Künstliche Intelligenz
Smarter Staub: Wie millimetergroße Computer unsere Welt unbemerkt vermessen
Was wie eine Vision aus einem Science-Fiction-Roman klingt, trägt den Namen „Smarter Staub“ (Smart Dust) und ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung. Es handelt sich dabei nicht um Staub im eigentlichen Sinne, sondern um ein Netzwerk aus unzähligen, winzigen Sensoreinheiten, die jeweils kleiner als ein Salzkorn sind. Diese sogenannten „Motes“ sind vollwertige mikroelektromechanische Systeme (MEMS), die Daten aus ihrer Umgebung erfassen, verarbeiten und drahtlos an eine Basisstation senden können.
Vom Pentagon gefördert, in Berkeley konzipiert
Die Ursprünge der Technologie reichen bis ins Jahr 1997 zurück. Damals beschrieb der Professor Kristofer Pister von der University of California in Berkeley, USA, in einem Forschungsvorschlag (PDF) an die DARPA das Konzept eines kompletten Computersystems von der Größe eines Kubikmillimeters. Die DARPA, die Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, förderte das Projekt mit dem Ziel, die Grenzen des technologisch Machbaren auszuloten.
Seit diesen Anfängen hat sich die Technologie rasant weiterentwickelt. Konnten frühe Prototypen lediglich simple Daten wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit messen, sind heutige Motes in der Lage, Geräusche, chemische Verbindungen oder Lichtspektren zu analysieren. Wie das Magazin Interesting Engineering berichtet, arbeiten Ingenieure daran, die Sensoren mit immer neuen Fähigkeiten auszustatten.
Ein Milliardenmarkt mit unsichtbaren Helfern
Die Anwendungsfelder für Smart Dust sind vielfältig und eröffnen ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Analysten von Allied Market Research schätzen den globalen Markt im Jahr 2022 auf rund 115 Millionen US-Dollar und prognostizieren ein Wachstum auf fast 400 Millionen US-Dollar bis 2032. Konzerne wie Hewlett-Packard (HP) aus Palo Alto, Kalifornien, forschen bereits seit Jahren an der Technologie.
Die Einsatzszenarien reichen von der Landwirtschaft, wo die Motes im Boden verteilt den Nährstoffgehalt für einzelne Pflanzen messen, bis zur Medizin. An der UC Berkeley wird beispielsweise an „Neural Dust“ gearbeitet: winzige Sensoren, die Nervenaktivitäten im Gehirn überwachen und so bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen helfen könnten. In der Industrie könnten sie den Zustand von Maschinen an unzugänglichen Stellen überwachen oder als unsichtbares Sensornetzwerk die Grundlage für das Internet der Dinge (IoT) auf einer völlig neuen Ebene bilden.
Die Kehrseite der totalen Vernetzung
So vielversprechend die Möglichkeiten erscheinen, so erheblich sind auch die potenziellen Schattenseiten. Die größte Herausforderung liegt im Kontrollverlust. Einmal in die Umwelt freigesetzt, sind Milliarden dieser winzigen Sensoren praktisch nicht mehr einzufangen, zu deaktivieren oder zu warten.
Das wirft gravierende Fragen zur Privatsphäre und Sicherheit auf. Futurism weist darauf hin, dass eine unbemerkte und flächendeckende Überwachung durch unsichtbare Sensoren möglich würde, deren Daten ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen erfasst werden. Da die Motes aufgrund ihrer Größe und des geringen Energiebudgets kaum über starke Verschlüsselungsmechanismen verfügen, wären sie zudem ein leichtes Ziel für Cyberangriffe.
Forscher arbeiten zwar an Lösungsansätzen wie Motes aus biologisch abbaubaren Materialien, die sich nach einer gewissen Zeit selbst zersetzen. Bis diese und andere Sicherheitsfragen allerdings geklärt sind, bleibt Smart Dust eine Technologie mit zwei Gesichtern: Sie birgt das Potenzial, unsere Welt effizienter und sicherer zu machen, aber auch die Gefahr einer lückenlosen und unkontrollierbaren Überwachung.
Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.
(jle)