»Haltung ist keine Kampagne, sondern ein Grundprinzip« › PAGE online
Was macht eine starke Marke aus – und welche Rolle haben Marken 2026? Florian Kleinsteuber, German Design Council, ist überzeugt: Es kommt weniger auf Lautstärke und Reichweiten an. Sondern auf Konsequenz und echte Beziehungen.
Florian Kleinsteuber ist Stratege für globale Medienkooperationen beim German Design Council Bild: Sebastian Heindorff
PAGE: Florian, wann hattest du zuletzt einen echten Markenmoment, bei dem dich eine Marke beeindruckt hat – und warum?
Florian: Ich hatte diesen Moment bei den Design Business Days mit Michael Fritz von Viva con Agua. Er sprach in einem Vortrag über Verantwortung, über die Müdigkeit, die entsteht, wenn jede Woche ein neues technisches Heilsversprechen auftaucht. Er beschrieb sehr deutlich, wie schwer es fällt, in diesem permanenten Lärm nicht von dem Weg abzuweichen, den der eigene Kompass vorgibt. Diese Ehrlichkeit hat mich beeindruckt. Ich sah eine Organisation, die nicht auf Wirkung setzte, sondern aus Haltung sprach. Viva con Agua handelt, bevor sie kommuniziert, und genau das macht sie glaubwürdig. Für mich zeigt sie, dass eine starke Marke nicht durch Worte entsteht, sondern durch die Konsequenz ihres Handelns.
Welche Rolle haben Marken 2026 – und was macht starke Marken heute aus?
Sie schaffen Räume, in denen Menschen sich orientieren und beteiligen können. Sie richten ihre Aufmerksamkeit weniger auf Reichweiten und stärker auf Beziehungen. Das wird gerade jetzt relevant, weil wir in den USA beobachten, wie Unternehmen aus Angst vor politischem Gegenwind ganze Diversitätsprogramme zurückfahren. Diese Tendenz zeigt, wie schnell Marken Haltung verlieren, wenn der Druck zunimmt. Eine starke Marke lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie versteht Zugehörigkeit als Grundprinzip und nicht als Kampagne. Zugehörigkeit kennt kein Gender, keine Ideologie und keine wechselnde politische Stimmung. Eine Marke bleibt sich treu, auch wenn die Welt versucht, sie in eine Schublade zu pressen. Und sie trifft Entscheidungen mit Mut und Klarheit, statt sich hinter Perfektion oder Angst zu verbergen.
Zehn Jahre Branding: Wie hat sich Markenführung verändert?
Markenführung war früher ein durchgetakteter Prozess mit klaren Regeln und festen Bildern. Heute ist sie ein Lernfeld. Viele Marken kämpfen noch mit dieser Veränderung und treffen Entscheidungen aus Vorsicht statt aus Überzeugung. Die spannendsten Marken der vergangenen zehn Jahre waren nicht die störungsfreien, sondern die lernfähigen. Die Welt ist digital laut geworden und gleichzeitig physisch verletzlich. In dieser Kombination gewinnt wieder das Echte an Bedeutung.
An diesem Punkt spielt Service Design eine wichtige Rolle. Es verschiebt den Fokus von Symbolen hin zu Beziehungen. Es zwingt Marken dazu, nicht nur an ihre Außenwirkung zu denken, sondern an den konkreten Umgang mit Menschen, die mit ihnen leben und arbeiten. Eine Marke bleibt stark, wenn sie Vertrauen nicht einfordert, sondern durch ihr Verhalten verdient hat.
Warum gehören auch Themen wie KI und Kreislaufwirtschaft mittlerweile unbedingt zum Branding dazu?
Ich halte es für einen Fehler, beide Themen automatisch dem Branding zuzuschreiben. Marken nutzen KI und Nachhaltigkeit oft als Trendkulisse. Menschen erkennen sehr schnell, ob Substanz dahinter ist. KI kann eine Marke unterstützen, aber sie kann keine kulturelle Haltung ersetzen. Kreislaufwirtschaft kann Verantwortung ausdrücken, aber nur, wenn sie im Alltag funktioniert und gelebt wird und nicht nur als PR-Buzzword existiert. Marken sollten diese Themen als konkrete Fähigkeiten verstehen.
»Die überzeugendsten Marken wirken heute nicht durch Perfektion, sondern durch Charakter.«
Was macht eine differenzierende Markenpositionierung heute aus?
Differenz entsteht nicht durch Lautstärke, sondern durch Konsequenz: Eine differenzierende Positionierung beginnt mit Klarheit. Eine Marke muss wissen, was sie will und was sie lässt. Die überzeugendsten Marken wirken heute nicht durch Perfektion, sondern durch Charakter. Weil sie aus innerer Überzeugung handeln und nicht aus Angst vor Relevanzverlust. Sie treffen Entscheidungen, die nicht allen gefallen, aber den eigenen Werten entsprechen.
Welche Ratschläge gibst du Markenverantwortlichen, die auch in den nächsten zehn Jahren noch relevant sein wollen?
Ich würde ihnen raten, alte Sicherheiten loszulassen. Verlernen schafft Raum für Neues. Marken wachsen nur, wenn sie Risiken zulassen. Gleichzeitig brauchen sie neue Stimmen, die nicht aus dem alten System stammen: junge Menschen, frische Perspektiven, andere Erfahrungen. Und ich würde ihnen raten, Haltung nicht als Kommunikationsidee zu betrachten.
Wie würdest du die Rolle von Marken 2026 in drei Adjektiven beschreiben?
Ich glaube, Marken müssen 2026 vor allem drei Dinge können: Sie müssen adaptiv sein, unbefangen bleiben und Verantwortung übernehmen. Eine Marke, die adaptiv denkt, versteht Veränderung als Normalität. Sie wartet nicht auf Stabilität, sondern bewegt sich mit dem, was passiert. Eine unbefangene Marke bleibt neugierig. Sie probiert aus, stellt Fragen, erlaubt sich Irrtümer und lernt daraus, statt sich für jede Abweichung zu entschuldigen. Und eine verantwortungsvolle Marke hat ein Gespür dafür, wie Menschen heute leben. Sie trifft Entscheidungen, die Wirkung haben und nicht nur auf dem Papier gut aussehen.
About Florian
Florian Kleinsteuber ist Stratege für globale Medienkooperationen beim German Design Council und prägt die Contentarchitektur der verschiedenen Awardplattformen und Stiftungs-Initiativen. Parallel führt er eine eigene Agentur für Markenstrategie und Kommunikation, in der er internationale Unternehmen in Positionierung und Storytelling begleitet.