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Datenschutz & Sicherheit

Experten zerpflücken automatisierte Datenanalyse bei der Polizei Sachsen-Anhalt


Trotz vielfältiger Kritik greift die Idee, automatisierte Massendatenanalysen mit Palantir in der Polizeiarbeit zu nutzen, weiter um sich. Der jüngste Beschluss der Innenministerkonferenz liebäugelt zwar mit einem „neuen, europäisch beherrschten System“ statt der Palantir-Software, deren Anbieter aus den Vereinigten Staaten stammt. Aber bis irgendwann einmal Ersatz gefunden ist, muss man wohl mit dem vorliebnehmen, was bereits da ist.

Und das ist eben Palantir. Derzeit ist in Sachsen-Anhalt zu beobachten, wie darum gestritten wird. Dort hat die Landesregierung aus CDU, SPD und FDP im Januar einen Gesetzentwurf „zur Änderung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt“ vorgelegt. Die automatisierte polizeiliche Datenanalyse würde damit erstmals erlaubt. Sie sei „erforderlich“, steht in der Gesetzesbegründung, und auch dem „stetigen Ansteigen der vorhandenen Daten, welche durch die Polizei ausgewertet werden müssen“, geschuldet.

Kritik an dem Entwurf war bereits in einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Magdeburger Landtags am 24. April 2025 geäußert geworden. Denn seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023 müssen detaillierte Vorgaben für den Einsatz von Palantir oder vergleichbarer Software bei der Polizei erfüllt werden, zu deren Umsetzung Gesetzgeber verpflichtet wurden.

Zudem wirft die Trump-Regierung und der Schmusekurs der US-Tech-Konzerne seine Schatten: Es scheint sich in der politischen Bewertung US-amerikanischer Anbieter, insbesondere bei sensiblen Daten aus dem Innenleben der Polizei, die Haltung durchgesetzt zu haben, dass zu starke Abhängigkeiten bei polizeilicher Rasterfahndungssoftware zu vermeiden seien.

Stellungnahmen der Sachverständigen

Die Bewertungen der Experten in der Innenausschuss-Anhörung sind also von besonderem Interesse. Allerdings veröffentlicht der sachsen-anhaltinische Landtag die schriftlichen Stellungnahmen von Sachverständigen bei solchen Anhörungen nicht online. Das erscheint im Jahr 2025 nicht mehr zeitgemäß. Auf Nachfrage von netzpolitik.org, warum man zwar die Protokolle der öffentlichen Sitzungen der Ausschüsse, nicht aber die abgegebenen Stellungnahmen veröffentlicht, antwortet Sachsen-Anhalts Landtagsverwaltung nichts. Wegen „Absprachen im Hause“ und wegen Urlaubs könne man erst ab 21. Juli antworten.

Dankenswerterweise stellt die in den Ausschuss geladene Sachverständige Franziska Görlitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ihre Stellungnahme (pdf) nun zur Verfügung. Die Stellungnahme von Jonas Botta (pdf) vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung hatte der Sachverständige bereits kurz nach der Anhörung öffentlich gestellt.

Nach der Stellungnahme von Maria Rost, der sachsen-anhaltinischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, haben wir ihre Behörde schriftlich gefragt. Denn in der öffentlichen Ausschuss-Sitzung am 24. April gab die Datenschützerin an, ihre Stellungnahme im Nachgang der Sitzung an den Landtag zu senden. Rosts Behörde schickte auf die schriftliche Bitte von netzpolitik.org ein kurzes Schreiben, das als Stellungnahme an den Ausschuss gegangen war. Das Schreiben deckt sich mit den mündlichen Aussagen Rosts in der Anhörung.

Rost weist darauf hin, dass die Kategorien von Personen, die bei der Datenanalyse erfasst werden sollen, „zu weitgehend“ seien. Es würden „auch Personen erfasst, die für ihre Speicherung in den polizeilichen Systemen selbst keinen Anlass gegeben haben (Nichtstörer, Zeugen, Begleitpersonen)“.

Auf Nachfrage von netzpolitik.org macht auch die GFF-Juristin Görlitz deutlich, was fehlende Beschränkungen bei den Personenkategorien praktisch bedeuten: Dadurch können „auch Daten völlig unbeteiligter Personen, wie zum Beispiel Opfer einer Straftat oder anzeigeerstattende Personen, in die Analyse geraten“.

Welche Daten zusammengeführt werden

Niemand hatte in der Anhörung bestritten, dass mit dem Gesetzentwurf und dem Einsatz von Analysesoftware schwere Grundrechtseingriffe verbunden sind, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jedoch gehen Botta und Görlitz deutlich härter und ausführlicher mit dem Gesetzentwurf ins Gericht als Rost, deren mündliche Auskünfte vielfach vage blieben.

Jonas Botta
Jonas Botta.

Ein Knackpunkt sind die in die Analyse einfließenden Daten. In der Stellungnahme von Jonas Botta wird die Art der verschiedenen Daten konkretisiert, die durch die Software zusammengeführt werden: Es handelt sich zum einen um eine Fülle an sogenannten Vorgangsdaten wie Anzeigen, Ermittlungsberichte, Hinweise, Zeugenaussagen und Vermerke aus dem Polizeialltag und zusätzlich um die polizeilichen Falldaten. Zum anderen kommen Daten aus den Informations- und Austauschsystemen der Polizei und dem bundesweiten polizeilichen Informationssystem (INPOL-neu) hinzu, dazu noch Telekommunikationsverkehrsdaten aus Funkzellenabfragen sowie weitere Telekommunikationsdaten und Daten aus Asservaten, also beschlagnahmten Geräten. Die Liste ist also nicht nur lang, sondern vor allem vielfältig.

Botta, Verfassungs- und Datenschutzjurist beim Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, weist darauf hin, dass keine herkunftsbezogene Beschränkung im Gesetzentwurf enthalten ist. So können beispielsweise auch Daten hineingerührt werden, die gar nicht durch inländische Polizeibehörden erhoben worden sind. Das betrifft auch Geheimdienstdaten: Personenbezogene Daten, die von Geheimdiensten wie Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst oder Militärischem Abschirmdienst an Polizeibehörden übermittelt wurden, können so ebenfalls bei Palantir landen. Es sei nach dem Gesetzentwurf zulässig, solche Geheimdienstinformationen, die sich „in den polizeilichen Datenbeständen befinden, in eine Analyseplattform einzuspeisen“, so Botta.

Palantir

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Die Sachverständige Franziska Görlitz von der GFF erinnert in ihrer Stellungnahme (pdf) den Gesetzgeber daran, „dass ausreichende Regelungen zu Art und Umfang der Daten und zur Beschränkung der Datenverarbeitungsmethoden im Gesetz geregelt“ werden müssen. Genau das fordert nämlich das Palantir-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2023. Sachsen-Anhalt missachtet dies, stellt Görlitz fest, denn die entsprechende Regelung des Entwurfs „genügt diesen Anforderungen nicht“. Es gäbe „keine ausreichenden Begrenzungen von Art und Umfang der verwendeten Daten sowie der Analysemethoden“.

Franziska Görlitz
Franziska Görlitz

Ihre Bewertung des Gesetzentwurfs fällt unzweideutig aus: „Die im Entwurf geplanten gesetzlichen Grundlagen für automatisierte Datenanalysen durch die Polizei in Sachsen-Anhalt genügen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht. Sowohl die geplante operative als auch die strategische Datenanalyse ermöglichen weitreichende und komplexe automatisierte Datenanalysen und Predictive Policing.“ Mit dem Begriff „Predicitive Policing“ wird eine polizeiliche Software-Analyse umschrieben, die auch Vorhersagen und Wahrscheinlichkeiten für zukünftige Ereignisse berechnen soll.

Görlitz bemängelt noch mehr Grundsätzliches: „Es fehlen Vorschriften zum Schutz vor diskriminierenden Algorithmen. Auch sind die Voraussetzungen, unter denen die Analysen stattfinden dürfen, zu gering, gerade für die strategische Datenanalyse. So sind Analysen schon weit im Vorfeld tatsächlicher Gefahren möglich. Zudem überlässt der Gesetzgeber zu viele grundrechtswesentliche Fragen, die er selbst im Gesetz entscheiden müsste, der Verwaltung zur eigenen Regelung durch Verordnung.“

Auch der Sachverständige Jonas Botta macht gegenüber netzpolitik.org deutlich, wie kritisch er das geplante Gesetz sieht: „Das Bundesverfassungsgericht hat 2023 klare Maßstäbe für eine verfassungskonforme Datenanalyse durch die Polizei formuliert. Diese Anforderungen hat die Landesregierung bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs nur unzureichend beachtet.“

Botta sieht zudem die Kontrolle unzureichend geregelt: Es mangele „an einem wirksamen Kontrollkonzept – sowohl durch interne als auch durch externe Datenschutzbeauftragte“. Er betont, dass eine technologisch besser aufgestellte Polizei für eine effektive Gefahrenabwehr bedeutsam sei. Aber umso entscheidender sei es, „ihre neuen Befugnisse klar grundrechtlich zu begrenzen“.

Bayern testet rechtswidrig Palantir-Software

Zwischenlösung Palantir?

Wir haben das Innenministerium von Sachsen-Anhalt wie in bisher jeder schriftlichen Anfrage von netzpolitik.org gefragt, ob und welche Alternativen zu Palantir bei polizeilicher Analysesoftware dort bekannt sind oder in Erwägung gezogen werden. Auf die Frage antwortet das Ministerium nur ausweichend und nennt keine alternativen Anbieter.

Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) hatte im April in der Innenausschuss-Anhörung erklärt, dass es „binnen der nächsten ein, zwei Jahre“ keine bundesweite Lösung geben werde. Sie hätte sich tags zuvor erst „mit einem Anbieter einer weiteren Software darüber unterhalten, ob diese das überhaupt bewerkstelligen kann“. Es hätte sich „um einen deutschen Software-Hersteller“ gehandelt. Der Anbieter blieb wie immer namenlos.

Auf die Frage von netzpolitik.org danach, ob die Software von Palantir für ein Vergabeverfahren noch in Frage kommen kann, wenn nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) „zuverlässige Beherrschbarkeit und die Rechtskonformität zu gewährleisten sowie die strukturellen Einflussmöglichkeiten außereuropäischer Staaten auszuschließen“ sein sollen, bleibt das Ministerium die Antwort schuldig. Man könne „zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Angaben zu Anbietern spezifischer Softwareprodukte“ machen. Ansonsten verweist das Innenministerium auf eine parlamentarische Antwort, die zu den Fortschritten bei einem gemeinsamen polizeilichen „Datenhausökosystem“ informiert. Demnach werden seit Ende 2024 „initiale Services durch erste Teilnehmer in den Wirkbetrieb genommen“, darunter die Polizei Sachsen-Anhalts.

Auch ob das Innenministerium als mögliche Zwischenlösung überhaupt die Software von Palantir in Erwägung zieht, bleibt unbeantwortet. Man unterstütze den IMK-Beschluss für ein europäisch beherrschtes System, teilt eine Sprecherin mit. Das mag wohlfeil sein, aber dieses System liegt bekanntermaßen schlicht nicht vor.

In der mündlichen Anhörung im sachsen-anhaltinischen Innenausschuss gab die Landesdatenschutzbeauftragte Rost zu der Frage nach Alternativen die Angabe zu Protokoll, dass sie nicht wüsste, „ob es noch andere Angebote gibt, ob dazu eine Markterkundung gemacht“ worden sei.

Jurist Botta schätzt die „faktische Monopolstellung von Palantir“ als „besorgniserregend“ ein. Soweit bekannt, würde „für die deutschen Polizeibehörden bislang keine ernstzunehmende Alternative“ erwogen: „Das widerspricht grundlegenden Prinzipien digitaler Souveränität.“ Botta erklärt gegenüber netzpolitik.org, dass es endlich den politischen Willen brauche, digitale Abhängigkeiten zu überwinden und „rechtsstaatliche Leitplanken nicht nur anzumahnen, sondern auch konsequent umzusetzen“.

Trump geleckt

Probleme nicht nur in Sachsen-Anhalt

Die automatisierte polizeiliche Datenanalyse ist kein Spezialproblem Sachsen-Anhalts. Die GFF hatte bereits das Palantir-Urteil in Karlsruhe erstritten und danach neuerliche Verfassungsbeschwerden eingereicht sowie weitere angekündigt. Denn aus Sicht der GFF missachten die gesetzlichen Neuregelungen in den derzeitigen Palantir-Nutzerländern Nordrhein-Westfalen und Hessen verfassungsrechtliche Vorgaben. Seit Oktober 2022, also schon vor dem Palantir-Urteil eingereicht, liegt eine Verfassungsbeschwerde gegen das NRW-Polizeigesetz in Karlsruhe. Auch die gesetzliche Regelung zur automatisierten Datenanalyse im Freistaat Bayern, die nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil ergangen ist, betrachtet die GFF kritisch.

Für Sachsen-Anhalt sieht es offenbar nicht besser aus. Jurist Botta formuliert es gegenüber netzpolitik.org in aller Deutlichkeit: „Unabhängig von einer möglichen Nutzung von Palantir verstößt die landesrechtliche Regelung zum polizeilichen Data Mining gegen das Grundgesetz – insbesondere gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.“

Ob also der milliardenschwere US-Anbieter auch in Sachsen-Anhalt zum Zuge kommt, ist nur ein Teil des Problems. Das andere liegt darin, dass die Landesregierung ihre verfassungsrechtlichen Hausaufgaben nicht gemacht hat. Man könnte meinen, das Palantir-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird im Innenministerium Sachsen-Anhalts mehr als zwangloser Vorschlag denn als das gesehen, was es ist: eine verpflichtende Vorgabe.



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Datenschutz & Sicherheit

Breakpoint: Gefangen in der Vereinzelung


Alleinsein tut gut. Am besten geht es uns, wenn wir mit einem Iced Matcha Latte in der Hand auf dem Bett sitzen, eine Gesichtsmaske tragen und uns die neue Staffel unserer Lieblingsserie gönnen. Andere Menschen brauchen wir dabei nicht. Von denen müssen wir uns an solchen Selfcare-Tagen möglichst fernhalten.

Wer es sich gut gehen lassen will, der geht nicht raus, der bleibt daheim. Wenn er sich vernetzt, dann höchstens digital. Statt zu kommunizieren, konsumiert er lieber. So ist er zufrieden. Und so ist er unglaublich frei – vor allem von der Last anderer Menschen.

Diesen Lifestyle bewerben Influencer derzeit in Kurzvideos auf TikTok oder Instagram. Ein geeistes Milchgetränk hier, ein Wellnessurlaub dort, dazu am liebsten noch ein neues Kleidungsstück online shoppen. Und die Lohnarbeit wird natürlich ebenfalls remote erledigt.

Auf diese Weise kommen wir dann zur ersehnten Ruhe – durch die Abwesenheit von Freunden, Partnern, Familienmitgliedern, Bekannten und erst recht von den Kollegen.

Selfcare, weil wir anderen nichts schulden

Die Idee eines derart befreiten Ichs verkaufen uns Influencer und Unternehmen. Wirklich um uns sorgen, so ihr Narrativ, das müssen wir uns vor allem selbst tun – frei von anderen. Frei von all den Verpflichtungen und Zwängen der Gemeinschaft.

Diese sogenannte Selfcare soll man nicht hinterfragen, sondern einfach leben. Der besten Freundin absagen oder doch nicht zur Familienfeier kommen, dem Kumpel lieber nicht beim Umzug helfen und mittags in Ruhe am eigenen Schreibtisch statt mit den Kollegen in der Kantine essen. Anderen schuldet man schließlich nichts. Warum also Mühen auf sich nehmen, wenn man sich währenddessen mit sich selbst beschäftigen kann?

Sich um sich selbst zu kümmern, ist legitim. Auch soziale Events abzusagen oder weniger Zeit unter Menschen zu verbringen, kann guttun und etwa dabei helfen, der ständigen Reizüberflutung zu entkommen. Die Verklärung der sozialen Isolation und Ignoranz zum Lifestyle ist jedoch nicht nur falsch, sondern schädlich.

Das falsche Versprechen der Befreiung

Was wir da in kurzen Videoschnipseln als Selbstfürsorge präsentiert bekommen, fügt sich hervorragend ein in einen neoliberalen Zeitgeist. Er stellt das Individuum nicht nur über die Gemeinschaft, sondern zugleich den Wert von Gemeinschaft in Abrede.

„There is no such thing as society“, brüllen einem die Videos regelrecht entgegen, in denen Influencer Pilates üben, Protein-Shakes trinken, Freundinnen meiden und dabei ganz für sich bleiben. Sie verbreiten die Idee, man sei niemandem außer sich selbst verpflichtet. Deswegen sei es nicht mehr als das natürliche eigene Recht, die (sozialen) Bedürfnisse Anderer zu ignorieren – und das ganze dann Selfcare zu nennen.

Andere Menschen sind in dieser Ideologie vor allem Wesen, die einem selbst Energie rauben. Das Bedürfnis von Freunden und Familie, sich um sie zu sorgen und ihnen zu helfen, darf man deswegen getrost ignorieren. Und wer könnte empfänglicher sein für eine solche Botschaft, als Menschen, die ohnehin schon in eben jenem Moment mutmaßlich alleine am Bildschirm kleben und ein Kurzvideo nach dem anderen konsumieren, statt Zeit mit anderen zu verbringen?

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Diese neue Welle des vorgeblichen Individualismus verspricht Befreiung. Am Ende führt dieses Hirngespinst des von der Gemeinschaft losgelösten Menschen jedoch nur zur Vereinzelung. Und diese Vereinzelung hat einen Zweck: Wer einsam – oder neutraler: allein – ist, verbringt folgerichtig weniger Zeit mit anderen Menschen. Er organisiert sich seltener politisch. Wozu auch? Es zählen doch nur die eigenen Interessen. Und er kümmert sich nicht um andere und verliert im Zurückgezogensein der Ich-Bezogenheit das, was er eigentlich hervorbringen wollte: sich selbst.

Gemeinschaft ist die beste Fürsorge

Die Grundannahme, wir wären nur uns selbst verpflichtet, ist falsch. Wir schulden einander etwas und dieses Etwas ist nicht mehr und nicht weniger als Gemeinschaft und gegenseitige Fürsorge.

Der Preis für diese Gemeinschaft ist, häufiger als uns vielleicht lieb ist, Unannehmlichkeit. Es ist anstrengend, dem Freund Beistand nach einem Trauerfall zu leisten oder die Kinder der Cousine zu hüten. Und es mag sich wie Selfcare anfühlen, genau das nicht zu tun.

Diesen Preis sollten wir aber bereit sein zu zahlen. Denn nur kurzfristig mag es uns besser gehen, wenn wir Verantwortung für andere von uns weisen. Langfristig aber sind wir auf Gemeinschaft und Fürsorge angewiesen. Und diese Fürsorge kann es nur geben, wenn sich Menschen umeinander kümmern. Wenn sie füreinander Verantwortung übernehmen.

Darum: Lasst euch nicht vereinzeln. Wer den Influencer-Scharlatanen auf den Leim geht und seine Beziehungen vernachlässigt, um vermeintliche Selfcare zu betreiben, der droht, sich in der Einsamkeit zu verlieren. Diesen Gefallen sollten wir all jenen, die uns vereinzeln wollen, nicht tun.



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Datenschutz & Sicherheit

Die Woche, als ein Zombie auf die große Bühne trat


Liebe Leser*innen,

gelegentlich beschreiben wir jahrelang vorgebrachte staatliche Überwachungsvorhaben als Zombies. Wie untote Fantasiewesen kehren sie immer wieder auf die Bildfläche zurück. Egal, wie oft man ihnen den Garaus macht.

Einer der ältesten netzpolitischen Zombies ist die Vorratsdatenspeicherung. Sie wurde schon argumentativ erledigt, als ich noch zur Schule gegangen bin und für irgendwelche Vokabeltests lernen musste. Entlarvt als grundrechtlich fragliche Scheinlösung; als unter fadenscheinigen Vorwänden vorgebrachte Überwachungsfantasie. Aber egal, wie oft sie scheinbar erledigt wurde, die Forderung kehrt immer wieder zurück. (Siehe Donnerstag.)

Ein anderer Zombie sind Alterskontrollen. Ich war gerade drauf und dran zu behaupten, dieser Zombie sei noch recht jung. Dann habe ich gesehen: Der älteste Artikel mit dem Begriff „Altersverifikation“ in unserem Archiv stammt aus dem Jahr 2007. Also halte ich mich lieber zurück mit der Zombie-Altersbestimmung.

Frappierende Ähnlichkeiten

14 Jahre später, 2021, habe ich erstmals über Alterskontrollen geschrieben. Damals fühlte mich recht allein mit dem Thema. 2023 dann rumorte es in meinem netzpolitischen Umfeld, dass Alterskontrollen bald das nächste große Ding werden. Jetzt ist es so weit. Das Thema ist auf höchster politischer Bühne angekommen, etwa bei der EU-Kommission und Bundesregierung, aber auch im Ausland wie in Großbritannien und Australien.

Die Ähnlichkeiten zwischen Alterskontrollen und der Vorratsdatenspeicherung sind frappierend: Wieder haben wir es zu tun mit einer grundrechtlich fraglichen Scheinlösung, einer unter fadenscheinigen Vorwänden vorgebrachten Überwachungsfantasie. Dieses Bild zeichnet sich zunehmend ab, je mehr ich darüber lese und berichte. Zuletzt etwa diese Woche, als ich mich in ein Diskussionspapier der Leopoldina vertieft habe.

Ein Zitat, bei dem mich jede Aussage stört

Wie es sich für einen Zombie gehört, wird auch die Forderung nach Alterskontrollen immer wieder ans Tageslicht zurückkehren. Jüngst diese Woche durch Kerstin Claus, Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Anlass war das neue Lagebild mit Zahlen zu erfassten Sexualdelikten gegen Minderjährige. Claus sagte auf der dazugehörigen Pressekonferenz:

Wir brauchen eine umfassende Altersverifikation, weil wir nur so Safe Spaces, sichere Räume, für Kinder und Jugendliche auch digital schaffen können. Und dafür brauchen wir rechtliche Vorgaben und eine verlässliche technische Umsetzung.

An diesem Zitat stört mich jede einzelne Aussage.

  • Erstens: Es gibt doch längst rechtliche Vorgaben. Zum Beispiel, frisch verhandelt und Kraft getreten, das Gesetz über digitale Dienste auf EU-Ebene. Die Vorgaben sehen nach grundrechtlicher Abwägung keine „umfassende“ Altersverifikation vor, lassen aber Raum für Alterskontrollen je nach Risiko.
  • Zweitens: Es gibt keine „verlässliche technische Umsetzung“ für Alterskontrollen. Das ist reines Wunschdenken.
  • Drittens: Altersverifikation allein schafft keine sicheren Räume für Kinder. Das betonen Fachleute durch die Bank weg. Zur Diskussion steht allenfalls, in welcher Form sie ein Baustein sein kann.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht mit diesem Zitat, aber mich hat das wütend gemacht. Eine Weile lang wusste ich nicht, wie ich diesen Wochenrückblick jetzt beenden soll. Vielleicht mit einem Tableflip-Emoticon?

(╯°□°)╯︵ ┻━┻

Das hat jedenfalls gutgetan.

Mich würde es freuen, mehr Zeit mit seriösen Lösungsideen verbringen zu können, als mit dem stumpfen Kampf gegen Überwachungszombies.

Bis die Tage und schönes Wochenende
Sebastian

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Datenschutz & Sicherheit

BSI: Etwas mehr E-Mail-Sicherheit – und weiter Luft nach oben


Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und Anbieter von E-Mail-Diensten melden erste Erfolge bei einer gemeinsamen Aktion für mehr E-Mail-Sicherheit. Vor allem zwei technische Richtlinien des BSI sollen für eine bessere Absicherung sorgen, ohne dass die Endnutzer selbst etwas tun müssten.

Auch über 40 Jahre nach der ersten E-Mail in Deutschland ist Mail „nach wie vor der wichtigste Kanal“, sagte BSI-Chefin Claudia Plattner am Freitag in Berlin. „Es ist aber leider auch das wichtigste Einfallstor für Cyberangriffe.“

Von Phishing über Fake News bis hin zu Sabotageaktionen spiele E-Mail eine wichtige Rolle, sagte die BSI-Präsidentin. Die in vielen Organisationen gelebte Sensibilisierung der Nutzer sei zwar wichtig, allein aber nicht ausreichend. Genau da setze die Kampagne des BSI zur Erhöhung der E-Mail-Sicherheit an.

Deren Zwischenstand präsentierte Plattner am Freitag zusammen mit den Branchenverbänden und Bitkom. Für den Eco betont Norbert Pohlmann die Relevanz von E-Mail. Trotz aller Alternativen von Slack über Teams und Messenger sei Mail nach wie vor das Mittel der Wahl, da sie ein globaler Akteur ohne dominierende Akteure sei.

Doch bei der Sicherheit sieht Pohlmann viel Luft nach oben: „Wir haben ein echtes Problem mit unserer E-Mail-Infrastruktur.“ Pohlmann, der auch Inhaber einer Professur für IT-Sicherheit ist, sieht dabei auch die Unternehmen in der Pflicht, deutlich mehr zu tun.

Ähnlich sieht es auch Susanne Dehmel, Vorstandsmitglied beim Bitkom: Die Verantwortung dürfe nicht länger ausschließlich bei Empfängerinnen und Empfängern der E-Mails gesehen werden. Korrekt implementierte Standards würden dabei helfen, die Risiken etwa durch Phishing und Spoofing deutlich zu reduzieren.

150 Unternehmen, vor allem E-Mail-Anbieter, aber auch Hoster, hätten sich freiwillig bereit erklärt, hieran mitzuwirken, sagte Plattner. Auch ohne gesetzliche Regelung sei es also möglich, Wirkung in der Praxis zu erzielen.

Das BSI hat ab Februar 2025 eine Bestandsaufnahme durchgeführt, inwiefern Anbieter die empfohlenen Maßnahmen der technischen Richtlinien 03108 und 03182 umsetzen.

Nur 20 Prozent der Unternehmen haben demnach etwa DNSSEC korrekt eingesetzt; die DNS-basierte Authentisierung von Namen (DANE) sogar nur 11 Prozent. Das BSI habe daraufhin die Unternehmen aktiv angesprochen – und im Juni seien die Zahlen bereits deutlich besser gewesen. Hinzugekommen seien zudem zahlreiche Unternehmen, die sich von sich aus gemeldet hätten.

Während das BSI auf der einen Seite Unternehmen öffentlich lobt, die sich der Initiative angeschlossen haben, nutzt es an anderer Stelle seine gesetzlichen Befugnisse: eine öffentliche Liste von E-Mail-Anbietern und ihrer Entsprechung der BSI-Kriterien. Apples mac.com und me.com etwa erfüllen nur fünf der derzeit sieben BSI-Kriterien – etwa weil alte TLS-Versionen weiter zugelassen würden. Auf gleichem Niveau sieht die Bonner IT-Sicherheitsbehörde auch gmail.com, outlook.com und msn.com.

Was E-Mail auch nach über 40 Jahren nicht flächendeckend leisten kann, ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Geht es nach Pohlmann, sollte sich das jedoch ändern. Derzeit aber sind hier Messenger wie Signal, Threema oder Wire gängig – und zugleich politisch unter Beschuss. Unklar ist derzeit, wie sich künftig Bundesinnenminister Alexander Dobrindt bei den Debatten um ein mögliches Brechen von Verschlüsselung positionieren wird.

„Wir sollten erstmal schauen, dass wir uns absichern, Prozesse absichern, Unternehmen absichern“, sagte Pohlmann. „Wir können nicht auf die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Prozent der Kriminellen identifizieren können, unsere ganze Gesellschaft unsicherer machen.“ Auch für den Bitkom gelte, dass Verschlüsselung das wichtigste Instrument für sichere Kommunikation sei, und das solle auch nicht angetastet werden, betonte Susanne Dehmel.

Für BSI-Präsidentin Plattner, deren Behörde in weiten Teilen dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, gibt es technologisch hierbei eine klare Sicht: „Wir müssen immer dafür sorgen, dass wir sichere Infrastrukturen haben.“ Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sei dafür ein wichtiges Mittel. Plattner warnte vor den möglichen Folgen künstlich eingebauter Abhörschnittstellen: Salt Typhoon habe gezeigt, welche Risiken mit solchen Herangehensweisen verbunden seien.


(vbr)



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