericht Aachen, der Fall müsse doch in Jülich verhandelt werden. Die Daten seien besonders gesichert gewesen, da ein Passwortschutz vorlag und das „Abrufen“ der Daten „zudem nur nach einer Dekompilierung möglich war“, lautete das Urteil des Landgerichts. „Die Sicherung des Zugangs mittels Passwort reicht als Zugangssicherung aus“, somit sei der Straftatbestand des Hackens erfüllt.
Im Januar 2024 kam es dann schließlich zum Verfahren vor dem beschaulichen Amtsgericht in Jülich. Die Verteidigung stellte sich auf den Standpunkt, der Angeklagte habe eine Software untersucht, die Modern Solution seinem Kunden zur Verfügung gestellt habe, und zwar mit allen dazugehörigen Daten. Er habe somit nur auf Daten zugegriffen, die für ihn bestimmt gewesen seien. Das Gericht schloss sich dieser Argumentation nicht an und sah eine Straftat im Sinne von § 202a StGB als gegeben an.
Die Staatsanwaltschaft hatte einen erheblichen Teil der Beweisaufnahme damit verbracht, dem Angeklagten nachzuweisen, er habe den Programmcode der Software von Modern Solution dekompiliert, um an das Passwort für die Datenbankverbindung zu kommen. Der Angeklagte gab zu Protokoll, die in Frage kommende Datei lediglich mit einem Texteditor betrachtet und so das Datenbankpasswort im Klartext ausgelesen zu haben. Er habe dies in der unmittelbaren Nähe anderer, bekannter Verbindungsdaten der von ihm zuvor beobachteten MySQL-Verbindung gefunden. In der Beweisaufnahme beschäftigte sich das Gericht nicht direkt mit der entsprechenden Datei, und es wurde auch nicht versucht, die Angaben des Angeklagten zu überprüfen. Auch die Polizei scheint dies nach den im Prozess verlesenen Teilen der Ermittlungsakte nicht getan zu haben. Des Weiteren konnte das Gericht dem Angeklagten nicht nachweisen, das Passwort durch Dekompilieren erlangt zu haben. Die Ermittler der Polizei konnten zwar Indizien für das Dekompilieren der Modern-Solution-Software auf den Rechnern des Angeklagten sicherstellen, dies belegte aber nur, dass er die Software *nach* seinem angeblichen Ausspähen der Daten zurückübersetzt hatte.
Am Ende des Prozesses hatte aber auch dies kaum Auswirkungen auf das Urteil. Der Vorsitzende Richter gab zu Protokoll, dass alleine die Tatsache, dass die Software ein Passwort für die Verbindung gesetzt habe, bedeute, dass ein Blick in die Rohdaten des Programms und eine anschließende Datenbankverbindung zu Modern Solution den Straftatbestand des Hackerparagrafen erfülle. Dass dies, wie die Verteidigung mehrmals betont hatte, im Zuge einer „funktionalen Analyse“ der Software im Auftrag eines Kunden von Modern Solution (der das in Frage kommende Passwort ja mit der Software ausgeliefert bekommen hatte) passiert war, schien bei dieser Entscheidung keine Rolle zu spielen. Mit Bezug auf die Entscheidung des Aachener Gerichts sagte der Jülicher Richter nun, nach eingehender Sichtung der Rechtslage sei man zu dem Schluss gekommen, dass der Gesetzgeber mit der Verschärfung von § 202a StGB im Jahre 2007 offensichtlich bezweckt habe, „das Hacken als Solches unter Strafe zu stellen.“ Unter diesem Aspekt sei ein Schutz der „nicht für Jedermann“ einfach zu umgehen sei, ausreichend, um den Straftatbestand zu erfüllen. Da der Angeklagte nicht vorbestraft war, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt und kam um eine Haftstrafe herum.
Zweite Berufung, Revision und Verfassungsbeschwerde
Der Angeklagte legte Berufung beim Landgericht Aachen ein, das somit zum zweiten Mal über eine Berufung in dem Fall entscheiden musste. Im November 2024 entschied das Gericht, diese als unbegründet abzuweisen. In dem Prozess übernahm das LG Aachen durchgängig die Einschätzung des AG Jülich, dass der Zugriff auf die gesicherte Datenbank den Straftatbestand erfülle. Zudem war es dem Gericht anscheinend egal, wie der Angeklagte an das Passwort gelangt sei. Das Passwort sei nicht ohne Weiteres zu erraten oder öffentlich bekannt gewesen, das mache den Zugriff zu einer Straftat. In dem Prozess betonte die kleine Strafkammer des Gerichts, dass der Angeklagte eine Strafbarkeit hätte vermeiden können, wenn er den Zugriff in dem Moment abgebrochen hätte, als ihm klar wurde, dass er auf die Daten von Kunden zugreifen konnte, die er nicht hätte sehen dürfen. Dass er diese Daten mit Screenshots dokumentiert habe, was im Prozess unstrittig war, besiegele seine Strafbarkeit.
Die Verteidigung beantragte daraufhin eine Revision des Prozesses beim Oberlandesgericht Köln, dessen 1. Strafsenat am 3. Juli 2025 entschied, dass die Entscheidung des LG Aachen keine Rechtsfehler enthielt und somit rechtskräftig sei. Wie bei Revisionen üblich, wurden in diesem Verfahren die tatsächlichen Umstände des Falles nicht noch einmal untersucht. Da die Verteidigung den Umgang mit dem Angeklagten in den zwei Prozessen in Jülich und Aachen nach wie vor als ungerecht ansah und davon ausging, dass seine verfassungsmäßigen Rechte verletzt worden waren, der Rechtsweg nun aber ausgeschöpft war, legte man im August 2025 Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, die nun abgelehnt wurde. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist unanfechtbar.
Fazit für IT-Experten und Sicherheitsforscher
Aus diesem Verfahren ergeben sich mehrere wichtige Erkenntnisse für alle, die bei ihrer Arbeit auf Sicherheitslücken in IT-Systemen stoßen könnten. Der Umgang mit dem IT-Experten in diesem Fall zeigt, dass es in Deutschland ein fataler Fehler sein kann, Details zu Sicherheitslücken zu veröffentlichen – auch wenn diese bereits geschlossen wurden. Des Weiteren macht das Verfahren deutlich, dass deutsche Gerichte es unter Umständen als strafbar ansehen, wenn sich ein Programmierer im Auftrag seines Kunden, und zur Lösung von Softwareproblemen, Zugriff auf Daten verschafft, die diesem Kunden von Geschäftspartnern zur Verfügung gestellt wurden
Die Sicherung solcher Daten durch ein wie auch immer geartetes Passwort – und sei dies auch noch so simpel und einfach zu erraten – reicht im Zweifel als Zugriffssicherung im Sinne des Gesetzes aus und macht einen Zugriff auf die Daten zur Straftat. Das trifft auch zu, wenn dieses Passwort als Klartext in einer im Internet öffentlich zugänglichen Software zu finden ist. Jedem, der von Berufs wegen Software analysieren muss, sollte es außerdem zu denken geben, dass deutsche Staatsanwälte es offensichtlich als Indiz für strafbares Verhalten ansehen, wenn man einen Dekompilierer auf dem Rechner hat. Diese Meinung wurde in diesem Fall mehrmals vor Gericht geäußert und teilweise sogar von Richtern übernommen.
Abschließend lässt sich sagen, dass über vier Jahre Modern-Solution-Saga nicht dazu geführt haben, die rechtlichen Unsicherheiten bei der Strafbarkeit von Software-Analyse und dem Veröffentlichen von Sicherheitslücken in Deutschland einzuschränken. Ganz im Gegenteil: Die von den Gerichten vertretenen Rechtsmeinungen machen § 202 StGB, wenn überhaupt, zu einer noch größeren Gefahr denn je für alle, die Software-Qualität in Deutschland verbessern wollen. Und auch das Bundesverfassungsgericht scheint eher dazu geneigt, jedwedes sogenanntes „Hacken“ an sich unter Strafe stellen zu wollen, als sich zum Ziel zu setzen, die Arbeitsumstände für solche IT-Profis zu verbessern, die mit guten Absichten im Sinne der Allgemeinheit handeln.
(nie)