Künstliche Intelligenz
Estonia Defence Week: Estland wehrt sich smart
Ein zeitliches Zusammentreffen, das man sich gar nicht hätte ausdenken können: Zum einen startete am Montag, den 22. September 2025, die erste Estonian Defence Week in Tallinn, der Hauptstadt von Estland. Bis Freitag lockt das Land Besucher mit Konferenzen zu Sicherheitsarchitekturen und technischen Innovationen sowie mit einer Messe mit 300 zumeist baltischen Wehrtechnikanbietern. Zum anderen trat ebenfalls am Montag auf Ersuchen des östlichen baltischen Staates eigens der UN-Sicherheitsrat in New York zusammen und beriet über die Verletzung des estnischen Luftraums über der Ostsee durch russische Kampfjets am Freitag, 19. September 2025. Am Dienstag tagte zudem in Brüssel auf Antrag des NATO-Partners Estland das Verteidigungsbündnis. Angesichts dieser jüngsten Entwicklung gewinnt die Estonian Defence Week eine besondere Dynamik, als habe die jüngste Grenzverletzung den Willen der Balten zur Selbstbehauptung zusätzlich angestachelt.
Der estnische Wirtschaftsminister Erkki Keldo behandelt smarte Wehrtechnik als innovatives wirtschaftliches Segment mit speziellen Fördertöpfen und aktuell schnellem Wachstum.
(Bild: Erlend Štaub)
Seit Jahren setzt Estland auf Knowhow in Software und Digitalisierung. Nicht nur hat das Land sämtliche Prozesse der Verwaltung für seine 1,3 Millionen Bürger als E-Services schon vor zwanzig Jahren online umgesetzt, wozu beispielsweise auch eine vorausgefüllte sogenannte Drei-Klick-Steuererklärung zählt, die die meisten Bürger in wenigen Minuten fertigstellen können. IT-Knowhow gilt auch als Exportchance. „Ein wesentlicher Eckpfeiler dabei ist smarte Wehrtechnik“, unterstrich der estnische Wirtschaftsminister Erkki Keldo im Pressegespräch. Schwerpunkte sind etwa unbemannte, ferngesteuerte Fahrzeuge (unmanned ground vehicles, UWS), Drohnentechnik (unmanned aereal vehicles, UAV), Drohnenabwehr sowie Cyber Security. Nicht ganz zufällig ist auch das NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (CCDCOE) in Tallinn angesiedelt.
Smarte Wehrtechnik aus Estland hat in den vergangenen Jahren bereits eine beeindruckende Entwicklung hingelegt und ihre Exportumsätze von 46 Millionen Euro 2020 auf 350 Millionen Euro 2024 gesteigert. 193 meist noch junge Unternehmen sind in dieser Branche in Estland entstanden, 40 davon sind Neugründungen aus dem laufenden Jahr. Für 2025 prognostiziert Keldo einen Gesamtumsatz der Wehrtechnik von 500 Millionen Euro; bis 2030 soll der sogar weiter steil auf 2 Milliarden Euro ansteigen. Zugleich verkündete Keldo einen Haushaltsbeschluss von Dienstag, 23. September, wonach der reine Verteidigungshaushalt 2026 auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigt, ohne dass der Staat dabei Infrastrukturmaßnahmen einberechnet.
Jaanus Tamm, CEO von Defsecintel (rechts), und Agris Kipurs, CEO von Origin Robotics, haben die Integration ihrer Technik in das Gesamtsystem einer sogenannten Drone Wall entlang der NATO-Ostgrenze vereinbart.
(Bild: Erlend Štaub)
Für Freitag ist der Beschluss über einen neuen Defence Industry Park vorgesehen, ein Gewerbegebiet über etwa 200 Hektar eigens für die regionale Rüstungsindustrie, auf dem beispielsweise eine Munitionsfabrik neu aufgebaut werden soll. Ebenfalls für Freitag sind Beratungen über den Aufbau einer Baltic Drone Wall beziehungsweise eines sogenannten Eastern Shield an der NATO-Ostgrenze von Estland bis Polen geplant.
Beim Drone Wall entlang der Ostgrenze von Estland, Lettland, Litauen und später auch Polens sollen nach den bisherigen Planungen Hunderte mobile Einheiten mit automatisierter Drohnenabfangtechnik stationiert werden. Bereits am Dienstag unterzeichneten die CEOs von Defsecintel Solutions als estnischem Initiativgeber des Drone Wall und vom lettischen Drohnenhersteller Origin eine Vereinbarung, ihre Systeme für einen derartigen Abfangschild zu integrieren. Defsecintel hat dafür ein Fahrzeug mit Radar, Kameras und Steuerungssoftware entwickelt, das angreifende Drohnen bereits in einer Entfernung von 40 bis 50 Kilometern ausmachen soll. Darüber hinaus sind Akustiksensoren an der Grenze geplant.
Origin entwickelt Abfangdrohnen, die autonom zunächst geleitet vom Radar und später bei Sichtkontakt nach eigenen Kamerabildern den Eindringling ins Visier nimmt und mit einer Explosion vom Himmel holen soll. Das Gesamtsystem soll für weitere Partner und Komponenten offen sein, etwa für Lenkflugkörper oder andere Abfangtechnik. Defsecintel hat zum Beispiel testweise auch Drohnen der deutschen Argus Interception in sein System integriert. Die Argus-Drohnen können Netze verschießen und damit langsam fliegende, beobachtende Drohnen außer Gefecht setzen.
Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur ist sich sicher: Es werde in Zukunft an der NATO-Ostgrenze darauf ankommen, für die Drohnenabwehr sichere, aber auch preisgünstigere Systeme als bisher zu entwickeln.
(Bild: Erlend Štaub)
„Wir müssen angesichts der Bedrohung unsere Vordertür schließen“, sagt Verteidigungsminister Hanno Pevkur im Pressegespräch gegenüber c’t. Und dabei werde es darauf ankommen, sichere, aber auch günstigere Systeme als bisher für die Drohnenabwehr zu entwickeln. Estland traut seiner jungen Rüstungsindustrie die dazu nötige Innovationskraft zu.
(agr)