Datenschutz & Sicherheit

Degitalisierung: Wut


Wenn Menschen sehr wütend sind, gehen sie oft irrationale Wege. Das ist aber nicht immer hilfreich, wenn es darum geht, Probleme gut zu lösen. Was diese Dynamik mit der Diskussion um Chatkontrolle zu tun hat, erklärt unsere Kolumnistin Bianca Kastl.

– Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Alexander JT

Die heutige Degitalisierung wird sich mit der Wirkung von Wut beschäftigen müssen, mit Furor. Denn Wut ist ein Momentum, das uns immer wieder dazu bringt, dass vermeintlich gut gemeinte Ideen katastrophale Folgen haben können. Um das Konzept mit der Wut und seine Wirkung besser zu verstehen, hilft es vielleicht, einen Blick in die Filmgeschichte zu werfen.

Im Jahr 1936 erzählte der zuvor aus Nazideutschland emigrierte Filmregisseur Fritz Lang in „Blinde Wut“ die Geschichte des unschuldig verhafteten Joe Wilson, gespielt von Spencer Tracy. Wegen der vermeintlichen Entführung eines Kindes wird er beinahe von einem aufgebrachten Lynchmob ermordet. Die Menge stürmt das Gefängnis, in dem Joe inhaftiert ist, setzt es in Brand und am Ende kann Joe nur um ein Haar lebend entkommen. Für tot gehalten, schmiedet Joe Rachepläne – und irgendwo gegen kurz vor Schluss wäre es fast ein brillanter Film geworden, hätte Hollywood nicht noch ein typisch kitschiges Ende anfügen müssen.

Fritz Langs Film kann uns dabei helfen, zu verstehen, aus welchen Motiven Menschen durch starke Gefühle wie Wut oft irrationale Wege gehen. Dass kann sogar so weit gehen, dass es ihnen nach Rache oder sogar Lynchmord gelüstet. Gleichzeitig sollte uns der Film aber auch genau deshalb eine Lehre sein, gerade nach besonders schrecklichen Ereignissen unsere Entscheidungen und die Abwägung ihrer Folgen nicht von starken Emotionen leiten zu lassen.

Zerfetzte Seelen

Oftmals fällt es leichter, den eigenen Irrweg im Hier und Heute neutraler zu betrachten, wenn dazu Beispiele verwendet werden, die doch etwas aus der Zeit gefallen sind. Das kann ein Film in Schwarz-Weiß von 1936 sein oder eben ein netzpolitisches Beispiel aus dem Jahr 2009. Ursula von der Leyen, heute Präsidentin der Europäischen Kommission, damals Familienministerin, versuchte ein digitalpolitisches Ungetüm namens „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (oder etwas kürzer Zugangserschwerungsgesetz) voranzutreiben.

Das Konzept des Gesetzes war mehr oder weniger: Es sollte eine vom BKA verwaltete Sperrliste mit Webseiten geben, auf denen Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu finden sind. Webseiten auf der Sperrliste würden dann von Internetanbietern geblockt, sofern das Material nicht entfernt werden konnte. Ein Stoppschild für Webseiten, ernsthaft.

Im Vorfeld des Gesetzes wurde an der ein oder anderen Stelle versucht, eine Art wütender Gruppendynamik zu schaffen. Von der Leyen sprach in Interviews von „zerfetzten Seelen“, zeigte Journalist*innen Missbrauchsdarstellungen als Ausdruck der Dringlichkeit und Schwere des Problems und warf Kritikern Zynismus vor. Karl Theodor zu Guttenberg, damals noch nicht mit vollstem Vertrauen versehen, zeigte sich auch schwer betroffen und stellte den Protest gegen Internetsperren gleich auf eine Stufe mit der Ablehnung des Kampfes gegen Darstellungen sexualisierter Gewalt.

Letztlich alles ein Versuch, Wut gegenüber andere Handlungsweisen zu erregen. Wer nicht voll für uns ist, kann nur mit den Menschen sein, die etwas so absolut Inakzeptables wie Kindesmissbrauch betreiben. Jede Maßnahme zur Durchsetzung ist recht, um so etwas Schreckliches durch genau den einen von vielen möglichen Wegen zu verhindern. Seid wütend gegenüber anderen Lösungsvorschlägen, auch wenn andere Lösungen genauso Sicherheit und Gerechtigkeit für alle erreichen wollen.

Die damaligen Methoden von DNS-Sperren waren vergleichsweise minimalinvasiv. Die Anpassung eines DNS-Servers, um Blockierungen durch Internetprovider zu umgehen, war eher Grundkurs Internettechnik und wäre schwerlich zu irgendeiner Art von Zugangserschwerung gut gewesen. Speziell für Menschen, die mit der Verbreitung und Erstellung von Darstellungen sexuellem Missbrauchs klare Straftaten in oftmals voller bösartiger Absicht begehen. Wohl aber hätte es die Basis einer Infrastruktur für Zensur im Internet sein können.

Das Zugangserschwerungsgesetz trat letztlich zwar formal Anfang 2010 in Kraft, so wirklich angewendet wurde es aber nicht und verschwand Ende 2011 wieder still und heimlich.

Was zumindest aber in der Geschichte der deutschen Digitalpolitik blieb: „Zensursula“ und ein erster netzpolitischer Erfolg gegen unsinnige technische Beeinflussung von Internetinfrastruktur.

Schauspielerei

In der Genese des Regelungsvorschlags einer Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, besser bekannt als die heutige Chatkontrolle, wurden dann seit 2022 ebenfalls nicht weniger starke Emotionen gezeigt. Klar, wenn ein Schauspieler wie Ashton Kutcher für Organisationen wie Thorn die löblichen Absichten im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen als oberster Lobbyist bewirbt, dann sind da große Emotionen im Spiel, aber auch seltsame Lobbyverbindungen. Am Ende ging es möglicherweise um weit mehr als das Erkennen von entsprechenden Inhalten.

Für die Erkennung von Missbrauchsdarstellungen wurde Client-Side-Scanning (CSS) vorgeschlagen. Dabei werden bereits auf dem jeweiligen Endgerät Inhalte wie Fotos oder Videos in Messengern oder bei Maildiensten automatisch gegen eine Datenbank bekannter Inhalte abgeglichen. Immer wieder wurde von Befürwortern von Techniken wie dieser große Emotionen geschürt, dass das jetzt notwendig sei und dass wir das unseren Kindern quasi schulden würden. Gerade bei einem so sensiblen und emotionalen Thema wie Kindesmissbrauch müssen wir uns da immer die Frage stellen, ob das, was von diesen Gruppen auch mit viel Emotion getrieben wurde, auch wirklich hilfreich ist.

Viele wiesen in der langen politischen Diskussion um die Chatkontrolle auf Probleme hin. Seien es Hunderte von IT-Expert*innen und Sicherheitsforschenden, Jurist*innen, Datenschützer, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messenger, UN-Vertreter, Kinderschützer, Wächter*innen der Internetstandards, Wissenschaftler*innen weltweit sowie eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft. Immer. Wieder.

Auch jüngst wurde wieder sachlich vorgetragen von Internetunternehmen, Wirtschaftsverbänden, dem Kinderschutzbund und Herstellern von Messengern: Der geplante Weg der Chatkontrolle ist falsch und schädlich.

Es wirkt gerade so, als würde eine kleine politische Gruppe gegen alle Rationalität und wider besseren Wissens das mühsam aufgebaute Gebäude unserer freiheitlich-demokratischen Grundrechte stürmen und in Brand setzen wollen. Bei aller Wut, die dabei bei uns entstehen kann, ist aber die Sachlichkeit des Protests das, was uns zumindest für diese Etappe im Widerstand gegen die Chatkontrolle gut zu Gesicht stand. Oder um es mit Markus zu sagen: Das war ein guter Tag für Grund- und Freiheitsrechte.

Memento

Nach der Wut und ihrem Abklingen zeigte sich diese Woche im Bundestag aber ein durchaus bemerkenswertes Momentum Memento. Die zur Chatkontrolle angesetzte Aktuelle Stunde in dieser Woche war eine Ansammlung diverser Sonderbarkeiten: Eine gesichert rechtsextremistische Partei, die perfiderweise so tut, als wäre das Scheitern der Zustimmung Deutschlands zur Chatkontrolle ihr Erfolg, und Regierungsparteien, die ja schon immer dagegen waren, im Besonderen ausgerechnet der Innenminister mit seinen eigenen Überwachungsfantasien.

Einig war man sich darin, dass es mehr zu tun gibt für den Kinderschutz. Immerhin. Allerdings ist die digitalpolitische Erkenntnis aus der aktuellen Episode um die Chatkontrolle vielleicht etwas arg sanft in der Debatte ausgefallen.

Speziell konservative Parteien wie die Union, aber leider auch die SPD, leben gedanklich immer noch in einer Welt des Internets als Neuland. Eine virtuelle Welt, die von der realen Welt irgendwie losgelöst ist, in der die Durchsetzung der öffentlichen Ordnung aber immer wieder mit falsch analog gedachten Mitteln versucht wird.

Stoppschilder im Internet? Funktionieren nicht. Weiterhin vertrauliche Kommunikation, wenn in jedem digitalen Endgerät mit erratischen Techniken wie Client-Side-Scanning mitgelesen wird? Gibt es nicht. Und wenn wir schon dabei sind: Es gibt keine Sicherheitslücken oder Überwachungsinfrastrukturen, die bis in alle Ewigkeit nur von den Guten genutzt werden können.

Am Ende bleibt auch auf EU-Ebene leider der Eindruck, dass bei einem so wichtigen Thema wie dem Kampf gegen die Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von EU-Politiker*innen wie Ursula von der Leyen oder Ylva Johansson zur Lösung schwieriger digitalpolitischer Probleme nur starke Emotionen vorhanden sind und daraus resultierende digitalpolitische Übersprungshandlungen. Es entsteht der Eindruck, dass diese Lücke der Umsetzungskompetenz von Lobbyorganisationen wie Thorn bösartig ausgenutzt wird.

In der aktuellen Diskussion um die Chatkontrolle war die konservative Kraft – also eine, die sich für die Erhaltung von Grundrechten auch im digitalen Raum einsetzt – keine rein politische. Es war ein eher ungewöhnliches Bündnis aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Betroffenenverbänden. Ein Bündnis, das das Thema Chatkontrolle aus der Digitalbubble heraus erst medial zu dem gesamtgesellschaftlichen Problem erhoben hat, das es nun mal ist. Weil die Regierungsparteien selbst keine klare Haltung finden konnten und ihr – zumindest in der Wahrnehmung nach außen – keine Kompetenzen zugeordnet werden können, Digitalpolitik nach dem eigenen Wertekanon gestalten zu können.

Dieser Mangel an klarer Haltung zu digitalpolitischen Themen und eigener Kompetenz zur adäquaten Problemlösung ist für Parteien in Regierungsverantwortung komplett aus der Zeit gefallen.

Dabei war die Chance eigentlich relativ gut: Ein klares Nein zur Chatkontrolle von Seiten Deutschlands hätte genügt, die fachlichen Begründungen wurden Jahre vorher ja schon massenhaft servierfertig geliefert. Gegen diese momentan vielleicht aufkommende Wut hilft am Ende vor allem eines: eine weiterhin klare Haltung für Grundrechte, auch in der digitalen Welt.

Denn diese klare Haltung für digitale Grundrechte bei der Lösungsfindung digitalpolitischer Problemfelder werden wir weiterhin brauchen, ganz ohne Wut.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.



Source link

Beliebt

Die mobile Version verlassen