Digital Business & Startups

„Die meisten Firmen haben nur PowerPoint-KI“


Zehn Jahre KI-Gespräche, unzählige Learnings: Unser Autor Fabian Westerheide erklärt, warum Digitalisierung kein Projekt ist – sondern ein Prozess, den viele Unternehmen noch immer missverstehen.

KI-Experte Fabian Westerheide
Getty Images/Science Photo Library/ Westerheide

Fabian Westerheide ist Gründungspartner des KI-fokussierten Venture-Capital-Investors AI.FUND und investiert seit 2014 privat über Asgard Capital in KI-Unternehmen. Als Strategieberater für öffentliche und private Institutionen beschäftigt er sich mit der Frage, wie Künstliche Intelligenz in Organisationen ankommt – und warum sie dort oft scheitert. In diesem Beitrag teilt er seine wichtigsten Erkenntnisse aus zehn Jahren Gesprächen mit Mittelstand, Konzernen und Startups über digitale Transformation.

Es klingt fast absurd: Während Startups fieberhaft neue KI-Lösungen entwickeln, fehlt es in vielen Unternehmen noch an der Fähigkeit, sie überhaupt zu erkennen – geschweige denn zu integrieren.

Die Innovation ist da. Die Probleme sind da. Doch sie treffen selten aufeinander. Warum? Weil Aufmerksamkeit und Struktur fehlen und weil viele Unternehmen glauben, Digitalisierung sei ein Projekt. Dabei ist sie ein Prozess.

Und dieser Prozess beginnt mit einer simplen, aber oft ignorierten Frage: Wie genau kommt Künstliche Intelligenz eigentlich ins Unternehmen?

Die Realität: Die meisten Unternehmen sind noch bei „PowerPoint-KI“

Seit über zehn Jahren spreche ich mit Führungskräften aus Mittelstand, Konzernen und der Startup-Welt. Und so beeindruckend die technologischen Fortschritte auch sind – das größte Bottleneck ist selten die Technik. Es ist die Organisation selbst.

Viele Führungskräfte sagen mir offen: „KI ist wichtig – aber in meinem Alltag habe ich unter 10 Prozent Kapazität, mich darum zu kümmern.“

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Während Gründerinnen und Gründer sich zu 180 Prozent auf KI fokussieren, bleibt das Thema in etablierten Unternehmen meist ein Randaspekt. Und das bei einem Thema, das eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen müsste: Automatisierung – mehr Output mit weniger Ressourcen.

Fachkräftemangel? Überall. Skalierbarkeit? Fehlanzeige. Effizienz? Meist am Limit.

Die Lücke liegt also nicht im Warum, sondern im Wie.

Wie es nicht funktioniert: KI als Projekt behandeln

Viele Unternehmen versuchen, KI mit klassischen Projekten zu integrieren: eine kleine Taskforce, ein Proof-of-Concept, ein hübsches Dashboard. Doch das reicht nicht. Denn: KI ist keine Software, die man einfach einführt. KI ist ein Denkmodell – ein neuer Layer in der Unternehmenslogik.

Digitale Transformation ist kein Meilenstein. Sie ist eine neue Betriebsweise.

Was es wirklich braucht

1. Bildung – nicht als Maßnahme, sondern als Kulturtechnik

In fast jedem Unternehmen gilt: 80 Prozent der Mitarbeitenden beschäftigen sich nicht mit KI. Sie wissen nicht, was es ist, was sie damit machen können – oder ob es ihren Job gefährdet. Wer Transformation will, muss die Menschen mitnehmen. Nicht mit Hochglanz-Slides, sondern mit echten Formaten. Zum Beispiel durch:

  • personalisierte Lerneinheiten für unterschiedliche Rollen
  • Workshops mit realen Use Cases aus dem Alltag
  • Sessions speziell für Betriebsräte, um Sorgen abzubauen
  • Townhalls und Deep Dives, die Führung sichtbar machen
  • Lernangebote auf Abruf – von Grundlagen bis Integration

Der Unterschied zwischen Pilot und Produktivbetrieb ist oft ganz simpel: Wer versteht, was er tun soll, kann auch umsetzen.

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2. APIs statt PowerPoints – Prozesse denken, nicht Tools

Transformation gelingt nicht durch Tool-Auswahl, sondern durch Prozessveränderung. Die entscheidende Frage lautet nicht: „Welche KI sollen wir kaufen?“ Sondern: „An welcher Stelle in unserem Prozess entsteht aktuell keine Wertschöpfung – obwohl sie möglich wäre?“

Gute Unternehmen denken in APIs, nicht in Abteilungen. Sie identifizieren, welche Bereiche sie selbst entwickeln – und ergänzen alles andere modular aus dem Ökosystem.

Dazu braucht es:

  • eine offene Architektur,
  • Zugriff auf API-first-Lösungen,
  • ein Team, das versteht, wie sich Legacy-Systeme transformieren lassen
  • und die Bereitschaft, Dinge neu zu denken – statt nur zu optimieren.

3. Eine Innovationseinheit mit echtem Mandat

Jede erfolgreiche digitale Transformation hat irgendwo eine Einheit, die Innovation wirklich operationalisiert. Ob als Stabsstelle, Tochterfirma oder Accelerator – entscheidend ist, dass sie:

  • Technologien in reale Anwendungsfälle übersetzt,
  • aktiv Startups und Partner scoutet.
  • Budget und Entscheidungsspielraum hat und
  • dass sie außerhalb des Tagesgeschäfts neue Wege gehen darf.

REWE Digital zeigt beispielsweise, wie das funktioniert: Mit eigenen Ausgründungen (z. B. Fulfillment Tools, Commerce Tools), Venture-Aktivitäten, Startup-Hubs und einer modernen Cloud-Architektur hat REWE die digitale Transformation nicht nur intern geschafft – sondern sich ein Innovations-Ökosystem aufgebaut, das heute neue Wertschöpfung erzeugt.

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Ähnlich agieren BMW, Bosch, Volkswagen und Siemens – mit unterschiedlichen Modellen, aber einer gemeinsamen Erkenntnis: Innovation entsteht selten aus der Linie. Man muss Raum schaffen – für Kreativität, Prototypen und auch für Fehler.

4. Ökosystem statt Eigenbau

Gerade in „versteckten“ Bereichen wie Buchhaltung, Logistik, Einkauf oder Personalprozessen zeigt sich: Nicht alles muss selbst entwickelt werden. Im Gegenteil – die besten Lösungen kommen oft von außen: aus Startups, Plattformen oder spezialisierten Softwareanbietern.

Was es dafür braucht:

  • aktives Partner-Scouting,
  • Präsenz auf Tech-Events, Messen und Demo-Days,
  • Company Building – aber abseits der Hauptstruktur sowie
  • Open Innovation statt Silo-Denken.

Beispiele:

REWE rollt über die Startup Lounge neue Produkte direkt im Handel aus. BMW setzt auf das „Venture-Client-Modell“ – lieber Prototyp kaufen statt Equity.

Volkswagen trainiert 130.000 Mitarbeitende zu KI. Bosch investiert in Deep Tech für Nachhaltigkeit.

Das zeigt: Es gibt kein Patentrezept – aber viele gute Bausteine.

Gute Nachrichten: Es gibt für alles Anbieter – man muss nur hinschauen

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Ob White-Label-Venture-Capital, KI-Workshops, Innovationsberatung oder Education-as-a-Service – der Markt ist voller Lösungen, die Unternehmen sofort nutzen könnten. Doch oft fehlt einfach jemand, der sich kümmert. Deshalb nochmal: Der größte Engpass ist nicht Technologie. Es ist Aufmerksamkeit.

Fazit: Wer heute KI will, muss dauerhaft Transformation können

Die wichtigste Erkenntnis aus über einem Jahrzehnt an Gesprächen, Projekten und Diskussionen lautet für mich: Digitale Transformation ist kein Sprint. Sie ist kein Projekt. Sie ist ein Betriebssystem.

Sie beginnt mit Bildung. Sie braucht Struktur. Sie lebt vom Ökosystem. Und sie endet nie.

Wer das akzeptiert, hat die besten Chancen – nicht nur, um KI ins Unternehmen zu bringen, sondern daraus eine echte, skalierbare Wertschöpfung zu schaffen.



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