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KI-Überblick 5: Transformer – Self-Attention verändert die Sprachverarbeitung
Lange galten Recurrent Neural Networks (RNNs) als der Goldstandard für das Verarbeiten von Sprache. Sie waren dafür gemacht, Sequenzen schrittweise zu verarbeiten und dabei frühere Informationen im Gedächtnis zu behalten. Doch sie hatten Grenzen – insbesondere bei langen Texten, komplexen Abhängigkeiten und paralleler Verarbeitung.
Golo Roden ist Gründer und CTO von the native web GmbH. Er beschäftigt sich mit der Konzeption und Entwicklung von Web- und Cloud-Anwendungen sowie -APIs, mit einem Schwerpunkt auf Event-getriebenen und Service-basierten verteilten Architekturen. Sein Leitsatz lautet, dass Softwareentwicklung kein Selbstzweck ist, sondern immer einer zugrundeliegenden Fachlichkeit folgen muss.
Mit dem Aufkommen der Transformer-Architektur hat sich das grundlegend geändert. Sie hat sich nicht nur als leistungsfähiger erwiesen, sondern auch als effizienter, skalierbarer und flexibler. Inzwischen ist sie die dominierende Grundlage für viele KI-Systeme, darunter BERT, GPT, T5 und viele mehr.
In diesem Beitrag zeige ich Ihnen, was Transformer-Modelle auszeichnet, warum Self-Attention der entscheidende Mechanismus ist und wie diese Architektur das maschinelle Lernen verändert hat.
Die Grenzen rekurrenter Netze
Recurrent Neural Networks verarbeiten Texte sequenziell – Wort für Wort oder Zeichen für Zeichen. Dabei führen sie ein internes Gedächtnis mit, das bei jedem Schritt aktualisiert wird. Dieses Prinzip funktioniert gut für kurze Eingaben, stößt jedoch bei längeren Sequenzen an mehrere Grenzen:
- Langfristige Abhängigkeiten gehen verloren: Frühere Informationen verblassen über die Zeit.
- Keine echte Parallelisierung möglich: Da jedes Wort auf dem vorherigen basiert, kann nicht gleichzeitig verarbeitet werden.
- Begrenzter Zugriff auf den Kontext: Jedes Element sieht nur den bisherigen Verlauf, nicht den gesamten Zusammenhang.
Diese strukturellen Schwächen führten dazu, dass selbst mit Verbesserungen wie LSTM oder GRU viele Sprachaufgaben schwer zu lösen blieben.
Die Grundidee des Transformer
Die Transformer-Architektur wurde 2017 in dem Paper „Attention Is All You Need“ vorgestellt. Der zentrale Gedanke: Statt Informationen sequenziell zu verarbeiten, sollen alle Teile eines Textes gleichzeitig betrachtet werden – mithilfe eines Mechanismus namens „Self-Attention“.
Transformer-Modelle bestehen nicht mehr aus rekursiven Schleifen, sondern aus einem Stapel gleichartiger Schichten, die Eingaben parallel verarbeiten. Jede Schicht analysiert dabei, welche Teile der Eingabe wie stark miteinander in Beziehung stehen – unabhängig von der Position.
Dieses Prinzip erlaubt es dem Modell:
- Kontext über beliebige Distanzen hinweg zu berücksichtigen,
- Ein- und Ausgaben gleichzeitig zu verarbeiten und
- die gesamte Eingabe als Ganzes zu analysieren.
Self-Attention: Kontext ohne Reihenfolge
Der Self-Attention-Mechanismus bewertet für jedes Element in einer Eingabesequenz, wie stark es auf alle anderen Elemente achten sollte. Vereinfacht gesagt:
- Jedes Wort erzeugt eine gewichtete Kombination aller anderen Wörter.
- Diese Gewichtung ergibt sich aus der inhaltlichen Ähnlichkeit.
- So kann zum Beispiel das Wort „sie“ korrekt auf „die Frau“ zurückverweisen, auch wenn diese am Satzanfang steht.
Mathematisch geschieht das über sogenannte Query-, Key– und Value-Vektoren, die aus den Eingabedaten erzeugt werden. Diese werden paarweise miteinander kombiniert, um zu bestimmen, wie viel Aufmerksamkeit jedes Token auf andere richten soll. Die resultierenden Gewichte fließen dann in die nächste Repräsentation ein.
Der Effekt: Das Modell kann flexibel entscheiden, welche Informationen an welcher Stelle wichtig sind – unabhängig von der linearen Reihenfolge.
Positionale Kodierung
Da Transformer-Modelle die Reihenfolge der Eingaben ignorieren können, benötigen sie eine zusätzliche Komponente, nämlich die positionale Kodierung. Sie sorgt dafür, dass die relative und absolute Position von Wörtern im Satz erhalten bleibt. Ohne diesen Schritt wäre ein Satz wie „Die Katze jagt die Maus“ nicht von „Die Maus jagt die Katze“ zu unterscheiden.
Die Positionsinformation wird meist als Vektor addiert oder eingebettet und fließt gemeinsam mit dem Inhalt in die Berechnung der Aufmerksamkeit ein.
Skalierung und Architektur
Ein vollständiger Transformer besteht typischerweise aus mehreren aufeinanderfolgenden Encoder- und/oder Decoder-Schichten, je nach Anwendungsfall:
- Encoder-only-Modelle (zum Beispiel BERT) analysieren Texte, etwa für Klassifikation oder Fragebeantwortung.
- Decoder-only-Modelle (zum Beispiel GPT) erzeugen Texte, etwa beim Autovervollständigen.
- Encoder-Decoder-Modelle (zum Beispiel T5) übersetzen oder transformieren Texte zwischen Formaten.
Die Fähigkeit, diese Architekturen effizient auf große Datenmengen und Modellgrößen zu skalieren, hat den Siegeszug der Transformer entscheidend geprägt. Moderne Modelle enthalten Milliarden von Parametern und lernen auf Datenmengen, die frühere Verfahren unvorstellbar überfordert hätten.
Warum Transformer so erfolgreich sind
Transformer-Modelle verdanken ihren Erfolg mehreren Faktoren:
- Sie verarbeiten Sprache kontextsensitiv und global, nicht lokal und sequenziell.
- Sie lassen sich hochgradig parallelisieren, was das Training beschleunigt.
- Sie sind modular und lassen sich flexibel für unterschiedliche Aufgaben anpassen.
- Sie eignen sich nicht nur für Sprache, sondern auch für Bilder, Videos, Molekülstrukturen und vieles mehr.
Dadurch haben sie sich zum universellen Baukasten moderner KI entwickelt.
Ausblick
Der nächste Teil befasst sich mit Large Language Models wie GPT, BERT oder Claude. Er wird zeigen, was diese Modelle von klassischen Sprachverarbeitungsansätzen unterscheidet, wie sie trainiert werden und warum sie so viele Aufgaben scheinbar mühelos lösen – obwohl sie kein echtes Verständnis besitzen.
(rme)