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Politik braucht Regeln für KI


Wir reden hier nicht über ferne Zukunft, Freunde! Albaniens „Diella“ soll schon bald als KI-Ministerin Korruption im Beschaffungswesen bekämpfen. Deutschlands Kulturstaatsminister Weimer nutzt seinen „Weimatar“ bereits, um „schnell und mehrsprachig Stellung zu beziehen“. Verspürt beim Betrachten des folgenden Videos übrigens noch jemand außer mir ganz am Schluss Black-Mirror-Vibes?

Auch Estland arbeitet mit künstlicher Intelligenz und experimentiert mit KI-Richtern. Algorithmen entscheiden in diversen Ländern sowieso längst über Sozialhilfe, Steuerbescheide und Verwaltungsabläufe. Das ist kein Pilotprojekt mehr – das ist gelinde gesagt nicht weniger als der Anfang einer Revolution. Und während wir noch überlegen, ob wir darauf Bock haben, schaffen andere längst Fakten.

Die Baustellen sind riesig – und niemand hat einen Plan

Also ja, es gibt viele Baustellen, um die wir uns zu kümmern haben, bevor wir KI flächendeckend in die Politik lassen. Aber das Gute daran ist, dass wir wirklich noch ganz am Anfang dieser Entwicklung stehen. Folgende vier Baustellen habe ich ausmachen können, bei denen noch viel Arbeit ansteht: 

  1. Was ist mit Transparenz? Bislang Fehlanzeige. Wer verstehen will, wie KI-Entscheidungen zustande kommen, stößt schnell an Grenzen. Selbst Expert:innen können oft nicht erklären, warum ein Algorithmus diese und nicht jene Entscheidung trifft. Wie soll das Volk dann beurteilen, ob es fair behandelt wurde?
  2. Wer trägt eigentlich die Verantwortung? Auch noch unklar. Wenn die Maschine entscheidet – wer übernimmt die Schuld, wenn es schiefgeht? Der Programmierer? Der Minister bzw. die Ministerin? Das Parlament? Diese Frage ist ungeklärt, aber die KI entscheidet trotzdem schon mit.
  3. Ist KI überhaupt legitimiert und wenn ja, von wem? Definitiv problematisch. Demokratie lebt vom Wählen – aber eine KI wird nie gewählt. Die Opposition in Albanien bringt es auf den Punkt: „Ein Minister muss ein Mensch sein“. Aber was, wenn die KI objektiv bessere Entscheidungen trifft als gewählte Menschen?
  4. Und wie ist es um die Akzeptanz bestellt? Aktuell nicht gut, tippe ich mal. Sind wir bereit, Macht an eine Maschine zu delegieren? Für viele ältere, weniger tech-affine Bürger muss eine politische Entscheidung durch eine KI doch im Grunde genauso beliebig wirken wie eine gezogene Zahl bei der Lottoziehung.

Wenn Ihr mich fragt, sind das alles keine theoretischen Probleme – das sind exakt die Baustellen, für die wir (noch) keine Regeln haben, sie aber so dringend bräuchten.

Die unbequemen Fragen, die wir uns stellen müssen

Würdet Ihr wollen, dass der klügste Mensch der Welt in die Politik geht? Weil er vielleicht ganz andere Lösungen erdenken kann, Probleme viel besser und schneller versteht? Dann stellt Euch jetzt noch die Frage, ob Ihr das klügste Wesen der Welt auch dann in der Politik sehen wollt, wenn es sich dabei NICHT um einen Menschen handelt.

Vielleicht müssen Menschen in der Politik nicht zwingend mit humanoiden Robotern diskutieren – aber mit KI an sich vermutlich schon. / © nextpit (KI-generiert)

Ihr wollt lieber einem Menschen den Job anvertrauen als einer Maschine? Dann müssen wir hinterfragen, wieso dem so ist. Weil er mehr Empathie hat? Weil er menschlich ist? Ja, ein Mensch kann besser eine menschliche Entscheidung treffen. Aber ein Mensch kann Euch auch besser als eine Maschine vorgaukeln, dass er es gut mit dem Wahlvolk meint und tatsächlich glaubt, was er sagt.

Schauen wir doch ehrlich hin, was Politiker:innen aus Fleisch und Blut so treiben: Trump verbreitet systematisch Lügen und arbeitet an einer Autokratie, Orban höhlt in Ungarn die Demokratie aus, unsere Koalitionen in Europa scheitern an Eitelkeiten und beugen sich zusehends dem Rechtsruck. Könnte eine KI es wirklich schlechter machen? Oder ist unser Widerstand gegen Maschinen-Politik nur nostalgische Romantik?

Werden sich Politiker:innen selbst abschaffen?

Werden Politiker proaktiv zustimmen oder eher verhindern, dass KIs Einfluss in der Politik gewinnen? Immerhin könnten sie sich dadurch schlimmstenfalls selbst obsolet machen. Das ist eine zentrale Frage, denn die Entscheidung über KI in der Politik liegt – paradoxerweise – nun mal bei eben jenen Menschen, die davon betroffen wären.

Aber vielleicht stellen wir die falsche Frage. Vielleicht geht es gar nicht darum, Politiker:innen zu ersetzen, sondern ihre Rolle zu verändern. Wenn eine KI die objektiv beste Politik vorschlägt, werden Politiker:innen zu dem, was sie schon lange sein sollten: Vermittler, Erklärer, Vertrauen stiftende Persönlichkeiten. Das wäre dann vielleicht das Ende der Berufspolitik, wie wir sie kennen – und der Beginn einer Politik der Persönlichkeiten anstelle von Parteipolitik.

Das Leapfrogging-Problem: Sind andere vielleicht schneller als wir?

Können Länder wie Albanien uns vielleicht sogar abhängen, weil sie einen Schritt auslassen oder deutlich schneller gehen als „wir“? Das Beispiel kennen wir: In Afrika verbreiteten sich Smartphones rasend schnell, weil es kaum die Infrastruktur für Festnetz-Telefone gab. Ebenso hatten nicht so viele Menschen Desktop-PCs für die Internetnutzung oder ein ganz normales Bankkonto, da auch keine Banken-Infrastruktur vorhanden war. Mit dem Smartphone übersprang man all das einfach. Plötzlich waren fast alle Afrikaner online und bezahlten mobil ihre Rechnungen. 

Afrikanische Länder haben oftmals also nicht nur sprunghaft aufgeholt, sondern westliche Nationen teils sogar hinter sich gelassen. Ähnlich könnte es uns jetzt beim Thema KI ergehen. Während Deutschland noch über Datenschutz-Grundverordnungen für KI diskutiert, experimentiert Albanien bereits mit KI-Ministern. Während wir ethische Bedenken wälzen, sammeln andere praktische Erfahrungen. Am Ende stehen wir da wie die Musikindustrie, die das Internet verschlafen hat.

„Leapfrogging“ an sich ist eigentlich gar kein Problem, sondern ein positiver Effekt. Die Gründe, wieso plötzlich diese Länder an uns vorbeischießen können, liegen vielmehr bei uns und unseren schwerfälligen Systemen.

Die Wahrheit, die niemand aussprechen will

Habt Ihr kurz vor Ende des Artikels noch spontan Bock auf eine unbequeme Realität? Nämlich folgende: Während wir uns über KI-Minister empören, übersehen wir, dass wir bereits längst von Algorithmen regiert werden. Facebook bestimmt, was wir sehen. Google, was wir wissen. Amazon, was wir kaufen. TikTok, worüber wir diskutieren.

Der einzige Unterschied: Diese Algorithmen sind nicht demokratisch legitimiert. Albaniens KI-Minister wäre immerhin noch dem Parlament verantwortlich – mehr, als man von Zuckerberg oder Musk sagen kann. Wir leben bereits in einer Algokratie. Wir haben nur nie darüber abgestimmt. Mark Zuckerbergs Kasse klingelt, wenn viel Interaktion herrscht und es herrscht viel Interaktion, wenn sich über ein Thema aufgeregt, erbost, echauffiert wird. 

Also sorgen Algorithmen dafür, dass diese Themen sichtbarer sind, was wieder mehr Content zum Thema erzeugt und wieder mehr Stimmung zugunsten der vermeintlich einfachen Lösungen entfacht. Wir Medien greifen es entsprechen auf, weil auch wir – so ehrlich müssen wir uns machen – Klick- und Algorithmus-getrieben sind. Wer will da allen Ernstes behaupten zu wissen, dass eine politische Entscheidung einer KI es nicht besser hinbekäme? 

Gerade jetzt entscheidet sich alles – mit oder ohne uns

Ich hoffe, Ihr habt hier keinen präzisen Fahrplan erwartet, wie sich KI wann an welchen Stellen in der Politik wiederfindet. Wir sind noch ganz am Anfang bei diesem Thema. Betrachtet diesen Text also eher als mein lautes Nachdenken – mit der ausdrücklichen Einladung an Euch, mitzudenken.

Es wäre naiv zu glauben, wir könnten KI aus der Politik raushalten. Dazu ist es heute bereits zu spät. Aber es wäre gefährlich, sie einfach so reinzulassen. Wir brauchen rote Linien, klare Verantwortlichkeiten, Transparenzpflichten – und das sofort, bevor Experimente wie in Albanien Schule machen.

Die Weichen werden jetzt gestellt. In Ministerien, Verwaltungen, Tech-Konzernen. Die Entscheidung darüber, wie viel Macht Algorithmen über unser Leben haben sollen, fällt in den kommenden Jahren. Und sie wird entweder mit uns getroffen – oder ohne uns.

Die Debatte darf nicht in den Hinterzimmern der Tech-Konzerne oder Parlamente verstauben. Sie gehört in die breite Öffentlichkeit. Sie gehört in Schulen, Unternehmen, Familien. Denn am Ende geht es um die Frage, die unsere Demokratie prägen wird: Wollen wir, dass Maschinen für uns entscheiden – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Sonst wachen wir in zehn Jahren auf und stellen fest: Die wichtigste Weichenstellung unserer Demokratie haben andere getroffen – und wir haben zugeschaut. Dann ist es zu spät für Debatten. Dann leben wir in der Welt, die andere für uns programmiert haben. Jetzt ist die Zeit, zu handeln. Die Zeit zu diskutieren ist jetzt. Die Zeit zu entscheiden ist jetzt. Morgen könnte es bereits zu spät sein.





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