Künstliche Intelligenz
Lederhose statt Hipster-Chic: Ist München die Startup-Hauptstadt? Pro und Contra
Jahrelang galt Berlin als die Startup-Hauptstadt. Doch jetzt zeigt eine neue EY-Studie, dass München der Metropole an der Spree den Rang abläuft. In die Stadt an der Isar wandert das meiste Wagniskapital. Warum das schon lange absehbar war, erklärt Tobias Weidemann, während Andreas Weck sagt, dass es für mehr benötigt, um die wahre Startup-Hauptstadt zu sein.
Deep-Tech ist das neue Ding – und München kann das
Über viele Jahre hinweg galt Berlin als die deutsche Startup-Metropole und als der „Place to be“ für Hipster-Gründer:innen. Dabei wissen Kenner:innen genau: München hat der Bundeshauptstadt längst den Rang abgelaufen. Das hat eine Vielzahl an Gründen: Zwar hatte in Berlin in den Zehnerjahren gefühlt jede:r Zweite „sein Startup“, doch war vieles eher klein und gar nicht so innovativ und technologisch disruptiv, wie es den Anschein macht.
Dass das in München anders läuft, liegt nicht zuletzt an der üppigen Standortförderung und den forschungsstarken Hochschulen. So gingen aus der zur TU München gehörenden Entrepreneur-Schmiede UnternehmerTUM immer wieder erfolgreiche Technologieunternehmen von Celonis bis Isar Aerospace hervor. Zusammen mit kleineren Initiativen von Werk1 über das Media Lab Bayern bis hin zu Gate Garching bildet diese Szene ein erstaunlich gutes Ökosystem in den einzelnen Startup-Umfeldern.
Tobias Weidemann: „Berlin ist durch!“
(Bild: Foto: D. Gierke)
Zum zweiten Mal in Folge floss in die bayrische Hauptstadt jetzt auch das meiste Wagniskapital, so EY. Und auch das verwundet nicht, denn Deep-Tech rund um Robotik, KI, Space und Data Analytics ist das neue Ding – und das beherrscht der Industriestandort im Süden perfekt. Das hat auch dazu geführt, dass wichtige Tech-Player Außenstellen in München eröffnet haben: Google betreibt in München eines seiner größten Entwicklungszentren außerhalb der USA, Microsoft hat hier traditionell sein deutsches Headquarter und auch Apple hat 2021 angekündigt, München zum europäischen Zentrum für Chipdesign zu machen – die Liste ließe sich noch um einiges verlängern. Berlin ist durch!
Tobias Weidemann ist Redakteur und Kommunikationsberater für Digitalthemen mit Schwerpunkt auf E-Commerce- und Online-Marketing sowie New Finance und Business-IT. Er hat lange in München gelebt und gearbeitet und kennt daher die dortige Startup-Szene bestens.
Am Ende wollen alle nach Berlin – sogar die Münchner
Dass das meiste Wagniskapital nach München wandert, ist eine gute Nachricht. Denn in München entstehen viele neuartige Technologien, die dringend viel Geld benötigen. Wie mein Vorredner es schon so treffend sagt: Deep-Tech ist in München beheimatet – primär durch die vielen aufsehenerregenden Uni-Ausgründungen. Und doch: Dass München jetzt plötzlich Startup-Hauptstadt sein soll, das halte ich für einen Wunschtraum in Lederhosen. Berlin bringt viele Zutaten für eine hochinnovative Mixtur zusammen: die kreative Subkultur, die Nähe zur Politik und selbstverständlich auch die Vielzahl renommierter Universitäten – von der FU bis zur TU Berlin, von der Humboldt bis zur UdK.
Andreas Weck: „Pfiat di, liebes München!“
(Bild: Foto: Ole Witt)
BWLer:innen, Künstler:innen sowie Naturwissenschaftler:innen finden hier ihre Nische – und die ist anders als in München noch bezahlbar. Dass in Berlin überwiegend kleine und wenig innovative Startups gegründet wurden, ist zudem schlichtweg falsch. Unicorns, also Jungunternehmen mit Milliarden-Bewertungen, haben in der wahren Startup-Hauptstadt beste Bedingungen. Die Fintechs N26 und Trade Republic, das KI-Startup Parloa, das Solar-Startup Enpal – sie alle stammen aus Berlin. Überhaupt: Habt ihr schon einmal gehört, dass ein Startup aus Berlin ein Office in München aufmacht? Ich nicht. Hingegen gehört es zum guten Ton, dass erfolgreiche Münchner Jungunternehmen eines in Berlin öffnen. Personio, Helsing, Flix – ihr seid alle herzlich willkommen. Und Big-Tech kann die Hauptstadt und ihr Umland auch: Grüße gehen raus zum Amazon-Tower in Friedrichshain und dem Tesla-Werk in Grünheide. Pfiat di, liebes München!
Andreas Weck ist Redakteur im Bereich digitale Arbeitswelt. Für t3n hat er schon so manches Startup-Ökosystem besucht, in San Francisco und dem Silicon Valley sogar gelebt. Wenn der Wahl-Berliner am Kickertisch eine Lokalrunde ausgibt, ist jeder Zweite ein Startup-Beschäftigter.
Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.
(jle)