Künstliche Intelligenz
Kommentar: Das Ende des Internets, wie wir es kennen
Ist Ihnen aufgefallen, dass das Ergebnis einer Google-Suche seit einigen Wochen meist mit einer KI-Zusammenfassung startet? Die ganz schön häufig genau die Antwort liefert, nach der man gesucht hat? Das ist Googles Reaktion auf moderne KI-Assistenten wie ChatGPT oder Perplexity, die das Internet nach aktuellen Inhalten durchsuchen und Nutzern die eigenhändige Netz-Recherche abnehmen.
Dr. Oliver Diedrich ist Chefredakteur von iX. Er interessiert sich für Linux, Open Source, Softwareentwicklung, die Cloud und KI.
Wer mit KI sucht, muss nicht mehr googeln. Die Folge: weniger Suchen auf google.com. Googles Antwort: Mit dem vor kurzem angekündigten AI Mode wandelt sich die Suchmaschine zum Chatbot. Generative KI ist gut darin, Inhalte aus verschiedenen Quellen zusammenzufassen, insofern ist das eine logische Entwicklung. Die SEO-Branche wittert schon Morgenluft und entwickelt Ideen für AIO, also Webseitenoptimierung für KI.
Lohnen sich Inhalte dann noch?
Allerdings haben die Ersteller der Inhalte, die die KI verdaut und appetitlich aufbereitet ausspuckt, nichts davon. Bislang war der Deal: Google kriegt die Inhalte und leitet dafür Nutzer auf die Website. Dort kann man Suchmaschinentraffic monetarisieren, beispielsweise durch Online-Werbung oder den Verkauf von Produkten. Die KI-Zusammenfassungen verbergen die Links zu den Quellen in unscheinbaren Fußnoten und sind häufig so gut, dass man sie gar nicht mehr anklicken muss. In den USA, wo es die KI-Zusammenfassungen schon länger gibt, beklagen viele Online-Publisher bereits einen erheblichen Traffic-Einbruch. Auch auf heise.de merken wir diesen Effekt.
Aber um die Verlage soll es hier gar nicht in erster Linie gehen, die können gegen Google klagen, Druck auf die Politik machen und schlimmstenfalls neue Businessmodelle finden, die ohne Suchmaschinentraffic auskommen. Aber der Deal „Inhalte gegen Besucher“ ist auch für viele private und nebenberufliche Blog- und Website-Betreiber wichtig. Denn was motiviert Menschen, ihr Wissen ins Web zu schreiben? Gefunden und gelesen zu werden. Das gilt für die Betreiber von Blogs zu Nischenthemen, ebenso für Leute, die Fragen auf Reddit, Stack Overflow (die schon länger ein anders geartetes Problem mit KI haben) oder im heise-online-Forum beantworten.
Wenn sich jetzt die KI die Inhalte schnappt und bereits schön aufbereitet auf google.com, chatgpt.com etc. präsentiert, bleiben die Leser aus. Wer wird dann noch Inhalte fürs Web erstellen, wenn sie nur noch als KI-Futter dienen? Letztlich wird das dafür sorgen, dass das Internet verarmt. Dass seine derzeitige Funktion als Informationsquelle für jedes noch so exotische Thema verloren geht.
Wer nur auf den großen Plattformen von TikTok bis YouTube und auf den Websites der großen Publisher unterwegs ist, dem mag das egal sein. Aber wer das Internet wegen seiner Vielfalt schätzt und wegen seiner ursprünglichen Idee, jedem Menschen die Möglichkeit zu geben, zu publizieren und Leser zu finden: Wir müssen uns Sorgen machen. Das KI-Internet wird ein anderes sein als das, das wir kennen.
Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Editorial der neuen iX 7/2025, die am 27. Juni erscheint.
(odi)