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Wie hunderte entdeckte Fehler in der Wikipedia ihre Glaubwürdigkeit stärken


Vorneweg, ich liebe alles an dieser Geschichte: Es beginnt damit, dass ein Rechercheteam der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) über Wochen hinweg zufällig ausgewählte Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia mit Unterstützung von KI auf Fehler untersucht. Zu den Fehlern, die sich auf diese Weise besonders leicht auffinden lassen, zählen widersprüchliche Angaben in einem Beitrag sowie veraltete Informationen. Am Ende eines der größten Fact-Checking-Vorhaben der deutschen Journalismusgeschichte erscheint der Artikel „Wikipedia weiß immer weniger“ (Paywall). Auf Basis der 1.000 Artikel umfassenden Stichprobe kommen die Redakteure der FAS zu folgendem Ergebnis:

Probleme gibt es auf mehr als jeder dritten Seite. Mindestens 20 Prozent der Seiten enthalten Informationen, die nicht mehr aktuell sind, und nur bei der Hälfte fällt es sofort auf. Dazu kommen fast noch einmal so viele Seiten mit Angaben, die noch nie gestimmt haben.

Im Anschluss an dieses Ergebnis diskutiert der FAS-Beitrag Ursachen – allen voran ein ständig wachsender Artikelbestand bei stagnierender Zahl an freiwilligen Autor:innen – und mögliche Lösungsvorschläge. Ich durfte anknüpfend an einen Beitrag hier bei netzpolitik.org aus dem Jahr 2022 ebenfalls welche beisteuern.

Transparente Vorgehensweise

Das Rechercheteam der FAS hat seine Vorgehensweise detailliert offengelegt

Mindestens so interessant wie das Ergebnis ist aber die Beschreibung und Reflexion über die Methodik:

Auch das zeigt die F.A.S.-Untersuchung: Wenn sich Wikipedia und die Künstliche Intelligenz nicht einig waren, hatte die KI auch nicht öfter recht als Wikipedia. […] Gleichzeitig sind die meisten KI-Modelle auch mit den Wikipedia-Artikeln trainiert. Die KI hat also sehr wahrscheinlich einige Fehler übersehen, weil sie falsche Angaben aus Wikipedia gelernt hat.

Hinzu kommt, dass die Redakteure Valentin Bauer, Patrick Bernau, Christopher Herstell und Jacob Kramer ihr Vorgehen bei Artikelauswahl und KI-gestützter Fehlersuche samt vollständiger Liste der untersuchten Artikel ebenfalls in einem eigenen Beitrag dokumentiert haben (Paywall). Die radikale Transparenz der Wikipedia wird somit gespiegelt, ist es doch ebendiese Transparenz, die Analysen wie jene der FAS überhaupt erst möglich machen.

Von der FAS in die Wikipedia

Die Geschichte der FAS-Recherche ist an dieser Stelle aber nicht zu Ende. Im Gegenteil, in mancher Hinsicht beginnt sie mit der Veröffentlichung der Ergebnisse erst. Denn noch am Veröffentlichungswochenende fand die vollständige Liste an untersuchten Artikeln ihren Weg in die deutschsprachigen Wikipedia als bearbeitbare Tabelle. In der Erläuterung heißt es dort:

Falls ihr einen Fehler korrigiert oder entscheidet, dass eine Korrektur unnötig ist, wäre es schön, wenn ihr das in der Spalte ‚abgearbeitet‘ vermerkt.

Mit anderen Worten: Statt sich beleidigt zurückzulehnen, wurde die Recherche der FAS als Verbesserungsauftrag angenommen und sofort mit der Arbeit begonnen. Am Sonntag Abend, 6. Juli, waren die meisten der gröberen Schnitzer bereits ausgebügelt.

Parallel dazu wurden die Ergebnisse der Recherche sowie mögliche Lösungsansätze kontrovers, differenziert und öffentlich im Wikipedia-Kurier diskutiert, einem Nachrichtenblatt der Community. Stellvertretend für den konstruktiven Tenor vieler Beiträge dort:

‚Wikipedia-Bashing‘ mit eingebundener Werbung an die FAS-Leser, sich doch bitte bei der Wikipedia zu beteiligen, wenn man den gegenwärtigen Zustand für unbefriedigend hält? So ein ‚Bashing‘ könnten wir alle Tage gebrauchen…

Fazit

Die Moral von der Geschichte? Wissen ist und bleibt eine endlose und kollektive Aufgabe. Alle, die sich mit ehrlichem Erkenntnisinteresse daran beteiligen, leisten einen Beitrag. Fehler oder veraltetes Wissen aufzuzeigen ist dabei mindestens so wichtig wie das Zusammentragen und Aufbereiten von mit seriösen Quellen gestütztem Wissen selbst.

Dass Fehler systematisch recherchiert und zeitnah korrigiert werden können, ist ein Grundpfeiler für Glaubwürdigkeit und Qualität der Wikipedia als wichtigster Wissenssammlung unserer Zeit. Natürlich ist Wikipedia-Wissen immer nur vorläufig und nie völlig gesichert – wie Wissen ganz allgemein. Und wahrscheinlich ist es einer der wichtigsten aufklärerischen Verdienste der Wikipedia, diesen Umstand jeden Tag aufs Neue deutlich zu machen.



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