Datenschutz & Sicherheit

Palantir-Gesetze missachten Vorgaben aus Karlsruhe


Im Streit um die Nutzung von Palantir hat sich die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) zu Wort gemeldet: In einer Entschließung (pdf) fordert sie bei der massenhaften automatisierten Datenanalyse durch die Polizei die Einhaltung rechtlicher Anforderungen und mahnt besonders an, dass die notwendige gesetzliche Grundlage den verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen soll.

Aktuell erwägt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), für die Polizeien des Bundes die gesetzliche Voraussetzung zu schaffen, um Software des US-Konzerns Palantir oder von Konkurrenten zur automatisierten polizeilichen Rasterfahndung einsetzen zu dürfen. Im Rahmen eines Gesetzespakets soll das Vorhaben in Kürze umgesetzt werden. SPD-Justizministerin Stefanie Hubig hat allerdings noch Bedenken und fordert die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze.

Die DSK betont, dass die Erlaubnis zu solchen Analysen nur bei sehr schwerwiegenden Rechtsgutsverletzungen überhaupt denkbar sei. Sie könnten auch nur „im Rahmen sehr enger Verfahrensbestimmungen“ eingesetzt werden.

Detaillierte Vorgaben aus Karlsruhe

Die Datenschützer verweisen insbesondere auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur automatisierten Datenanalyse aus dem Jahr 2023, das detaillierte Vorgaben macht. Demnach haben die Gesetzgeber von Polizeigesetzen, die solche Analysen erlauben, explizite Einschränkungen vorzunehmen, was die Art der einbezogenen Daten und deren Umfang betrifft, aber auch welcher Art die angewandten Analysemethoden und die Eingriffsschwellen sein dürfen. Sie müssen zudem Regelungen in die Polizeigesetze einbauen, die für diese starken Grundrechtseingriffe abmildernd wirken und auch deren Folgen berücksichtigen.

Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern setzen Software von Palantir aktuell ein. Baden-Württemberg hat kürzlich ebenfalls eine gesetzliche Grundlage für die automatisierte Datenanalyse durch die Polizei in die Wege geleitet. Die dortige Polizei hatte den Vertrag mit Palantir aber bereits geschlossen, bevor eine Rechtsgrundlage für den Einsatz überhaupt bestand.

Die derzeitige DSK-Vorsitzende und Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp sieht in all diesen Bundesländern die gegebenen Voraussetzungen aus Karlsruhe nicht genügend berücksichtigt: „Bisher tragen die rechtlichen Vorschriften diesen Voraussetzungen nicht ausreichend Rechnung. Für Bund und Länder gilt es, sich an die Vorgaben des Bundesverfas­sungsgerichts zu halten und den Einsatz von automatisierten Datenanalysen durch die Polizeibehörden verfassungskonform auszugestalten.“

Das sieht auch Franziska Görlitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) so, die gegen die Polizeigesetze in allen drei Bundesländern Verfassungsbeschwerde erhoben hat. Die Juristin fasst in einem Interview zusammen, warum keines der Landesgesetze verfassungskonform ist: „Die bisherigen Gesetze erlauben, dass zu viele Daten unter zu laschen Voraussetzungen in die Analyse einbezogen werden und dabei zu mächtige Instrumente zum Einsatz kommen. Gleichzeitig fehlen wirksame Schutzmechanismen gegen Fehler und Diskriminierung.“

Nicht „digital souverän“, sondern vollständig abhängig

Für eines der drei unionsgeführten Bundesländer, die Palantir aktuell nutzen, nennt die DSK für das polizeiliche Analyseverfahren eine Hausnummer, welche die erhebliche Breite der Datenrasterung klarmacht: Etwa 39 Millionen Personendatensätze durchkämmt die bayerische Polizei mit Palantir. Die Datenschützer zeigen damit, dass praktisch jeder Mensch betroffen sein kann, eben nicht nur „Straftäterinnen und -täter, sondern etwa auch Geschädigte, Zeuginnen und Zeugen, Sachverständige oder Personen, die den Polizeinotruf genutzt haben“.

Zudem ist die Art der Daten höchst sensibel. In Polizeidatenbanken können beispielsweise auch Informationen über Menschen abgelegt werden, die eine „Volkszugehörigkeit“, einen „Phänotyp“ oder die „äußere Erscheinung“ beschreiben. Auch die Religionszugehörigkeit, verwendete Sprachen, Dialekte oder Mundarten dürfen festgehalten werden. Entsprechend besteht ein sehr hohes Diskriminierungspotential.

Die hohe Zahl von Betroffenen und die Art der gespeicherten Daten sind aber nicht etwa die einzigen Probleme. Das Problem heißt auch Palantir, ein 2003 gegründeter US-Anbieter, der heute am Aktienmarkt gehandelt wird und nach Marktkapitalisierung zu den dreißig wertvollsten Konzernen der Welt zählt. Die deutsche Tochter ist Vertragspartner der Polizei in vier Bundesländern. Die DSK pocht bei der Polizeidatenanalyse auf die Wahrung der „digitalen Souveränität“. Denn damit können ungewollte Abhängigkeiten oder Kostenfallen vermieden werden, in die Polizeien geraten können. Die DSK fordert hier „sicherzustellen, dass die eingesetzten Systeme hinreichend offen sind, um nötigenfalls einen Wechsel auf ein geeigneteres System zu ermöglichen“.

Das widerspricht den praktischen Gegebenheiten bei der Nutzung von Palantir fundamental: Der US-Konzern bietet ein geschlossenes und proprietäres System an, das mit denen anderer Anbieter nicht kompatibel ist. Die polizeilichen Nutzer sind genau das Gegenteil von „digital souverän“ oder selbstbestimmungsfähig, nämlich vollständig abhängig. Die DSK präferiert hingegen „Lösungen auf Open-Source-Basis“ und bietet für verfassungskonforme und praxistaugliche Lösungen auch „konstruktive Beratung“ an.

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Die Datenschützer fordern zudem, dass polizeiliche Datenbestände nicht in Drittländer übermittelt werden dürften, „die hinter dem europäischen Rechtsstaatsniveau zurückbleiben“. Polizeidatenverarbeitung soll erst gar nicht von Softwaresystemen abhängen, die Zugriffe dieser Drittstaaten zulassen.

Diese Forderung dürfte der Tatsache Rechnung tragen, dass für den ohnehin zwielichtigen US-Konzern Palantir der US CLOUD Act aus dem Jahr 2018 einschlägig ist. Das Gesetz bestimmt, dass US-Tech-Anbieter unter bestimmten Voraussetzungen zur Offenlegung von Daten gegenüber US-Behörden verpflichtet werden können, auch wenn sich diese Daten außerhalb der Vereinigten Staaten befinden. Die Befürchtung besteht also, dass selbst bei der Verarbeitung und Speicherung von Daten in einem polizeilichen Rechenzentrum unter bestimmten Umständen US-Behörden Zugriff erlangen könnten.

Es formiert sich Widerstand

In Baden-Württemberg, dem jüngsten Palantir-Clubmitglied, formiert sich bereits Widerstand gegen das geplante Polizeigesetz: Ein parteiunabhängiges Protest-Bündnis mit dem Namen Kein Palantir in Baden-Württemberg plant eine Kundgebung am 4. Oktober auf dem Schlossplatz der Landeshauptstadt und fordert dazu auf, den Landtagsabgeordneten schriftlich mitzuteilen, was man von der Idee hält.

Das geplante Gesetz soll in Kürze durch den Landtag gehen und beschlossen werden. Das Bündnis könnte mit dem Protest also wegen des beginnenden Wahlkampfs in Baden-Württemberg ein politisches Debattenthema setzen. Auch der bundesweite Campact-Appell „Trump-Software Palantir: Über­wa­chungs­pläne stoppen“ hat große Unterstützung gefunden und wurde von mehr als 430.000 Menschen unterzeichnet.

Der Landesdatenschutzbeauftragte im Ländle, Tobias Keber, betont anlässlich der DSK-Entschließung, dass die Anforderungen an das Polizeigesetz „enorm hoch“ seien, sowohl rechtlich als auch technisch. Automatisierte Grundrechtseingriffe würden auch die Anforderungen an den Nachweis erhöhen, dass durch diese Datenanalyse relevante Erkenntnisse erschlossen werden können, die anders nicht in gleicher Weise zu gewinnen wären. Seine Behörde hatte in einer Stellungnahme zum Landespolizeigesetz (pdf) im Juni bereits Änderungen angemahnt und festgestellt, dass einige der darin getroffenen Regelungen „verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht“ würden.

Die DSK-Vorsitzende Kamp betont, dass alle polizeilichen Datenanalysen rechtskonform, nachvollziehbar und beherrschbar sein müssten. Und sie fügt hinzu: „Jetzt ist der Moment gekommen, einen digital souveränen Weg einzuschlagen.“ Dass ein solcher Weg mit Palantir-Software nicht möglich ist, versteht sich von selbst.



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