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Weniger Berichtspflichten beim Abhören und bei Staatstrojanern
Das Bundesjustizministerium bekam mit der schwarz-schwarz-roten Koalition eine neue Chefin: Stefanie Hubig von der SPD. Kaum im Amt, treten ihre Länderkollegen mit einem Anliegen an sie heran: Die Justizministerinnen und Justizminister würden gern die gesetzlichen Berichtspflichten bei der Telekommunikationsüberwachung reduzieren. Hubig möge das prüfen.
Das Bundesland Hessen legt der Justizministerkonferenz (JuMiKo) dazu eine Empfehlung vor. Laut dieser soll die Strafprozessordnung (StPO) geändert werden, in der die statistischen Berichtspflichten zur Telekommunikationsüberwachung stehen. Momentan sieht das Gesetz vor, dass Länder und der Generalbundesanwalt dem Bundesamt für Justiz jährlich mitteilen, wie oft sie bestimmte Überwachungsmaßnahmen anordnen. Wir veröffentlichen den Beschlussvorschlag Hessens.
Bundesjustizamt erfasst einmal im Jahr statistische Daten
Jeweils im Frühjahr und im Herbst kommen die Ministerinnen und Minister und Senatorinnen und Senatoren der Justizressorts zu ihrer Tagung zusammen und begrüßen dabei erstmals die neue Bundesministerin der Justiz. Die Behördenchefs der Länder beraten sich diesmal vom 4. bis 6. Juni in Bad Schandau.
Beschlüsse der JuMiKo sind Ideen oder Forderungen, die aber keine unmittelbaren Folgen haben und schon gar keine praktische Rechtssetzung sind. Wirkungslos sind sie deswegen aber nicht, denn sie können kontroverse Ideen breittreten, Diskussionen anstoßen und die rechtspolitische Meinungsbildung beeinflussen.
Ein Beschlussvorschlag Hessens will die Berichtspflichten bei der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) reduzieren. Diese Überwachungsmaßnahmen dürfen beim Verdacht einer schweren Straftat angeordnet werden, in der Regel durch ein Gericht. Eine TKÜ ist dabei auf maximal drei Monate zu befristen, kann aber jeweils um drei Monate verlängert werden.
Die Landesjustizverwaltungen und auch der Generalbundesanwalt sind gesetzlich verpflichtet, Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen statistisch anzugeben, die im Rahmen der Strafverfolgung nach StPO (vor allem nach § 100a) angeordnet werden. Einmal im Jahr, nämlich bis zum 30. Juni, berichten sie dazu dem Bundesamt für Justiz. Das wiederum erstellt mit erheblicher zeitlicher Verzögerung Jahresübersichten, die zeigen, wie viele Überwachungen pro Jahr für welche der sogenannten Katalogstraftaten angeordnet wurden. Wie viele Überwachungsansinnen abgelehnt werden, wird nicht erfasst.
Wegen der Umbenennung von einer Variante des Staatstrojaners in „Quellen-TKÜ“ könnte von einer Reduzierung der Berichtspflichten auch das staatliche Hacken betroffen sein. Denn wird mit Hilfe eines Staatstrojaners laufende Kommunikation abgehört, fällt er formal unter TKÜ, obwohl technisch ein ganz anderes Vorgehen stattfindet.
Eine TKÜ wird im Regelfall mit Hilfe der Telekommunikationsanbieter vollzogen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, bei der Strafverfolgung auszuhelfen und nach Anordnung die Kommunikation an die Ermittlungsbehörden auszuleiten. Bei der „Quellen-TKÜ“ hingegen wird das Smartphone oder der Rechner gehackt und heimlich eine Schadsoftware installiert, um an die Kommunikation zu gelangen. Staatstrojaner manipulieren also hinterrücks das Gerät, um an Inhalte von Kommunikation wie etwa Chat-Nachrichten zu kommen.
Staatshacker
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Laut dem Beschlussvorschlag zu der anstehenden Frühjahrs-JuMiKo wird die Aussagekraft der zur TKÜ erhobenen statistischen Daten von den Justizministerinnen und Justizministern als nur „gering“ eingeschätzt. Dem stünden aber „erhebliche personelle Ressourcen in den Justizverwaltungen“ gegenüber.
Den Nutzen der Statistik verorten die Minister „etwa bei der rechtspolitischen Steuerung oder Evaluation der Eingriffspraxis“. Dass Transparenz bei Überwachungsmaßnahmen auch eine vertrauensbildende Seite haben kann, scheint offenbar weniger wichtig. Gerade bei Maßnahmen, die wie die „Quellen-TKÜ“ große immanente Risiken ins sich tragen, ist die statistische Transparenz nicht nur für die Evaluation notwendig, sondern kann auch Vertrauen bilden. Ob TKÜ-Maßnahmen umfassend oder zurückhaltend eingesetzt werden, ob sich die Zahl der Maßnahmen alljährlich erhöht oder nicht, ist auch für die Forschung bedeutsam. Und nicht zuletzt ermöglichen die Statistiken eine Berichterstattung, so auch bei netzpolitik.org.
Eine Enthaltung aus Hamburg
Die hessische Vorlage fand im Strafrechtsausschuss der JuMiKo viel Zustimmung, allerdings mit einer Enthaltung: Hamburg votierte nicht dafür. Wir haben bei der Justizsenatorin der Hansestadt nachgefragt, was die Gründe dafür sind, dass sich Hamburg als einziges Bundesland bei der Abstimmung enthalten hat. Ein Pressesprecher antwortet darauf nicht inhaltlich, bittet gegenüber netzpolitik.org nur um „Verständnis“ dafür, dass „die inhaltliche Beratung der einzelnen Beschlussvorschläge“ auf der JuMiKo stattfände. Das sei „gute Praxis“, von der man nicht abweichen wolle.
Auch Fragen von netzpolitik.org danach, welchen Aufwand beispielsweise Hamburg betreibt, um die Daten für die statistischen Berichtspflichten zu erheben, bleiben unbeantwortet. Man wolle sich „nicht im Vorfeld der Konferenz detailliert zu den Initiativen anderer Länder oder zu vertraulichen Ausschussberatungen der Fachebene und deren Votierungen äußern“.
Wenn es zu der Reduzierung der statistischen TKÜ-Berichtspflichten kommt, wird auch die ungeliebte Überwachungsgesamtrechnung löchriger. Und es fehlt natürlich auch in der hessischen Beschlussvorlage nicht der Hinweis auf die Entlastung von „unnötiger Bürokratie“. Als seien die statistischen Angaben zur Telekommunikationsüberwachung nur unnötiger Ballast.
Doch Bürokratieabbau ist gerade das Steckenpferd der Konservativen, an allen Ecken und Enden gefordert. Ob Justizministerin Hubig in den Chor einstimmt, bleibt abzuwarten. Dass dieser Bürokratieabbau gar nicht so selten Transparenzabbau und fehlendes Wissen über staatliche Maßnahmen zur Folge hat, sollte der Juristin jedenfalls zu denken geben.
- Beschlussvorschlag
- TOP: I. 4
- Berichterstattung: Hessen
Kritische Überprüfung der statistischen Berichtspflichten zur Telekommunikationsüberwachung in der StPO
Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich mit den statistischen Berichtspflichten zur Telekommunikationsüberwachung befasst.
Sie stellen fest, dass diese Berichtspflichten erhebliche personelle Ressourcen in den Justizverwaltungen und in den ohnehin schon hochbelasteten Staatsanwaltschaften binden, ohne dass diesem Aufwand aufgrund der geringen Aussagekraft der erhobenen Daten stets ein entsprechender Nutzen, etwa bei der rechtspolitischen Steuerung oder Evaluation der Eingriffspraxis, gegenübersteht.
Vor dem Hintergrund des dringlichen Anliegens, die Justiz im Allgemeinen und die Staatsanwaltschaften im Besonderen von unnötiger Bürokratie zu entlasten, bitten die Justizministerinnen und Justizminister daher den Bundesminister der Justiz, unter Einbeziehung der Länder die Möglichkeit einer Reduzierung der statistischen Berichtspflichten zur Telekommunikationsüberwachung zu prüfen und auf der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2026 über das Ergebnis der Prüfung zu berichten.
Abstimmungsergebnis des Strafrechtsausschusses:
- Ja: 15
- Nein: 0
- Enthaltung: 1