Künstliche Intelligenz
Web-Erfinder: Berners-Lee fordert Mikrozahlungen als Ausgleich fürs KI-Training
Tim Berners-Lee glaubt, einen Ausgleich für die Aneignung fremder, von Menschen erstellter Inhalte durch Systeme mit generativer Künstlicher Intelligenz wie ChatGPT, Gemini oder Claude gefunden zu haben. „Ein Ausweg könnten Mikrozahlungen sein“, erklärte der 70-Jährige in einem Interview mit der „Zeit“. Das müsse nicht unbedingt ein Aus für das „Gratis-Internet“ sein: „Ein Großteil bliebe kostenlos, doch für einige Bereiche müsste man bezahlen.“
Entwickler tüftelten bereits seit Jahren an Systemen, bei denen beim Surfen automatisch kleinste Beträge, Bruchteile eines Cents, für Inhalte gezahlt werden, führte Sir Tim aus. Wichtig dabei sei, dass das Geld direkt bei den Urhebern ankomme. Berners-Lee sieht dies als eine Möglichkeit, die Probleme zu lösen, die das Urheberrecht bisher nicht in den Griff bekommen hat, wie etwa die geringen Einnahmen von Musikern über Streamingdienste wie Spotify.
„Bislang sind wir nicht gut darin gewesen, kreative Menschen fair zu entlohnen“, weiß der Erfinder des World Wide Web: „Das Urheberrecht ist in vieler Hinsicht gescheitert.“ Im Kontext von KI vermehrten sich diese Herausforderungen.
Berners-Lee wirbt schon länger dafür, mehr alternative Geschäftsmodelle im Web wie Abonnements und Micropayments zu testen. Das von ihm geleitete World Wide Web Consortium (W3C) unterstützte 2013 eine Gruppe von Experten dabei, einen Standard für Zahlungen zu entwickeln, der direkt ins Gewebe des WWW eingebaut ist. Dieser sollte ebenso offen sein wie das Hypertext Transfer Protokoll (HTTP) und Zahlungsabwickler wie Paypal ersetzen. So wie jeder mittels HTTP Webseiten anbieten und aufrufen kann, werde das Zahlungsprotokoll den sicheren Austausch von Geld ermöglichen, lautete die Idee.
Ein anderes einschlägiges Projekt ist etwa der GNU-Taler, der vor allem in der Schweiz erprobt werden soll. Das Experiment setzt auf Vorschlägen von Digicash-Entwickler David Chaum auf. Bisher haben es solche Ansätze für Mikrozahlungen aber schwer, sich am Markt durchzusetzen.
Wird KI ein Bewusstsein entfalten?
Der Physiker und Informatiker Berners-Lee sieht die „KI-Revolution“ nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance. Er habe ChatGPT schon zur Hilfe genommen, insbesondere zur „Auto-Vervollständigung“ beim Schreiben von Blogartikeln oder zur Fehlerbehebung beim Programmieren, verriet er. Dabei will er Transparenz: „Die Passagen, die von der KI stammen, habe ich kursiv gesetzt.“ Das Ergebnis sei „gar nicht schlecht“ gewesen.
Grundsätzlich schwebt Berners-Lee eine KI vor, die ausschließlich für den Nutzer selbst arbeitet, ähnlich einem Arzt oder Anwalt, der einem Mandanten verpflichtet ist.
Bei der Frage, ob eine KI eine Art Bewusstsein entwickeln kann, folgt der Web-Erfinder der Logik von Alan Turing. Dieser bewertete Intelligenz nicht danach, woraus etwas gemacht ist, sondern wie es sich verhält. Sir Tim überträgt dies auf das Bewusstsein. Für ihn steht fest, dass wir Systeme, die sich wie bewusste Wesen verhalten, auch so behandeln müssten. Der Brite ist nicht davon überzeugt, dass nur ein menschliches Gehirn Gedanken und Geist haben kann. Die Entwicklung der KI verlaufe wie eine unaufhaltsame Welle. Anstatt sie zu stoppen, sollte sie kanalisiert werden. Ein Zentrum wie das CERN könnte helfen, solche mächtigen Technologien unter Kontrolle zu halten und Missbrauch zu verhindern.
Josef Weizenbaum, ein Pionier der KI-Forschung und Entwickler des Chatbots Eliza beobachtete dieses Feld kritischer. Er war entsetzt darüber, wie Menschen sein Programm und andere frühe KI-Systeme überinterpretierten und ihnen menschenähnliche Intelligenz zuschrieben. Der Informatiker sah die Annahme, dass Computer ein Bewusstsein entwickeln könnten, als „unglaublichen Blödsinn“ und Größenwahn an. Der Mensch sei kein Computer, da sein Geist das Produkt seiner Erfahrungen und sozialen Umgebung bilde.
Kein Freund großer Online-Plattformen
Die heutige Dominanz von wenigen großen Plattformen wie Facebook, TikTok und Google betrachtet Berners-Lee als Ergebnis des kapitalistischen Systems. Seiner Ansicht nach neigen offene Märkte fast immer zur Bildung von Monopolen, was den Wettbewerb behindert und es jungen Innovatoren erschwert, neue Netzwerke zu etablieren. Regulierung erachtet er als notwendig, um die Macht dieser Marktkräfte in Schach zu halten.
Um das Web als demokratischen Raum zurückzuerobern, müssten die Menschen die Kontrolle über ihre eigenen Daten erlangen, lautet das Motto des WWW-Schöpfers. Die Hauptressource im digitalen Kapitalismus seien unsere Daten. Um dieses Problem zu lösen, hat Berners-Lee mit Kollegen das Protokoll Solid kreiert. Es soll Nutzern die vollständige Kontrolle über ihre Daten geben, indem sie diese in Pods beziehungsweise Wallets speichert. Diese digitalen Brieftaschen können Finanztransaktionen, Gesundheitsdaten und Social-Media-Inhalte enthalten. Der Nutzer entscheidet, wer Zugriff darauf erhält.
(nie)