Datenschutz & Sicherheit

Ein Angriff auf die Pressefreiheit, der vieles veränderte


Ermittlungsverfahren gegen Journalisten sind in Deutschland selten und nicht unbedenklich. Denn Medien und ihre Quellen genießen einen besonderen Schutz. Als der damalige Generalbundesanwalt Harald Range am 13. Mai 2015 ein Ermittlungsverfahren amtlich einleitete, stand aber zusätzlich die Frage im Raum, ob die beiden betroffenen Journalisten tatsächlich Staatsgeheimnisse verraten hatten. Das Verfahren wegen Landesverrats wuchs sich zur mittelschweren Staatsaffäre aus, die ihn seinen Posten kosten sollte.

Die beiden Beschuldigten waren unsere Kollegen in der Redaktion von netzpolitik.org: Andre Meister und der damalige Chefredakteur Markus Beckedahl. Investigativjournalist Meister hatte die Internet-Überwachungspläne des Bundesamts für Verfassungsschutz offengelegt. Die technischen Vorhaben des Inlandsgeheimdienstes waren zuvor geheim gewesen: „Verschlusssache – vertraulich“. Die brisanten Dokumente lagen nun bei netzpolitik.org offen im Netz.

Die undichte Stelle beim Geheimdienst muss dessen damaligen Chef Hans-Georg Maaßen gehörig gewurmt haben. Denn er war es, der durch Strafanzeigen beim Landeskriminalamt Berlin die Ermittlungen gegen unsere beiden Redaktionsmitglieder und zusätzlich gegen „Unbekannt“ ins Rollen gebracht hatte.

Trotz zahlreicher Rücktrittsforderungen hielt sich Maaßen noch einige Jahre im Amt und wurde schließlich wegen seiner faktenfreien und irreführenden Aussagen zu sächsischen Hetzjagden gegen Migranten entmachtet, überführt ausgerechnet von einem Twitter-Account namens „Antifa Zeckenbiss“. Heute macht der einst mächtige Geheimdienstchef nur noch mit rechtsradikalen Parolen Schlagzeilen. Sein eigenes ehemaliges Amt speichert ihn inzwischen als Rechtsextremisten.

Heimliche Überwachung

Ohne Frage handelte es sich um einen Angriff auf die Pressefreiheit, der von uns und einer breiten Öffentlichkeit auch umgehend so benannt wurde.

Der Spuk, den Maaßen und Range verursacht hatten, war nach wenigen Monaten zumindest für unsere Kollegen vorbei: Anfang August 2015 erreichte die Anwälte der Beschuldigten Meister und Beckedahl ein Schreiben des Generalbundesanwalts zur Einstellung des Verfahrens wegen Landesverrats. Bis allerdings auch die Ermittlungen gegen „Unbekannt“ eingestellt wurden, verging noch fast ein weiteres Jahr.

Landesverrat!

Die Vorwürfe rund um Landesverrat haben beim Ausbau unserer Redaktion geholfen. Unterstütze unsere Arbeit!

Der Vorwurf des Landesverrats nach § 94 Strafgesetzbuch ist schwerwiegend. Daher dürfen bei Ermittlungen dieses Kalibers heimliche technische Überwachungsmaßnahmen genutzt werden. Das betraf zunächst direkt die beiden beschuldigten Journalisten. Allerdings konnten solche Abhörmethoden auch gegen unsere Redaktion nicht ausgeschlossen werden.

Welle der Solidarität

Wir hatten also in unserem damals noch kleinen Team eine umfangreiche Aufgabenliste mit zwei Schwerpunkten abzuarbeiten, unter zunehmendem Schlafmangel und Zeitdruck: Rechtliche und politische Analysen einholen und den Mediensturm einfangen. Unglaublich geholfen hat uns dabei die große Solidarität sehr vieler Menschen, die uns bestärkten und motivierten. Auf Twitter trendete unsere IBAN, auf Demos riefen Schilder zum Leak weiterer Dokumente auf und im Bundestag bemühte sich der Rechtsausschuss um Aufklärung.

Unerschrocken und ungemein solidarisch war auch die Reaktion einer ganzen Branche, von der wir zuvor nicht mal mit Sicherheit wussten, ob wir so richtig dazugehörten. Denn damals tobte noch eine Debatte darum, ob Blogger:innen überhaupt Journalist:innen sein können. Die Frage war mit der Affäre Landesverrat entschieden. Das Medium Magazin kürte unsere Redaktion zum Journalisten-Team des Jahres 2015.

Für uns stellten die Ereignisse die Möglichkeit für eine Weiterentwicklung dar: Da wir die zahlreichen einmaligen Spenden nicht für ein langwieriges Gerichtsverfahren benötigten, konnten wir sie in den Ausbau der Redaktion investieren. Das Arbeitsfeld Digitalisierung, Überwachung und Kommerzialisierung platzte ohnehin aus allen Nähten, wir konnten Unterstützung gut gebrauchen.

Gleich drei neue Kolleg:innen fingen 2016 bei uns an, inzwischen besteht die Redaktion aus zwölf Menschen. So war die Affäre Landesverrat ein unverhoffter Booster für unser Modell des spendenfinanzierten Journalismus, dem wir bis heute treu geblieben sind.


2025-07-16
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– für digitale Freiheitsrechte!



Euro für digitale Freiheitsrechte!

 

Rückblickend können wir das mit einer gewissen Gelassenheit sagen, doch damals war der glimpfliche Ausgang alles andere als ausgemacht. Deswegen sparen wir uns den Dank an Maaßen für seine offenkundig nicht gerade bis ins Letzte durchdachten Strafanzeigen, sondern bedanken uns lieber bei allen, die uns den Rücken gestärkt, an uns gespendet und damit die Redaktion von netzpolitik.org in der heutigen Form überhaupt erst möglich gemacht haben.

Fight for your digital rights! Solidarisierung mit netzpolitik.org bei der Landesverrat-Demo im August 2015. CC-BY-SA 2.0 sebaso

Wir machen weiter

Auch wenn sich die Themenpalette bei netzpolitik.org inzwischen erweitert hat, ist die Recherche zu den technischen Möglichkeiten, zum Recht und der Praxis der staatlichen Überwachung weiter ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit. Wie kein anderes Medium haben wir in den vergangenen zehn Jahren den drastischen Ausbau der Überwachung zum Thema gemacht, uns mit Staatstrojanern und Chatkontrolle beschäftigt sowie uns immer und immer wieder mit dem Zombie Vorratsdatenspeicherung herumgeschlagen. Längst haben in Deutschland nicht mehr nur Geheimdienste wie der Verfassungsschutz umfangreiche Möglichkeiten zur digitalen Überwachung, sondern auch Polizei und Behörden wie der Zoll.

Auch in Sachen Pressefreiheit gab es in den vergangenen Jahren immer wieder bedenkliche Ereignisse. Wenn etwa Telefonate von Journalisten mit Klima-Aktivisten abgehört werden. Wenn Journalisten Hausdurchsuchungen erdulden müssen, weil sie in einem Online-Artikel einen Link gesetzt haben. Oder wenn bei einer Demo das Handy eines Journalisten beschlagnahmt und durchsucht wird.

Für uns ist das zehnjährige Jubiläum der Landesverrat-Affäre deshalb vor allem ein Ansporn: Wir machen weiter.

Und ihr könnt helfen, denn wir nehmen noch immer Leaks entgegen und veröffentlichen die Dokumente. Damit sich alle selbst ein Bild machen können.



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