Apps & Mobile Entwicklung
Ist Deutschland auf dem richtigen Weg?
Seit 100 Tagen ist eine neue Regierung unter Kanzler Merz im Amt – erstmals mit eigenem Digitalministerium. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen und einzuordnen, was bei Digitalisierung, Netzausbau, KI usw. bereits gelungen ist bzw. auf den Weg gebracht wurde – und wo es noch hakt.
Meine Güte, das war wirklich höchste Zeit! Deutschland hat endlich ein Digitalministerium erhalten. Ende April erfuhren wir, dass mit Dr. Karsten Wildberger ein Mann aus der Wirtschaft den ersten Digitalminister unseres Landes stellt. Etwa ein Vierteljahr später – am 13. August war die neue Regierung 100 Tage im Amt – blicken wir auf das, was das neue Ministerium auf den Weg bringen konnte. Sind wir auf dem Weg zur KI-Hochburg Europas? Oder fahren wir den digitalen Karren weiterhin an die Wand?
Hurra, wir haben ein Digitalministerium
Fangen wir direkt mit dem Ministerium selbst an, denn die Regierung will Deutschland ja nicht nur nach allen Regeln der Kunst durch-digitalisieren, sondern möchte das über das neu geschaffene „Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung“, kurz BMDS, bewerkstelligen. Hier sollten wir Wildberger und seinen Leuten über die ersten 100 Tage hinaus vermutlich ein wenig mehr Welpenschutz gewähren.
Schließlich wird nicht nur ein komplett neues Ministerium aus dem Boden gestampft, sondern zudem eines, in dem Aufgaben aus gleich fünf Ministerien und dem Kanzleramt zusammenlaufen. Also ja, viele von Euch, ebenso ich und gerade auch die Tech-Industrie waren happy, dass dieses Ministerium nun endlich existiert. Mit der Bildung hielt die Regierung also bereits das erste Versprechen ein.
Erste Erfolge:
- Vor wenigen Tagen wurde ein neues Organigramm vorgestellt, sodass jetzt Strukturen und Zuständigkeiten klar geregelt sind. Wichtig für ein neues Ministerium.
- Der Bundestag hat bereits dem NOOTS-Staatsvertrag zugestimmt, der jetzt durch die Länder ratifiziert wird. NOOTS steht für „National Once-Only-Tech-System“: Damit ist gemeint, dass wir Bürger:innen und auch Unternehmen nur ein einziges Mal bei Behörden angeben müssen. Die Daten werden dann zwischen Behörden automatisch ausgetauscht. Ein großer Schritt Richtung Bürokratieabbau.
Wo es noch hakt:
- Kompetenzgerangel des BMDS mit dem neu ausgerichteten Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) mit Dorothee Bär an der Spitze und dem Wirtschaftsministerium unter Ministerin Katherina Reiche. Das kostet uns vor allem beim Thema KI wertvolle Zeit.
- Die Open Source Business Alliance (OSBA) vermisst zielführende Maßnahmen zur Stärkung der digitalen Souveränität.
Unterm Strich zählt, dass vielen Worten, die in die Richtung zielen, bislang noch zu wenige Taten gefolgt sind. Aber wie gesagt: Vielleicht muss man dem Ministerium etwas Zeit gewähren, damit sich die Strukturen festigen können.
Schöne neue (digitale) Welt
Hightech Agenda
Es wurden wirklich einige Projekte angestoßen, jüngst zum Beispiel die sogenannte Hightech Agenda, die aber Ministerin Dorothee Bär verantwortet. Mit dieser Agenda soll Deutschland wieder ein Markenzeichen für Innovation werden. Gefördert werden sollen in diesem Rahmen gleich sechs Schlüsseltechnologien:
- Künstliche Intelligenz
- Quantentechnologien
- Mikroelektronik
- Biotechnologie
- Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung
- Technologien für die klimaneutrale Mobilität
Das Ministerium will Wissen mit dieser Bündelung schneller in marktfähige Produkte bringen, Bürokratie abbauen, Finanzierungsmöglichkeiten verbessern, Fachkräfte gewinnen und stärker mit Partnern in Europa und der Welt zusammenarbeiten.
Erste Einschätzung dazu: Die Agenda bzw. das Ministerium wurde mit sehr viel Geld ausgestattet, um wirklich viele Projekte anzustoßen. Es wurden im dreistelligen Bereich Professuren ausgeschrieben. Erste Hochschulen berichten auch von ersten Erfolgen bei der Nachwuchsgewinnung. Leider fließt noch viel zu wenig Geld ab. Das bedeutet, dass auch hier sehr viel angekündigt und versprochen wird, aber noch nicht besonders viel angelaufen ist.
Viele der Projekte befinden sich noch in der Ausschreibungs- oder Konzeptphase. Will Deutschland bei KI wirklich vorne mitmischen? Dann ist besonders hier jetzt richtig Tempo gefragt – Tempo, das sich in den ersten 100 Jahren leider noch nicht abzeichnet.
Glasfaser und Mobilfunk – endlich Tempo?
Deutschland diskutiert seit 1981 über Glasfaser. Beim Mobilfunk sieht es besser aus, Funklöcher sind selten geworden. Doch 5G nutzen laut einer BMDS-Kampagne (#CheckDeinNetz) nur etwa 47 Prozent von Euch – der Rest hängt noch bei LTE fest. Deshalb hat das BMDS das Telekommunikationsgesetz angepasst: Seit dem 30. Juli gilt der Ausbau von Glasfaser- und Mobilfunknetzen als „überragendes öffentliches Interesse“.
Bedeutet praktisch: Bei allen politischen Entscheidungen muss jetzt immer mitgedacht werden, wie sich diese auf schnelles Internet auswirken. Angepeilt hat die Regierung bundesweite Gigabit-Abdeckung bis 2030.
Das Justizministerium kann Digitalisierung!
Ausgerechnet der Justizsektor lässt mit ersten Erfolgen aufhorchen. So hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf eingebracht, der den Widerruf von Online-Käufen künftig per Klick ermöglicht – was deutlich bürgerfreundlicher wäre. Notarielle Beurkundungen sollen komplett digital ablaufen können (per qualifizierter Signatur oder Touchscreen), und auch die Zwangsvollstreckung wird digitalisiert: Vollstreckungsaufträge und Vollmachten können künftig elektronisch eingereicht werden. Bis Ende 2026 soll zudem die bundeseinheitliche Justizcloud kommen.
Ein erstes Zwischenfazit: Durchwachsen, aber nicht hoffnungslos
Ihr kennt mich – wenn es was gibt, auf das man Draufknüppeln kann, dann knüppel ich mit Herzenslust mit. Hier kann ich das aber nur eingeschränkt tun. Es gibt einige wirkliche Lichtblicke (Justiz, NOOTS-Staatsvertrag, Turbo für den Netzausbau). Außerdem müssen wir dem neuen Digitalministerium eine gewisse Zeit der Konsolidierung einräumen.
Aber genau da fangen die Schwierigkeiten an. Es gibt weiterhin sehr viele Überschneidungen und Grabenkämpfe um Zuständigkeiten, die die Regierung bei ihren Plänen ausbremsen könnten. Es gibt viele gute Ansätze, noch deutlich mehr gute Ideen. Aber jetzt muss die Regierung mit Minister Wildberger auch wirklich ins „Machen“ kommen, wie er selbst gerne sagt.
Besonders sorgen müssen wir uns um den Bereich der KI: Auch da gibt es viele Absichtserklärungen, aber nach 100 Tagen noch viel zu wenig Greifbares. Es zeichnet sich ab, dass die wichtigen Innovationsthemen irgendwo zwischen den Zuständigkeiten und dem Gerangel mit der EU, den verschiedenen Ministerien und auch mit den Ländern auf der Strecke bleiben könnten.
Deutschland liegt aktuell auf Platz 14 im DESI-Index (Digital Economy and Society Index), der EU-weit den Grad der Digitalisierung misst. Bei der digitalen Verwaltung liegen wir sogar nur auf Platz 21. Hier ist noch mächtig Luft, aber es gibt tatsächlich auch etwas Hoffnung, dass Deutschland an den richtigen Stellschrauben dreht. Lasst uns einfach nach einem Jahr noch einmal draufschauen, was sich bis dahin getan hat.