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Maschmeyer erzählt: Mein verrückter Tag auf den Tech Weeks in San Francisco

AI in Nail Design? Ein bisschen neugierig bin ich schon, was sich dahinter verbirgt. Eine KI, die für Fußnägel futuristische Motive entwickelt? Aber leider kollidiert die Zukunft der Nagelästhetik mit dem zeitgleich stattfindenden Vortrag „AI in Financial Services“. Das klingt vielleicht weniger unterhaltsam, aber – für mich – nützlicher.
Grundsätzlich ist es so, dass es selten so schwierig war, einen Zeitplan zusammenzustellen. Das liegt daran, dass die Tech Weeks dezentral organisiert sind, die einzelnen Events sind über die riesigen Stadtgebiete von San Francisco und Los Angeles verteilt – und vieles davon findet gleichzeitig statt. Priorisierung ist wichtig, jeder Gründer kennt das. Und wer im Stadtverkehr von SF oder LA schon mal schnell von A nach B kommen wollte, weiß, dass „schnell“ überhaupt nichts geht. Vor allem, wenn allein nach SF mehr als 70.000 Menschen kommen und die Straßen zusätzlich verstopfen. Da hilft auch keine große Waymo-Flotte.
Fahrradtour und Croissants – aber leider nicht für mich
Der Tech-Week-Tag hätte statt mit „AI in Nail Design“ oder „AI in Financial Services“ auch mit „Hawk Hill Ride + Croissants“ beginnen können: 102 Investoren und Gründer haben sich angemeldet, um pünktlich um 7:00 Uhr mit dem Fahrrad über die Golden Gate Bridge und anschließend auf den Hawk Hill zu radeln, wo dann mit Kaffee und Croissants der Tag mit einem grandiosen Blick auf San Francisco startet. Für mich war die Fahrradtour auf den Berg keine Option, 7am bedeutet nämlich 16 Uhr in Deutschland, und mein Morgen ist für Deutschland-Calls reserviert.
Also ist erst um 10:30 Uhr mein erstes Event und ich höre Aliisa Rosenthal zu, die bis vor kurzem Head of Sales bei OpenAI war, wie und warum die Finanzindustrie zu den frühesten Anwendern von generativer KI gehörte. Ich bin einer von knapp 500. Es ist also „packed“, wie man sagt, die Versorgung mit Kaffee, Tee und Wasser klappt aber erstaunlich gut.
AI Agents bauen macht hungrig – ich hole mir eine Bowl
Ein paar Meter weiter erklärt kurz darauf die Wirtschaftsförderungsgesellschaft von Oslo, welche Tech Opportunities Norwegens Hauptstadt bietet. Das spare ich mir aber, weil ich mir lieber um 13:00 Uhr bei Dedalus Labs erklären lasse, wie ich selbst AI Agents in 5 Minuten bauen kann. „No prior experience required“ wurde versprochen. Ganz stimmt das nicht.
AI Agents bauen macht hungrig und in San Francisco gibt es dasselbe, wie in allen Städten westlicher Prägung: Bowls, mit Hühnchen, Lachs oder vegan, auf viel zu viel Reis: Der weltweite großstädtische Einheitsgeschmack, man fühlt sich überall zuhause.
Das erste Learning: AI or byebye. Alles, wirklich alles auf den Tech Weeks dreht sich um Künstliche Intelligenz. Viele erfolgreiche Unternehmen wie Spotify, Walmart oder die Immobilienplattform Zillow integrieren nach und nach AI. Früher hätten sie noch versucht eine eigene zu bauen, mittlerweile ist aber ein Mega-Trend sichtbar: Kooperieren statt konkurrieren. Eine clevere Taktik von OpenAI, das eigene Wachstum vor allem darauf auszurichten, in reichweitenstarke Plattformen hineinzukommen. Wir alle werden bald OpenAI nutzen, ob wir wollen oder nicht – einfach, weil ChatGPT die meistgenutzte KI sein wird, die im Hintergrund läuft.
Das autonome Fahren funktioniert hervorragend
Um kurz vor 14 Uhr rufe ich mir ein Waymo, das mich ein paar Blocks weiter zu einem Vortrag über die aktuelle Exit-Situation in den USA bringen soll. Das autonome Fahren funktioniert grundsätzlich ganz hervorragend, außer ein menschlicher Autofahrer blockiert die Straße. Und wo sich natürliche Intelligenz hindurchquetschen würde, bleibt Künstliche Intelligenz stehen und wartet. Dadurch komme ich ein wenig zu spät.
Die Exit-Situation in den USA ist tatsächlich weit besser als in Europa und Deutschland. Das liegt nicht nur daran, dass die Acquisition-Kassen der Tech-Riesen gut gefüllt sind, sondern auch daran, dass kartellrechtliche Beschränkungen so gut wie gar nicht mehr gelten. Die Großen werden so noch größer und kaufen schnell auf, bevor Konkurrenz heranwächst. Die bessere Exit-Situation in den USA hat noch einen weiteren entscheidenden Effekt: Viele Investoren hier waren zuvor selbst Gründer, die einen erfolgreichen Exit hinter sich haben. Investoren, die selbst mal Gründer waren, sind risikobereiter, wissen, dass Venture Capital tatsächlich Risikokapital bedeutet und sind bereit, auch disruptive Ideen mit großen Summen zu unterstützen. Damit bleibt viel Kapital im Kreislauf aus Start-Up, Scale-Up und Exit und fließt wieder zurück in Start-ups. Ein sehr entscheidender Standortvorteil.
Warum ich auch überrascht war
Eine Stunde später höre ich mir bei einer Veranstaltung von Andreesen Horowitz die Sorgen einiger Juristen an, die bisher hochbezahlt Vertragswerke entworfen haben und ganz zurecht Angst haben, demnächst von Künstlicher Intelligenz abgelöst zu werden. Harvey AI gehört zu den größten Legal Techs in den USA und hat bisher mehr als 600 Mio Dollar eingesammelt. Gleichzeitig hat mehr als die Hälfte der Rechtsanwaltskanzleien keine AI-Strategie. Grundsätzlich bin ich überrascht, dass selbst hier in der sonst jeder Technologie gegenüber so aufgeschlossenen Bay Area die Angst groß ist, dass KI Unmengen an Arbeitsplätzen vernichtet. Jedenfalls sind sich alle, mit denen ich spreche, einig, dass nur noch diejenigen Chancen auf einen Job haben, die mit künstlicher Intelligenz gekonnt umgehen können.
Poker Night oder Vortrag? Lieber eigenes Event!
Währenddessen können im Nachbargebäude beim Tea Tasting Kontakte zwischen Investoren und Gründern geknüpft werden. Wie gut das funktioniert, weiß ich nicht, die Idee finde ich aber witzig. Unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten zwischen Gründern und Investoren bräuchten wir in Deutschland auch viel mehr. Bei uns ist das alles leider ein wenig formalisiert.
Um 16 Uhr hätte ich die Wahl zwischen der SF Poker Night (!), einem Vortrag darüber, welche Führung AI-Experten benötigen und Best-Practice-Vorträgen, in denen Gründer erzählen, wie sie am erfolgreichsten Investorengespräche absolviert haben. Keines davon schafft es in meinen Terminkalender, denn ich bereite mich auf unsere eigene Veranstaltung vor. Wir erwarten in unserem MGV-Office rund 300 Gäste zu einem Networking-Abend, der vor allem dem Dealflow dienen soll. Also viele Gründer, die vor einer Finanzierungsrunde stehen und gerne frühzeitig VC-Kontakte knüpfen wollen. Das geht mit Freigetränken und Foodtrucks leichter als mit Pitchdeck-Eingabemasken.
Die Tech Weeks sind das kalifornische Techtoberfest
Meine neugierige Frage, was denn die nächste große Entwicklung in AI sei, wird von vielen ähnlich beantwortet: Voice AI. Schon sehr bald werden wir nicht mehr wissen, ob wir mit einem Menschen oder einer Maschine sprechen. Der AI Act der EU schränkt bei uns einiges ein, was in den USA schon erfolgreich eingesetzt wird, nämlich die Erkennung menschlicher Emotion durch KI. Unicorns wie Observe.AI analysieren Kundengespräche und geben dem Call Center Agent (noch ist das ein Mensch) Hinweise, dass der Kunde genervt, freudig, ungeduldig oder enttäuscht ist. Bald schon wird die KI selbst mit dem Kunden sprechen.
Gegen 20 Uhr bin ich tatsächlich müde, der Jetlag wirkt nach und vor allem geht es am nächsten Tag in der Früh nach Los Angeles. LA gehört mittlerweile zu den wichtigsten Startup-Ökosystemen der Welt, knapp 10 Prozent aller US-Startups sind hier zu finden, was der Region schon den Namen „Silicon Beach“ eingebracht hat. Am 19. Oktober enden die Tech Weeks, quasi das kalifornische Techtoberfest. Bis dahin habe ich ein straffes Programm. Dass die Tech Weeks, die hier zu den wichtigsten Events der Start-up-Szene gehören, in Deutschland kaum bekannt sind, muss sich jedenfalls dringend ändern.