Datenschutz & Sicherheit

Selbstbestimmungsgesetz: Vom Versprechen zur Gefahr


Die Pläne des Bundesinnenministerium verletzen den Kern dessen, wofür das Selbstbestimmungsgesetz steht: Schutz, Würde und ein Leben ohne ständige Angst vor Outings. Sie verwandeln den Fortschritt in eine existenzielle Bedrohung. Ein Kommentar.

Platt machen, was andere geschaffen haben: Das Bundesinnenministerium beim Selbstbestimmungsgesetz.

Alles in Ordnung, es gibt nichts zu sehen, nur ein normaler Verwaltungsakt. So klingt es, wenn das Bundesinnenministerium über seine Pläne spricht, die früheren Vornamen und Geschlechtseinträge von Personen dauerhaft im Melderegister zu speichern. Doch damit verschleiert das Haus von Alexander Dobrindt, welche Zerstörungskraft in diesem Vorhaben steckt. Würde diese Verordnung am Freitag vom Bundesrat beschlossen, wäre das nicht die Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes – es wäre seine Demontage.

Als das Gesetz im vergangenen Jahr verabschiedet wurde, hatte es ein klares Ziel: Das Leben für Menschen, die trans, intergeschlechtlich oder nichtbinär sind, sich also weder ausschließlich als weiblich oder männlich verstehen, sollte einfacher und sicherer werden. Diskriminierung, Blicke, Anfeindungen sollten ihnen, wo möglich, erspart bleiben. Unfreiwillige Outings sollten der Vergangenheit angehören. Mit der Bankkarte an der Supermarktkasse. Mit dem Personalausweis am Flughafen. Das alte Ich, das für viele nie passte, sollte zur Vergangenheit werden. Das neue Ich, das richtige, sollte gelten.

Die Pläne aus dem Innenministerium höhlen dieses Ziel aus und verkehren es ins Gegenteil. Die alten Daten würden dauerhaft in den Meldedaten gespeichert bleiben und mit jedem Umzug weitergereicht. Unzählige Behörden könnten sie mit wenigen Klicks abrufen.

Betroffenen hängt das Ministerium so ein Schild um den Hals, sichtbar für jede Behörde. Und dieses Schild signalisiert: Diese Person entspricht nicht der Geschlechternorm.

Mutlosigkeit mit Ansage

Schon während der Beratungen zum Selbstbestimmungsgesetz zeigte sich die Ampelregierung mutlos. Der damalige Justizminister Marco Buschmann ist eingeknickt, ließ sich von einer radikalen Splittergruppe treiben, die in trans Menschen eine Bedrohung sieht. Dabei ist es genau umgekehrt. Trans Menschen werden bedroht. Sie sind einem ungleich höheren Risiko von Beleidigung, Angriffen und Gewalt ausgesetzt – besonders, wenn sie nicht weiß sind.

Die Transfeindlichkeit hat dennoch Einzug ins Gesetz gehalten, mit allerlei Klauseln, die dieses gesellschaftliche Misstrauen und den politischen Gegenwind abbilden, geht es nun um den Besuch im Fitnessstudio oder den Wehrdienst.

Das ist ärgerlich. Und trotzdem war es ein Meilenstein, dass dieses Gesetz endlich kam und für so viele ein selbstbestimmteres Leben mit der eigenen Identität ermöglichte.

Zwangsouting bei jedem Behördenkontakt

Wenn das Bundesinnenministerium diese neue Freiheit jetzt mit einer Meldeverordnung wieder zunichtemacht, wären all die Hoffnungen verfrüht gewesen. Statt einer Befreiung würde das Selbstbestimmungsgesetz für Betroffene vor allem neue Probleme schaffen, Unsicherheit säen und sie neuen Gefahren aussetzen.

Zum einen bliebe die Frage, ob die Person, mit der man es in Behördendeutschland gerade zu tun hat, den “Deadname”, den alten Geschlechtseintrag, kennt. Beim Bafög-Antrag, auf dem Arbeitsamt oder einfach, weil man ein geklautes Fahrrad anzeigen will. In all diesen Szenarien käme es immer wieder zu Zwangsoutings und damit auch zur Möglichkeit, immer wieder falsch angesprochen oder angefeindet zu werden. Auch 20, 30, 40 Jahre später noch.

Zum anderen ist da die berechtigte Angst, dass die neu geschaffene technische Infrastruktur – automatisierter Abruf von früheren Geschlechtseinträgen für unzählige Behörden – nur allzu gerne von jenen genutzt werden wird, die trans Menschen in Zukunft oder heute schon als Feinde sehen.

Trump macht es gerade vor

Wer kann verhindern, dass unter so vielen Behördenmitarbeitenden nicht die eine oder andere sitzt, die Listen erstellen wollte von all den Personen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch genommen haben. Oder dass eine künftige Regierung die Möglichkeiten, die hier geschaffen werden, nutzt, um Personen zu verfolgen. Welche beängstigenden Formen das annehmen kann, sieht man derzeit in den USA, wo Donald Trumps Regierung kaum eine Möglichkeit auslässt, um trans Menschen zu schikanieren.

Dass das Bundesinnenministerium meint, dieser Sorge mit einem einzelnen Satz Rechnung tragen zu können, der nun formaljuristisch verbietet, was technisch mit wenigen Mausklicks möglich sein wird, zeugt nur von weiterer Gleichgültigkeit.

Die geplante Verordnung verletzt den Kern dessen, wofür das Selbstbestimmungsgesetz steht: Schutz, Würde und ein Leben ohne ständige Angst vor Outings. Es zeugt von einer beispiellosen Ignoranz für die Lebensrealität von trans Menschen. Wer das Innenministerium auf diese Weise agieren lässt, verwandelt den Fortschritt in eine existenzielle Bedrohung.


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